Ausgabe Oktober 1997

Volkstrauer

Der Tod von Lady Diana hat einen Heiligenkult ausgelöst, der mit den Mechanismen der Mediengesellschaft allein nicht erklärt werden kann. Er sagt mehr über den Zustand der Trauergemeinde als über die Person von Diana aus. Wird ein Mensch als heilig verehrt, so sind nach christlicher Tradition in der Regel bestimmte Voraussetzungen gegeben: die entsprechende Person ist jung, ausreichend schön, im Leben wie im Tod eine tragische Gestalt, sie hat der Welt Gutes gebracht und wurde dem Leben jäh entrissen. Die psychologische Basis der Heiligenverehrung ist eine doppelte: der Ruf nach Hilfe in der Not und die Möglichkeit, sich zu identifizieren. Lady Diana bot den verschiedenartigsten Bevölkerungsschichten eine Identifikationsmöglichkeit: den von mangelnder Selbstachtung Geplagten ebenso wie der verlassenen Ehefrau, dem disco-versessenen Tweenie ebenso wie der pflichtbewußten Mutter, den Menschen mit Verantwortungsgefühl für die Underdogs ebenso wie der High Society und ihrem Repräsentationsbedürfnis.

Es sind die vielen widersprüchlichen Facetten ihres Daseins, die einen breiten Personenkreis binden. "Heilige waren im Weltbild des spätmittelalterlichen Menschen die Fürbitter am göttlichen Thron, sie hatten bei speziellen Problemen, Krankheiten und Nöten zu helfen, und sie galten als Garanten der Hilfe ...

Oktober 1997

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