Ausgabe Dezember 2024

Europa in der Faschismuszange

Aus einem Video des Lincoln Projects: Donald Trump und Wladimir Putin, 30.6.2020 (IMAGO / ZUMA Press Wire / Brian Cahn)

Bild: Aus einem Video des Lincoln Projects: Donald Trump und Wladimir Putin, 30.6.2020 (IMAGO / ZUMA Press Wire / Brian Cahn)

Einen derartigen Doppelschlag hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben: An dem Tag, an dem mit Donald Trump die Herrschaft der Lüge, der Hetze und des Fossilismus („Drill, baby, drill“) zurückgekehrt ist, endete gleichzeitig nach nur drei Jahren und auf denkbar klägliche Weise eine Koalition, die mit dem Anspruch angetreten war, für eine sozial-ökologische Transformation zu sorgen. Alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen ereignen sich zweimal, heißt es bei Hegel, und Marx fügt hinzu, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.[1] An diesem 5./6. Novemberjedoch schienen Tragödie und Farce zusammenzufallen – wenn denn der doppelte Vorgang in seinen Folgen nicht viel zu dramatisch wäre, um ihn als Farce zu bezeichnen.

Denn nun steht fest, dass die nächsten vier Jahre einen enormen Rückschlag für alle Versuche eines ökologischen Wandels bedeuten werden, wie auch für die Verteidigung der Demokratie. Wohl am fundamentalsten davon betroffen ist Europa – und damit auch die Bundesrepublik –, da sich der Kontinent quasi in einem faschistoiden Zangenangriff befindet.

Vor Trumps Wahl war Europa „nur“ einem faschistoiden Russland an der Ostflanke ausgesetzt, das nicht nur die Ukraine existenziell gefährdet, sondern mit einem russischen Proxy wie Orbáns Ungarn auch die europäische Einheit immer mehr im Inneren untergräbt. Jetzt aber haben wir es zudem mit einer potenziell faschistoiden Gefahr an der westlichen Flanke Europas zu tun. Nimmt man die fast gleichlautenden Aussagen zweier ehemaliger enger Mitarbeiter von Donald Trump, der Generäle John F. Kelly und Mark Milley, ernst, handelt es sich bei Trump um einen „Faschisten, wie er im Buche steht“.[2] Denn definiert man Faschismus als eine „Ideologie, die durch einen diktatorischen Führer, zentralisierte Autokratie, Militarismus, gewaltsame Unterdrückung von Opposition und den Glauben an eine natürliche soziale Hierarchie gekennzeichnet ist“, dann sind das alles laut General Kelly, ehemaliger Stabschef unter Trump im Weißen Haus, Positionen, von denen der designierte 47. US-Präsident überzeugt ist, „dass sie für die Führung Amerikas besser funktionieren würden“ als die gegenwärtige demokratische Verfassung.[3] Demzufolge hat der Ausgang dieser US-Wahl dramatische Konsequenzen für die Demokratie der USA, aber auch für Washingtons Verhältnis zur Welt, insbesondere zu Europa.

Schon in seiner ersten Amtszeit machte Trump keinen Hehl aus seiner Sympathie für Autokraten im Allgemeinen und für Putin im Speziellen. Was auch kein Wunder ist, war doch bereits sein erster Wahlsieg die Folge eines erfolgreichen Zusammenspiels mit dem russischen Diktator. Seither haben sich beide weiter radikalisiert. Daher wird die EU besonders in ihrem Fokus stehen, als die letzte einflussreiche demokratische Insel in einem wachsenden Meer der Autokratien. Im Falle Putins ausgehend von der Ukraine mit dem Ziel der bewussten Zerstörung der EU, um die Attraktivität von Demokratie und Rechtsstaat systematisch zu untergraben. Im Falle Trumps mit dem Ziel der Isolierung einzelner europäischer Staaten, um mit ihnen für die Vereinigten Staaten möglichst lukrative „Deals“ abzuschließen. Trump wird daher genau wie Putin auf die Schwächung der EU hinarbeiten. Und mit Ungarns Premier Viktor Orbán verfügt er dafür bereits über einen willigen Erfüllungsgehilfen.

