Die neue israelische Rechte und die geschürte Angst vor Verunreinigung

Bild: Itamar Ben-Gvir, Vorsitzender der der Rechtspartei Otzma Yehudit, 2.11.2022 (IMAGO / ZUMA Wire / Eyal Warshavsky)
Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen November gelang es der neuen Liste Religiöser Zionismus (HaTzionut DaDatit) elf Prozent der Stimmen und vierzehn Sitze in der Knesset zu erobern. Dahinter verbarg sich ein Bündnis der extrem rechten Parteien Noam (deutsch etwa „Milde“, Anti-LGBT), der von dem Kahanisten Itamar Ben-Gvir geleiteten Otzma Jehudit und der Ha-Ichud HaLeumi-Tkuma unter Vorsitz von Bezalel Smotrich – einem religiösen Siedler mit Vorstellungen von der Heiligkeit des Landes und des Volkes. Diese drei Parteien vertreten Teile der religiösen Öffentlichkeit, sind orthodox und beziehen ihre wichtigste Inspiration aus religiösen Texten. Sie sind darüber hinaus ultranationalistisch und glauben an die Heiligkeit des Landes Israel. Die Palästinenser haben für sie keine Rechte in ihrem angestammten Heimatland, und die Verletzung des Völkerrechts oder die Vorenthaltung von Menschenrechten scheint sie nicht groß zu bekümmern. Ihnen zufolge gehört das umstrittene Territorium rechtmäßig und moralisch den Juden, womit sie die Zwangsenteignung, Vertreibung und Beherrschung der Araberinnen und Araber legitimieren. Vor allem aber sind sie einer Definition des jüdischen Volkes nach dem jüdischen Gesetz (der Halacha) verpflichtet und nehmen die Bewahrung von dessen ethnischer Reinheit sehr ernst, weshalb sie diejenigen attackieren, die eine solche Reinheit bedrohen.
Seit Dezember 2022 sind diese Parteien Teil der rechtsgerichteten Regierung Benjamin Netanjahus. Doch ihre Wurzeln sind weit älter. Schon lange haben sie den Diskurs und die Politik auf viele indirekte Arten beeinflusst, durch Geld, Aktionsgruppen und die Verbreitung neuer Sprachnormen.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist auf diese Weise in Israel ein neues normatives Unternehmertum entstanden, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die zuvor weitgehend liberale Moral des Landes durch andere Werte und Inhalte zu ersetzen. Die liberale Moral ist universalistisch, für sie sind alle Menschen gleich, sie setzt sich für ein faires Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheiten ein und befürwortet die Trennung von Religion und Staat. Die moralischen Unternehmer haben beschlossen, die öffentlich diskutierten Inhalte dadurch zu verändern, dass sie neue Formen des Abscheus vor bestimmten sozialen Gruppen fördern. Sie sind „Abscheu-Unternehmer“: Politiker und NGOs religiöser und religiös-nationalistischer Couleur, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Abscheu bestimmter Gruppen vor anderen zu schüren, zu fördern und zu vergrößern.
Das Judentum definiert Heiligkeit als den Akt der (begrifflichen und praktischen) Unterscheidung und Trennung von Sauberkeit und Unsauberkeit. Ultraorthodoxe Juden verfügen über ein starkes Bewusstsein von Sauberkeit und Unsauberkeit, wie sich etwa an ihrem intensiven Gebrauch der Mikwe, ihrer strengen Befolgung der Gesetze zu menstrueller Unreinheit, unfreiwilligem Samenerguss oder koscherem Essen zeigt. In den zeitgenössischen demokratischen Gesellschaften sind derartige Unterscheidungen zwischen Reinem und Unreinem so lange legitim, wie sie Teil eines privaten religiösen Glaubens bleiben. Eine der ausschlaggebenden Veränderungen in der israelischen Politik bestand aber darin, dass die Thematik der Sauberkeit und Verschmutzung in die politische Öffentlichkeit hineingetragen wurde.
