Ausgabe Januar 2021

Jemen oder der Krieg ohne Ende

Ein Mann, der sein linkes Bein bei einer Explosion verloren hat, sitzt auf einem Stuhl im Rehabilitationszentrum in Sanaa, Jemen, am 2. Dezember 2020 (imago images / Xinhua)

Bild: Ein Mann, der sein linkes Bein bei einer Explosion verloren hat, sitzt auf einem Stuhl im Rehabilitationszentrum in Sanaa, Jemen, am 2. Dezember 2020 (imago images / Xinhua)

Als vor zehn Jahren der „Arabische Frühling“ begann, kannten die Hoffnungen auch und gerade in den westlichen Demokratien keine Grenzen. Doch anstelle der erhofften Freiheit und Liberalisierung obsiegten die autoritären Regime. Und hinzu kam ein massiver Verfall der Staatenwelt im Nahen Osten. Ein besonders großes Problem stellt dies für das angrenzende Europa dar. Besonders deutlich wurde dies während der Flüchtlingskrise von 2014 bis 2016, als fast 1,5 Millionen Menschen aus der weiteren Region nach Deutschland kamen.

Es ist kein Zufall, dass die größten Kontingente aus Ländern wie Syrien und dem Irak (und auch aus Afghanistan) stammen, in denen der eigentliche regionale Zentralkonflikt mit besonders großem Einsatz ausgetragen wurde – nämlich die Auseinandersetzung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Dieser Konflikt beeinflusste alle anderen Ereignisse – und sorgte, indem er die ganze Region erschütterte, dafür, dass zahlreiche islamistische Terroristen mit den Flüchtlingen unkontrolliert in die EU gelangen konnten. Insofern ist es ausgesprochen fraglich, ob die Anschläge von Paris, Brüssel, Berlin, Barcelona und Manchester auch geschehen wären, ohne dass Iran und Saudi-Arabien ihren Konflikt in Syrien, im Irak und im Libanon ausgetragen hätten.

Die brutalste Auseinandersetzung findet jedoch noch immer fast im Windschatten der Weltgeschichte statt, nämlich im Jemen. Seit bald sechs Jahren wird im Süden der Arabischen Halbinsel ein erbitterter Krieg geführt, an dem und an dessen Folgen weit über 100 000 Menschen gestorben sind – laut Vereinten Nationen die „größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart“. Ginge es dabei nur um den Jemen, das ärmste aller arabischen Länder, wäre die Auseinandersetzung vermutlich längst beendet. Doch dahinter verbirgt sich die Auseinandersetzung um die regionale Vorherrschaft – eben zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien.

Der eigentliche Krieg begann im März 2015, als Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) im Jemen intervenierten, um die Huthi-Rebellen aus der Hauptstadt Sanaa zu vertreiben. Die Rebellen waren nur ein halbes Jahr früher, im September 2014, aus dem Norden kommend in Sanaa einmarschiert. Der dahinterliegende Konflikt ist allerdings wesentlich älter.

Schon lange vor dem Arabischen Frühling war der Jemen ein scheiternder Staat, dessen Regierung immer weniger in der Lage war, die wachsenden Probleme des Landes zu lösen. Seit 1978 – und bis 2012, nach dem Ausbruch der Arabellion – herrschte Präsident Ali Abdallah Salih trotz einer demokratischen Fassade hoch autoritär. Seine Macht beruhte neben seiner Kontrolle über die Armee und die Sicherheitskräfte auf weitverzweigten Patronagenetzwerken, in die auch die nach wie vor starken Stämme des Landes eingebunden waren. Loyalität wurde mit politischem oder wirtschaftlichem Einfluss und oft auch ganz einfach mit hohen Geldbeträgen erkauft.

