Politik mit der Apokalypse
Das gegenwärtige weltpolitische Szenario wird, völlig unerwartet für die Europäer, sowohl im politischen Islam wie im hegemonialen Amerika von apokalyptischen Weltdeutungen bestimmt. Auf der einen Seite sieht sich der Westen existenziell bedroht durch einen apokalyptischen Terrorismus islamischer Herkunft. Die Attentäter des 11. September und ihre Nachfolger, von Madrid bis London, sahen sich als Märtyrer ihres Glaubens und Vollzieher des göttlichen Strafgerichts am "großen Satan", der westlich-amerikanischen "Welt der Gottlosen". Religionswissenschaftler wie Hans G. Kippenberg vertreten die Ansicht, dass wir es hier mit einer noch wenig erforschten Form islamischer Apokalyptik zu tun haben, die sich anmaßt, das Böse auszurotten.1
Gleiches trifft jedoch auf ihre westlichen Gegner zu: Mit der Konversion George W. Bushs zum wiedergeborenen Christen mit dem Weltbild der Apokalyptik erleben wir etwas ebenso Neues, in der amerikanischen Politik bisher noch nicht Dagewesenes. Zwar hatte schon Ronald Reagan seinen Antikommunismus endzeitlich-chiliastisch begründet. Die Sowjetunion galt ihm als evil empire, als "Reich des Bösen". Unter George W. Bush wurde aus Reagans "Reich des Bösen" dann die "Achse des Bösen".