
Bild: Reisende am Hamburger Hauptbahnhof, 18.4.2023 (IMAGO / Schöning)
Das Desaster der Deutschen Bahn spitzt sich immer weiter zu; ohne eine rasche Besserung aber sind die verkehrs- und damit die klimapolitischen Ziele der Ampel nicht zu erreichen. Zu den immensen Problemen im Betrieb mit unzähligen Ausfällen und Verspätungen kommt die Finanzierungskrise rund um die hochverschuldete Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist. Der Bundesverkehrsminister der großen Koalition, Andreas Scheuer (CSU), hatte 2020 das Ziel ausgerufen, bis 2030 den Anteil der Fahrgäste auf der Schiene zu verdoppeln und den Anteil des Schienengüterverkehrs von 18 auf 25 Prozent zu steigern.[1] Diese Ziele haben auch SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 bekräftigt. Werden sie verfehlt, wird die angestrebte Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis 2030 kaum zu erreichen sein. Aber derzeit ist es nicht nur unwahrscheinlich, dass diese klimapolitischen Vorgaben erreicht werden, sondern es droht sogar eine Rückverlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße. Die Ampelregierung ist für das jetzige Desaster zwar nicht allein verantwortlich, aber sie verschärft die Lage immens.
Die Ursachen der Schieflage wurzeln in der Zusammenlegung der Bundesbahn der früheren Bundesrepublik und der Deutschen Reichsbahn der DDR im Jahr 1994 in Form einer gewinnorientierten Aktiengesellschaft. Aus dem neuen Konzern sollte ein international erfolgreiches Logistikunternehmen erwachsen, das Dienstleistungen auch per Lkw und Flugzeug anbietet. Der anvisierte Börsengang wurde aufgrund der Finanzkrise 2008 zwar abgesagt, aber die damaligen Fehlentscheidungen wirken bis heute fort. Denn um den Konzern profitabel zu machen, wurden in großem Umfang Schienen, Überholstrecken, Weichen und Gleisanschlüsse für Unternehmen stillgelegt, Beschäftigte entlassen und Bahnhöfe verkauft. Hinzu kommt: Als der Konzern noch Gewinne erwirtschaftete, flossen diese in den Bundeshaushalt anstatt in die Sanierung und Modernisierung der Infrastruktur. Mittlerweile hat die Deutsche Bahn mit weit mehr als 30 Mrd. Euro einen enormen Schuldenberg angehäuft – und zugleich zu wenig in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur investiert. Das rächt sich jetzt.
Marode Infrastruktur und hektische Flickschusterei
Zudem sind auch viele Straßen hierzulande in einem ausgesprochen schlechten Zustand. Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden im September erscheint wie ein Menetekel. Seit Jahren sorgen kaputte Autobahnen und Brücken für Schlagzeilen – und dennoch gelten insbesondere der FDP noch immer zu viele Schulden als das eigentliche politische Problem und fehlt es deshalb an Investitionen. Deutschland befindet sich aufgrund der über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahrenen gesamten Infrastruktur inmitten einer veritablen Mobilitätskrise. Diese Krise zulasten der Schiene lösen zu wollen, ist nicht nur klimapolitisch fatal. Es verkennt auch die fehlenden Kapazitäten auf den Straßen und selbst in den Lufträumen. Wird das Angebot auf der Schiene, wie von der Ampel nun geplant, eingeschränkt, nimmt der Druck dort zu – und leidet das Klima.
