Ausgabe September 2005

Das Konservative Manifest

Udo di Fabios Kultur der Freiheit

Mit jedem Tag, den die Bundestagswahl näher rückt, scheint das Entsetzen über das geistig-ideelle Vakuum zuzunehmen, das sich in der Union als künftiger Regierungspartei offenbart.

Mit jedem Tag, den die Bundestagswahl näher rückt, scheint das Entsetzen über das geistig-ideelle Vakuum zuzunehmen, das sich in der Union als künftiger Regierungspartei offenbart. "Wo bleibt das Konservative?", schallt es der künftigen Kanzlerin lautstark entgegen; fast flehentlich verlangen die meinungsmachenden Klassen der Republik nach einer einigermaßen konsistenten Philosophie des Kommenden, um die beschworene Richtungswahl wenigstens in den letzten Wochen noch kulturkämpferisch ausschreiben zu können.

Da trifft es sich gut, dass just in diesem Augenblick ein Buch auf den Markt kommt, das exakt in diese Leerstelle stößt. "Die Kultur der Freiheit", so der kämpferische Titel des (nicht nur hier) nahe bei Präsident Köhlers "Ordnung der Freiheit" gelegenen Werkes, stammt obendrein nicht von irgendjemandem, sondern mit Udo Di Fabio gewissermaßen von dem neuen konservativen "Star" unter den Bundesverfassungsrichtern.1 Vom NPD-Verbotsverfahren über das Zuwanderungsgesetz und den Visa-Untersuchungsausschuss bis zum Europäischen Haftbefehl: Stets war der 51jährige vom 2. Senat maßgeblich beteiligt – zu guter Letzt auch als Berichterstatter im Verfahren zur Vertrauensfrage.

Die ersten Reaktionen auf sein Buch, sowohl aus dem linken als auch dem liberal-konservativen Feuilleton, konnten allerdings nur erstaunen. Dass der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung" es in den Dunstkreis der "Jungen Freiheit" rückte – und damit den Verfassungsrichter in die Nähe des Verfassungsschutzberichtes –, war noch irgendwie zu erwarten;2 dass aber ausgerechnet die "Frankfurter Allgemeine", nationalkonservativen Gedankengängen keineswegs immer abgeneigt, Di Fabio des "Petainismus", sprich des französischem Faschismus zieh, musste Aufsehen erregen.3

In der Tat zeugt Di Fabios inzwischen überall zitierte Behauptung, dass die Deutschen von Hitler nur verführt und dieser – in einem normativen Sinn – gar kein richtiger Deutscher gewesen sei, sowohl von unverantwortlicher Schönfärberei der deutschen Geschichte, als auch von einer unhaltbaren Konzeption der Nationalität: Hitler ist bei Di Fabio nicht etwa deshalb kein Deutscher, weil er, wie jedermann weiß, österreichischer Herkunft war, sondern weil er weder den Anstand des preußischen Staatsdieners noch Heimatgefühl und Lebensfreude des bayerischen Katholizismus besaß: keinerlei Neigung für Fleiß und harte Arbeit, keinen Sinn für deutsche Lebensart, bürgerliche Vorlieben und christliche Traditionen. Er war nur, so Di Fabios Schluss, "ein verkleideter Deutscher, ein entwurzelter Gaukler aus der Gosse, der alle Energien des Volkes und dessen kulturelles Vermögen aufsog und gleichgültig die Vernichtung der ihm Ausgelieferten hinnahm." (S. 207) "Hitler", so Di Fabio, "war die tödliche Krankheit eines anfälligen Organismus – nicht aber die Konsequenz deutscher Geschichte" (S. 203).

In dieser Lesart der Geschichte erlitten die Deutschen im 20. Jahrhundert ein tragisches Schicksal, wurden sie doch von ihren Eliten einem größenwahnsinnigen Dilettanten ausgeliefert und "in weiten Teilen mit allen Mitteln moderner Propaganda verführt und belogen [...]. Was man ihnen vorwerfen muss und woraus sie zu lernen haben, ist der Umstand, dass sie sich haben verführen und belügen lassen." (S. 205) Mit anderen Worten: Die millionenfache Schuld, die in der aktiven Teilnahme arbeitsteiliger Täterschaft bei der Ermordung von sechs Millionen Juden und – um nur noch diese Zahl zu nennen – von zwanzig Millionen Sowjetbürgern bestand, reduziert sich hier auf einen läppischen, durch Verführung motivierten moralischen Verbotsirrtum.

Blaupause für eine Regierung Merkel

Wer indes als Reaktion auf diese in der Tat skandalösen Torheiten das Buch zuklappt und ad acta legt, begeht einen schweren Fehler, da ihm das weggeworfene Objekt noch wie ein Bumerang um die Ohren fliegen könnte. Liegt doch mit Di Fabios gelehrt-gelehrigem Pamphlet nicht weniger vor als eine geschlossene politische Konzeption, die den liberal-konservativen Kräften jene Blaupause liefert, derer sie bisher entbehren. Eine Konzeption zudem, der auf der Linken derzeit nichts Gleichwertiges gegenübersteht und die – neben der wirtschafts- und sozialpolitischen Programmschrift eines liberalen Konservatismus durch Hans-Werner Sinn4 – die künftige geistig-kulturelle Hegemonie einer Regierung Merkel, mit welchem Partner auch immer, auf Jahre befestigen könnte.