Damit ist Europa einer völlig neuen Herausforderung ausgesetzt, nämlich mit Vereinigten Staaten umzugehen, die zum ersten Mal in den vergangenen hundert Jahren den Weg der Demokratie radikal zu verlassen drohen. Hier liegt auch der entscheidende Unterschied gegenüber Trumps erstem Amtsantritt. Anders als 2016, als er fast „zufällig“ und ganz gegen seine eigene Erwartung die Wahl gewann, war diesmal der Weg ins Weiße Haus langfristig angelegt und strategisch genau geplant. Dafür steht das „Project 2025“ der erzreaktionären Heritage Foundation.[4] Dieses zielt auf die totale Anpassung von Staat und Verwaltung an die MAGA-Ideologie („Make America great again“) durch massenhafte Säuberungen von nicht loyalen Beamten und Ausschaltung der politischen Gegner, denen Trump im Wahlkampf „Vergeltung” geschworen hat.

„Jetzt ist Trump auf Rache aus“, stellt Francis Fukuyama, der einstige Prophet des „Endes der Geschichte“ in Frieden, Marktwirtschaft und Demokratie, fest. „Er will den Kampf gegen das FBI, das Justizministerium, den Auswärtigen Dienst und die Geheimdienste aufnehmen, weil ihn das Gefühl umtreibt, diese hätten gegen ihn gearbeitet.“[5] Trumps Vorbild ist dabei Orbán, dem es sukzessive gelungen ist, alle intermediären Gewalten der rechtstaatlichen Demokratie – das unabhängige Justizsystem, freie Medien und oppositionelle Parteien – entweder auf Linie zu bringen oder faktisch auszuschalten.

Die Gleichschaltung des Staates

Bei der von ihm letztlich angestrebten Gleichschaltung des Staates kommt Trump zweierlei zu Gute: Erstens genießt er dank eines unlängst ergangenen Urteils des von ihm mit erzkonservativen Richtern besetzten Supreme Courts Immunität bei allem, was er in Ausübung seines Amtes durchführt. Faktisch hat Trump durch das Oberste US-Gericht „die Genehmigung für die despotische Machtausübung bekommen [...], die er für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt hat“ – nämlich „am ersten Tag ein Diktator” zu sein.[6] Und wer könnte sicher sein, dass er angesichts seiner autokratischen Neigungen daran nicht Gefallen findet?

Zweitens verfügt Trump auch im medialen Bereich über eine Machtfülle wie noch kein US-Präsident vor ihm. Die Zusammenarbeit mit seinem narzisstischen Bruder im Geiste, X-Chef Elon Musk, könnte die Orwellsche Vorstellung eines Wahrheitsministeriums alt aussehen lassen. Musks X-vormals-Twitter-Imperium beinhaltet als digitales Netzwerk von globaler Reichweite und ausgestattet mit den zunehmenden Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz die wohl gefährlichsten Instrumente von Fälschung und Manipulation in der Geschichte.

Auch in dieser Hinsicht ist das demokratische Europa in besonderer Weise betroffen, nämlich einer doppelten Herrschaft der Lüge ausgesetzt – auf der einen, der östlichen Seite steht die alte Form, verkörpert durch Putin aus der Traditionslinie von KGB und FSB, die mit den klassischen Methoden von Zersetzung und Indoktrination operiert, dabei allerdings längst durch eine Armee von modernen digitalen Trollfarmen unterstützt wird. Auf der westlichen Seite wird dies komplettiert durch eine fast postmoderne Art der Lüge vom Schlage Musks. Auf X werden permanent neue Verschwörungsmythen in die Welt gesetzt, getreu dem alten Leitspruch des vormaligen Trump-Vordenkers Steve Bannon: „You must flood the zone with shit.“ Indem so die Welt mit immer wieder neuen Schein- und Unwahrheiten geflutet wird, bleibt am Ende nur ein Befund: Wenn alles wahr ist, ist am Ende nichts mehr wahr – und die Herrschaft der Lüge total.