Über Jahrzehnte haben Verkehrsminister und Bahnvorstände die Missstände schöngeredet. Das geht nun nicht mehr. Stattdessen ist hektisches, kopflos wirkendes Sanieren im ganzen Schienennetz an die Stelle von Beschönigen und Aufschieben getreten. Mit der von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) angeschobenen Generalsanierung soll nun das Versäumte nachgeholt werden – und zwar ausgesprochen brachial. Insgesamt 40 Strecken sollen bis 2030 instandgesetzt werden. Vielbefahrene Hauptstrecken werden über Wochen und Monate gesperrt, etwa die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt oder die Strecke Berlin-Hamburg. Das ist auch bei umfangreichen Bauarbeiten keineswegs das übliche Vorgehen. In anderen Ländern wie der Schweiz erfolgen große Sanierungen während des laufenden Betriebs. Zwar ist das teurer als eine Vollsperrung, etwa wegen der nötigen Sicherheitsvorkehrungen, aber es wäre besser. Denn jetzt führen Baustellen und Streckensperrungen zu Störungen in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Fahrzeiten verlängern sich teilweise erheblich, Züge fallen aus, Anschlüsse werden verpasst, Verspätungen sind fast schon die Regel, denn die Generalsanierung wirkt sich auf das gesamte Netz aus.
Güterverkehr ausgebremst
Nicht nur für die Fahrgäste, auch und gerade für den Güterverkehr ist die Lage prekär. Durch die geplanten Vollsperrungen werden Umwege von bis zu 360 Kilometern für bis zu 80 Züge am Tag erforderlich, kritisiert der Verband „Die Güterbahnen“, in dem rund 110 Unternehmen organisiert sind. Die Bahnwettbewerber verfügen über einen Marktanteil von 60 Prozent des hiesigen Schienengüterverkehrs. Lange Umleitungen verteuern den Transport, doch vonseiten der Bahn sind Kompensationszahlungen nicht vorgesehen. Damit steigt die Gefahr, dass sich Unternehmen für einen Transport per Lkw entscheiden, warnt der Verband. Bislang hat die DB nur wenige ihrer Konzepte für die Sanierung bekanntgemacht. Die Güterverkehrsunternehmen fürchten unrealistische Planungen – etwa dass etliche Strecken die durch die Umleitungen zusätzlichen Güterzüge gar nicht aufnehmen können und die Bauarbeiten zu kurz veranschlagt werden – und beklagen massive Kommunikationsprobleme.[2]
Hinzu kommen die chronischen Probleme: das vermurkste Großprojekt Stuttgart 21 wird immer teurer, anhaltender Personalmangel gerade bei Lokführer:innen führt zu Störungen. Die Deutsche Bahn hat zwar Medienberichte dementiert, nach denen wichtige Digitalisierungsprojekte aus Kostengründen gestoppt und durch Technik aus dem 20. Jahrhundert ersetzt werden sollen, aber das ist angesichts der bisherigen Priorisierungen des Bahnmanagements keineswegs glaubwürdig. Bislang hat dieser stets die Kosten gedrückt – zulasten künftiger Leistungsfähigkeit und damit der Kund:innen und Beschäftigten. Dabei vergeht kaum eine Woche ohne Meldungen über großräumige Netzstörungen. Im Juni hatte fast jeder zweite Fernverkehrszug Verspätung. Das Chaos hat Folgen: Im ersten Halbjahr 2024 ist die Zahl der Reisenden im Fernverkehr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund sechs Prozent gesunken.
Die Vorschläge, um die Misere zu beenden, klingen immer abenteuerlicher: So hat der Chef der Eisenbahnergewerkschaft EVG, Martin Burkert, vorgeschlagen, zur Entlastung des Netzes ein Tempolimit für Hochgeschwindigkeitsstrecken einzuführen. Statt 250 Stundenkilometer sollen sie nur 200 fahren, so der Vizeaufsichtsratschef der Deutschen Bahn. Durch längere Zuglaufzeiten soll es möglich sein, Verzögerungen durch Baustellen auszugleichen und den Fahrplan zu stabilisieren. Fachleute wie der Bahnexperte Markus Hecht von der TU Berlin raten davon jedoch ab. Denn langsamere Züge bleiben länger auf der Strecke und blockieren andere, sodass es zu weiteren Verspätungen kommen würde.[3] Eine andere Idee: Verbindungen zu streichen, wie es etwa CDU-Chef Friedrich Merz gefordert hat. Aber das würde zu einer Überlastung der übrigen Verbindungen führen, die Züge würden noch voller werden. Übervolle Züge und langwieriges Ein- und Aussteigen führen aber bereits jetzt zu Verspätungen.