Di Fabios in weiten Teilen geradezu schmissig geschriebenes Buch tritt jedenfalls mit dem Anspruch einer philosophisch und sozialtheoretisch soliden Begründung ebenso auf, wie es auf eine ganze Reihe drängender Gegenwartsfragen interessante Antworten gibt. Antworten, die jedenfalls so provozierend sind, dass sie allemal dazu verleiten, mit dem Autor in Talkrunden, in der seriöseren Öffentlichkeit kirchlicher Akademien und in den Vorfeldorganisationen der Parteien zu diskutieren. Es wird sich erweisen, dass dieses Buches seinem Inhalt und Duktus nach allemal die ökolibertären und wertkonservativen Meinungsführer der Grünen, von Kathrin Göring-Eckhardt bis Ralf Fücks, ansprechen und damit zur ideellen Grundlage der ja irgendwann fälligen ersten schwarz-grünen Koalition werden dürfte.

Mit seinem Plädoyer für bürgerliche Selbstverantwortung, Familienwerte und -förderung, selbstbewussten Patriotismus und eine freiwillig zu erbringende Solidarität mit den gesellschaftlich Schlechtergestellten nimmt di Fabio zunächst die altbekannte Debatte um den "Kommunitarismus"5 noch einmal auf – um diese dann allerdings mit charakteristisch deutschen Werten aggressiv zuzuspitzen.

Die Kommunitarismusdebatte wurde bereits Mitte der 70er Jahre in den USA angestoßen – bezeichnenderweise durch die damals noch eher sozialstaatlich orientierten ersten Neokonservativen, die die Selbstzerstörungstendenz eines nicht mehr puritanischen, sondern ganz und gar hedonistisch gewordenen Kapitalismus beklagten, wie auch den durch die Counterculture bewirkten Werteverfall, insbesondere die Auf- und Ablösung der bürgerlichen Kleinfamilie.6 Zu diesen schon vor 20 Jahren bemerkten Problemen sind zwischenzeitlich in der sozialphilosophischen, soziologischen und politischen Debatte noch mindestens vier weitere getreten: die im Rahmen einer Theorie des "Kampfes der Kulturen" (Samuel P. Huntington) gedeutete Modernisierungsschwäche islamisch geprägter Gesellschaften mitsamt dem Auftreten eines totalitären Islamismus und einer islamischen Immigration in westliche Staaten;7 das durch wohlfahrts- und gesundheitspolitische Strategien verursachte Altern westlicher Gesellschaften samt einer in manchen Staaten, auf jeden Fall in der Bundesrepublik, nachlassenden Geburtenrate;8 die Entgrenzung wirtschaftlicher Handlungsspielräume durch die so genannte Globalisierung9 sowie die Bildung übernationalstaatlicher politischer Räume und schließlich viertens die damit verbundene nachlassende nationalstaatliche Steuerungsfähigkeit, die auch einen Demokratieverlust bedeutet.10

Auf all diese Herausforderungen antwortet Di Fabio mit einem revitalisierten Aristotelismus des guten Lebens und einem politischen Programm, das auf einer Begrenzung des Sozialstaats und einer Ablösung seiner Leistungen durch freiwillige Solidaritäten beruht. Bei Di Fabio ist es die traditionelle Trias von Familie, Nation und Religion, die den Kern seines Wertgerüstes ausmacht.

Wenn Di Fabio auf eine – auch gesetzlich abgesicherte – Stärkung der Familie in normativer und ökonomischer Hinsicht drängt, integriert er im Wesentlichen politische Konzepte und Tendenzen, die sich in unterschiedlicher Gewichtung und Mischung bei allen derzeit im Bundestag befindlichen Parteien nachweisen lassen: So sind sich alle Parteien darüber einig, dass Familien stärker als bisher gefördert werden müssen und der Sozialstaat "umgebaut" werden muss – was in der Realität seinem Abbau gleichkommt.

Uneinigkeit besteht allerdings in den Fragen von Religion und Nation: Welche Rolle sollen Kirchen und Religionsgemeinschaften bei Wertbildung und -erhaltung in Schule und gesellschaftlichem Leben spielen? Soll die politisch verfasste EU an den Grenzen der christlichen Völker Europas enden? Soll der deutsche, demokratische Nationalstaat tatsächlich ganz oder teilweise zu Gunsten einer im vollen Sinn demokratisierten EU Schritt für Schritt aufgegeben werden? Indem Di Fabio eine Revitalisierung der christlichen Religion fordert sowie einen doppelten Patriotismus deutscher und europäischer Stoßrichtung anmahnt, weist er hier ersichtlich die meisten Schnittstellen mit den beiden C-Parteien auf.

