Ausgabe Januar 1997

Bioethik als Freibrief

Was vierzig europäische Regierungen für notwendig halten, um "Würde und Integrität" der Regierten bei medizinischen Eingriffen und Forschungsprojekten rechtlich zu schützen, steht seit dem 19. November 1996 auf einem Kompromiß-Papier: An jenem Dienstag billigte das Ministerkomitee des Europarates den endgültigen Text eines "Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin", das fünf Jahre lang unter dem Arbeitstitel "Bioethik-Konvention" hin- und herformuliert worden war. Beim Straßburger Redaktionsschluß gab es keine Gegenstimmen, wohl aber drei Enthaltungen aus Belgien, Polen und Deutschland.

Damit ist der völkerrechtliche Vertrag aber noch nicht in Kraft; er gilt erst, wenn mindestens fünf Staaten ihn ratifiziert haben, und nur diese werden an die Inhalte gebunden sein. Fristen existieren nicht, der Beitritt ist nach Jahren noch möglich.

Ob, wann und wie die scheinbar unentschlossene Bundesrepublik mitmachen wird, ist derzeit unklar. Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig spricht mit zwei Zungen: Einerseits empfiehlt er, die Konvention zu unterzeichen und zu ratifizieren, weil sie zum ersten Mal europaweite "Mindeststandards" festschreibe - Standards allerdings, die kein Bürger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird einklagen können.

Januar 1997

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Verbrecherische Komplizen: Libyen und die EU

von Sigrun Matthiesen, Allison West

Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte der Seenotrettung: 20 Minuten lang beschoss am 24. August ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache die Ocean Viking, ein Rettungsschiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.