Ausgabe September 2010

Verfassungschutz tut not

Was spricht eigentlich dagegen, in einem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht Verstöße gegen Grundrechte sowie gegen andere, das Handeln der Staatsgewalt begrenzende Verfassungsnormen aufzulisten? In einem solchen Bericht könnte zum Beispiel auf solche Bundeswehreinsätze im Ausland hingewiesen werden, die das Friedensgebot des Art. 26 Grundgesetz verletzen. Auch könnte darin Erwähnung finden, dass der Bundesgesetzgeber in den letzten Jahren bereits zweimal die Elementarnorm der Unverletzlichkeit der Menschenwürde missachtet hat, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.[1]

Kundige wissen freilich, dass über solche Vorgänge in den jährlich erscheinenden, vom Bundesinnenministerium verantworteten Verfassungsschutzberichten kein Sterbenswörtchen zu finden ist.[2] Berichtet wird stattdessen ausführlich über das anstößige Treiben von „Extremisten“. Der auch in Publizistik und Wissenschaft weit verbreitete Begriff des „Extremismus“ erlaubt es, ihrem Wesen nach höchst unterschiedliche politische Aktivitäten mit ein und derselben Negativformel als illegitim abzutun.

Wer ein „Extremist“ ist, wird nicht nach rechtlichen Kriterien bestimmt, sondern nach der Distanz von der politischen „Mitte“, die jeweils die Politik der Regierenden definiert.

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