
Bild: Foto von Atommüllfässern in der Landschaft
Mit dem Versuchsreaktor Kahl in Unterfranken begann 1962 die Ära der kommerziellen Stromerzeugung durch Kernspaltung. 60 Jahre später soll damit Schluss sein: 2022 werden – so alles planmäßig läuft – die drei letzten Atomkraftwerke Lingen, Ohu und Neckarwestheim vom Netz gehen. Doch das dicke Ende kommt erst noch. Denn die Frage, wie und wo der Atommüll sicher endgelagert werden könnte, ist nach wie vor ungeklärt. Jahrelang haben die Stromkonzerne vom Betrieb der Atomkraftwerke profitiert, nicht zuletzt, weil es Milliardenbeträge für deren Förderung gab. Zurück bleiben der Atommüll und die radioaktiv verseuchten Atomreaktoren. Wie mit den strahlenden Hinterlassenschaften umgegangen wird, hängt entscheidend von der Finanzierung ihrer Entsorgung ab. Doch da endet offenbar die gesellschaftliche Verantwortung der Konzerne.
Die Finanzierung einer vergleichenden Endlagersuche, die Kosten für Bau wie Betrieb einer Atommülldeponie und die Rückbaukosten der Atomanlagen müssten – so sieht es eigentlich das Verursacherprinzip vor – von den Betreibern der Atomkraftwerke bezahlt werden. Dies ergibt sich aus dem Atomgesetz sowie dem Umwelt- und Handelsrecht. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sind deshalb dazu verpflichtet, Rückstellungen zu bilden. Diese belaufen sich derzeit auf gut 36 Mrd. Euro. Doch diese Rücklagen liegen nicht gesondert auf der Bank, sondern sind lediglich in deren Bilanz ausgewiesen. Sie sind reinvestiert, stehen also als cash flow gar nicht ohne weiteres zur Verfügung. Zudem hat die öffentliche Hand keine direkten Zugriffsrechte auf sie, was die Anti-Atom-Initiativen seit langem kritisieren.
Bad Bank für Rückstellungsmilliarden?
Als nun der Eon-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen Ende letzten Jahres einen radikalen Konzernumbau für das Jahr 2016 ankündigte, flammte die Debatte über eine mögliche Bad Bank des Unternehmens auf. Der Begriff Bad Bank stammt aus der Zeit der Bankenrettung 2010, als Finanzinstitute ihre faulen Kredite auslagerten – und sich dabei vom Staat stützen ließen. Eon kann den Verdacht nicht ausräumen, ein solches Modell auch für seine atomaren Altlasten anzustreben. Befürchtet wird, dass mit dem Umbau des Konzerns die in Zukunft unrentablen Geschäftsbereiche – Atom, Kohle und Gas – abgestoßen oder finanziell nicht ausreichend ausgestattet werden sollen. Dann bestünde die Gefahr, dass die Rückstellungen für die atomaren Hinterlassenschaften verloren gehen.
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel nennt es das „Geheimnis von Eon“, wie durch die Auslagerung von Atom, Kohle und Gas in Zukunft ausreichend Kapital für die atomaren Entsorgungskosten zur Verfügung stehen soll.[1] Auch die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn bezweifelt, dass eine ausgegliederte neue Gesellschaft für die nukleare Entsorgung genug Gewinn machen würde, um den Rückbau und die Endlagerung vollständig zu finanzieren. Teyssen weist indessen diese Kritik zurück. Das neue Unternehmen werde seine Verbindlichkeiten „vollständig bilanziell abdecken“ und „eine solide Finanzausstattung“ beider Unternehmen gewährleisten, sodass sämtliche Kapitalmarktverbindlichkeiten bei Eon verbleiben.[2]
Doch der Bundesrechnungshof rügte bereits 2011 die Intransparenz bei den Rückstellungen. Aktuell warnt er vor erheblichen finanziellen Risiken bei der Atommüllentsorgung. Da nicht vor dem Jahr 2031 entschieden sein wird, an welchem Standort in Deutschland ein Endlager für hochradioaktive Abfälle errichtet wird, entstehe ein „erhebliches Kostenrisiko” für die Stromkonzerne, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme für den Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags.[3] Da grundlegende Vorgaben wie etwa Baukosten, Zeitpunkt der Errichtung, Betriebskosten und Betriebszeit des Endlagers fehlen, ist eine verlässliche Kostenabschätzung gar nicht möglich. Daher kann auch niemand sagen, ob die bislang auf dem Papier zugesicherten 36 Mrd. Euro ausreichen werden.
