„Europa lässt uns nicht träumen“, sagt die niederländische Philosophin und Feministin Rosi Braidotti. Es fehle ein „soziales Imaginäres“, das sich nicht wieder nur aus dem Ideenreservoir der Nation speist, sondern eine andere Vorstellung postnationaler, „nomadischer“ Identitäten und Staatsbürgerschaften entwirft. Tatsächlich würde sich die Chance, diese Lücke zu füllen, gerade jetzt bieten, wo Europa dabei sei, sich selbst und seinen politischen Raum neu zu erfinden. Zudem hätten gerade postnationale Ideen – so Braidotti weiter – am Anfang des europäischen Neubeginns nach dem Zweiten Weltkrieg gestanden, waren es doch die Erfahrungen des deutschen NSFaschismus, seines Nationalismus und Rassismus, die das soziale Imaginäre eines anderen Europa beflügelten. Vor allem die Kosmopoliten der jüdischen und antifaschistischen Diaspora entwickelten den „dritten Ort“ eines posttotalitären, postnationalen Europas als realpolitische Perspektive der Nachkriegzeit. 1
Heute scheinen diese von Braidotti angesprochenen Ursprünge des modernen Europa vergessen. Der kosmopolitische Traum von einem offenen Europa, das seine historischen Grenzen überwindet, ist indes nicht tot.