Rechter Rechtshegelianismus

Die Antworten, die Di Fabio gibt, folgen weitgehend einem Muster, das bereits von Hegel vorgegeben und später von Marx aufgenommen und überboten werden sollte. Schon Hegel war klar, dass einerseits die Moderne einen auf Eigennutz und garantiertem Eigentum beruhenden "bürgerlichen" Individualismus unwiderruflich hervorgebracht hat, dass aber andererseits eine nur und ausschließlich auf der Logik des Eigentums beruhende Lebensform sich selbst zerstören würde. Deswegen hielt Hegel sowohl einen Sozialstaat als auch eine auf Familiensinn und Religion beruhende "Sittlichkeit" zur Verwirklichung der Vernunft für unerlässlich.

Der linke Hegelianismus, zu dem man zum Beispiel Feuerbach und Marx rechnen kann, zielte auf eine grundsätzliche Überwindung dieser Gesellschafts- und Lebensform sowie auf eine neue Weise des Zusammenlebens – durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Überwindung der Familie und das Absterben des Staates. Die historischen Erfahrungen der letzten 150 Jahre legen jedoch den Schluss nahe, dass diese Programme gescheitert sind. Das rechtshegelianische Programm unterscheidet sich vom linkshegelianischen durch eine grundsätzliche Akzeptanz der christlichen Religion. Seinerseits spaltet es sich in einen linken und einen rechten Rechtshegelianismus: Versteht man unter Rechtshegelianismus jene Konzeption, die die grundlegenden Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft, namentlich das Privateigentum, nicht nur hinnimmt, sondern auch affirmiert, kommt es entscheidend darauf an, ob gleichwohl erkannt wird, dass ein solches gesellschaftliches Zusammenleben sich letzten Endes selbst zerstören muss.

Hegel selbst hatte diese Gefahr genau registriert, die sich ihm vor allem als Aufbegehren und sittlicher Verfall des "Pöbels" darbot: "Zugleich werden die Individuen", heißt es in der Vorlesung über Rechtsphilosophie von 1819/20, "durch die Teilung der Arbeit immer abhängiger. Die Armut ist nun ein Zustand in der bürgerlichen Gesellschaft, der nach jeder Seite hin unglücklich und verlassen ist. Nicht nur die äußere Not ist es, die auf dem Armen lastet, sondern es gesellt sich dazu auch moralische Degradation. [...] Ebenso wird dem Armen auch der Genuss der Rechtspflege oft sehr erschwert. In Ansehung seiner Gesundheitspflege ist er ebenso übel daran. [...] Noch ein ganz anderer Zwiespalt tritt beim Armen ein, der Zwiespalt des Gemüts mit der bürgerlichen Gesellschaft. Der Arme fühlt sich von allem ausgeschlossen und verhöhnt, und es entsteht notwendig eine innere Empörung. [...] Es ist in der bürgerlichen Gesellschaft nicht eine bloße Naturnot, mit der der Arme zu kämpfen hat; die Natur, welche der Arme sich gegenüber hat, ist nicht ein bloßes Sein, sondern mein Wille."11

Für Hegel war klar, dass dort, wo "das Dasein der Freiheit" ob seiner Armut etwas ganz Zufälliges hat, auch das Anerkennen der "allgemeinen Freiheit" verschwindet, denn: "Der Pöbel entsteht vornehmlich in der ausgebildeten bürgerlichen Gesellschaft. Wenn die Individuen nicht bis zum Selbstbewusstsein ihres Rechts fortgegangen sind, so bleiben sie in der unbefangenen Armut stehen." Hegel ist bewusst, dass die Doppelung von "Armut und Reichtum" das "Verderben der bürgerlichen Gesellschaft" ausmacht, und er folgert daraus: "Es ist die Forderung, dass allen ihre Existenz gesichert sei."12

Zwar verwirft Hegel dann gleichwohl das englische Vorbild einer Armentaxe, stellt aber fest, dass der Mangel an Arbeit eine Hauptursache der Armut sei und dass ein Überfluss an Waren weitere Arbeitslosigkeit herbeiführe. Er wendet sich auch gegen eine direkte Unterstützung der Armen, weil dies zu weiter schwindendem Selbstgefühl führe. Hegel löst das Problem also nicht abschließend, es bleibt jedoch die Einsicht, dass eine gesellschaftliche Ordnung, die Armut duldet, keinen Bestand haben kann. Einen Ausweg sieht er in der Sicherung der Subsistenz aller durch die soziale Funktion der "Polizey" als Staatsverwaltung und durch die "Korporation": berufsständische, solidarisch organisierte Genossenschaften, die keinen anderen Zweck haben, als die Subsistenz ihrer Mitglieder zu sichern, die Familie in wichtigen Hinsichten zu vertreten, für die Bildung der Kinder zu sorgen und solidarisch für jene zu sorgen, die in Armut geraten.13 Hier erweist sich, dass Hegel ein linker Rechtshegelianer war und stets darum wusste, dass bürgerliches Privatrecht, Familie, Religion und Patriotismus alleine keinen Bestand haben können. Gemessen an diesem Problembewusstsein erweist sich der rechte Rechtshegelianismus von Di Fabios Freiheits-Traktat regelrecht als blind.