Die Machtlosigkeit Europas

Das demokratische Europa hat diesem totalitären Zangenangriff fast nichts entgegenzusetzen. Denn die doppelte Herausforderung durch Putin und Trump trifft auf eine EU, die sich als hochgradig geschwächt und gespalten erweist. Die so wichtige deutsch-französische Freundschaft, vormals Motor der EU, ist schwer angeschlagen, und die heimlich-unheimliche Führungskraft Europas sind nicht Emmanuel Macron oder Olaf Scholz, die beide in ihren Ländern massiv geschwächt sind, sondern Viktor Orbán, wie dieser während seiner noch bis Ende des Jahres dauernden Ratspräsidentschaft eindrucksvoll bewiesen hat. Mit seiner völlig eigenmächtigen Reise-„Diplomatie“ zu Putin, Xi Jinping und dem zu diesem Zeitpunkt Noch-Präsidentschaftskandidaten Trump verstieß der „kleine Diktator“ (Jean-Claude Juncker) ganz bewusst gegen die offizielle EU-Linie und verhöhnte so die europäischen Demokraten. Orbáns Liebesgrüße nach Moskau und Mar-a-Lago sind Ausdruck der Tatsache, dass er sich in Ermangelung einer wirklichen Führung durch Scholz und Macron in der medialen Außenwirkung zum Takt- und Stichwortgeber der EU im Sinne seiner „illiberalen Demokratie“ aufschwingen konnte.

Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Herrschaft von Recht und Gesetz auch in Europa zunehmend leer läuft, ob also die multilaterale, regelbasierte Ordnung in der Trump-Putin-Ära vollständig einem neuen Regime weicht, das allein auf Gewalt und Deals basiert.

Der erste Leidtragende in Europa wäre zweifellos die Ukraine, die von der neuen Regierung Trump zur Aufgabe erheblicher Gebiete zum Zwecke der „Befriedung“ gezwungen werden könnte. Während Trump bereits angekündigt hat, dass sich die USA aus der finanziellen Unterstützung der Ukraine zurückziehen werden, wäre gleichzeitig Europa zur Sicherung der Grenzen verpflichtet.

Eigentlich müsste Trumps Comeback für Frankreich das willkommene Momentum sein, um in Gaullistischer Tradition und in Abgrenzung von den USA die Führung Europas zu beanspruchen. Doch Macron hat sich durch sein wahltaktisches Versagen[7] in eine fatale informelle Kohabitation mit der Putin-freundlichen Le Pen bugsiert. Vor diesem Hintergrund ist Deutschland zur Führungsmacht regelrecht verdammt und somit in ganz anderem Maße gefordert als zu Zeiten des Kalten Krieges oder auch in den jetzt 35 Jahren seit dem Mauerfall. Insofern kommt das Scheitern der Ampel-Regierung in der Tat zum „denkbar ungünstigsten Zeitpunkt“ (Robert Habeck).

Gefordert ist heute eine Zeitenwende nach – oder besser: in der Zeitenwende. Nach dem 24. Februar 2022 kam es in Unterstützung der Ukraine auf eine klare Oppositionshaltung gegenüber Russland an, die immerhin, wenn auch nur halb entschlossen, erfolgte. Jetzt aber ist noch weit mehr erforderlich, nämlich eine Oppositionspolitik auch gegenüber den Trump-USA, die aber zugleich die Kooperation mit ihnen weiter aufrechterhält. Denn angesichts des fortgesetzten russischen Vormarsches, mittlerweile auch mit nordkoreanischer Unterstützung, brauchen Deutschland und Europa das US-amerikanische Engagement mehr denn je. Insofern hat die kommende neue Regierung die vielleicht heikelste Aufgabe, die je eine deutsche Regierung zu erledigen hatte: Wie schafft man transatlantische Verbindungen mit einem dezidierten Anti-Transatlantiker und Anti-Demokraten? Gefragt ist letztlich eine Quadratur des Kreises.