Doch in den 2000er Jahren wurde es immer schwieriger, das System aufrechtzuerhalten, weil es dem ärmsten aller arabischen Länder an Geld fehlte. Obwohl der Jemen nur über wenig Öl verfügt, bestritt er in den Jahren vor den Protesten rund 75 Prozent seines Haushalts aus Öleinnahmen. Die Produktion ging jedoch stetig zurück – von rund 440 000 Barrel pro Tag 2001 auf nur noch rund 300 000 Barrel pro Tag 2008 –, so dass abzusehen war, dass bald überhaupt kein Öl mehr gefördert werden würde. Gleichzeitig stiegen die Staatsausgaben allein aufgrund der rasant wachsenden Bevölkerung: Sie nahm um jährlich über drei Prozent zu, von 20,7 Millionen im Jahr 2005 auf 28 Millionen im Jahr 2019.

Seit den 2000er Jahren wuchs der Widerstand gegen die Zentralregierung an drei Fronten: Im ehemaligen Südjemen bereitete eine separatistische Bewegung seit 2007 immer größere Schwierigkeiten. Ursache dafür war die Vereinigung von Nord- und Südjemen 1990, die sich rasch als feindliche Übernahme durch Sanaa entpuppte – südjemenitische Politiker wurden systematisch entmachtet. Nachdem der Norden den kurzen Bürgerkrieg 1994 für sich entschieden hatte, festigte Präsident Salih seine Herrschaft in den Südprovinzen, indem er südjemenitisches Personal aus dem öffentlichen Dienst, den Sicherheitsbehörden und der Armee entfernen ließ.

Die Unzufriedenheit im Südjemen nahm in den folgenden zwei Jahrzehnten weiter zu, die Bewohner beklagten ihre prekäre wirtschaftliche Situation, da sie von Zuwendungen des Regimes ausgeschlossen waren. Nach ersten Demonstrationen 2007 erstarkte die „Südbewegung“ (arabisch al-Hirak al-Janubi), die zunächst nur ein Ende der politischen und wirtschaftlichen Vernachlässigung des Südens forderte. Als die Sicherheitskräfte mehrfach gegen Proteste vorgingen und einige Demonstranten töteten, Berichte über willkürliche Verhaftungen und Folter publik wurden und führende Köpfe festgesetzt wurden oder untertauchten, radikalisierte sich die Bewegung. Seit 2008 forderte sie mehrheitlich einen eigenen südjemenitischen Staat.

Gleichzeitig erstarkte in dem von Unruhen erschütterten Südjemen die örtliche Filiale der Al Qaida. Jemeniten hatten in der Terrororganisation seit den 1990er Jahren eine wichtige Rolle gespielt. Nun profitierten sie davon, dass nach dem Scheitern der Terrorkampagne der saudi-arabischen Al Qaida 2006 viele Dschihadisten aus dem Königreich ins Nachbarland auswichen. So wurde die im Januar 2009 neu gegründete Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel zu einem gemeinsamen Projekt jemenitischer und saudi-arabischer Islamisten, die die Regime in Sanaa und Riad bekämpften.

Das größte Problem der jemenitischen Regierung war aber der Bürgerkrieg mit den Huthi-Rebellen aus der Provinz Saada im Norden. Die Familie Huthi gehört zu den Zaiditen, die im Jemen heute 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung stellen. Diese sind zwar Schiiten, stehen dem Sunnitentum aber weitaus näher als die anderen schiitischen Glaubensrichtungen. Die Mitglieder der Huthi-Familie sind außerdem Sayyids, die beanspruchen, vom Propheten Muhammad abzustammen. Gemeinsam mit weiteren Sayyid-Familien bildeten sie zwischen dem späten 9. Jahrhundert und 1962 die adelige Führungsschicht des Jemen. Deren prominenteste Familien – zu denen die Huthis allerdings nicht gehörten – stellten die Imame genannten Herrscher. Diese verloren mit der Revolution von 1962 die Kontrolle über den Jemen und konnten sie auch im folgenden Bürgerkrieg bis 1967 nicht wiedergewinnen. Seitdem wurden sie im politischen System des neuen Jemen an den Rand gedrängt und übten nur noch im äußersten Norden Einfluss aus.