Halbierte Rationalitätskritik und methodischer Irrationalismus

Vermeintlich auf der Höhe moderner Sozialwissenschaft bestimmt Di Fabio das Wesen moderner Freiheit mit den Mitteln der Luhmannschen System theorie zunächst als die Fähigkeit der Individuen, in den je funktional ausdifferenzierten Sphären von Wirtschaft, Recht, Kunst, Politik und Liebe je eigene Entscheidungen zu treffen, ohne von den anderen Sphären her determiniert zu sein. Freilich habe die Vereinseitigung und Radikalisierung der modernen Freiheits- und Gleichheitsideen "als einzig anerkanntes Leuchtfeuer des kulturellen Wertesystems, der Verzicht auf metaphysische, traditionelle oder auch nur lebenspraktische Grundlagen [...] die Überzeugungskraft der Freiheit wie Gleichheit nicht gestärkt, sondern geschwächt." (S. 8) Die Zeitdiagnose einer zerstörerischen rationalen Freiheitstradition wird von ihm in geradezu apokalyptischer Weise ausgemalt, aber kein einziges Mal substanziell empirisch belegt. Vielmehr wird Friedrich Nietzsche Di Fabio zum Gewährsmann, der, wenn auch noch zu negativistisch, gespürt habe, "dass die Unterscheidung rational/irrational etwas als negativ verdrängt, was konstitutiv für jede gute Ordnung und Idee des richtigen Lebens sei" (S. 17), nämlich: "die Symbiose von gerechter Ordnung und sinngestifteter Lebensfreude, der Eros der menschlichen Existenz, der nicht rational erklärbar, aber sehr wohl durch die Logik von Funktionssystemen zerstörbar ist. Eros der Kultur meint die gelungene Verbindung von persönlichem Glück und gesellschaftlicher Ordnung in einem Zeichen- und Wertesystem, das die insofern richtige lebenspraktische Orientierung gibt." (S. 18)

Von der Beschwörung dieser mythischen, nicht rationalen Bestandteile menschlicher Kultur kann der Autor gar nicht genug bekommen. Für Di Fabio steht fest, dass die "Bürger ihre Orientierungsmarken für eigene Beurteilung verlieren, wenn sie nicht mehr in dem Bezugsrahmen einer eigenen historisch gewachsenen öffentlichen Kultur, mit ihren Tiefenschichten der Legenden, Sagen und Märchen, ihren kollektiven Erfahrungen, ihren Sprichwörtern, Klugheitsregeln und dem Geist der eigenen Sprache mit ihren komplexen Verweisungen, Konnotationen und Evidenzen politische Fragen [sic! – MB] beurteilen können." Der Autor behauptet allen Ernstes, dass der Verlust solch kulturellen Wissens an den Legitimationsgrundlagen der Demokratie zehre (S. 55).

Dieser methodologische und substanzielle Irrationalismus führt zu einer Neubestimmung gesellschaftlicher Werte, die, auf diesen Grundlagen beruhend, nicht mehr als Individualrechte formuliert werden können. Das betrifft auch die von Di Fabio ansonsten hochgehaltene "Würde des Menschen", jenen "Quellcode unserer Werteordnung" (S. 69). Hier reicht ihm das kantisch begründete, in den Grundrechten positivierte Instrumentalisierungsverbot nicht aus. "Die Menschenwürde ist ein relativer Blankettbegriff, der seine Anschaulichkeit erst in einer Kultur der Freiheit gewinnt," polemisiert di Fabio gegen ein formal-rationales Menschenwürdeverständnis. In seiner Lesart wird die "Würde des Menschen" vielmehr zum juristischen Ausdruck für die tradierten kulturellen Grundlagen einer Gemeinschaft mit verbindlichem Geltungsanspruch (S. 78).

Damit ist zugleich die Front im "Kampf der Kulturen" markiert: Ohne Einbettung in eine religiöse und nationale, also auf arationalen Grundlagen beruhende Kultur wird eine Freiheit, die einseitig individualistisch verstanden wird, Traditionen feindlich gegenübersteht und Institutionen ablehnt, sich selbst gefährden. "Wer Freiheit will, muss auch die tragende Kultur wollen", heißt es bei Di Fabio angesichts der Konfrontation des Westens mit dem Islam. Dass Kulturen komplexe, hybride und oft auch selbstwidersprüchliche Symbol- und Semantiksysteme sind – diese Einsicht der postmodernen, poststrukturalistischen und postkolonialen Theoriebildung ist Di Fabio offensichtlich entgangen. Nach seiner Ansicht krankt die Kultur des Westens gerade daran, dass sie ihren eigenen, kulturell tradierten Freiheitsbegriff nicht mehr versteht und also übersieht, dass frei zu sein heißt, "über seine Bindung selbst zu bestimmen, Gemeinschaften zu suchen, zu gründen und zu verteidigen." (S. 85).

