Ausgabe Juni 1990

Die Entdeckung der Mündigkeit

I

Was bleiben wird, sind unsere Erfahrungen und Erinnerungen. Sie werden unser späteres Verhalten mitprägen. Ich glaube, daß der Vorgang, den wir gegenwärtig erleben, nämlich ein schnelles Abstreifen - so eine Art Umziehen und Duschen, der Versuch, die DDR einfach abzuduschen -, auf Dauer nicht gelingen kann. Vieles wird später wiederkommen. Wir werden noch zehn bis zwanzig Jahre lang unterschiedlich geprägte Menschen sein. Dies wird sich auch in unserem Verhalten darstellen, obwohl es gegenwärtig so aussieht, als ob wir ohne Besinnung in die Coca Cola-Kultur eintauchen und geschichtsvergessen einfach alles übernehmen. Die nachdenklichen Menschen in unserem Land werden den Prozeß unterstützen müssen. Dazu werden wir Zeit brauchen. Ich erinnere daran, daß Christa Wolf erst im Jahre 1974 ihr großes Buch "Kindheitsmuster" schreiben konnte. Wir brauchen dazu ein bißchen Abstand.

Dann wird unsere ganze Geschichte wieder so nah sein, als wäre es gestern gewesen. Das werden wir aber zu unserer eigenen Katharsis auch wirklich brauchen. Das wäre das eine, mehr ein politpsychologischer Vorgang. Das andere ist: Ich halte es nicht für ein Märchen, daß die DDR ein bestimmtes Solidarbewußtsein gehabt hat.

Juni 1990

Sie haben etwa 11% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 89% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Micha Brumlik: Ein furchtloser Streiter für die Aufklärung

von Meron Mendel

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und anschließend der Krieg der Netanjahu-Regierung in Gaza begann, fragten mich viele nach der Position eines Mannes – nach der Micha Brumliks. Doch zu diesem Zeitpunkt war Micha bereits schwer krank. Am 10. November ist er in Berlin gestorben.

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.