
Bild: Die Autorin Tsitsi Dangarembga in der Frankfurter Paulskirche, 24.10.2021 (IMAGO / epd)
Wenn ich heute vor Ihnen stehe, fühle ich mich, wie ich mir vorstelle, dass sich Jona im Wal gefühlt haben muss. Verschluckt von einem großen Tier wie ein vorbeitreibendes Stückchen Plankton, gelandet in den Eingeweiden eines riesigen Säugetiers, ohne zu wissen, wie er einen Weg hinaus aus dem großen aufgewühlten Magen finden soll, aber wohl wissend, wie das Ergebnis des Verdauungsprozesses aussieht, und deshalb ist er zwar dankbar, dass er nicht mehr in der tobenden See herumgeworfen wird, aber auch äußerst aufgeregt.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021 ist für mich Grund zu ähnlich großer Aufregung in meinem Leben. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal an diesem schönen Ort in Frankfurt stehen würde, einer Stadt in einem Land, das für mich immer die starke Nabelschnur des Westens war, um den wichtigsten Preis des deutschen Buchhandels entgegenzunehmen. Deshalb bin ich überrascht, heute vor Ihnen zu stehen. Gleichzeitig bin ich über die Entwicklung der Ereignisse hocherfreut und fühle mich geehrt. Ich bin meinem Verlag, dem Orlanda Verlag, dankbar, der mein Werk zuerst veröffentlicht und dann nominiert hat; und ich danke der Jury, die meiner Stimme positiven Wert zuerkannt hat, einer Stimme aus dem Teil der Welt, der so oft als das „Andere“ beschrieben und so oft mit negativen Konnotationen belegt wird.
Auf diesem Planeten leben sieben Milliarden Menschen. Ich gehöre jetzt zu den wenigen von diesen vielen, die verstehen, was für ein großes Privileg es ist, sich an einem Ort zu befinden, an den mich nicht einmal die Phantasie hätte versetzen können.
Simbabwe – der Staat, aus dem ich komme – hat nie Frieden gekannt. Unterschiedliche Formen institutionalisierter Gewalt wurden von weißen Körpern gegen schwarze Körper ausgeübt, als die britischen Siedler kamen, um das Land zu besetzen. Mitglieder der Britischen Südafrika-Gesellschaft, der privaten Gesellschaft, die Cecil Rhodes 1889 gründete und deren Mitglieder Vorreiter des britischen Empires waren, bedienten sich brutaler Praktiken, um die örtliche Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen.
Cecil Rhodes‘ Pionier-Kolonne von 500 Männern, ausgestattet mit einem Arsenal an Waffen, darunter Maxim-Maschinengewehre, marschierte in das Gebiet ein, das heute Harare ist, die Hauptstadt von Simbabwe, um das Land 1893 formell für das britische Empire zu annektieren. Nach der Ankunft der Invasoren bestand ein ökonomischer Gewaltakt darin, schwarzen Menschen für die Häuser, in denen sie lebten, eine Geldsteuer aufzuerlegen. Die Bevölkerung nutzte damals keine Geldwirtschaft, und so wurde sie von der Siedlergemeinschaft dazu gezwungen, unter den von den Siedlern festgelegten Bedingungen zu arbeiten, um das für die auferlegte Steuer benötigte Geld zu verdienen. Eine andere Form ökonomischer Gewalt waren unterschiedliche Preise für die gleichen landwirtschaftlichen Produkte, abhängig von der Hautfarbe des Produzenten, wobei schwarzen Produzenten weniger bezahlt wurde als weißen.
Zudem gab es Beschränkungen bei den Waren, mit denen Schwarze handeln durften. Auch was die Ernährung betraf, wurde von den Siedlern Gewalt ausgeübt, indem sie traditionelle kleine Getreidesorten zugunsten des weniger nährstoffreichen Mais verdrängten, den die europäischen Siedler eingeführt hatten. Metaphysische Gewalt beinhaltete die Verunglimpfung von präkolonialen Glaubensvorstellungen und anderen symbolischen Systemen, wie religiösen, politischen, Rechts-, Wissens- und Sprachsystemen. Die metaphysische Gewalt war Teil einer vorsätzlichen britischen Strategie zur Erschaffung eines metaphysischen Imperiums. Und hier in Deutschland sieht man das auch insofern, als sich immer mehr Englisch in die Sprache einschleicht.
