Die Debatte über Opfer nimmt häufig die Form eines Duells an: auf der einen Seite stehen diejenigen, die ein stärkeres Bewußtsein der Gesellschaft für eine sich immer weiter ausdehnende Anzahl von Opfern verlangen, auf der anderen die, die Bedenken gegen diesen Ansatz äußern, weil solche Forderungen ganz grundsätzlich die Bedeutung von Eigenverantwortung in Frage stellen. Die Ereignisse der letzten Zeit deuten darauf hin, daß der Kult der Verletzbarkeit in Großbritannien über den Rahmen des bisherigen hinausgeht. Dieser Kult hat sich als Schlüsselelement in einem Modernisierungsprogramm erwiesen, das jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens berührt. Die Vorgänge nach dem Tod von Prinzessin Diana zeigen, daß die Kultivierung der öffentlichen Zurschaustellung von Gefühlen einen bedeutenden Teil der britischen Bevölkerung erfaßt hat. Die Kultur des Opfertums kann zu einer wirksamen Waffe werden, wenn man sie politisiert. Der neuen politischen Klasse Großbritanniens lieferte Dianas Tod eine Gelegenheit, sowohl zu trauern als auch zu feiern. "Als erstes möchte ich sagen, wie stolz ich am Samstag war, Brite zu sein", verkündete Premierminister Tony Blair seinem Publikum nach der Beerdigung Dianas.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.