Für die nächsten vier Jahre muss die EU nicht nur putin-fest, sondern auch trump-fest gemacht werden. Dabei kommt es auf zweierlei an: auf die Verteidigung der rechtsstaatlichen Demokratie wie der sozial-ökologischen Transformation. Letzteres wird durch den neuerlichen Abschied der Trump-Administration von jeglicher Klimapolitik massiv erschwert – aber auch durch das Scheitern der Ampel.

Das ursprüngliche Koalitionsziel der sozial-ökologischen Transformation wurde durch die gezielte Destruktionspolitik der FDP möglicherweise auf Jahre vereitelt. So sehr die FDP an Prozenten verloren hat, so sehr ist doch ihre neoliberale Strategie aufgegangen. Letztlich operierte Lindner als trojanisches Pferd des reaktionär-neoliberalen Lagers: Das permanente Agieren der FDP als „Opposition in der Regierung gegen die Regierung“ hat dazu geführt, dass vor allem die Projekte zum Klimaschutz erheblich diskreditiert wurden. Mit maximalem Schaden für die Grünen: Waren sie vor vier Jahren noch die Partei, die in jeder Konstellation als Koalitionspartner dabei sein sollte, werden sie zunehmend zum allseits verschmähten Paria der deutschen Politik, doppelt geschlagen durch schwache Prozentwerte wie die Absage durch potentielle Koalitionspartner.

Die eigentlichen Verlierer der drei Ampel-Jahre sind daher all jene, die auf eine wirkliche sozial-ökologische Transformation gehofft hatten, und vor allem die kommenden Generationen. Noch ist nicht klar, ob und wie sich die progressiven Kräfte von diesem doppelten Tiefschlag erholen werden. Fest steht jedenfalls eines: Von den nächsten vier Jahren wird keinerlei grundlegende Veränderung zum Positiven zu erwarten sein.

Worauf es daher in erster Linie ankommt, ist die Verteidigung des bereits Erreichten, nämlich demokratischer Verhältnisse wie gewisser zivilisatorischer Standards gegen ihre autoritären Verächter. Schon das wird angesichts des weiteren Anwachsens der rechtsradikalen Welle unter Trump enorm voraussetzungsvoll sein. Um allerdings das Abgleiten in puren Zynismus nach der Devise „Nach uns die Sintflut“ zu verhindern, bedarf es neben der unbedingten Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eines Zweiten, nämlich der Entwicklung einer positiven, langfristigen Perspektive. Die parteipolitischen links-liberalen und ökologischen Kräfte sind nach drei Jahren Ampel massiv geschwächt. Ohne ihre Unterstützung durch Kräfte der Zivilgesellschaft wird die so dringend erforderliche Transformationsvision nicht entstehen. Gegen den Zangenangriff von Putin und Trump geht es um die Selbstbehauptung eines demokratischen wie sozial-ökologisch nachhaltigen Europas. Dabei wird es mehr denn je auf das Engagement aller demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik ankommen – gegen die Feinde der Demokratie im Inneren wie im Äußeren.

[1] Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte [1852], in: „Marx-Engels-Werke“ (MEW), Bd. 8, Berlin/DDR 1972, S. 115.

[2] Martin Pengelly, Mark Milley fears being court-martialed if Trump wins, Woodward book says, in: „The Guardian“, 11.10.2024; As election nears, Kelly warns Trump would rule like a dictator, in: „New York Times“, 22.10.2024.

[3] „New York Times“, a.a.O.

[4] John D. Michaels, Trumps tiefer Staat. Wie das „Project 2025“ den autoritären Umbau plant, in: „Blätter“, 8/2024, S. 65-72.

[5] „Trump ist auf Rache aus“, René Pfister im Gespräch mit Francis Fukuyama, spiegel.de, 31.10.2024.

[7] Vgl. Steffen Vogel, Frankreich: Eine hart erkämpfte Atempause, in: „Blätter“, 8/2024, S. 9-12.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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