Ausgabe Januar 1996

Polens Säkularisierung

Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen 1995 in Polen sind aus vielerlei Gründen bemerkenswert. Vor allem wegen der Niederlage von Lech Walesa, dem legendären Symbol der Solidarnosc. Diese Wahlen haben aber auch andere Mythen gestürzt. Zum Verlauf: Die Wahlordnung war sehr liberal. Praktisch konnte fast jeder polnische Bürger über 35 Jahren, der mindestens 100 000 Unterschriften zur Unterstützung seiner Kandidatur der Wahlkommission vorlegte, als Präsidentschaftskandidat registriert werden. Dies erklärt die sehr hohe Anzahl zugelassener Kandidaten. Von den 19 Bewerbern haben sich zwei kurz vor dem ersten Wahlgang zurückgezogen, als klar wurde, daß sie keine Chancen haben. Unter den verbliebenen 17 befanden sich neben bekannten politischen und öffentlichen Persönlichkeiten auch ganz exotische Figuren, die sich selbst oder ihre Waren propagieren wollten. (Sie erhielten im ersten Wahlgang zwischen 0,04 und 1,3% der Stimmen.) Die rechtsorientierten Post-Solidarnosc-Parteien (es gibt deren ein Dutzend oder mehr) waren nicht imstande, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen.

Zwar waren alle der Meinung, daß nur ein gemeinsamer Kandidat der Rechten Kwasniewski besiegen könne, aber jeder der Vorsitzenden dieser Parteien war überzeugt, daß eben er dazu der geeignetste sei. Die Gespräche darüber, u.a. mit Hilfe der katholischen Kirche geführt, brachten allesamt nichts.

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.