Reduziertes Angebot statt Ausbau?
Doch ausgerechnet auf eine Reduzierung des Angebots könnte es nun hinauslaufen. Der Bahnvorstand hat ein Sanierungsprogramm vorgelegt, demzufolge das Unternehmen in zwei Jahren in allen Sparten Gewinne abwerfen soll. Das zu erreichen erscheint gerade nach dem Verkauf der Logistik-Tochter Schenker, deren Gewinne lange die Verluste der anderen Sparten ausgeglichen haben, regelrecht absurd. Umso mehr müssen die Schritte, die zur Sanierung führen sollen, beunruhigen: Unter anderem sollen in überlasteten Verkehrsknoten Verbindungen gestrichen werden. Mit einer Reduzierung des Angebots würde aber auch die Zahl der Fahrgäste weiter sinken – und damit die Einnahmen der Bahn. Zugleich verlöre sie immer mehr an Attraktivität.
Der vom früheren CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer angekündigte Deutschlandtakt, der ursprünglich 2030 kommen sollte, wurde inzwischen auf die lange Bank geschoben. Mit diesem sollten Zugverbindungen in geringen Abständen aufeinander abgestimmt sein und auch Anschlüsse zum Regionalverkehr reibungslos klappen. In Österreich und der Schweiz gibt es seit langem solche getakteten Fahrpläne. Dort sind die Zugverbindungen zuverlässig, die Infrastruktur ist gut in Schuss. Der Anteil des Personen- und Gütertransports per Zug am Gesamtverkehr liegt weitaus höher als hierzulande. Beide Länder investieren seit Jahren sehr viel mehr Geld pro Kopf in die Schienen als Deutschland. Während hier im Jahr 2023 nur 115 Euro pro Bürger:in ins Schienennetz flossen, waren es in der Schweiz 477 Euro, in Österreich 336 Euro.[4] Die Schweiz finanziert die Ausgaben für die Bahn über einen Infrastrukturfonds, in den Steuergelder und ein Teil der Schwerverkehrsabgabe fließen. In Österreich verfügen die Akteur:innen im Bahnsystem über Investitionssicherheit durch einen mehrjährigen Rahmenplan zwischen dem Staat und den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). In Deuschland wird zwar über die Einrichtung eines Infrastrukturfonds diskutiert, konkrete Formen hat dieser aber bislang nicht angenommen.
Die Krux der Eigenkapitalerhöhung
Immerhin: Der Ampel ist klar, dass für die Grundsanierung der Bahn sehr viel Geld nötig ist. Sie wollte dafür ursprünglich bis zum Jahr 2027 mehr als 40 Mrd. Euro zur Verfügung stellen, wobei der gesamte Mittelbedarf über das Doppelte betragen dürfte. Ein großer Teil sollte aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen, dem jedoch seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts viele Milliarden fehlen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) haben sich deshalb auf einen anderen Weg verständigt: Statt direkter Zuschüsse des Bundes soll die DB eine Eigenkapitalerhöhung erhalten, denn diese ist nicht relevant für die Schuldenbremse. Doch dabei gibt es ein Problem: Das Eisenbahnregulierungsgesetz sieht vor, dass die Bahn eine „angemessene“ Eigenkapitalrendite erwirtschaftet. Aktuell liegt diese Verzinsung bei 5,9 Prozent. Diese kann die Deutsche Bahn für das erhöhte Eigenkapital nur erwirtschaften, indem ihre Tochter DB InfraGo die Trassenpreise, sprich: die Schienenmaut, erhöht.
Denn während Pkw hierzulande ohne jede Maut überall fahren und Lkw erst ab einer bestimmten Größe und nur auf sechs Prozent aller Straßen eine Gebühr zahlen müssen, werden die Trassenentgelte für alle Züge auf allen Schienenwegen, bei jedem Bahnhofshalt und sogar beim Abstellen fällig.