Schwarze Körper wurden unterschiedlichen Formen der Gewalt unterzogen, als sich der neue Staat der Siedler etablierte. Dazu gehörten das Verbot schwarzer politischer Parteien, Polizeibrutalität, juristische Schikanen, Entführung, Haft und Folter. Die gewaltsame Verweigerung von Freiheit wurde in Gesetzen festgeschrieben, die unter anderem bestimmten, wo schwarze Menschen wann sein durften, wo schwarze Körper Unterricht erhalten konnten, wo ein schwarzer Körper Land kaufen oder Landwirtschaft betreiben durfte und welche alkoholischen Getränke ein schwarzer Körper wo kaufen oder trinken durfte.
1965 erklärten die britischen Siedler des Landes, das jetzt Rhodesien genannt wurde, ihre Unabhängigkeit von Großbritannien. Die Unabhängigkeitserklärung der weißen Bevölkerung war eine Reaktion auf die britische Politik der Dekolonialisierung durch Verhandlungen mit den Kolonien, die in den 1950er Jahren ihren Anfang nahm. Diese neue Politik war ihrerseits die Reaktion des Empires auf Unruhen in den Kolonien, wo politisch für die Unabhängigkeit nach dem Mehrheitsprinzip gekämpft wurde. Da das Mehrheitsprinzip in einem überwiegend schwarzen Staat die Herrschaft der Schwarzen bedeutet hätte, handelte die weiße Siedlergemeinschaft von Rhodesien, um genau das zu verhindern, indem sie einseitig die Unabhängigkeit von Großbritannien erklärte.
Die Sterilisation schwarzer Frauen als eine Politik der Geburtenkontrolle
Schwarze Agitation für das Mehrheitsprinzip wurde nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der weißen Siedler von 1965 fortgesetzt. Neue Formen ethnisch determinierter Gewalt wurden angewandt. Zum Beispiel fürchtete der Siedlerstaat, von einer rasch anwachsenden schwarzen Bevölkerung überschwemmt zu werden, und führte insgeheim eine Politik der Geburtenkontrolle ein, wie die Sterilisation fruchtbarer schwarzer Frauen ohne deren Einverständnis. Zugleich veranlasste das Bemühen, die weiße Bevölkerung im Land zu behalten, den Siedlerstaat, repressive Regulierungen einzuführen, um die Emigration weißer Bürger zu verhindern.
Simbabwe war schon immer ein gewalttätiger und repressiver Staat. Infolge dieser Geschichte war Simbabwe bei seiner Unabhängigkeit 1980 ein gewaltbereiter alter Siedlerstaat, dessen Zeit vorbei war. Der neue Nationalstaat, entstanden durch einen brutalen Freiheitskampf, in dem von beiden Seiten Gräueltaten verübt wurden, auf die ich hier nicht eingehen kann, war ebenso gewalttätig. Die militaristische Rhetorik konzentrierte sich auf Konflikte, Feindschaft und Feindseligkeit, und das ist die Philosophie, die bis zum heutigen Tag die simbabwische Obrigkeit beherrscht. Widersacher und Feinde sind alle Entitäten, auch die Bürger Simbabwes und ihre Organisationen, die sich den Wünschen der Militärherrscher nicht fügen. Klagen über Einschüchterung und Folter durch die Zanu-PF begannen bereits 1980, dem Jahr der Unabhängigkeit. Ein ganzer Völkermord wurde ein paar Jahre später vom Rest der Welt übersehen. Seitdem flackert Gewalt, die sich der grausamen Taktiken des Freiheitskampfs bedient, immer dann auf, wenn Macht angefochten wird, normalerweise zu Zeiten von Wahlen, doch auch bei anderen Gelegenheiten.