Die Huthis übernehmen die Macht

Seit Ende der 1990er Jahre traten die Huthis als Vertreter aller nordjemenitischen Zaiditen auf. Obwohl sie auch mehr politische Mitsprache und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse forderten, verlangten sie vor allem kulturelle und religiöse Rechte. Die Zaiditen sahen diese vor allem durch Saudi-Arabien gefährdet, das ab den 1980er Jahren salafistische Missionare – also Anhänger jener sunnitischen Schule, die einen besonders rückwärtsgewandten und schiitenfeindlichen Islamismus vertritt – in den Nordjemen schickte, die dort ein dichtes Netz von Religionsschulen gründeten. Die bekannteste wurde die Schule in Dammaj nahe Saada, die zu einem Sehnsuchtsort vieler Salafisten weltweit und zum Zentrum der Mission im Nordjemen wurde.

Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Zaiditen und Salafisten. Trotzdem unterstützte die Zentralregierung in Sanaa das Vorgehen der Saudis und ihrer salafistischen Verbündeten, da sie die politische Konkurrenz der führenden zaiditischen Familien fürchtete und sie weiter schwächen wollte. Die Zaiditen starteten daraufhin schon in den 1990er Jahren unter dem Namen „Gläubige Jugend“ (arabisch ash-Shabab al-Mu’min) ihre eigene Reformbewegung, die traditionelles zaiditisches Gedankengut verbreitete und gegen Saudi-Arabien und die mit ihm verbündeten USA protestierte. Zu ihrem bekanntesten Anführer wurde ab 2000 Husain al-Huthi, der sich immer offener gegen die Regierungspolitik stellte. Die von den Huthis viel genutzte Parole „Gott ist groß, Tod für Amerika, Tod für Israel, der Fluch über die Juden, der Sieg für den Islam“ entstand damals; sie verbreitete sich massiv nach den Angriffen auf das World Trade Center am 11. September 2001, als Präsident Salih von der Bush-Administration dazu gedrängt wurde, bei der Bekämpfung von Al Qaida mit den USA zusammenzuarbeiten. Bei einer militärischen Strafaktion in der Provinz Saada wurde Husain al-Huthi gefangen und noch vor Ort hingerichtet.

Präsident Salih stellte die Rebellen von Beginn an als Terroristen dar und – mit Verweis auf ihre schiitische Identität – als Agenten des schiitischen Iran. Die saudi-arabische Führung schloss sich dieser Lesart des Konfliktes an und unterstützte Saleh. Schon ab Ende der 1990er Jahre gingen die Huthis dazu über, eine politische Bewegung mit bewaffnetem Arm aufzubauen. 2004 begannen dann offene Kämpfe zwischen diesen Milizen und den Truppen des Regimes, die nach mehreren Waffengängen 2010 unentschieden endeten, aber den Norden zunehmend verwüsteten. Im November 2009 führte das saudi-arabische Militär sogar einen kurzen Grenzkrieg, in dem sich erstmals zeigte, dass die Huthis auch im Kampf gegen waffentechnisch und zahlenmäßig überlegene Gegner bestehen konnten. Und als die Proteste des Arabischen Frühlings auch den Jemen erreichten, musste Präsident Saleh im Februar 2012 abtreten. In den anschließenden Wirren erstarkten die Huthis und konnten 2014 mit der Eroberung Sanaas die Macht in großen Teilen des Jemen übernehmen. Daraufhin reagierten Saudi-Arabien und die VAE, indem sie im März 2015 eine Seeblockade verhängten und Luftangriffe gegen die Rebellen flogen.

Der saudi-arabischen Führung ging es dabei zunächst vor allem darum, eine vollständige Übernahme des Jemen durch die Huthis zu verhindern und sie anschließend aus Sanaa zu vertreiben. Zwar gelang es den arabischen Truppen, den Süden des Landes wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, doch konnten sie die Huthis im nördlichen Hochland nie ernsthaft gefährden. Im Sommer 2019 zogen die VAE ihre Truppen zurück, die Saudis setzten den eigentlich bereits verlorenen Krieg jedoch unvermindert fort. Obwohl Riad parallel dazu Gespräche mit den Huthis auf neutralem Boden, in Oman, führt, ist es zu einem Durchbruch bisher nicht gekommen. Der Grund dafür ist, dass Riad den Krieg längst als einen Teil einer weit größeren Auseinandersetzung ansieht – nämlich seines jahrzehntealten Konflikts mit dem Iran. Die Saudis befürchten, dass eine Verhandlungslösung jetzt einer Niederlage gleichkäme und auch ihre Position gegenüber dem großen Rivalen schwächen würde.