Geprägt vom US-amerikanischen Rassismus vor der Bürgerrechtsbewegung
Wollte man den entscheidenden Moment benennen, an dem Abscheu in der israelischen Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen begann, dann wäre die Gründung der rechtsradikalen Partei Kach (deutsch etwa: „So!“) ein plausibles Datum. 1971 von dem amerikanischen Rabbiner Meir Kahane ins Leben gerufen, war die Kach eine rechtsradikale religiöse Partei, der es nach über einem Jahrzehnt vergeblicher Anläufe 1984 gelang, bei den israelischen Parlamentswahlen einen Sitz in der Knesset zu erobern. Diesen nutzte Kahane dazu, diverse Gesetzesvorschläge einzubringen, die alle darauf abzielten, Nichtjüdinnen die israelische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden zu verbieten und sexuelle Beziehungen zwischen beiden Gruppen zu untersagen. Die Kach verschob den Fokus vom Land auf die Menschen: Nicht mehr um territoriale Kompromisse sollte es gehen, sondern um eine Gesetzgebung, die israelische Araber und die Araber in Ostjerusalem faktisch daran hindern würde, sich in die israelische Gesellschaft zu integrieren oder gar an sie zu assimilieren. So entwarf Kahane beispielsweise ein „Gesetz zur Verhinderung einer Assimilation von Juden und Nichtjuden und zur Bewahrung der Heiligkeit des Volkes Israel“. Der Logik von Verunreinigung und Reinheit folgend, bezweckte dieses Gesetz eine strikte Trennung von Juden und Nichtjuden in der Öffentlichkeit.[1] Wie Kahane behauptete, basierten seine Gesetzesinitiativen auf der Mischne Tora, dem Hauptwerk des Maimonides.[2] Doch ist es nicht weniger wahrscheinlich, dass seine Vorstellungen durch den offiziellen Rassismus geprägt waren, der bis zur Bürgerrechtsbewegung in den USA herrschte.
Kahane wurde 1932 in Brooklyn geboren und lebte bis 1971 in den Vereinigten Staaten; er war ebenso sehr Amerikaner wie gläubiger Jude. Die tiefreichende Segregation schwarzer Menschen in den USA, die durch die rassistische Ideologie weißer Überlegenheit gerechtfertigt wurde und in so vielen amerikanischen Institutionen verankert war, konnte ihm nicht fremd sein. (Vergessen wir nicht, dass die Nazis die amerikanische Regel des „einen Blutstropfens“, nach der jede Person schwarz war, die irgendeinen schwarzen Vorfahren hatte, als zu streng empfanden und ihre Definition des Juden auf jede Person mit einem jüdischen Großelternteil beschränkten.[3]) Kahanes Ideologie zeichnete sich somit sowohl durch seinen Wunsch aus, die jüdischen Reinheitsgesetze auf den öffentlichen Raum zu übertragen, als auch durch eine zutiefst rassistische Vorstellung ethnischer und „rassischer“ Überlegenheit, die in den Vereinigten Staaten bis lange nach der Desegregation in den 1960er Jahren verwurzelt war. (Die Bürgerrechtsbewegung war einer der Gründe, weshalb Kahane nach Israel auswanderte.)
Seine Partei Kach wurde 1988 verboten, verschwand aber nur dem Namen nach von der Bildfläche. Tatsächlich zettelte sie eine kleine ideologische Revolution an, da Kachs Ideen von verschiedenen dynamischen kleinen Parteien und politischen Organisationen wiederbelebt wurden. So ist etwa der Name der 2009 gegründeten Organisation Lehava ein Akronym für „Prävention von Assimilation im Heiligen Land“. Sie widersetzt sich Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden, insbesondere Muslimen. Ihre Mission sieht sie darin, jüdischen Frauen dabei zu helfen, sich aus solchen „schädlichen“ Beziehungen zu befreien, auch wenn die meisten dieser Frauen ihre Hilfe nie gesucht haben.[4]
Ein anderes Beispiel ist die 2006 gegründete NGO Im Tirtzu, die sich die Förderung des Zionismus in Israel auf ihre Fahnen geschrieben hat.[5] Das schließt unverfängliche Aktivitäten wie die Verteilung kleiner Geschenke an israelische Soldaten ein, aber auch weit weniger unschuldige Aktionen wie das Schikanieren von Gelehrten und erklärten Linken, die als „antizionistisch“, als gefährliche Verräter gebrandmarkt werden. Obwohl sie eine säkulare Bewegung mit starken Affinitäten zum McCarthyismus ist – und beispielsweise schwarze Listen von linken Wissenschaftlern erstellt –, verunglimpft Im Tirtzu wie die religiöse Lehava oft ganze Gruppen oder deren Mitglieder als moralisch abstoßend – das heißt als abscheulich. Die NGO ist vom selben Antrieb beseelt, jegliche verunreinigenden Ideen oder Personen von öffentlichen Institutionen fernzuhalten.