Die prägende Gewalt des simbabwischen Staats ist kein isoliertes historisches Ereignis. Der größere Teil der Welt hat die facettenreiche Gewalt des westlichen Imperiums erlitten, wie ich sie im Fall Simbabwes beschrieben habe. Diese Gewalt ist üblich bei allen imperialen Unternehmungen des westlichen Viertels der Welt im Rest der Erde, ein Prozess, der im 15. Jahrhundert begann. Ja, in manchen Fällen wie zum Beispiel dem der USA, war der Prozess noch gewaltsamer, wobei ganze Völker durch Genozid ausgelöscht wurden. Wir sollten also nicht überrascht sein, dass Gewalt – physische, psychologische, politische, ökonomische, metaphysische und genozidale – zu oft in postkolonialen Ländern an der Tagesordnung ist. Diese Arten der Gewalt sind in die Strukturen der globalen Ordnung, in der wir leben, integriert und wurzeln in den Strukturen des westlichen Imperiums, dessen Anfänge sich vor über einem halben Jahrtausend bildeten. Das heißt, dass der Westen mit all seiner Technologie, seinen Überzeugungen und seiner Praxis auf vielfachen weiterhin praktizierten Formen der Gewalt aufgebaut ist, die er in den Rest der Welt exportiert hat und die jetzt in postkolonialen Staaten so eifrig praktiziert werden wie zuvor in imperialen und kolonialen Staaten.
Konflikte im imperialen Kerngebiet
Es liegt auf der Hand, dass Frieden unter diesen Bedingungen nicht gedeihen kann. Nur Gewalt gedeiht unter den Bedingungen von Gewalt. Es ist wohlbekannt, dass Gewalt weitere Gewalt erzeugt, und das sehen wir heute auf der ganzen Welt, auch in den Heimatstaaten des Imperiums. Imperiale Gewalt schuf Bedingungen, die viele Menschen veranlassten, ihre Heimat zu verlassen und in imperiale Länder zu migrieren. Das gefällt den Bürgern imperialer Staaten nicht und sie üben auf mehrfache Weise Gewalt aus gegen die Körper von Migranten, darunter institutionelle Gewalt, die als administrative Notwendigkeit gerechtfertigt wird, eine Rechtfertigung, wie sie auch in kolonialen Zeiten geläufig war. Zur gleichen Zeit legen sich in imperialen Nationen Bürger, die einen hoch entwickelten Sinn für Frieden und Gerechtigkeit haben, mit Partnerländern an, die Gewalt gegen Migranten ausüben. Die Folge sind Konflikte innerhalb des imperialen Kerngebiets. Heute haben wir ein herausragendes Beispiel dafür gesehen, obwohl herausragend vermutlich nicht das richtige Wort ist. Aber es ist so. Es ist eindeutig eine No-win-Situation. Was sollen wir also tun, um Frieden zu fördern? Die globale Struktur, die diese Art von Gewalt geschaffen hat, kann nicht einfach aufgelöst werden. Die über sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten sind heute alle mit diesem globalen System verbunden und darin eingebettet.
Hier ist eine Antwort, und ich glaube, dass die Antwort einfacher ist, als wir vielleicht denken. Die gewaltsame Weltordnung, in der wir heute leben, wurde von gewissen hierarchischen Denkweisen etabliert. Die Lösung ist, ethnisch determinierte und andere hierarchische Denkweisen abzuschaffen, die auf demographischen Merkmalen wie sozialem und biologischem Geschlecht, Religion, Nationalität, Klassenzugehörigkeit und jedweden anderen Merkmalen beruhen, die in der gesamten Geschichte und überall auf der Welt die Bausteine des Imperiums waren und noch immer sind.
