
Bild: Yfaat Weiss: Verfehlte Mission. Das geteilte Jerusalem und die Vereinten Nationen Cover: Jüdischer Verlag
Jerusalem, Ende Juni 1967: Im Amphitheater der Hebräischen Universität auf dem Skopusberg findet eine Zeremonie statt, Hauptredner ist Jitzchak Rabin. Der damalige Generalstabschef der israelischen Armee und spätere Friedensnobelpreisträger steht für den Erfolg des jüdischen Staates im Sechstagekrieg wenige Wochen zuvor. Durch den Präventivschlag gegen die arabischen Nachbarstaaten hat sich das Staatsgebiet Israels verdreifacht. Zu den eroberten Gebieten gehört auch Ostjerusalem mit dem Skopusberg. Was habe die Universität veranlasst, ausgerechnet ihm, einem Soldaten, die philosophische Ehrendoktorwürde zu verleihen, zitiert Yfaat Weiss Rabin: „Was haben Militärs mit der akademischen Welt zu tun, die das kulturelle Leben symbolisiert? Was diejenigen, die sich beruflich mit Gewalt befassen, mit geistigen Werten?“ Für die Historikerin, die selbst eine Professur an der Hebräischen Universität innehat, ist die Antwort auf Rabins Frage klar. „Die Entscheidung der Universität für einen ‚Soldaten‘ deutet auf die fundamentale Veränderung ihres Selbstverständnisses in der Zeit zwischen der Räumung des Campus im Jahr 1948 und seiner Wiedereröffnung im Jahr 1967 hin.“
Eine Veränderung, deren Wurzeln bereits in der britischen Mandatszeit lagen und die man mit den Worten „vom Kultur- zum politischen Zionismus“ umschreiben kann. Für die erste Fraktion stand der langjährige Präsident der 1918 gegründeten Hebräischen Universität, der aus den USA stammende Reformrabbiner und Pazifist Jehuda Leib Magnes, der für einen binationalen Staat in Palästina eintrat. Bei der Eröffnung des Instituts für Jüdische Studien 1924 zitierte er den Propheten Sacharja: „Nicht durch Macht, und nicht durch Kraft, allein durch meinen Geist!“ Damit machte er deutlich, dass er in der Universität ein kulturelles Zentrum jüdischer Tradition sah – und keine Institution zur Durchsetzung staatlicher Interessen. Ganz anders Ze’ev Lev im Juni 1967: Anstatt jene Fakultäten auf dem verwaisten Universitätsgelände zu stärken, die die geistigen Wurzeln des Judentums repräsentierten und für eine gute Zusammenarbeit mit den arabischen Nachbarn eintraten, forderte der Physiker, man solle lieber angewandte und technologische Wissenschaften mit Industrielabors auf dem Skopusberg ansiedeln, um die Kontrolle über das Westjordanland zu behalten.
In „Verfehlte Mission. Das geteilte Jerusalem und die Vereinten Nationen“ erzählt Weiss die Geschichte des Skopusbergs und zugleich die Gründungsjahre Israels. Im November 1947 hatten die Vereinten Nationen mehrheitlich für eine Aufteilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat gestimmt, Jerusalem sollte – als Corpus separatum – ungeteilt unter internationaler Verwaltung bleiben. Die Realität sah anders aus: Am Ende des israelisch-arabischen Krieges 1949 befand sich Westjerusalem unter jüdischer und Ostjerusalem unter jordanischer Kontrolle. Mit einer Ausnahme: dem Skopusberg. Bereits im Juli 1948, zwei Monate nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung und dem darauf folgenden Angriff der arabischen Nachbarstaaten, hatten sich Israel und Jordanien unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen auf ein Entmilitarisierungsabkommen für das rund zwei Quadratkilometer große Gebiet geeinigt. Die Bedeutung der Exklave war zentral. „Zusammen mit dem Ölberg, dessen nördliche Fortsetzung der Mount Scopus darstellt“, fasste es der ehemalige deutsche Botschafter in Amman, Karl Graf von Spreti, zusammen, „ist dieser Höhenzug die militärisch bedeutendste geografische Position im Raum Jerusalems; derjenige, der diesen Höhenzug beherrscht, kontrolliert Jerusalem.“ Und darum geht es der Autorin im Kern: um die Frage, wer in Jerusalem und letztlich im gesamten Gebiet, das die einen Palästina und die anderen Eretz Israel nennen, das Sagen hat.
Wer hat die Kontrolle?