Entgegen dem herrschenden negativistischen Freiheitsverständnis des Liberalismus, das in einem "frei von" besteht, beharrt Di Fabio auf einem "gewichteten" Verständnis von Freiheit, auf einer "Differenzierung für Fragen der Folgenzurechnung, der Lastenverteilung und der Umverteilung in einer Gesellschaft." (S. 90) Di Fabio landet also bei einem Freiheitsverständnis, das viele Linke noch allemal beglaubigt haben, wie auch die linke und konservative Kulturkritik stets die Bindungslosigkeit des modernen Individuums beklagt hat – nicht anders als Di Fabio. Da ihm aber die Folgenlosigkeit, ja sogar Schädlichkeit einer nur negativistisch vorgehenden Kulturkritik geläufig ist, postuliert er positive Werte bzw. eine "sich positiv bindende Freiheit." (S. 92)

Di Fabio propagiert im Wesentlichen fünf Wertebereiche – Demokratie gehört bezeichnenderweise nicht dazu –, von denen die Kultur der Freiheit zehre: wirtschaftlicher Fleiß und Unternehmergeist, Brüderlichkeit anstelle gesetzlich geordneter Gleichheit, Familienorientierung, neue Wertschätzung der Religion sowie Patriotismus.

Obwohl Di Fabio die schädlichen Auswirkungen eines politisch nicht oder kaum noch gesteuerten Kapitalismus erkennt, vertritt er die Ansicht, "dass soziale Ungleichheit nicht wirklich zum Problem wird, weil die Menschen von ihrem Freisein einen wirtschaftlich vernünftigen strebsamen Gebrauch machen." (S. 104) Die Marxsche Vermutung, dass der Kapitalismus Armut und Ungleichheit auch und gerade dann befördert, wenn alle von ihrem Freisein besagten ökonomisch vernünftigen Gebrauch machen, wird hier noch nicht einmal im Vorbeigehen erwogen, sondern – ganz nach der Logik des blinden Flecks – einfach ignoriert. Hier scheint tatsächlich eine vorrationale Weisheit zu wirken: dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Die zuletzt von John Rawls gestellte Frage danach, ob die gesetzlichen Freiheitsrechte nicht nur allen formal zukommen, sondern auch für alle den gleichen Wert haben sollen,14 muss hier gar nicht mehr gestellt werden, weil – Di Fabio liebt ja die Weisheit der Sprichwörter – grundsätzlich davon auszugehen ist, dass jeder seines Glückes Schmied ist.

Folgerichtig soll auch die Idee des Sozialstaats nicht der bürgerlichen Idee der Gleichheit – wie sie von Hegel und Rawls in ganz unterschiedlicher Weise entfaltet wurde – entstammen, sondern allein der christlichen Nächstenliebe, dem Gedanken der Brüderlichkeit, der Solidarität oder genauer: der Barmherzigkeit. 15Wenn nämlich die im Grundgesetz vorfindliche Bestimmung der Gleichheit in diesem Sinne tatsächlich nur und ausschließlich als "Rechtsgleichheit", also als Chancen- und nicht auch – zumindest in einem gewissen Ausmaß – als Ergebnisgleichheit zu verstehen ist, dann bleibt dem Staat nur eine von sozialstaatlichen Ergebniskorrekturen des wirtschaftlichen Wettbewerbs weitgehend entlastete Ordnungspolitik, die die Sorge um die Verlierer dann der Barmherzigkeit als zwar sittlich geforderter, aber rechtlich nicht mehr oder nur bedingt erzwingbarer Tugend überantwortet. Mit diesem Programm wird Di Fabio ersichtlich zu allem anderen als zu einem radikal Liberalen, dem an der größten Freiheit aller gelegen wäre.

Weil er als soziologisch aufgeklärter Autor freilich weiß, dass die von ihm propagierten Tugenden weder erzwingbar noch durch eine direkte Nationalpädagogik zu erzielen sind, gelangt er zu jener ihm immer wieder vorgehaltenen eigentümlichen Fixierung auf die Familie. Diese findet im Aufriss des politischen Traktats freilich ihren systematischen Grund: Es ist eben gerade die historisch entstandene Institution der bürgerlichen Familie, die erstens so etwas wie einen Ort der anfangs beschworenen arationalen Wissens- und Gefühlsbestände darstellt, die zweitens allein jene im besten Sinne tugendhaften Bürgerinnen und Bürger hervorbringen kann, derer eine nicht mehr sozialstaatlich verklammerte Gesellschaft bedarf und die schließlich drittens alleine durch vermehrte Geburten der bestandsgefährdenden demographischen Krise liberaler westlicher Gesellschaften Herr werden kann.

Die politischen Konsequenzen liegen für Di Fabio auf der Hand. Institutionen oder Personen sollen diejenigen bevorzugen, die jene Tugenden der Reziprozität leben: "Diejenigen, die dafür sorgen, dass die Leitwerte sittlich verantworteter Freiheit auch morgen ein Fundament besitzen, verdienen Vorrang: Eltern, die ihre Kinder verantwortlich erziehen, Erziehungs-, Schul- und Bildungseinrichtung." (S. 127) Denn: "Der Sinn für Gegenseitigkeit", so Di Fabios feste Überzeugung, "verblasst in einer kinderarmen Gesellschaft." (S. 130)

Die hypostasierte Familie und: Religion als Kitt und Abwehrideologie

Die kinderarme Gesellschaft ist für Di Fabio somit eine tendenziell unfreie Gesellschaft – nicht nur, weil sie die Institutionen Ehe und Familie entkräftet sowie das kulturelle Band zwischen den Generationen zerreißt, sondern vor allem, weil sie das einzige Vitalität, Zukunft und damit Freiheit verheißende Leitbild preisgibt, nämlich "Glück und Selbstgewissheit im Eros des Versprechens lebenslanger Bindung zu finden" (S. 146).