Von unseren derzeitigen globalen Ausgaben fließt viel Geld in die Beeinflussung von Gruppenverhalten. Disziplinen wie Marketing und Betriebswirtschaft, Politik und Werbung werden in der ganzen Welt gelehrt. In diesen Kursen wird den Studentinnen und Studenten beigebracht, eine Zielgruppe zu definieren, indem man eine Population anhand einer Reihe demographischer Merkmale segmentiert. Die Bedürfnisse dieser Population werden dann manipuliert, wobei der Zweck der Manipulation nicht das Wohl der betroffenen Personen oder die Verbreitung von Frieden ist, sondern etwas zu maximieren, das wir Profit nennen. Dieser kann finanzieller, politischer, sozialer oder anders gearteter Profit sein.
Doch diese Sache, die wir Profit nennen, gibt es nicht. Absolut gesehen ist das Konzept des Profits ein Trugschluss. In menschlicher Hinsicht und in der Welt, in der wir physisch leben, sind Ereignisse und Dinge in Zeit und Raum verortet. Ein Wert, der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort erscheint, ist ein Wert, der aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort abgezogen wurde. Ein System, das auf Profit basiert – darauf, mehr zu erhalten, als man gibt – ist ein System der Ausbeutung. Ein System, das auf der einen Seite Konzentration und auf der anderen Seite ein Defizit erzeugt, ist ein System des Ungleichgewichts. So ein System ist notwendigerweise instabil und deshalb auch nicht nachhaltig. Wie ist es möglich, dass wir in ein instabiles, nicht nachhaltiges System investieren, das uns zwangsläufig in den Untergang führt?
Ich zweifle, also denke ich, also bin ich
Vor knapp 400 Jahren schrieb ein Franzose eine lange Abhandlung über die Natur der Gewissheit, das heißt über Erkenntnis ohne Zweifel. Einen Satz davon kennen wir alle. Es ist der Satz „Ich denke, also bin ich“, einer der berühmtesten und bekanntesten Sätze der westlichen Philosophie. In dieser Konzeptualisierung der Welt ist „Ich denke“ der einzige unwiderlegbare Beweis, den eine Person von ihrer Existenz hat. Alle anderen Beweise könnten falsch sein. „Ich denke“ bezeugt das „Ich bin“ oder die Existenz einer Person, und dieser Grundsatz wurde als „Ich denke, also bin ich“ formuliert.
Für mich, die ich das Glück hatte, dass mir seit meiner Kindheit neben dem westlichen noch ein anderes Erkenntnissystem zugänglich war, mehr aufgrund von Erfahrungen als intellektuell, sind die Gefahren dieser Epistemologie unübersehbar. Erstens ist dieser berühmte Satz, wie weithin anerkannt, nur eine kurze Version dessen, was ursprünglich formuliert wurde. Die ursprüngliche Formulierung bezog die nützliche Natur des Zweifels beim Zustandekommen von Wissen mit ein: Ich zweifle, also denke ich, also bin ich. Aber genau die Denkprozesse, die eigentlich Erkenntnis durch Zweifel gewinnen sollten, weigerten sich zu zweifeln und optierten stattdessen für die Gewissheit von „Ich denke, also bin ich“ – die Version, die heute allgemeine philosophische Währung ist.
Was bewirkt diese allgemeine philosophische Währung? Denken heißt, ein Selbstgespräch zu führen. Ein Selbstgespräch besteht einerseits aus einem Prozess – wie sprechen wir mit uns – und andererseits aus dem Inhalt – was sagen wir uns. Den Prozess des eigenen Denkens oder Selbstgesprächs mit Sein gleichzusetzen, führt zu mehreren Fehlern in unserer Erkenntnis. Zwei von ihnen möchte ich erwähnen, die besonders relevant sind für mein Gefühl, wie Jona im Wal zu sein. Beide Fehler nehmen Bezug auf Unterschiedlichkeit.
