Jeder aufmerksame Leser der spärlichen Berichte über das Lager in Guantánamo konnte es ahnen, doch erst mit der Veröffentlichung der Bilder aus dem Gefängnis von Abu Ghraib nahe Bagdad wurde es zur schrecklichen Gewissheit: Die Misshandlung, Erniedrigung und Folterung von Inhaftierten war gängige Praxis einer perfiden und menschenverachtenden Vernehmungsstrategie. Die Erklärungsversuche und unbeholfenen Entschuldigungen des amerikanischen Präsidenten und seines Verteidigungsministers machten die ganze Sache nur noch schlimmer. Denn sie zeigten vor allem, in welch eklatantem Maße es der gegenwärtigen USAdministration an Rechtsbewusstsein mangelt. Das Völkerrecht, einer der wichtigsten Fortschritte der oft beschworenen zivilisierten Welt, scheint für sie eine Quantité négligeable zu sein. Muss man sich da noch über die nun publik gewordenen Verbrechen von US-Staatsbürgern wundern?
In der öffentlichen Diskussion um die Folterungen und Misshandlungen in britischen und amerikanischen Gefangenenlagern und Gefängnissen werden als Rechtsnormen, gegen die verstoßen wurde, fast ausschließlich die Bestimmungen der Genfer Konvention von 1949 angeführt. Sie regeln den Umgang mit Kriegsgefangenen. Dies ist jedoch eine unzureichende Beurteilungsgrundlage. Mit dieser zu engen Sicht leistet man zudem den Rechtfertigungsversuchen der amerikanischen und britischen Regierung Vorschub.