Ausgabe Januar 1999

Gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa

Die alte Bundesregierung vertrat die Ansicht, die bisherigen Erfahrungen mit der Gentechnik reichten aus, um diese für sicher zu halten. Daher wurde eine Deregulierung der Gesetzgebung auf bundesdeutscher und europäischer Ebene befürwortet. Dies betrifft insbesondere die Freisetzung gentechnisch veränderter (transgener) Pflanzen, ein Bereich, der von interessierten Kreisen gern als "grüne Gentechnik" bezeichnet wird. Die ablehnende Haltung der Bevölkerung hingegen wurde als spezifisch deutsche Ängstlichkeit bezeichnet, der man mit Aufklärung begegnen könne. In der rotgrünen Koalitionsvereinbarung heißt es hierzu: "Nach wie vor ist das Ausmaß notwendiger Gefahrenabwehr und Risikovorsorge umstritten, insbesondere in der Landwirtschaft und im Lebensmittelbereich wird auch der gesellschaftliche Nutzen hinterfragt. Die neue Bundesregierung wird die verantwortbaren Innovationspotentiale der Bio- und Gentechnologie systematisch weiterentwickeln. Alternative Verfahren und Strategien müssen dabei einen angemessenen Raum erhalten. Der Vorrang des Schutzes von Mensch und Umwelt muß im deutschen und im europäischen Gentechnikrecht gewährleistet werden." *)

Oft wird hierzulande der Eindruck erweckt, Deutschland laufe Gefahr, den Anschluß an internationale Entwicklungen (und Märkte) zu verlieren. Neuere Entwicklungen in Europa zeigen jedoch, daß unsere europäischen Nachbarländer wesentlich kritischer mit der Gentechnik umgehen, als dies in der Bundesrepublik der Fall ist. In Großbritannien trat ein Beratergremium der Regierung für ein fünfjähriges Moratorium für transgene Pflanzen ein. Im Oktober 1998 kündigten die britischen Minister Meacher (Umwelt) und Rooker (Landwirtschaft) strengere Maßnahmen für die Prüfung gentechnisch veränderter Pflanzen an. Darin enthalten ist die Bekanntgabe einer Verpflichtung der Industrie, in den nächsten drei Jahren keine insektenresistenten Pflanzen in Großbritannien einzuführen. Interessant ist auch die Entwicklung in Frankreich, das bisher als Befürworter der Gentechnik galt. Hier wurde 1995 als erste transgene Pflanze in Europa Tabak angebaut. Auch der umstrittene Mais der Firma Novartis wurde von Frankreich nach der europäischen Freisetzungsrichtlinie (90/220 EWG) zugelassen. Mit dem Regierungswechsel trat ein Wandel ein. Es wurde eine Bürgerkonferenz abgehalten, die zu dem Schluß kam, im Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen sei mehr Sorgfalt erforderlich.

In der Folge teilte Premier Lionel Jospin mit, daß zwei weitere transgene Mais-Sorten zugelassen würden, aber Raps und Zuckerrüben, die ebenfalls kurz vor der Genehmigung standen, sollten einem zweijährigen Moratorium unterliegen. Es ist fraglich, ob Frankreich diese Position beibehalten kann, denn eine Verweigerung der Zulassung in diesem Stadium des Verfahrens ist in den Regularien der EU nicht vorgesehen. Paris scheint allerdings entschlossen, zukünftig das Vorsorgeprinzip ins Zentrum seiner Gentechnikpolitik zu stellen. Dies zeigt der bisherige Verlauf des Streits um den Novartis-Mais. Der Mais enthält drei Fremdgene: eine Herbizidresistenz gegen das Totalherbizid Basta, eine Antibiotikaresistenz gegen Ampicillin und ein Toxin aus einem Bakterium, Bacillus thuringiensis (Bt-Toxin), das für bestimmte Schmetterlingsraupen tödlich ist.