Öffentlich-rechtlicher Atomfonds?
Neuen Diskussionsstoff lieferte jüngst ein Rechtsgutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums.[4] Unter dem Titel „Finanzielle Vorsorge im Kernenergiebereich – Etwaige Risiken des Status quo und mögliche Reformoptionen“ weisen die Autoren darauf hin, dass eine Weiterhaftung der Energieversorgungsunternehmen im Fall einer Konzernspaltung lediglich für fünf weitere Jahre besteht. Außerdem merken sie an, dass die Rückstellungen nicht insolvenzsicher sind, und warnen, es gebe nicht einmal eine ausreichende Bestimmtheit oder zeitliche Vorgabe für die Rückbaupflicht von Atomanlagen nach ihrer Stilllegung. Eon freilich ist sich dessen längst bewusst und – davon ist auszugehen – stellt sich genau darauf ein.
Umweltverbände und die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag werfen daher zu Recht die Frage auf, ob die Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sich ihrer Verantwortung für die Kosten der nuklearen Entsorgung überhaupt noch stellen wollen. In der Tat fällt es schwer, den Beteuerungen der Konzernvertreter weiterhin Glauben zu schenken. Dass hinter dem Konzernumbau Eons ein anderer Plan als die Auslagerung von Risiken an die Steuerzahler steht, ist äußerst unwahrscheinlich. Es bedarf deswegen dringend einer Debatte darüber, wie rechtlich sichergestellt werden kann, dass sich die Energiekonzerne nicht aus der Verantwortung stehlen können.
Vorschläge dazu gibt es längst. Jüngst hat Helmut Gaßner bei der Anhörung des Bundestags zum Thema Bad Bank und Atomrückstellungen vorgeschlagen, einen öffentlich-rechtlichen Atomfonds ins Leben zu rufen. Solange die Verhandlungsbereitschaft der Konzerne noch vorhanden sei und somit die Rückstellungsmilliarden abrufbar sind, sollte der Grundgedanke einer Bad Bank aufgegriffen werden. Dabei allerdings dürfe es nicht „um das billige Abschieben von jahrzehntelang angewachsenen Verantwortlichkeiten auf eine Bad Bank gehen; es müssen die Mittel zur Erfüllung langjähriger Zahlungspflichten auf einer Good Bank sichergestellt werden“.[5]
Seit Jahren fordern Anti-Atom-Initiativen genau dies: dass die Energieunternehmen ihre bilanziellen Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen, damit die Gelder vor Verrechnungen und Insolvenzen gesichert sind und der Staat Zugriff darauf hat. Dieser Fonds müsste allerdings mit einem größeren Risikopolster ausgestattet sein – und die Energieunternehmen dürfen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden, sich in der Zukunft an nicht unwahrscheinlichen Mehrkosten zu beteiligen.
Unwägbare Rückbaukosten
Denn bisher liegen nur wenig Erfahrungswerte über die Kosten vor, die für den Rückbau eines Atomkraftwerks zu veranschlagen sind. Nach der Stilllegung eines Atomkraftwerks wird der Reaktor nach einer gewissen Abklingzeit im besten Fall entweder vollständig zurückgebaut oder aber in den sogenannten sicheren Einschluss überführt. Dabei handelt es sich allerdings um einen irreführenden Euphemismus. Die gefährliche Strahlung verbleibt eingeschlossen an Ort und Stelle. Naturkatastrophen, Anschläge, Unfälle und Materialermüdung können sie jederzeit entweichen lassen.