Otzma Jehudit (Jüdische Stärke), Ha-Ichud HaLeumi – Tkuma (Nationale Union – Wiedergeburt), HaBajit haJehudi (Jüdisches Heim) und Eretz Israel Schelanu (Unser Land Israel) wiederum sind allesamt Parteien, die trotz kleinerer Unterschiede in Rhetorik und Ausrichtung von der ideologischen Lebendigkeit jener Ideen zeugen, die von Kahane gehegt, aber schließlich offiziell geächtet wurden. Trotzdem sind diese Ideen allmählich in die Mitte der Gesellschaft eingewandert und insofern zum Mainstream geworden.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die Radikalisierung des Likud, von der in der ersten Dekade der 2000er Jahre oft die Rede war. Sie bestand vor allem darin, dass die Partei neue politische Inhalte vermittelte, die ihre Grundlage in Gefühlen des Abscheus hatten.
2004 etwa stimmten 22 Likud-Abgeordnete für ein Gesetz, das es erlauben sollte, Städte und Dörfer rechtlich bestimmten ethnischen oder nationalen Gruppen vorzubehalten, das also die Rechtskategorie einer „rein jüdischen“ Stadt einführen würde. Der Gesetzesentwurf wurde von einem Mitglied der Listenverbindung Nationale Union eingebracht, von mehreren anderen religiösen Parteien unterstützt und scheiterte in der Knesset nur knapp – mit 38 Ja- bei 40 Gegenstimmen.[6] In Fällen wie diesen wurde das ideologische Programm des Likud tiefgreifend auf religiöse Positionen umgestellt, die auf einer radikalen, unüberwindlichen Trennung zwischen Juden und Nichtjuden, Gläubigen und Ungläubigen, reinen und unreinen Lebensformen beharren.
Hierin liegen gewisse Ähnlichkeiten mit den weißen evangelikalen Christen in den USA, von denen 34 Prozent sagen, dass sie die Trennung von Kirche und Staat in ihrem Land ablehnen – der Anteil in der US-Bevölkerung insgesamt liegt bei 19 Prozent –,[7] also die Bezugnahme auf religiöse Grundsätze in der politischen Entscheidungsfindung befürworten. Eines der offensichtlichsten Beispiele hierfür ist der jahrzehntelange Kampf der weißen Evangelikalen gegen die Abtreibung – mit Bildern von Ärztinnen, die Abtreibungen vornehmen, im Stil von Fahndungsplakaten,[8] eine abscheuliche Taktik, der sich auch rechtsextreme Organisationen in Israel regelmäßig bedient haben, wenngleich für ethnische und nationalistische Zwecke.
Im Einklang mit anderen rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen auf der Welt – wie Orbán in Ungarn, amerikanische weiße Rassisten wie die American Front und die American Freedom Party (vormals American Third Position Party), die Serbische Radikale Partei, Modis BJP in Indien oder Melonis Fratelli d’Italia – verteidigt die israelische extreme Rechte die Reinheit des jüdischen Volkes, eine Idee und ein Ideal, das gleichermaßen religiös und politisch ist und über eine solide Grundlage im jüdischen Gesetz verfügt.