Höhere Trassenpreise wären zusätzlich zu den Belastungen durch die Generalsanierung ein weiterer Schlag für den Güterverkehr auf der Schiene und würden den Lkw-Verkehr weiter begünstigen. Nach Angaben eines Bündnisses aus Gewerkschaften und Umweltverbänden stiege die Schienenmaut im Fernverkehr um 19 Prozent und im Güterverkehr um 16 Prozent. „Diese Kosten würden weitergegeben werden und in der Folge müssen alle, die die Bahn nutzen, mit erheblichen Preiserhöhungen rechnen. Zudem kann es auch zu Angebotsreduzierungen für Reisende und Gütertransporte kommen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Allianz pro Schiene, der Gewerkschaft EVG, der Deutschen Umwelthilfe und anderen.[5] Seit 2018 gibt es eine Trassenpreisförderung des Bundes, um die Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu unterstützen. Im Jahr 2024 stehen dafür 229 Mio. Euro bereit. Im Entwurf für den Bundeshaushalt ist nur eine geringe Erhöhung vorgesehen, derweil das Bündnis mehr als eine Verdoppelung der Trassenpreisförderung fordert. Dass es dazu kommt, ist angesichts der Haushaltslage jedoch unwahrscheinlich. Bundesverkehrsminister Wissing hat zwar erklärt, dass die Eigenkapitalrendite gesenkt werden soll, aber es ist unklar, wann und wie das geschehen soll.
Der Minister wirkt angesichts des Bahnchaos völlig hilf- und vor allem planlos. So hat er zwar einen Katalog mit Anforderungen an die Bahn vorgelegt: Züge sollen pünktlicher, die Auslastung besser und die Verwaltung der Bahn effizienter werden; die Bahn soll auch bei Extremwetter fahren und die Digitalisierung schneller kommen; und schließlich soll die Infrastruktur besser geplant und finanziert werden. Doch wie all das geschehen soll, lässt der Minister offen. Er macht keine klaren Vorgaben, nimmt das Steuer nicht in die Hand.
Schnelle Lösungen sind sicher nicht einfach, aber das jetzige Desaster ist nicht alternativlos. Der allererste Schritt für eine mögliche Besserung: Das Bahnmanagement muss der Bewältigung der betrieblichen – nicht der finanziellen – Krise endlich die höchste Priorität einräumen. Das künftige Chaos sollte nicht angekündigt, sondern mit einem schlagkräftigen Krisenbewältigungsprogramm verhindert werden – und das kann bei entsprechendem staatlichen Mitteleinsatz auch schnell geschehen.
Perspektivisch lässt sich die Misere nur mit einer Abkehr vom 1994 eingeschlagenen Weg lösen, weg von der Gewinn- hin zur Gemeinwohlorientierung. Mobilität auf der Schiene gehört zur Daseinsvorsorge, sie gehört in die öffentliche Hand. Der deutsche Staat darf nicht nur Eigentümer der Deutschen Bahn sein, er muss sie auch aktiv steuern.
[1] Vgl. Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Schienengipfel 2020 – der Schienenpakt steht! Die Schiene ist für uns Verkehrsträger Nummer eins, bmdv.bund.de, 30.6.2020.
[2] Vgl. Korridorsanierung im Schienennetz: DB und Regierung sollten Vertrauensvorschuss von Güterbahnen nicht verspielen, die-gueterbahnen.de, 27.6.2024.
[3] Christoph Schlautmann und Josefine Fokuhl, Bahn-Chef unter Druck – Letzte Chance für Lutz?, handelsblatt.com, 20.8.2024.
[4] Deutschland investiert zu wenig in die Schieneninfrastruktur, allianz-pro-schiene.de.
[5] Bundestag muss bei Trassenpreisförderung nachbessern, allianz-pro-schiene.de, 11.9.2024.