Besonders deutlich wird dies im hebräischen Originaltitel des Buches: „Souveränität im Kleinen. Die Exklave auf dem Skopusberg 1948 bis 1967“. Im Zentrum des Werkes stehen fünf Orte innerhalb der Exklave: auf jüdischer Seite die Hebräische Universität und das Hadassah-Krankenhaus – sowie der dazwischen liegende britische Militärfriedhof –, auf jordanischer das Auguste-Viktoria-Krankenhaus und das arabische Dorf Issawija.
Weiss beschreibt mit großer, manchmal ermüdender Liebe zum Detail, wer Zugang zu einem dieser Orte bekam oder sich dort aufhalten durfte und wer nicht – und vor allem, wer darüber entschied. Durften Vertreter Neuseelands oder Australiens auf dem Militärfriedhof an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten des Commonwealth erinnern? Über diese Frage wurde zwischen den beteiligten Akteuren – Israel, Jordanien und die Vertreter der UN – genauso gestritten oder eifersüchtig gewacht wie über die Frage, wie viele Menschen in Issawija leben und arbeiten durften. Denn hinter diesen Fragen stand die eine zentrale: Wer bestimmt in der politisch hochsensiblen Exklave? Dabei werden immer wieder die unterschiedlichen Interessen deutlich. Während die Vertreter der Vereinten Nationen am Ziel eines neutralen Jerusalems unter internationaler Verwaltung festhielten, spielten für Jordanien und Israel eigene strategische Überlegungen die deutlich wichtigere Rolle. Erschwert wurde der diplomatische Konflikt, bei dem vereinzelt auch geschossen wurde, durch die Tatsache, dass es über die genauen Grenzen der Exklave keine Einigkeit gab. Israel und Jordanien beriefen sich vor allem auf das Entmilitarisierungsabkommen von 1948, zu dem sich jedoch keine von beiden Seiten gleichermaßen akzeptierte Karte finden ließ, während die UNO auf das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und Jordanien von April 1949 verwies, das den Skopusberg unter die politische Aufsicht der Vereinten Nationen stellte.
Von besonderer Bedeutung für die jüdischen Ansprüche war die Hebräische Universität. Wie das Hadassah-Krankenhaus bis 1967 quasi stillgelegt, war sie für Israel ein wichtiges Faustpfand im Kampf um die nationalen Ambitionen der Zionisten. Vom Skopusberg aus habe Titus der Geschichte des jüdischen Volkes ein Ende gesetzt, erklärte der frühere britische Außenminister Lord Arthur Balfour bei der Eröffnung der Universität im April 1925 und erinnerte dabei an die Zerstörung Jerusalems durch den römischen Heerführer um das Jahr 70 nach Christus. Könnte es einen historischeren Ort geben, fragte der Verfasser der berühmten Balfour-Deklaration rhetorisch, und verwies damit „auf die Beziehung zwischen dem Verlust der Souveränität zur Zeit des Zweiten Tempels und der Hoffnung auf deren Wiedergewinnung mit der Gründung der Hebräischen Universität“.
Die Triebe der Staaten zügeln
Souveränität ist der zentrale Begriff im Buch von Yfaat Weiss. In ihrem ebenso kurzen wie anregenden Epilog findet sie ausgesprochen kritische Worte gegenüber der Politik Israels: „Durch eine Vielzahl von Studien ist ein Muster israelischer Grenzausdehnung erkennbar geworden. Immer wieder versuchte Israel, seine Souveränität auf Territorien jenseits der international vereinbarten Linien auszuweiten.“ Das Muster dahinter gleiche sich: Besitz in Souveränität umzuwandeln und dann auf einer Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zu beharren. Aus De-facto-Herrschaft würde auf Dauer auch De-jure-Herrschaft. Die Historikerin beruft sich dabei auf den Völkerrechtsforscher Leo Gross und den von ihm – mit Blick auf die 1648 in Osnabrück und Münster geschlossenen Friedensverträge – geprägten Begriff der „Westfälischen Souveränität“.
Ganz gleich, ob der Begriff zutreffe oder nicht, schreibt Weiss am Ende ihres empfehlenswerten Buches, „die Geschichte der Skopusberg-Exklave zwischen 1948 und 1967 bestätigt allemal Gross’ grundsätzlichen Zweifel an der Fähigkeit des Völkerrechts und der Vereinten Nationen, die Triebe souveräner Staaten zu zügeln“. Eine Schlussfolgerung, die nicht nur in Bezug auf Israel nichts Gutes erwarten lässt, sondern auch mit Blick auf die Politik Russlands, Chinas und der USA.
Yfaat Weiss: Verfehlte Mission. Das geteilte Jerusalem und die Vereinten Nationen. Aus dem Hebräischen von Jan Eike Dunkhase. Jüdischer Verlag, Berlin 2025, 474 S., 34 Euro.