Betrachten wir einen Geist, der nicht unser eigener ist. Nehmen wir an, dass dieser Geist, der nicht unser eigener ist, einen anderen Inhalt hat als unserer; oder dass er ein anderes System benutzt, um Inhalt aufzurufen und zu arrangieren und somit Bedeutung herzustellen; oder dass er sich von unserem eigenen Geist sowohl durch den Inhalt als auch durch die Denkweise unterscheidet. Diejenigen, die glauben, dass in der Welt zu sein und in der Welt zu erkennen auf dem „Ich denke“ beruhen, können sehr leicht zu dem Schluss kommen, dass ein Geist, der sich anderer Inhalte und anderer Prozesse der Kombination von Inhalten bedient, überhaupt nicht denkt und also überhaupt kein „Ich“ darstellt.
Nehmen wir nun an, dass dieser Geist, der nicht der eigene ist, einen Körper hat. Es ist leicht zu verstehen, dass dieses körperliche Wesen, das nicht man selbst ist, das nicht so denkt wie man selbst und von dem es deswegen heißt, dass es nicht denkt, sehr wahrscheinlich in uns die Schlussfolgerung „Es denkt nicht, also ist es nicht“ aufruft. Da jemand, der „Ich denke, also bin ich“ denkt, sich selbst als Mensch betrachtet, wird jemand anderes, der anders denkt, als nicht wie ich oder nicht als Mensch wahrgenommen. Wie wir wissen, hat die Aberkennung des menschlichen Werts anderer Menschen den Effekt, den menschlichen Wert zu erhöhen, den wir uns selbst zuschreiben; und wir wissen auch, dass dieser Mechanismus der differenziellen Zuschreibung von Menschlichkeit für einen Großteil der Gewalt verantwortlich ist, mit der die Menschen einander heimsuchen.
Ich weise darauf hin, nicht um die Aufklärung zu diskreditieren. Es fällt mir, die keinen persönlichen direkten Bezug zur Geschichte Europas und ihrem Narrativ hat, sehr schwer, mir vorzustellen, wie das Leben während des dunklen Mittelalters war und wie sehr die gedankliche Revolution, die die Aufklärung war, gebraucht wurde. Mir geht es darum, meine Stimme denen hinzuzufügen, die sagen, dass die Aufklärung der vergangenen Jahrhunderte abgelaufen ist und wir alle auf diesem Planeten heute dringend eine neue Aufklärung brauchen.
»Ich bin, weil du bist« oder »Mir geht es gut, wenn es dir gut geht«
Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre und Jahrhunderte reichen nicht aus. Sie haben uns nicht gerettet. In meinem Teil der Welt war der Kern unserer Lebensphilosophie die Idee „Ich bin, weil du bist“, jetzt als Philosophie des Ubuntu anerkannt. Diese Philosophie wird noch immer in Begrüßungen wie „Mir geht es gut, wenn es dir gut geht“ ausgedrückt, aber auch diese Philosophie hat uns nicht gerettet. Wir müssen neue Gedanken entwickeln, sie aus den Ecken des Universums ziehen, wo sie entstehen, um den Paradigmenwechsel zu bewirken, der unsere Art und Weise bestimmt, wie wir Erkenntnis erlangen, Wert und Bedeutung zuschreiben, die für unser Überleben notwendig sind, während unsere Ozeane verschmutzen, die Ozonschicht dünner wird, sich das Klima wandelt, Temperaturen und Meeresspiegel ansteigen, trotz des wissenschaftlichen Fortschritts Krankheiten wüten, Hunger herrscht und schwarze Körper im Meer ertrinken auf dem Weg zu denen, die zuerst zu ihnen segelten, und in dieser Zeit immer wieder zum Opfer dessen werden, was Fortschritt genannt wird.
Es wird keine Wunderheilungen für unsere gedanklichen Fehler geben. Was wir tun können, ist, unsere Denkmuster zu verändern, Wort für Wort, bewusst und beständig, und daran festzuhalten, bis wir Ergebnisse sehen in der Weise, wie wir Dinge tun und welche Folgen sich daraus ergeben. Ich möchte vorschlagen, dass eine Möglichkeit, wie die Menschen in Deutschland dazu beitragen können, darin besteht, das Denken über das N-Wort zu verändern.