Sie betrachten und fürchten die Rebellen als enge Verbündete Irans, die für Teheran einen Brückenkopf auf der Arabischen Halbinsel errichten wollen – direkt an der saudi-arabischen Südgrenze. Häufig sprachen saudi-arabische Politiker, Beamte und Kommentatoren von den Huthis als einer „jemenitischen Hisbollah“, die das Königreich eines Tages so bedrohen würde, wie die namensgleiche libanesische Organisation Israel bedroht. Das war auch der Grund, warum Riad 2015 glaubte, militärisch reagieren zu müssen.

Saudi-Arabien interveniert

Dennoch kam damals die Entscheidung der Saudis zum Krieg für viele Beobachter überraschend: Denn seit 1934, und dem damaligen Krieg ebenfalls im Jemen, hatte das Königreich keinen größeren Waffengang mehr riskiert, sondern sich ganz seinen ökonomischen Interessen verschrieben.

Mit dem Beginn der kommerziellen Ölförderung ab 1945 war Saudi-Arabien zur Status-Quo-Macht geworden, die immer nur dann aktiv wurde, wenn sie die regionale Stabilität in Gefahr sah. Die saudi-arabische Führung setzte vor allem auf diplomatische Initiativen und ihre scheinbar unerschöpflichen finanziellen Ressourcen, um Probleme aus der Welt zu schaffen. Zwar betrieb Riad schon seit den frühen 2000er Jahren eine aktivere Regionalpolitik, um Irans Einfluss zu begrenzen, doch wirkte sie dabei immer noch häufig unentschlossen und langsam. Grund war die Überalterung der politischen Elite, wo Männer im fortgeschrittenen Rentenalter den Ton angaben, ohne den physischen und intellektuellen Anforderungen ihrer Ämter noch gewachsen zu sein. Außerdem herrschte schon seit den 1970er Jahren ein größerer Kreis führender Prinzen gemeinsam, was die Entscheidungsfindung enorm verlangsamte.

Dies änderte sich mit der Thronbesteigung von König Salman im Januar 2015. Da der Monarch damals schon 79 Jahre alt war, wurde die Politik des Königreichs schnell von seinem Sohn Mohammed Bin Salman bestimmt, der zunächst Verteidigungsminister und 2017 auch Kronprinz wurde. Auch Fragen von großer Bedeutung wurden von da an rasch und oft auch unüberlegt entschieden. Der Jemen-Krieg ist die erste große und wohl auch folgenschwerste Entscheidung, die Bin Salman zu verantworten hat. Das saudi-arabische Militär konzentrierte sich dabei vor allem auf Luftangriffe gegen die Huthis und ihre Verbündeten im Norden des Landes. Die emiratischen Truppen operierten gemeinsam mit verbündeten jemenitischen Einheiten und Milizen im Süden.

Das größte Problem des Bündnisses war das Fehlen von Bodentruppen. Riad und Abu Dhabi hatten wohl gehofft, Ägypten oder Pakistan zu einer Entsendung von Soldaten bewegen zu können, doch beide Staaten verweigerten sich diesem Wunsch. Das machte schon 2015 einen vollständigen Sieg der beiden Golfstaaten sehr unwahrscheinlich.

Nachdem es den Emiratis noch gelungen war, die wichtige Hafenstadt Aden einzunehmen, entwickelte sich denn auch ein jahrelanges Patt. Die saudi-arabischen Luftangriffe verwüsteten zwar den Norden, ohne die Huthis damit aber entscheidend schwächen zu können. Nur zwei Mal standen die Saudis kurz davor, einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. Zum ersten Mal im Dezember 2017, als das Bündnis des ehemaligen Präsidenten Saleh mit den Huthis zerbrach. Riad gelang es aber nicht, das Ende der Allianz zu nutzen, weil die Rebellen Saleh kurzerhand ermordeten.