Gefordert ist daher die kulturelle Kehrtwende rückwärts zu einer "vitalen Gesellschaft", die Di Fabio im Westdeutschland Konrad Adenauers sichtet, einer "Leistungsgesellschaft, die individuelles Glück und Lebenssinn regelmäßig nur mit Kindern, mit Familie, mit einer Lust an der Bindung denken mochte und Bindungslosigkeit, Alleinsein mit persönlicher Tragik oder den großen Katastrophen des Jahrhunderts in Zusammenhang brachte, aber beileibe nicht mit einem erstrebenswerten Lebensstil." (S. 155) Es ist diese kleinbürgerliche Idylle der frühen Bundesrepublik, die kraft Entschluss, moralischer Aufrüstung oder eben dem Zwang zur Solidarität angesichts leerer Sozialkassen wiederhergestellt werden soll, eine Idylle, die das Ideal des guten Lebens darin sieht, sich auf lebenslange Bindungen mit Kindern einzulassen. An diesem Punkt ergänzt Di Fabios Programm vortrefflich die Merkelsche Forderung nach einer "Neuen Gründerzeit" auf der Basis von gesteigertem Leistungs- und Entbehrungswillen bei gleichzeitiger Reduktion sozialstaatlicher Leistungen.

Es versteht sich, dass angesichts des staatlichen Minimalismus bei Di Fabio Vorschulerziehung allenfalls ein Angebot und kein Zwang sein kann. Kinder, die das Pech haben, dass ihre Eltern ihnen kein ausreichendes kulturelles Kapital mitgeben können, haben dann eben doppeltes Pech gehabt: Ihre Talente und Begabungen bleiben unentfaltet.16

Bei allem Widerstreben gegen die in vieler Hinsicht illiberalen Konsequenzen in diesem Argumentationsgang, etwa auch bei Di Fabios beherztem Eintreten für die Privilegierung der heterosexuellen Ehe, und bei aller Kritik an seiner inflationären Beschwörung jener dubiosen "Vitalität" (S. 162) wird man ihm mindestens in dem einen Punkt zustimmen müssen: dass nämlich die Politik das Aufziehen von Kindern schon allein aus demographischen Gründen fördern muss, soll der Lebensstandard in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen glücklicherweise länger leben, auch nur annähernd aufrecht erhalten werden. Selbst besonnene Beobachter konzedieren inzwischen, dass das Defizit an Nachwuchs – sogar bei einer optimalen Immigrationspolitik und einer fremdenfreundlichen Bevölkerung – durch Einwanderung nicht zu lösen ist.17

Allerdings geht Di Fabios Programm über diese Einsicht weit hinaus, wenn es eine unter mehreren kontingenten Lebensformen systematisch privilegiert. Hier ist daran zu erinnern, dass Artikel 6 GG eben dies schon tut, indem er Ehe und Familie unter den "besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stellt" – zum Unwillen vieler gleichgeschlechtlicher Paare und trotz des Protests egalitaristischer Bürgerrechtler. Schon diese grundgesetzliche Regelung ist, vom Gleichheitsgrundsatz her betrachtet, alles andere als unproblematisch. Alles Weitere, das Werben für eine kinderfreundliche Gesellschaft, für heterosexuelle Beziehungen und ein familiäres Leben mit Kindern, also für eine bestimmte, kontingente Lebensform, ist Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Öffentlichkeiten, aber nicht mehr des Gesetzgebers.

Wo indes die Anregungen zur Politik der Familie immerhin noch eine fruchtbare Provokation darstellen, wirkt die Beschwörung eines christlichen Deutschland und eines christlichen Europa nur noch als das, was der Propagator traditionaler Lebensformen sonst zu verurteilen nicht umhinkommt: als instrumentalistisch. Offensichtlich ist Di Fabio am christlichen Glauben nur als Abwehrideologie wider den fundamentalistischen Islam und als gesellschaftlichem Kitt in der Leistungsgesellschaft interessiert. Letzteres wird spätestens dort deutlich, wo er im Ausblick seines Traktats unterschiedliche Stufen der Achtung vor Menschen zu begründen versucht und seine, wohl auch persönliche, Utopie eines gelungenen Lebens ganz im Sinne einer aristotelischen Idee vorträgt: "Wer sich selbst, sein Leben, seine Biographie so entwirft und verwirklicht, dass sein Glück zugleich die Freiheit und die Möglichkeit anderer zu ihrem eigenen Entwurf dauerhaft befördert, hat Anspruch auf einen hohen gesellschaftlichen Achtungsanspruch." (S. 274)

Diese dem Verdienstdenken der griechischen Polis entstammende Ethik hat offensichtlich den jüdischen und frühchristlichen Einspruch gegen das Verdienstethos, wie er von Paulus über Augustinus bis zu Luther unter dem Titel einer "Rechtfertigungslehre" artikuliert wird,18 noch nicht einmal ansatzweise zur Kenntnis genommen. Der biblische Gedanke, dass vor Gott nicht nur die Erfolgreichen gerechtfertigt sind und auch das Scheitern seine eigene Würde hat, mithin vor Gott – wenn überhaupt – jene Ruhm verdienen, die sich nicht um sich selbst, sondern um die Armen und Fremden kümmern, 19 ist dieser Ethik familial-bürgerlichen Selbstgenusses so fremd wie nur irgendetwas.

