Ausgabe März 2025

Der Anruf des Jahrhunderts

Ismail Kadare, Der Anruf, Cover: Fischer Verlag

Bild: Ismail Kadare, Der Anruf, Cover: Fischer Verlag

Es war einmal: Samstag, der 23. Juni 1934. In der Moskauer Wohnung des Schriftstellers Boris Pasternak klingelt das Telefon. Stalins Sekretär Poskrebyschew sagt dem Dichter, sein Chef wolle ihn sprechen. Es ist kein Scherz, wie der Angerufene zunächst glaubt oder später erzählen wird, sondern es folgt ein dreiminütiges Telefonat, das bis heute Rätsel aufgibt. Nicht nur Philosophen wie Slavoj Žižek regt es an und auf, sondern auch Schriftsteller von Robert Littell bis Ismail Kadare. Dessen zwischen Märchen und Chronik angesiedeltes Werk wird nun um „Der Anruf“ erweitert. Übersetzt sind diese – so der Untertitel – „Untersuchungen“ von Joachim Röhm, der dem albanischen Weltautor seit Jahren bewährt seine deutsche Stimme leiht.

Das verbürgte, aber in verschiedenen Versionen überlieferte Gespräch zwischen Pasternak und Stalin wirft allgemeine wie konkrete Fragen auf: Welches Verhältnis besteht zwischen Macht und Geist, Dichtung und Diktatur? Hätte Pasternak in diesem Gespräch Ossip Mandelstam retten können? Beide waren das poetische Zweigestirn der Epoche, aber nach einem Schmähgedicht geriet Mandelstam in einen Strudel der Verfolgung, überraschend tauchte er wieder auf, um Jahre später, 1938, im Archipel Gulag unterzugehen. Seine Dichtungen sind Weltliteratur, sein Leben ist von einem Schorf an Mutmaßungen verdeckt, zu dem der Anruf des Jahrhunderts gehört.

»Blätter«-Ausgabe 3/2025

Sie haben etwa 17% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 83% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (12.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.