Laudatio auf Oskar Negt
August Bebel gehört zu den großen Unbekannten der deutschen Geschichte. Bei der Lektüre der Biographien über ihn von Theodor Heuss und Brigitte Seebacher-Brandt fand ich viel, was ich nicht gewusst hatte; aber ich fand nicht das, was ich eigentlich suchte. Theodor Heuss beschreibt wunderschön Bebels „prachtvolle Stimme mit dem kupfernen Ton“. Brigitte Seebacher-Brandt schildert die ungeheuere Wirkung seiner Auftritte: Wie eine tausendköpfige Menge „mit geduckten Häuptern und in Totenstille“ harrt, „die sich in donnernde Hochrufe entlädt, hat Bebel die Tribüne erklommen“. Bebel hätte, heißt es, erzählen können, dass zwei mal zwei fünf ist, und es wäre geglaubt worden. Er war der Arbeiterkaiser, ein glänzender Parlamentarier und glühender Prophet. Er hat die sozialistischen Utopien so volkstümlich darstellen können wie kein anderer, er sah sie zum Greifen nah und er schilderte sie zum Greifen nah – und seine Zuhörer waren so ergriffen, dass sie den Hut vom Kopf nahmen und ehrfürchtig Spalier standen, wenn er nach vier, fünf Stunden Rede und Diskussion den Saal hinausschritt.