Von einem Autor, der vollmundig den mythisch weisen Abgrund in der Religion beschwört und zudem das Christentum affirmiert, wäre dagegen zu erwarten gewesen, dass er den Inhalten jenes "kantigen Eigengerölls" (S. 166), das da Religion ist, auch nur etwas Aufmerksamkeit geschenkt und das zumindest angedeutet hätte, was der deutsche Kulturprotestantismus mit geringem Erfolg versucht hat: eine Vermittlung von bürgerlicher Kultur und Glauben. So wird man nur achselzuckend mit Karl Barth sagen müssen: "Religion ist Unglaube" – und damit Di Fabio nachgewiesen haben, dass er der von ihm beklagten Entzauberung der Welt gerade nicht entgeht, sondern sie mit seiner sozial-technokratischen Instrumentalisierung der Religion nur weiter vorantreibt.

Nation und Ehre

Am Ende seines Traktats steht schließlich die Affirmation der deutschen Nation. Hier ist zunächst auf eine tatsächlich signifikante Differenz zum aktuellen US-amerikanischen Neokonservatismus zu verweisen: Di Fabio ist kein missionarischer Universalist, er verurteilt den Krieg der NATO im Kosovo ebenso wie die Menschenrechtsverstöße in Abu Ghraib. Auch an ein Europa als politische Körperschaft mag er nur glauben, wenn dieses von einem einheitlichen politischen Geist beseelt wäre. Der europakritischen Linken nicht unähnlich, sieht er letztlich im Nationalstaat die einzig verbliebene demokratische politische Form.

Freilich ist der Preis, den der Autor für die Neukonzeption eines nicht nur verfassungspatriotisch beseelten Deutschland bereitwillig zahlt, entschieden zu hoch – wie seine eingangs dargelegte reaktionäre Verführungstheorie des Nationalsozialismus belegt. Sieht man allerdings von den skandalösen Weißwäschersätzen einmal ab, findet sich – immerhin – auch anderes: "Eine Nation", heißt es da etwa, "die Albert Einstein, Thomas Mann und Marlene Dietrich in die Emigration treibt, wählt nicht das Leben, sondern den Tod." (S. 208) Oder die folgende Bemerkung, in ihrem ersten Teil durchaus treffend und hellsichtig: "Deutschland ist als Kulturnation im Jahr 1933 zusammengebrochen, weil es mit dem Ausschluss für volksfremd erklärter Deutscher sich wehrlos gemacht hatte für alles Kommende. Wenn dies klarer würde, hätte Antisemitismus heute vielleicht noch weniger [meine Hervorhebung, MB] Chancen, seine böse Saat aufs Neue auszubringen." (S. 209) Hätte sich di Fabio allerdings (nicht nur hier) ein bisschen weniger auf seine "Alltagsvernunft" verlassen und stattdessen der Empirie zugewendet, hätte er soliden soziologischen Untersuchungen entnehmen können, dass der jedenfalls in Umfragen erhobene Judenhass gerade in den letzten Jahren wieder ungeahnte Höhen erreicht hat.20 Diesen Fakten wie dem Umstand, dass all dies wahrscheinlich doch etwas mit der Republik Konrad Adenauers und seiner zynischen Integration ehemaliger Nationalsozialisten zu tun hat, stellt sich dieser Stifter eines neuen Patriotismus jedoch nicht, wenn er – und wer wollte etwas dagegen haben – fordert, die Quellen des deutschen Idealismus wieder sprudeln zu lassen.

Am Ende seines Buches, nach dem Plädoyer für einen maßvollen menschenrechtlichen Universalismus, den schon Gerhard Schröder mit seiner butterweichen Haltung etwa gegenüber Wladimir Putin und seinen Menschenrechtsverletzungen hat walten lassen, erörtert Di Fabio die Universalität der Menschenrechte im Rahmen eines aufgeklärten Historismus. Dabei gelangt er zu einer Schlussfolgerung, die nun wirklich auf einen Rückfall in vormodernes, ja archaisches Denken schließen lässt. In einer überaus prägnanten Kritik an der US-amerikanischen Praxis der Folter in Abu Ghraib lesen wir: "Wenn die Führungsmacht des Westens [...] in einer organisierten Weise Gefangene ihrer Würde gerade auch als Angehörige einer anderen Kultur beraubt, ist der freie Westen im Nerv getroffen: Seine Ehre, die Konsistenz eines Wertesystems stehen auf dem Spiel, eines Systems, das alles – ohne Ausnahme – aus der Würde des Menschen, das heißt unserem Begriff der Ehre und des menschlichen Anstandes, ableitet." (S. 253)

