Europas imperiale Herausforderung
Die Debatte über den EU-Beitritt der Türkei hat die Frage nach den Grenzen Europas, aber auch die nach seiner inneren Struktur neu aufleben lassen. Schon jetzt steht fest, dass in den nächsten Jahren weitere Beitrittskandidaten auftreten werden: Von Bulgarien und Rumänien liegt der Beitrittsantrag bereits vor, und bei den aus Jugoslawien hervorgegangenen Staaten wird man mit Sicherheit davon ausgehen dürfen, dass sie alle Mitglied der Union werden wollen. Aus der Kaukasusregion wie von der Ukraine ist ähnliches schon gehört worden. Das gilt auch für die südliche Küste des Mittelmeers, also die Maghrebstaaten. Kann die EU eine solche Beitrittswelle verkraften? Mit Sicherheit nicht! Muss sie ihrer Peripherie mehr Aufmerksamkeit widmen als bislang? In jedem Fall! Aber wo liegt die Diagonale zwischen diesen konträren Anforderungen?
Das unter dem Eindruck der kriegerischen Selbstzerstörung des Kontinents konzipierte Europaprojekt beruhte auf der Entflechtung von Grenzen. Ist der Nationalstaat dadurch gekennzeichnet, dass er politische, wirtschaftliche, sprachliche und kulturelle Grenzen bündelt, um homogene Räume zu schaffen, so setzte das Europaprojekt, von der Montanunion bis zur EWG, auf das genaue Gegenteil: auf die Trennung politischer und wirtschaftlicher Grenzen und die allmähliche Diffusion politisch-kultureller Räume.