Noch vielversprechender schien der Vormarsch auf die wichtige Stadt al-Hudaida am Roten Meer, der im Juni 2018 begann. Über diesen Hafen wickelten die Huthis einen Großteil der Versorgung des nördlichen Hochlands ab, und Riad und Abu Dhabi hofften, die Rebellen nach einem Sieg dort zu Verhandlungen und weitgehenden Zugeständnissen zwingen zu können. Doch diesmal erwies sich der internationale Widerstand als zu groß, da die Gefahr bestand, dass eine Einnahme zu einer weiteren Verschlechterung der humanitären Situation im Jemen führen würde. Es dürften vor allem Proteste aus dem US-Kongress gewesen sein, die die arabischen Verbündeten veranlassten, einem Waffenstillstand für al-Hudaida und Gesprächen unter Ägide der Vereinten Nationen zuzustimmen. Diese begannen im Dezember 2018 und führten tatsächlich zu einer vorübergehenden Beruhigung.

Just in dieser Situation eskalierte aber der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran, was auch mit der US-Regierung unter Donald Trump und seiner Konfrontationsstrategie gegenüber Iran zu tun hatte. Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran waren schon seit Jahren sehr schlecht, weil Riad Teheran vorwarf, die Aufstände und Bürgerkriege im Nahen Osten für eine aggressive Expansionspolitik zu nutzen. Saudi-Arabien sieht sich durch die Präsenz der iranischen Revolutionsgarden und mit ihnen verbündeter Milizen im Libanon, Irak, in Syrien und im Jemen eingekreist und bedroht.

Weil sich der Kronprinz der Unterstützung durch den neuen US-Präsidenten Donald Trump sicher wähnte, wurde seine antiiranische Rhetorik immer schriller. Trump hatte sich für eine Strategie des „maximalen Drucks“ gegenüber Iran entschieden und das Atomabkommen von 2015 schon im Mai 2018 einseitig aufgekündigt. Mit harten Sanktionen versuchten die USA die Islamische Republik zu zwingen, erneut in Verhandlungen einzutreten und weitergehende Zugeständnisse zu machen. Doch Teheran reagierte mit massivem Gegendruck. Nach einer Verschärfung der Strafmaßnahmen im April 2019 schlugen die Iraner in den folgenden Wochen zurück, indem sie unter anderem Öltanker nahe der Straße von Hormuz sabotierten, mit Drohnen eine Pipeline in Saudi-Arabien angriffen und eine US-Überwachungsdrohne abschossen. Ihren Höhepunkt erreichte der Konflikt jedoch im September 2019, als iranische Drohnen und Marschflugkörper in saudi-arabischen Ölanlagen im Osten des Landes einschlugen und mehr als die Hälfte der Ölproduktion des Königreichs für Wochen lahmlegten.

Zusätzlich geschwächt wurde die Position der Saudis durch den kühl kalkulierten Rückzug der Vereinigten Arabischen Emirate. Für Abu Dhabi war das Kriegsende viel attraktiver als für Riad, weil emiratische Verbündete Aden und einen Teil des Südjemen beherrschten und die VAE die Kontrolle über die wichtigsten Häfen des Landes erlangt hatten. Sie hatten damit wichtige Ziele erreicht, während die Saudis – für die die Niederlage der Huthis oberste Priorität hatte – keine Erfolge vorweisen konnten.