Insbesondere die Antibiotikaresistenz wird von vielen Fachleuten als kritisch angesehen, da im Falle einer Übertragung des Gens auf pathogene Keime ein Problem bei der Therapie von Infektionskrankheiten entstehen könnte. Frankreich hatte die Erstprüfung auf Zulassung dieser Mais-Linie in der EU positiv beschieden und damit das Genehmigungsverfahren eingeleitet. Es schloß sich eine kontroverse Diskussion in den Mitgliedsländern an, die schließlich, nachdem keine Einigung im Ministerrat erzielt werden konnte, von der Kommission mit der Zulassung der Linie 1996 beendet wurde. Diese Entscheidung wurde in einigen Mitgliedsstaaten nicht akzeptiert. Österreich und Luxemburg machten das Recht der Einfuhrverweigerung aufgrund von Gesundheits- und Umweltrisiken (Art. 16 der RL 90/220) geltend und sprachen ein Verbot aus. Bis Oktober 1998 war es der EU-Kommission nicht gelungen, das Einfuhrverbot Luxemburgs und Österreichs aufzuheben.

In Frankreich, aber auch in Deutschland und Spanien, fand 1998 der erste kommerzielle Anbau des Novartis-Mais statt. Aber die Ereignisse nahmen einen unerwarteten Verlauf. Ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen klagte in Frankreich gegen den Anbau. Im Verlauf des Verfahrens konnten die Kläger nachweisen, daß die Erstzulassung nicht sorgfältig nach der europäischen Richtlinie erfolgt und wichtige Aspekte der veränderten Merkmale der Pflanzen bei der Prüfung nicht berücksichtigt worden waren. Im September beschloß der französische Staatsrat ein Verarbeitungsverbot des transgenen Mais. Im Oktober verlautete aus dem Landwirtschaftsministerium, der Mais würde vorerst unter Verschluß gehalten. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Entgegen den Versicherungen der Hersteller, man habe die transgenen Pflanzen unter Kontrolle, mehren sich in letzter Zeit Hinweise darauf, daß bei der Zulassung einige Aspekte tatsächlich nicht genügend berücksichtigt wurden. So zeigte sich in mehreren Staaten Europas, daß im Freiland eine nicht kontrollierbare Verbreitung transgener Eigenschaften durch Pollenflug und Befruchtung verwandter Kulturund Wildpflanzen stattfindet. Sowohl bei Rapsanpflanzungen als auch bei Mais wurden Übertragungen durch Pollenflug nachgewiesen.

Die Angaben der Hersteller des gentechnisch veränderten Saatguts über die Pollenflugdistanzen erwiesen sich als zu kurz, die Möglichkeit des Pollentransports durch Insekten scheint nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden zu haben. Durch die unerwünschte Übertragung von Eigenschaften auf andere Pflanzen treten Veränderungen im Genpool auf, deren Wirkung auf die biologische Vielfalt noch nicht absehbar ist. Dies ist insbesondere in den Zentren des biologischen Ursprungs unserer Kulturpflanzen als besonders kritisch anzusehen. In Mitteleuropa trifft dies auf Raps und Zuckerrüben zu. Während in Europa noch keine Erfahrungen mit einem großflächigen kommerziellen Anbau transgener Sorten vorliegen, wird aus Kanada gemeldet, daß auf einem Feld herbizidresistente Rapspflanzen auftraten, die mit dem in der Fruchtfolge vorgesehenen Totalherbizid nicht abgetötet werden konnten. Die Ausbildung unerwünschter Resistenzen führt langfristig zu einem zusätzlichen Einsatz von weiteren Herbiziden.

Worin besteht der "ökologische Vorteil"?

Ackerschmalwand ist eine Modellpflanze für ökologische Versuche. Eine wissenschaftliche Laborstudie an herbizidresistenten Pflanzen dieser Art zeigte, daß genmanipulierte Pflanzen ihre Gene per Pollenflug 20mal häufiger weitergaben als nicht gentechnisch veränderte Pflanzen. Da Ackerschmalwand eine selbstbefruchtende Art ist, gilt dieses Resultat als wichtige Erkenntnis für andere Selbstbefruchter und ihren Anbau. Auch das Konzept der insektenresistenten transgenen Pflanzen ist bereits problematisch. Da sich Insekten aufgrund hoher natürlicher Mutationsraten stets schnell an neue Insektizide adaptieren, erhöht die ständige Präsenz des Bt-Toxins in Stamm und Blättern die Wahrscheinlichkeit, daß der Einsatz des Bt als Insektizid nach kurzer Zeit unwirksam werden wird. Dies befürchten vor allem Vertreter des biologischen Landbaus, wo der gezielte Einsatz von Bt-Spritzungen ein zugelassenes Mittel gegen Insektenbefall darstellt. Von Bt-resistenten Insekten wäre der biologische Landbau ungleich stärker betroffen als der konventionelle, der auf andere Insektizide ausweichen kann.

