Ausgabe Februar 1995

Grosny in Moskau

Auch und gerade angesichts der tragischen Vorgänge im Nordkaukasus gilt es, immer wieder auf den Rahmen aufmerksam zu machen, in dem sich Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur im postsowjetischen Raum bewegen. Die Sowjetunion ist in den frühen 80er Jahren in eine lange Transformationsperiode eingetreten, die sich weit über ihr Ende hinaus fortsetzt. Charakteristika des alle Bereiche erfassenden Wandels sind unter anderem die vorerst weder von innen noch von außen zu behebende Instabilität, die Schwäche von Institutionen, Normen und gesellschaftlichen Vermittlungsinstanzen, Probleme bei der Nationalstaatsbildung, die Vervielfältigung der politischen Akteure, das Interesse am (fortgesetzten) Zugriff auf Ressourcen aller Art, eine sehr enge innenpolitische Anbindung des Verhaltens nach außen.

Dies alles muß bei der Beurteilung des Tschetschenien-Konflikts berücksichtigt werden. Der Hauptgrund für das militärische Vorgehen Moskaus gegen die abtrünnige Kaukasusrepublik hatte mit der dortigen Lage wenig zu tun. Es ging (und es geht auch weiterhin) vor allem um die Positionierung von Interessengruppen - politische Lager, Wirtschaftslobbys, die persönlichen "Umgebungen" hoher Entscheidungsträger - im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, die 1996 oder schon für das laufende Jahr bevorstehen oder vielleicht auch simuliert werden.

Februar 1995

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