Ausgabe Juni 2007

Backlash am Bosporus

Nach fast fünf Jahren relativer Stabilität und jährlichen Wachstumsraten der Wirtschaft von über sechs Prozent ist die Türkei plötzlich wieder in der Krise. Was viele auswärtige Beobachter überraschte, hatte sich allerdings schon über Monate angekündigt. Manifest wurde die Krise mit dem „virtuellen Putsch“ der Militärs, die am 27. April kurz vor Mitternacht eine Erklärung auf ihrer Website veröffentlichten, die in der Türkei einen Schock auslöste. Kaum verklausuliert wurde da mit Putsch gedroht, falls die regierende moderat-islamische „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) weiterhin versuchen sollte, Außenminister Abdullah Gül zum neuen Präsidenten zu wählen. „Wir sehen einen elementaren Grundsatz des Staates, den Laizismus, gefährdet“, erklärten die Generäle und drohten damit, gegen die angeblichen Versuche einer Re-Islamisierung der Republik eindeutig Position zu beziehen.

Das Scheitern des EU-Beitritts

Auf den ersten Blick scheint die zeitliche Koinzidenz der Krise in der Türkei und der Wahl von Nicolas Sarkozy zum neuen französischen Präsidenten reiner Zufall zu sein. Bis zu einem gewissen Grad ist sie das auch. Die türkischen Generäle haben in der Tat nicht mit einem Putsch gedroht, weil sie annehmen mussten, dass zehn Tage später die Rechte in Frankreich die Wahlen gewinnen würde.

Sie haben etwa 12% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 88% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Verbrecherische Komplizen: Libyen und die EU

von Sigrun Matthiesen, Allison West

Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte der Seenotrettung: 20 Minuten lang beschoss am 24. August ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache die Ocean Viking, ein Rettungsschiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.