Während die Gefahr einer Resistenzbildung bei Schadinsekten zunächst heruntergespielt und der "ökologische Vorteil", nämlich der Anbau ohne Einsatz von Insektiziden, beworben wurde, gehen die Hersteller transgenen Saatguts inzwischen dazu über, komplizierte Anbaupläne für Bt-Pflanzen zu empfehlen. Eine breite Resistenzbildung von Schadinsekten kann nach Meinung von Experten nur durch Anpflanzung von "Refugien" aus konventionellem Saatgut auf den Anbauflächen transgener Sorten verhindert werden. Das Unternehmen Novartis versucht, die Landwirte in den USA mit der Zahlung einer Prämie zur Anwendung ihres Anbaukonzeptes zu bewegen. Da kein Wirtschaftsuntemehmen ohne Not freiwillig Rabatte gewährt, steht zu vermuten, daß Novartis bereits eine Resistenzbildung befürchtet. Vermutlich wandten die Landwirte das Konzept ohne die Prämien nicht an, da es anbautechnisch sehr aufwendig ist. Nach Angaben von Novartis sollen bis zu 40% des Ackers mit konventionellem Saatgut bepflanzt werden, um die Resistenz der Schadinsekten zu verhindern. Während bisher stets betont wurde, daß von den Bt-haltigen Pflanzen keine Gefahr für Nutzinsekten ausgeht, zeigte eine neue Studie, daß diese beim Fressen der vergifteten Raupen doch geschädigt werden.

Die Auswirkungen einer Störung der Nahrungskette im Bereich der nützlichen Insekten auf die Landwirtschaft sind bisher kaum untersucht. Dies bewog die britische Regierung, die Industrie zu einem Moratorium für insektenresistente Pflanzen zu verpflichten. Die häufig in transgenen Pflanzen vorhandene Antibiotikaresistenz läßt eine neue Möglichkeit der Resistenzbildung von pathogenen Bakterien gegen diese Medikamentengruppe befürchten. Aufgrund der Zunahme resistenter pathogener Keime wird zur Zeit EU-weit darüber beraten, ob die Zulassung von Antibiotika als Masthilfe in der Tierzucht neu bewertet werden muß. Die Möglichkeit eines horizontalen Gentransfers, das heißt der Weitergabe von Genen zwischen nicht unmittelbar verwandten Organismen, also zum Beispiel zwischen Pflanzen und Bakterien, wurde lange Zeit abgestritten. Inzwischen ist bekannt, daß zahlreiche Bakterien die Fähigkeit besitzen, fremde DNA aufnehmen zu können.

Daher ist die Möglichkeit einer Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf pathogene Keime nicht mehr auszuschließen. Angesichts dieser Meldungen ist es nicht verwunderlich, daß sich europäische Verbraucher mehrheitlich ablehnend gegenüber gentechnischen Verfahren bei Pflanzen und insbesondere bei Lebensmitteln äußern. Die europäische Freisetzungsrichtlinie befindet sich zur Zeit im Prozeß der Überarbeitung. Dies bietet die Chance, unmittelbar auf die neuen Erkenntnisse zu reagieren und das Vorsorgeprinzip stärker in dieser Richtlinie zu verankern. Nicht eine Deregulierung der Zulassung transgener Pflanzen, wie von der alten Bundesregierung angestrebt, sondern eine verbesserte Transparenz der Zulassungsverfahren, die Gewährleistung hoher Standards bei der Prüfung von Anträgen durch die Fachgremien aller Mitgliedsstaaten, ein langfristiges Umweltmonitoring und eine Verstärkung der Sicherheits-Begleitforschung könnten dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Gentechniklegislative und die "grüne Gentechnik" zu verbessern. Gudrun Kordecki

*) Koalitionvereinbarung, dokumentiert in: "Blätter", 12/1998, S. 1521-52, hier S. 1530.

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