Universell ist demnach nicht die "Würde des Menschen", universell ist – offenbar im Sinne einer anthropologischen Kategorie – die "Ehre", also eine Sozialkategorie, die der vormodernen, ständischen, ja eigentlich einer feudalen Gesellschaft angehört – eine Kategorie also, die bürgerlichem Selbstbewusstsein, das Di Fabio zu befördern vorgibt, nun gerade widersprechen sollte, zumal dann, wenn sie die Form des Nationalstolzes annimmt. Verrät doch der Nationalstolz, wie Arthur Schopenhauer so treffend beobachtete, "in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz seyn könnte, indem er sonst nicht zu Dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt."21

Offensichtlich zweifelt jedoch auch Di Fabio daran, dass der bloße Rückgriff auf die 50er Jahre und die bürgerlichen Tugenden von Leistung und Pflichterfüllung den erforderlichen Zusammenhalt in einer Gesellschaft zu leisten vermögen, der immer mehr eben jene Arbeit ausgeht, an der sich die Tugenden erst zu beweisen hätten. Dann aber droht das bereits von Hegel so treffend Beschriebene – der Ausschluss der Armen und deren "innere Empörung". Wenn aber in der Vergangenheit Ehre und Nationalstolz an die Stelle des von Schopenhauer diagnostizierten Mangels traten (auch und gerade weil bürgerliche Anerkennung aufgrund persönlicher Leistungen und Verdienste ausblieb), gewann bisher noch stets das reaktionäre Ressentiment die Oberhand und richtete sich die von Hegel beschriebene Empörung gegen die Andersartigen und Fremden.

Bei all seiner Widersprüchlichkeit liegt mit Di Fabios "Kultur der Freiheit" deshalb ein zwar in weiten Teilen pragmatisches, aber doch deutlich aliberales Manifest eines demokratischen Nationalkonservatismus vor – mit teilweise gefährlichen Implikationen. Es zu übergehen, wäre mehr als leichtfertig. Um nicht missverstanden zu werden: Di Fabios Traktat ist weder das Programm von CDU/CSU, noch dürfte zu erwarten sein, dass sich im konservativen Lager wirklich viele die Mühe machen werden, es zu studieren. Aber in diesem Buch ist minutiös niedergelegt, welche Optionen ein demokratischer Konservatismus in der Zukunft haben wird, der in allen derzeit im Bundestag vertretenen Fraktionen seine Befürworter findet. Die Linke sollte es deshalb dem Feuilleton keineswegs gleichtun und diesen Entwurf nicht rechts liegen lassen.

 

1 Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, München 2005; Verweise auf dieses Buch im Folgenden mit Seitenzahl im Text.
2 Heribert Prantl, in: "Süddeutsche Zeitung", 17.7.2005.
3 Patrick Bahners, in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 25.7.2005.
4 Hans-Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten?, München 2003.
5 Vgl. Micha Brumlik und Hauke Brunkhorst (Hg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1993.
6 Vgl. Daniel Bell, Die Zukunft der westlichen Welt, Frankfurt a. M. 1976; Brigitte Berger und Peter L. Berger, In Verteidigung der bürgerlichen Familie, Frankfurt a. M. 1984; vgl. auch Micha Brumlik, Die bürgerliche Familie – ihre Feinde und Verteidiger, in: Maria-Eleonora Karsten und Hans-Uwe Otto (Hg.), Die sozialpädagogische Ordnung der Familie, Weinheim und München 1996, S. 37-76.
7 Paul Berman, Terror und Liberalismus, Hamburg 2004; Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. "Heiliger Krieg" und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004.
8 Dazu vorbildlich unaufgeregt und nüchtern Franz-Xaver Kaufmann, Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, Frankfurt a. M. 2005.
9 Vgl. die Arbeiten Ulrich Becks und seiner Schule, z.B. Ulrich Beck, Was ist Globalisierung, Frankfurt a. M. 1997; vgl. auch Gerd Schmidt und Rainer Trinczek (Hg.), Globalisierung. Ökonomische und soziale Herausforderungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, "Soziale Welt", Sonderband 13, Baden- Baden 1999.
10 Vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Ingeborg Maus, zuletzt den dreiteiligen Beitrag Zur Verteidigung der Verfassungsprinzipien des "alten" Europa, in: "Blätter", 6/2005, S. 679-692; 7/2005, S. 829- 839; 8/2005, S. 965-979.
11 G.W.F. Hegel, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 mit einer Nachschrift, hg. von Dieter Henrich, Frankfurt a. M. 1983 , S. 195.
12 Ebd., S. 195, 196.
13 Ebd., S. 203.
14 John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1979, S. 256.
15 Zur weiteren Diskussion vgl. Kurt Bayertz (Hg.), Solidarität, Begriff und Problem, Frankfurt a. M. 1998; Hauke Brunkhorst, Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt a. M. 2002.
16 Ein systematisches Argument, warum dann nicht konsequenterweise mit demselben Freiheitsargument auch die Schulpflicht zur Disposition gestellt wird, sucht die Leserschaft allerdings vergeblich.
17 Vgl. Kaufmann, a.a.O., S. 177.
18 Besonders prägnant bei Karl Barth, Der Römerbrief, Zweite Fassung 1922, Zürich 1999, S. 89 f.
19 Evangelium des Matthäus, 25, 31-46.
20 Vgl. Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 3, Frankfurt a. M. 2005, S. 144 f.
21 Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, Zürich 1977, S. 394.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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