Die anfallenden Kosten lassen sich nur schwer abschätzen. Die bisherigen Beispiele zeigen allerdings eins: Stets waren sie weit höher als veranschlagt. Einen wird es freuen: Die Rückbaubranche wittert bereits ein lukratives Geschäft. Ulf Kutscher, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Nukem Technologies, rechnet schon „zwischen 2016 bis 2018 in Deutschland mit zusätzlichen größeren Aufträgen“. Er prognostiziert je Atomkraftwerk Rückbaukosten „zwischen 200 und 900 Millionen Euro“.[6]
Der Rückbau unterliegt einem langwierigen Genehmigungs- und Entsorgungsprozess. Wenn das Kraftwerk abgeschaltet ist, kann damit noch längst nicht begonnen werden. Zunächst müssen die Brennelemente abklingen, was bis zu sieben Jahre dauern kann. Erst dann beginnen die eigentlichen, mühsamen Rückbauarbeiten, die Jahrzehnte dauern können: Schon 1995 startete das staatliche Unternehmen EWN den Abbau des DDR-AKWs Lubmin.[7] Bis heute sind die Arbeiten nicht abgeschlossen; nun sollen im kommenden Jahr alle Anlagen ausgeräumt sein. 1,8 Mio. Tonnen Abfall müssen dort entsorgt werden, ein Drittel davon ist radioaktiv verseucht. Der größte Teil der Abfälle kann so weit dekontaminiert werden, dass er nicht endgelagert werden muss. Nach der Demontage, Zerlegung und Zerkleinerung werden die AKW-Bauteile mit Wasser, Sandstrahlern und Stahlkugelstrahlern gereinigt. Ist ein Bauteil bei einer der Prüfungen belastet, kommt es zurück in die Dekontamination und muss den Kreislauf erneut durchlaufen. Rund drei Prozent der Bauteile bleiben schließlich stark radioaktiv. Dieser Müll muss gemeinsam mit den Brennelementen aus den Reaktoren dauerhaft gelagert werden. Zunächst im Zwischenlager vor Ort, später dann in einem Endlager. Die Kosten für den Rückbau der fünf Reaktorblöcke belaufen sich bislang auf rund 4 Mrd. Euro – und damit auf weit mehr, als für den Rückbau eines einzigen AKW derzeit angenommen wird.
Wie die Prognosen und tatsächlichen Kosten für den Rückbau eines Atomkraftwerks auseinander gehen, lässt sich auch am Beispiel des Siedewasserreaktors Würgassen verfolgen. Nach einer Pannenserie wurde das Kraftwerk bereits 1977 stillgelegt. Der Rückbau dauerte 17 Jahre. Ralf Güldner, Geschäftsführer von Eon Kernkraft, geht davon aus, dass Kernkraftwerke zukünftig in zehn bis elf Jahren zurückgebaut werden können. In Würgassen habe das lediglich deshalb länger gedauert, weil bei Siedewasserreaktoren zusätzlich das Maschinenhaus dekontaminiert werden müsse.[8] Statt der ursprünglich geschätzten 700 Mio. Euro kostete der Rückbau am Ende mehr als 1 Mrd. Euro, fünfmal mehr als der Bau des Atomkraftwerks.
Ungelöste Endlagerfrage
Dies alles zeigt: Mit den 36 Mrd. Euro wird man nicht weit kommen. Zudem stellen sich neben dem Rückbau der Atomkraftwerke noch andere Fragen, deren Beantwortung viel Geld kosten wird: Das gravierendste Problem der Atomenergie ist nach wie vor die ungeklärte Endlagerfrage.