Zwar hat eine Organisation wie die oben erwähnte Lehava in den meisten Ländern der Welt, in denen Mischehen, interreligiöse Ehen und ethnisch gemischte Beziehungen gesetzlich geschützt sind und nicht die Zielscheibe irgendeiner legitimen politischen Partei bilden, kaum ein ideologisches Äquivalent. Man würde bis zum Ku-Klux-Klan der 1920er Jahre zurückgehen müssen, um eine ähnliche ideologische Ausrichtung zu finden, die solche Beziehungen explizit verbieten und bekämpfen wollte. Eine aktuelle Ausnahme deutet sich allenfalls unter Modi in Indien an, wo seit 2020 mehrere Distrikte interreligiöse Ehen dadurch erschwert haben, dass sie Frischvermählten verbieten, zum Glauben ihres Ehepartners überzutreten.[9]
Doch bringt Lehava ein Thema auf die politische Bühne, das zwar (noch) nicht zum offiziellen Programm einer Partei gehört, das aber faktisch der politischen Weltsicht und den Werten vieler religiöser Parteien entspricht, die derzeit in Israel (und anderen Teilen der Welt) an der Macht sind. So erklärte etwa Bezalel Smotrich, der Vorsitzende des erwähnten Parteienbündnisses Religiöser Zionismus und seit Dezember 2022 israelischer Finanzminister, dass seine Frau, nachdem sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, kein Zimmer mit einer arabischen Frau teilen dürfe.[10]
Lehava setzt sich nicht nur aktiv gegen interreligiöse Ehen ein, die Organisation hat die Israelis sogar aufgefordert, Juden, die ihre Wohnungen an Araber vermieten, an sie zu melden, damit sie öffentlich an den Pranger gestellt werden können.[11] Sie agitierte auch gegen die gemeinsame Nutzung von Stränden durch Jüdinnen und Araberinnen.[12] All diese Aufforderungen und Verbote folgen der Logik des Abscheus und der Verunreinigung, der zufolge das Vorhandensein von Nichtjuden im kollektiven Gemeinwesen die Reinheit des Volkes insgesamt gefährdet. Organisationen wie Lehava beziehen ihre Inspiration unmittelbar aus diversen Strängen des orthodoxen Judentums, welches das jüdische Volk als eine (zum Beispiel durch Mischehen) bedrohte Einheit begreift, und arbeiten aktiv darauf hin, seine Reinheit zu bewahren, indem sie Juden von Nichtjuden trennen.
Israelische Besatzung: Trennung durch geschürte Abscheu
Im israelischen Kontext entspricht diese religiös begründete symbolische Struktur der sozialen und geografischen Struktur der Besatzung. Die dauerhafte Besatzung ist nicht nur eine militärische Tatsache, sondern impliziert auch eine aktive und permanente Trennung zwischen jüdischen Siedlern und Arabern, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Existenz eng miteinander verflochten ist. In ihren Siedlungen leben die Juden oft in eingezäunten Wohnkomplexen, sie haben ein eigenes Schulsystem und unterhalten mit Arabern keine freundschaftlichen, kollegialen oder sexuellen Beziehungen. Ein ausgeklügeltes System von Straßen und Kontrollpunkten zielt auf eine maximale Abschottung zweier Bevölkerungsgruppen, die leicht in enger Symbiose leben könnten. Die Aufgabe, die Abschottung beider Gruppen sicherzustellen, obliegt der Armee.
Ultraorthodoxe Juden wenden die Gesetze der Reinheit und Unreinheit nur auf ihre eigenen geschlossenen Gemeinschaften an. Das halten die Vertreter rechtsextremer nationalreligiöser Gruppierungen, von denen viele Siedler sind, anders: Sie sind weitaus missionarischer in ihrem Bemühen, benachbarte Gemeinschaften voneinander zu isolieren, indem sie ein starkes Gefühl der Getrenntheit in der Gesellschaft verbreiten, von dem man sagen könnte, dass es auch mit bewusst geschürter Abscheu zusammenhängt. Die Religion und die Armee sind zwei mächtige institutionelle Systeme zur Durchsetzung einer strikten Trennung. Tatsächlich liegt der Hauptunterschied zwischen Ultraorthodoxen und rechtsextremen religiösen Nationalisten darin, dass letztere durch ihre Rabbiner aktiv Abscheu vor diversen Gruppen in der Öffentlichkeit erzeugen, nämlich vor säkularen Menschen, Linken, Reformjuden, Feministinnen, Homosexuellen und natürlich vor allem vor Araberinnen und Arabern.