Ich habe gehört, dass es hier weiterhin einen Streit gibt über die Natur des N-Worts und ob es an sich schon gewalttätig ist. Die, die sich dafür entscheiden, es weiter zu verwenden, berufen sich nur auf einen faktischen Inhalt. Zugleich bezeugen die, die mit dem N-Wort bezeichnet werden, und auch deren Fürsprecher und Fürsprecherinnen hier im Lande die gewaltsame Natur des N-Worts. In diesen Fällen haben wir die Wahl, ob wir das „Ich“ von „Ich denke“ hochschätzen oder über das „Ich“ hinausschauen zu dem „Wir“ im Inhalt unserer Gedanken. Über das „Ich“ hinauszuschauen zum „Wir“ könnte zu horizonterweiternden Neuformulierungen des Satzes des Franzosen führen, zum Beispiel zu „Wir denken, also sind wir“ oder sogar zu „Wir sind, also denken wir“, und mit Letzterem den Ort der Hochschätzung vom rationalen „Denken“ zum empirischen „Sein“ verschieben.
Das Gefühl, mich im Bauch des Wals zu befinden, betrifft vielleicht nicht nur mich. Mir wird zunehmend klar, dass wir alle im Bauch des Wals unseres derzeitigen Paradigmas sind. Im Gegensatz zu Jona werden wir nicht ausgespuckt werden, da wir das Paradigma, in dem wir leben, selbst geschaffen haben. Wir haben es mit unseren Entscheidungen konstruiert, gemäß dem, was wir für Erkenntnis und Gewissheit halten. Wenn überhaupt werden wir dort nur durch unsere eigene Entscheidung herauskommen, diese Konstruktionen zu zerlegen und nachhaltige andere zu bauen.
Unsere Entscheidung, was und wie wir denken, ist letztlich eine Entscheidung zwischen Gewalt oder Frieden fördernden Inhalten und Narrativen. Das gilt in gleichem Maße, wenn wir diese Inhalte und Narrative in Gedanken nur für uns selbst formulieren, und auch, wenn wir sie anderen um uns herum mitteilen. Beides ist fruchtbar.
Die Beziehung zwischen Gedanken, Narrativen, Gewalt und Frieden ist es, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels so bemerkenswert macht. Der deutsche Buchhandel würdigt, dass Symbole, die Wörter, die in Büchern stehen, in unseren Gedanken aktiv werden und sie beeinflussen – mit der Folge, dass die Wörter, die in Büchern stehen, eine Rolle in der Ausbildung unserer Tendenzen zu entweder Frieden oder Gewalt spielen können. Der deutsche Buchhandel hat sich entschieden, die Inhalte, Wörter und Narrative zu ehren, die ein friedliches Verstehen der Unterschiede, die wir zwischen uns wahrnehmen, fördern.
Dass jemand wie ich, die in nicht so ferner Vergangenheit aufgrund von demographischen Kriterien im schlimmsten Fall als nicht denkend, im besten Fall als nicht auf eine wertvolle Weise denkend und deshalb auf nicht wertvolle Weise existierend kategorisiert wurde, heute diesen Preis erhält, bezeugt die Fähigkeit zum Wandel, die wir Menschen haben. Und so möchte ich enden, indem ich uns allen eine glückliche, Paradigmen wechselnde Lektüre wünsche, die eine positive Hinwendung zum Frieden bewirkt, für den sich der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels so hervorragend einsetzt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Diese Rede hielt die Autorin bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 24. Oktober 2021 in der Frankfurter Paulskirche; die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Anette Grube. Weitere Informationen sind unter www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de abrufbar. Alle Reden der Preisverleihung sind zudem in dem Buch „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021 – Tsitsi Dangarembga. Ansprachen aus Anlass der Verleihung“ erschienen, herausgegeben vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Verlag MVB GmbH.