Bisher konnten sich die Atomstromproduzenten bei den Kosten für die Endlagerung gut aus der Affäre ziehen. Sie wurden auf Grundlage der Endlagervorausleistungsverordnung nach einem diffizil austarierten Schlüssel lediglich für die Projekte „Schacht Konrad“ und das „Erkundungsbergwerk Gorleben“ zur Kasse gebeten. Die Kosten für den Umbau der ehemaligen Erzgrube Konrad und das Auffahren eines Bergwerks im Salzstock Gorleben belaufen sich bisher auf rund 2,7 Mrd. Euro. Schon jetzt tragen die Steuerzahler die Kosten für die Verfüllung des havarierten Endlagers Morsleben (Kostenschätzung 2,2 Mrd. Euro) und die Rückholung der Abfälle aus der Asse II (Kostenschätzung 6 Mrd. Euro). Noch völlig ungeklärt ist, ob die Konzerne überhaupt verpflichtet sind, auch für eine vergleichende Endlagersuche zu zahlen. Zu befürchten ist allerdings, dass die Abfallverursacher sich so lange nicht kümmern, wie kein rechtlich gesicherter Rahmen für den Atomrückbau wie die Endlagerung des nuklearen Abfalls geschaffen wird.
Mit dem Atomstrom haben die Konzerne viel Geld verdient. Ihre privilegierten steuerfreien Rückstellungen für den Rückbau von Atomanlagen und die nukleare Entsorgung sollten deshalb schrittweise in einen öffentlichen Fonds oder in eine öffentliche Stiftung umgeleitet werden. Doch ob das Geld reicht, ist tatsächlich zweifelhaft. Konservative Schätzungen gehen von einer benötigten Summe von mindestens 60 Mrd. Euro aus.[9] Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel wies im Oktober 2014 darauf hin, dass im Atomgesetz noch nicht einmal klar geregelt ist, dass ausgediente Atomkraftwerke zurückgebaut werden müssen. Deshalb fordert er zu Recht neue Regelungen: „Dazu gehört eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe ‚harter‘ Patronatserklärungen der Konzernmütter für ihre Atomkraftwerke betreibenden Töchter bzw. lückenlose Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge zwischen Betreibergesellschaften und ihren Mutterkonzernen über das Jahr 2022, dem derzeitigen Auslaufen der Solidarvereinbarung, hinaus.“[10]
Haftung sicherstellen
Während die Hinterlassenschaften der Atomtechnik über Tausende von Generationen gefährlich bleiben, sind Wissen und Erfahrungen an wenige Generationen gebunden. Die Politik der Konzerne zielt darauf ab, dass bei der Abwicklung der Atomenergie in den nächsten Jahrzehnten die Altlasten zunächst verstaatlicht und dann wegdefiniert oder einzelnen Orten und Regionen angelastet werden.
Dazu darf es nicht kommen: Nur mit einem öffentlichen Fonds oder einer öffentlichen Stiftung kann verhindert werden, dass sich die Konzerne aus der Verantwortung stehlen. So könnte man der schlechten Idee einer unterfinanzierten Eon-Bad-Bank doch noch etwas Gutes abgewinnen.
[1] Zit. nach Hendricks: „Verstaatlichung von AKW-Risiken kommt nicht in Frage“, www.verivox.de, 3.12.2014.
[2] www.manager-magazin.de, 1.12.2014.
[3] Vgl. „Capital“, 2/2015, S. 67.
[4] Die Studie liegt dem Autor vor.
[5] Deutscher Bundestag, Öffentliche Anhörung zum Thema Bad Bank – Atomrückstellungen, BT-Ds. 18/1959, 18/1465, am 4.3.2015, Stellungnahmen der Sachverständigen.
[6] Vgl. „Handelsblatt“, 30.7.2011.
[7] Vgl. „Handelsblatt“, 31.7.2013.
[8] Vgl. „Neue Westfälische“, 16.10.2014.
[9] Vgl. Anika Limbach, Poker um die atomare Hinterlassenschaft, www.klimaretter.info, 17.12.2014; Michael Müller, der Vorsitzende der Endlager-Such-Kommission des Bundestages, geht davon aus, dass die Kosten auf bis zu 70 Mrd. ansteigen könnten, vgl. Joachim Wille, Atomentsorgung wird noch viel teurer, in: „Frankfurter Rundschau“, 20.4.2015, S. 5.
[10] Bundesratsrede von Minister Wenzel zu Atom-Rückstellungen, www.umwelt.niedersachsen.de, 10.10.2014.