Derartige Vorstellungen werden von Vertretern der Eliten unter den Siedlern vermittelt, darunter vielen Militärrabbinern sowie Rabbinern, die Schüler in vormilitärischen Schulen unterrichten.[13] Solche Rabbiner bewirken eine perfekte Verbindung und Angleichung zwischen dem religiösen Ethos und dem aktiven Einsatz des Militärs für die physische Abgrenzung beider Gruppen. So befindet sich in der Siedlung Eli, die von der Völkergemeinschaft als illegal betrachtet wird, die Jeschiwa Bnei David – eine vormilitärische Akademie, die religiöse Studierende auf die Armee vorbereitet. In ihr unterrichten mehrere Rabbiner, die einen großen Einfluss auf eine wachsende Zahl von Offizieren und Politikerinnen ausüben. Rabbiner Eli Sadan, Leiter der religiösen vormilitärischen Schule in Bnei David und seit 2016 Träger des angesehenen Israel-Preises, ist ein ungemein einflussreicher Vertreter des messianischen Judentums. Über Reformjuden und säkulare Menschen äußert er sich vorzugsweise in Metaphern, die ihren gefährlichen und verunreinigenden Charakter betonen: „Es [das Reformjudentum] ist ein Schlangengift, und viele, die es in sich tragen, verstehen gar nicht, welches Gift sie in sich tragen. In der Oberflächlichkeit ihrer Bildung und ihres Wissens tragen sie dieses Gift in sich, weil sie es für das Schönste und das Beste halten und alles gut ist [...].“[14]
Rabbiner Eliezer Kaschtiel, ebenfalls an der Akademie Jeschiwa Bnei David, vergleicht säkulare Literatur mit einem Haufen Abfall. Die Wahl solcher Metaphern zielt offenkundig einzig und allein darauf, Abscheu zu erregen: „Wenn jemand etwas Abfall hat, ist das kein Grund, dass die ganze Umgebung darunter leidet [...]. Nur weil jemand Abfall hat, nur weil du ein bisschen zu Hause hast, ist das kein Grund, rauszugehen und Stände aufzustellen, jede Menge Stände und jede Menge Tische, mit jeder Menge Müllhaufen. Und mehr Geld dafür zu verlangen. Ich verkaufe Abfall, wer will ihn kaufen? Aber wenn sich Literatur nicht um die [religiöse] Erlösung dreht oder wenn es nicht wenigstens eine Atmosphäre der Erlösung im Hintergrund gibt, was für einen Sinn hat sie dann? Sie stellt einfach nur die Unreinheit in einer Person so dar, wie sie ist [...]. Jede Person hat alle möglichen Leidenschaften und Triebe, und sie legen sie auf den Tisch, und jeder muss diese gewaltige Mixtur aus Trieben kaufen und dafür bezahlen [...]. Wie kann man leben, wenn alles voll ist von diesem Gestank?“[15]
Ein weiterer Rabbiner, Zvi Israel Thau, der für seine Ausfälle gegen Homosexuelle und als Spiritus Rector hinter der Partei Noam bekannt ist, bedient sich ähnlicher Bilder, um Abscheu zu erregen. Das hört sich dann so an: „Es ist nicht zu leugnen, dass dieses Virus [Covid-19] bekanntlich Tiere schädigte, aber keine Menschen befiel. Die Gemara [der Talmud] sagt uns: Es gibt kein Tier, das den Menschen beherrscht, solange der Mensch nicht selbst als ein Tier erscheint [...] die postmoderne Kultur mit den I-Phones, die mit Gräuelfilmen überflutet sind, mit den pervertierten Organisationen, die den Menschen auf der ganzen Welt einem Tier angleichen. Ist Polyamorie nicht ein tierischer Akt?“[16]
Rassismus zum »Wohle der Araber«
Die krasseste Rede in diesem Zusammenhang ist aber zweifellos die folgende, die Rabbi Kaschtiel vor seinen Schülern hielt. In ihr stellt er die Araber als genetisch und von Natur aus minderwertig dar und behauptet, das Ziel der Besatzung bestünde in Wirklichkeit darin, sie zu erheben, das heißt aus ihrer schrecklichen, unterentwickelten Lage zu befreien. Die Besatzung und die Beherrschung der Araber werden so zum festen Bestandteil einer israelischen Zivilisierungsmission: „Ja, wir sind Rassisten, gewiss. Ja, es gibt Rassen auf der Welt, und es gibt genetische Eigenschaften von Völkern, und das verlangt von uns [dem jüdischen Volk], dass wir darüber nachdenken, wie wir ihnen helfen können. Die Tatsache, dass es jemanden gibt, der weniger ist als du – das ist kein Grund, ihn zu verspotten oder zu zerstören, sondern ihm zu helfen. [...] Wie wir wissen, gibt es Gendefekte, sagen wir, innerhalb der Gesellschaft, leider wird ein Kind mit einem Defekt geboren. Ist das ein Grund, es zu verspotten? Nein, es ist ein Grund, ihm zu helfen [...]