Dass die VAE überhaupt zur Kriegspartei wurden und den Verlauf des Konflikts im Jemen entscheidend beeinflussen konnten, ist ebenfalls auf einen Kronprinzen zurückzuführen: Seit 2004 zeichnet Mohammed Bin Zayed, der Thronfolger im Emirat Abu Dhabi, für die Außen- und Sicherheitspolitik der Emirate verantwortlich und setzt dabei alles daran, diese zu einer Regionalmacht zu machen. Unter anderem baute er ein starkes Militär auf, das schon seit den 1990er Jahren zielgerichtet vergrößert, modernisiert und in mehreren Auslandeinsätzen erprobt wurde. Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings nutzten die VAE ihren Einfluss, um der Region ihren Stempel aufzudrücken. Zum einen bekämpften sie die islamistische Muslimbruderschaft, die zunächst von den Umstürzen profitiert hatten. Zum anderen bemühte sich Abu Dhabi ebenso wie Riad, die iranische Expansion zu stoppen. Dabei wirkte die emiratische Politik häufig zielgerichteter und entschlossener als die Saudi-Arabiens. Mehreren Berichten zufolge sollen es sogar die VAE gewesen sein, die den Anstoß zum gemeinsamen Krieg im Jemen gaben. Was am Ende von Erfolg gekrönt wurde: Die VAE sind weiter in wichtigen Häfen des Südens und auf einigen Inseln im Golf von Aden wie vor allem Sokotra und Perim präsent. Zugleich ist emiratisches Militär auch in Basen an der afrikanischen Gegenküste stationiert und die Dubaier Firma DPWorld – die vor allem Häfen betreibt – konnte ihre Aktivitäten in der Region ausweiten. Kurzum: Die VAE sind gekommen, um zu bleiben – ohne deshalb weiter Krieg führen zu müssen. Kronprinz Bin Zayed hat die Grundlage für ein kleines Seereich geschaffen, das sich inzwischen vom Persischen Golf über den Golf von Aden bis in das südliche Rote Meer erstreckt.

Die Saudis verlieren der Krieg, aber kämpfen immer weiter

Ganz anders stellt sich die Lage für Riad dar: Mit dem Abzug der emiratischen Truppen war der Krieg für die Saudis endgültig nicht mehr zu gewinnen. Im Gegenteil: Die Situation verschlimmerte sich für Riad im Sommer 2019 weiter, denn die Huthis und Iraner zeigten mit Drohnen- und Cruise-Missile-Attacken wiederholt, wie schutzlos das Königreich seinen Gegnern ausgeliefert ist. Wie dramatisch, ja aussichtslos die Lage war, zeigte vor allem der Angriff auf die saudi-arabischen Ölanlagen im September 2019. Trotz jahrzehntelanger milliardenschwerer Waffenkäufe war die Flugabwehr des Königreichs nicht in der Lage, die Attacke zurückzuschlagen.

Noch schlimmer war für Mohammed Ibn Salman aber die Einsicht, dass auch der Saudi-Arabien und ihm persönlich so wohlgesonnene Präsident Trump letztlich nicht bereit war, für die Sicherheit des Königreichs einen Krieg mit Iran zu riskieren. Dieser hatte zwar seit seiner Amtsübernahme auf eine radikal antiiranische Politik gesetzt und Saudi-Arabien zum Dreh- und Angelpunkt seiner neuen Nahostpolitik erkoren. Das Königreich sollte nach dem Willen Trumps und seiner Berater ein nahöstliches Bündnis proamerikanischer Staaten einschließlich Ägyptens, Israels und der VAE anführen, um den Druck auf Iran zu erhöhen. Doch damit sollte die Allianz die USA entlasten, indem sie die Regionalstaaten stärkt und die Verantwortung für die Sicherheit der Region so auf sie abwälzt. Schließlich hatte Trump seinen Wählern einen Abzug amerikanischer Truppen aus den „endlosen Kriegen“ des Nahen Ostens versprochen, um die US-amerikanische Weltpolitik ganz auf den Pazifik und den großen Gegner China zu konzentrieren. Mit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Iran waren diese Ziele nicht in Einklang zu bringen, weshalb Trump nach den Angriffen auf Saudi-Arabien nur Cyberattacken anordnete – ein eklatanter Bruch mit einer wichtigen Tradition US-amerikanischer Außenpolitik, die seit 1945 die Sicherheit Saudi-Arabiens vor einem Angriff von außen garantiert hatte.

