Seit Mitte des Jahres hat Estland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Aber nicht nur deshalb lohnt sich der Blick auf diese nordöstliche Peripherie der Union. Im kleinen Estland – nie gab es mehr als rund eine Million Esten – verdichtet und verschränkt sich europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts mit der Zeitgeschichte, inklusive all ihrer Probleme. Denn noch immer ist der Vertrag mit Russland über die Grenze von 1991 nicht ratifiziert, und damit ist diese EU-Außengrenze völkerrechtlich nicht gesichert. Spätestens seit dem Krieg in der Ostukraine und der Annexion der Krim wachsen daher die Ängste auch in Estland.
„Dem Kreml geht es darum, Grauzonen zu schaffen, mit militärischen Mitteln, mit Cyber-Angriffen, mit der Unterstützung extremer Parteien. Es werden Szenarien geschaffen, in denen Grenzen verschoben werden können“, so Eerik-Niiles Kross, Historiker und Anfang der 1990er Jahre erster und jüngster Botschafter in London, danach in Washington, anschließend Politiker und Unternehmer sowie fünf Jahre lang Chef des estnischen Geheimdienstes. Leidenschaftlich erstrebt er eine verstärkte militärische Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union.
Auch aus diplomatischen Kreisen hört man von Düsenjägern, die mit ausgeschaltetem Transponder über das Baltikum in die russische Enklave Kaliningrad und zurück fliegen.