. Ich sehe, dass ich viel beeindruckendere Ergebnisse erziele als er. Auf den Gebieten der Moral, der Mentalität, der Persönlichkeit erziele ich viel größere Erfolge – also ist es meine Pflicht, ihm zu helfen, ihn nicht so zu belassen, wie er ist, arm und erbärmlich, sondern die Hand zu ihm auszustrecken und ihm zu sagen ‚Komm. Komm, sei mein Sklave, sei ein Partner in meinem Erfolg.‘ [...] Es gibt solche Völker um uns herum mit genetischen Problemen. [...] Fragt einen einfachen Araber, ich habe einen einfachen Araber gefragt, wo willst du leben, unter der Palästinensischen Behörde oder unter dem Staat Israel? Die Antwort ist unmissverständlich. Jeder wird dir dieselbe unzweideutige Antwort geben, dass sie unter der Besatzung leben wollen. [...] Warum? Weil sie ein genetisches Problem haben, sie wissen nicht, wie man ein Land verwaltet, sie wissen nicht, wie man irgendwas tut, schaut euch nur an, wie sie aussehen [...]. Der einfache Araber, der jeden Tag arbeitet, welchen Arbeitgeber bevorzugt er? Fragt ihn. Einen jüdischen Arbeitgeber oder einen arabischen Arbeitgeber? Das ist überhaupt keine Frage. Sie wissen es, also wollen wir die Dinge klar aussprechen und sagen ‚Kommt und seid unsere Sklaven.‘ [...] Statt Entschuldigungen vorzubringen, ist es besser, wahre und zutreffende Dinge zu sagen und nicht herablassend zu sein.“[17] Besonders interessant an diesen Ausführungen ist, dass sie eine angebliche Minderwertigkeit der Araber nicht nur als genetisch und naturgegeben darstellen, sondern auch als Chance für die Juden, sich ihrer größeren Moralität bewusst zu werden und sie dadurch zu beweisen, dass sie der „unterlegenen Art“ helfen.
Während die zitierten Rabbiner alle aschkenasischen Ursprungs sind, steht der sephardische Rabbiner Ovadja Josef – der geistige Führer der Schas-Partei – seinen aschkenasischen Kollegen in nichts nach. Im Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen Muslimen und Juden in Bagdad, an den er sich erinnerte (ohne in seiner Rede ein genaues Datum zu nennen, doch sollten wir anmerken, dass der grundsätzliche Konflikt damit endete, dass die Juden verfolgt wurden und aus dem Land fliehen mussten), zeigte Josef noch weniger Mitgefühl mit der „minderwertigen Art“: „Die Araber erhoben sich am folgenden Tag und veranstalteten einige Demonstrationen. Das ist die Macht dieser bösen arabischen Menschen. Sie sind nicht zu bemitleiden, sondern mit Raketen zu vernichten, zu zerstören, sie sind verflucht und böse.“[18] Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die ultraorthodoxe Schas-Partei, die die Mizrachim [also nicht-aschkenasische Juden] repräsentiert, oft toleranter und rücksichtsvoller gegenüber arabischen Israelis war als andere israelische Parteien.[19]
Gift, Abfall, Gräuel, Gestank, Bestien, Schlangen, Tiere, Mörder, ein verdorbener Geist, Bosheit bilden zusammen eine Matrix, um Araber und säkulare Jüdinnen und Juden als Inbegriff einer Verschmutzung zu charakterisieren, die nichts als Abscheu erregen kann. Araber und Säkulare stellen den unreinen Kern dar, der andere Gruppen ansteckt: Linke, Homosexuelle – die hebräische Bezeichnung für Homosexualität enthält das Wort to’eva, etwas Abscheuliches – und Feministinnen. Menschen, die Angehörige dieser Gruppen treffen, berühren, mögen, lieben oder die ihre Bücher lesen, werden von dem „Ungeziefer“ infiziert. Das alles sind zweifellos extreme Anschauungen, die von einer bestimmten Gruppe Rabbiner verbreitet und in ihrer Grausamkeit von der Mehrheit der jüdischen Israelis nicht geteilt werden. Doch finden solche Auffassungen ein Echo in den entscheidenden säkularen Institutionen Israels: in der Armee, die ganz gezielt und am unübersehbarsten im Westjordanland dazu eingesetzt wird, die Trennung zwischen Juden und Arabern zu erzwingen, aber inzwischen auch in der Regierung. Und auf diese Weise verfügen die neuen Radikalen über die Macht, die Normen des israelischen Diskurses nachhaltig zu verschieben.