Riad sandte nun Signale an Teheran, dass es an einer Entspannung interessiert sei, setzte den Krieg im Jemen aber weiter fort. Erst im November 2019 schlossen die dortigen Konfliktparteien – die Regierung Hadi und die südjemenitischen Separatisten – auf Veranlassung Saudi-Arabiens und der VAE in Riad ein Abkommen, das den Frieden im Südjemen sichern sollte. Indem sie Einigkeit im eigenen Lager demonstrierten, wollten die Saudis ihre Position auch mit Blick auf die Verhandlungen mit den Huthis in Oman stärken. Doch bis heute haben diese zu keinem Durchbruch geführt. Zwar wollen die Saudis den Krieg mittlerweile beenden, so dass sich der Konflikt insgesamt etwas beruhigt hat. Doch befindet sich Riad in einer schwachen Position. Weil die saudische Führung unbedingt vermeiden will, dass sich an ihrer Südgrenze eine von Iran und der Hisbollah unterstützte militante Gruppierung dauerhaft etabliert, fordert sie von den Huthis weitgehende Zugeständnisse. Doch diese haben keinen Grund, ihre Waffen abzugeben oder die Hauptstadt Sanaa zu räumen, da sie das nördliche Hochland ungefährdet beherrschen und mit ihren Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern das nur schlecht geschützte Nachbarland Saudi-Arabien im Visier haben. Kurzum: Die Saudis können den Krieg gegenwärtig nicht gesichtswahrend beenden, weil dies einer schweren Niederlage gleichkäme. Möglicherweise fürchtet der machtbewusste Kronprinz Bin Salman auch, dass er an Unterstützung verlieren könnte, wenn er den von ihm begonnenen Krieg nicht mit einem Erfolg abschließen kann.

Die humanitäre Situation im Jemen hat sich derweil weiter verschlechtert. Schon seit Jahren herrschen Hunger und Krankheiten; die Covid-19-Pandemie hat die Situation erheblich verschlimmert, denn in fast allen Landesteilen ist die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen. Die saudische Führung reagierte auf die desaströse Lage, indem sie im April 2020 eine einseitige sechswöchige Feuerpause ankündigte. Schon im Mai brach diese jedoch wieder zusammen, als neue Kämpfe einsetzten. Doch ganz unabhängig davon, ob die Verhandlungen noch zu einem Erfolg führen, dürften die Huthis den Krieg gewonnen haben. Die Folgen für Saudi-Arabien sind – jenseits des erheblichen Ansehensverlusts – dramatisch, denn die Niederlage im Jemen wirkt sich auch auf den großen Regionalkonflikt mit Iran aus. Die Bedrohung Saudi-Arabiens durch die iranische Präsenz im Irak, in Syrien, Libanon und im Jemen wird in Riad als durchaus real wahrgenommen. Wären da nicht die massiven Sanktionen der USA und die den Iranern haushoch überlegenen US-Streitkräfte in der Gegend, könnte man bereits heute von einer beginnenden iranischen Hegemonie am Persischen Golf sprechen.

Doch während es im Sommer 2019 kurzzeitig so schien, als würde Riad die Überlegenheit Irans akzeptieren und einen Ausgleich suchen, ist seither sehr deutlich geworden, dass Bin Salman auch langfristig auf Konfrontation setzt. Dafür sprechen außer der fortgesetzten Annäherung an Israel – den militärisch stärksten Feind Irans im Nahen Osten – vor allem neueste Nachrichten über den Ausbau der saudi-arabischen Raketenstreitmacht und über ein Atomprogramm, das eine eigene Urananreicherung umfassen soll. All das sind deutliche Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien auf eine nukleare Bewaffnung abzielt, was den Konflikt in der ohnehin hoch explosiven Golfregion weiter eskalieren würde.

Die saudische Führung hat den Kampf um die Vorherrschaft am Golf also noch nicht aufgegeben – und damit auch nicht den blutigen Krieg im Jemen. Und da Iran mit den Huthis nun über Verbündete in Sanaa verfügt, dürfte das Land schon bald wieder zum Schauplatz werden – in einer neuen Runde der endlosen Auseinandersetzung zwischen Iran und Saudi-Arabien.

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