Der Beitrag basiert auf „Undemokratische Emotionen: Das Beispiel Israel“, dem neuen Buch der Autorin, das am 17. April im Suhrkamp Verlag erscheint. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Michael Adrian.
[1] Vgl. Anna Bagaini, The origins of right-wing populism in Israel. Peace process and collective identities’ struggle, Vortrag vor dem European Consortium for Political Research, Breslau 2019.
[2] „Meir Kahane“, New World Encyclopedia.
[3] James Q. Whitman, Hitlers amerikanisches Vorbild. Wie die USA die Rassengesetze der Nationalsozialisten inspirierten, aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn, München 2018.
[4] Vgl. Lehava, Zur Verhinderung der Assimilation im Heiligen Land, www.leava.co.il (auf Hebräisch).
[5] Vgl. Im Tirtzu, Über die Im-Tirtzu-Bewegung, www.imti.org.il/about-us/movement (auf Hebräisch).
[6] Vgl. Arik Bender, Die Knesset hat ein „rassistisches Gesetz“ abgewendet, www.makorrishon.co.il, 1.12.2004 (auf Hebräisch).
[7] Vgl. Pew Research Center, In U.S., far more support than oppose separation of church and state, 28.10.2021.
[8] Vgl. Lara Whyte, Has Trump’s White House ‚resurrected‘ Army of God anti-abortion extremists?, www.opendemocracy.net, 5.2.2018.
[9] Vgl. Chinki Sinha, India’s interfaith couples on edge after new law, www.bbc.com, 15.3.2021.
[10] Vgl. Bezalel Smotrich, www.twitter.com, 5.4.2016, 7:20 Uhr (auf Hebräisch).
[11] Vgl. Jair Altman, Public invited to inform on those renting to Arabs, www.ynetnews.com, 12.12.2010.
[12] Vgl. Institute for Middle East Understanding, Lehava: State-Sponsored incitement, www.imeu.org, 10.9.2012.
[13] Vgl. Matthew Zagor, „I am the law!“– perspectives of legality and illegality in the Israeli army, in: „Israel Law Review“, 3/2010, S. 551-589; Yagil Levy, The military as a split labor market. The case of women and religious soldiers in the Israel Defense Forces, in: „International Journal of Politics, Culture and Society”, 4/2013, S. 393-414.
[14] Zit. n. Jair Nehorai, Das Gift der Schlange, Facebook, 2018 (Post leider nicht mehr verfügbar).
[15] Zit. n. Jair Nehorai, Müll, Facebook, 2018 (Post leider nicht mehr verfügbar).
[16] Vgl. Guy Ezra, Rabbi Tau: Coronavirus-Ausbruch – weil die Menschen sich wie Tiere benehmen, www.srugim.co.il, 12.4.2020 (auf Hebräisch).
[17] Vgl. Jair Nehorai und Rabbi Eliezer Kaschtiel, „Die jüdische Überlegenheit ist genetisch, die Araber können unsere Sklaven sein“, www.haaretz.co.il, 7.8.2019 (auf Hebräisch).
[18] Vgl. Avishai Ben-Haim und Ovadia Yosef, The Arabs should be destroyed, www.ynet.co.il, 6.4.2001 (auf Hebräisch).
[19] Vgl. Shabtay Bendet, Arab communities support Shas, www.walla.co.il, 3.1.2013 (auf Hebräisch).