Ausgabe August 2023

Heizungsdebakel: Die Kommunen müssen es richten

Auf einer Baustelle für Fernwärmeleitungen in Bonn, 5.7.2023 (IMAGO / sepp spiegl)

Bild: Auf einer Baustelle für Fernwärmeleitungen in Bonn, 5.7.2023 (IMAGO / sepp spiegl)

Das Chaos begann damit, dass die Bundesregierung den zweiten Schritt vor dem ersten plante: Schon ab dem kommenden Jahr wollte sie im Rahmen eines neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) flächendeckend den Neueinbau reiner Öl- und Erdgasheizungen verbieten. Dafür schlug ihr umgehend heftige Kritik entgegen – von der überschießenden Boulevardpresse wurde diese im Begriff „Heiz-Hammer“ verdichtet.[1] Notgedrungen entschärfte die Bundesregierung ihr Gesetz schließlich in einem wesentlichen Punkt: Es wurde mit dem „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ gekoppelt. Das heißt: Die Vorschriften beim Heizungstausch greifen jeweils erst dann, wenn für den betreffenden Ort eine kommunale Wärmeplanung vorliegt. Denn erst diese legt offen, wo sich beispielsweise Nahwärmenetze lohnen, an die sich Anwohner anschließen könnten.

So sollen nun nach den Vorstellungen der Bundesregierung bis Juni 2026 für Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern und bis Juni 2028 für alle anderen Orte kommunale Wärmepläne vorliegen. Erst dann kommen die neuen Heizungsvorschriften zur Anwendung. Durch diese Verknüpfung der beiden Gesetze gestand die Bundesregierung indirekt ein, dass allzu starre Vorgaben bei der Heiztechnik ohne lokale Datengrundlage nicht sachgerecht sind. Kluge Wärmekonzepte müssen sich immer an der örtlichen Siedlungsstruktur orientieren; zwingend braucht man vor der flächendeckenden Umstellung der Gebäude auf klimafreundliche Heizungen lokale Daten zum Wärmebedarf und Wärmeangebot. Damit erst ermöglicht die Wärmeplanung ein optimiertes Vorgehen – nachdem man in der Vergangenheit manchmal eher zufällig auf sinnvolle Wärmekonzepte stieß.

Exemplarisch zeigt ein Beispiel aus Baden-Württemberg, wie wichtig lokale Daten sind: In Bonndorf im Schwarzwald begann das Bürgerunternehmen Solarcomplex vor Jahren mit der Planung eines Nahwärmenetzes. Auf der Suche nach möglichen Wärmeabnehmern traten die Projektierer auch an die örtliche Schinkenfabrik heran. Die Antwort des Unternehmens kam überraschend: Nein, man brauche wirklich keine Wärme, man habe selbst mehr als genug Abwärme aus der Produktion. So übernahm das Unternehmen am Ende genau die gegenteilige Rolle als jene, die ihr ursprünglich zugedacht war. Heute liefert der Betrieb einen guten Anteil der Wärme im Bonndorfer Netz.

Eine sachgerechte Lösung kam also nur zustande, weil sich vor Ort Akteure die Mühe machten, die vorhandenen Potenziale auszuloten. Aber nicht überall gibt es solche Macher; auch denken die Unternehmen oft wenig darüber nach, ob es mögliche Abnehmer für ihre Abwärme gibt. Werden Städte nun verpflichtet, das Wärmeangebot und den Wärmebedarf auf ihrer Gemarkung systematisch zu kartieren, können daraus individuell optimierte Konzepte entstehen. Deswegen begrüßen Branchenakteure wie etwa der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft diese Vorgehensweise: „Vor Ort kann am besten entschieden werden, welche Technologie am sinnvollsten ist, um die Wärmeversorgung schnell und effizient klimaneutral zu machen.“ Für die betroffenen Kommunen steht am Anfang einer solchen Bedarfsanalyse im Rahmen der Wärmeplanung immer die Erfassung des Ist-Zustands. Dafür liefern die Daten von Energieversorgern und Schornsteinfegern das Grundgerüst – aus der Heizleistung der Kessel lassen sich die Bedarfswerte abschätzen.

Vorreiter Baden-Württemberg

Der Bund kann sich bei seinen Plänen übrigens auf ein Vorbild stützen: In Baden-Württemberg haben viele Städte ihre Wärmepläne schon fast oder sogar komplett fertiggestellt. Hier wurden nämlich schon im Herbst 2020 noch unter dem grünen Umweltminister Franz Untersteller die 104 größten Städte – all jene mit mehr als 20 000 Einwohnern – per Landesgesetz verpflichtet, bis Ende 2023 Wärmepläne vorzulegen. Damit gab die grün-schwarze Landesregierung den Städten im Südwesten eine Hausaufgabe, die in dieser Form in Deutschland noch immer einmalig ist. Erst mit dem jüngsten Gesetzesvorhaben aus Berlin rückte das Konzept nun deutschlandweit ins Blickfeld.

Die Kommunen im Südwesten müssen einen Plan entwickeln, der für das Jahr 2050 aufzeigt, wie ihr gesamter Wärmesektor klimaneutral werden kann. Für das Jahr 2030 sind Zwischenziele zu definieren. Der betreffende Wärmeplan muss aus vier Teilen bestehen: Die ersten beiden Schritte sind eine Bestandsanalyse und eine Potenzialanalyse, aus denen dann im dritten Schritt ein Zielszenario zu entwickeln ist. Dazu gehöre, so das Umweltministerium in Stuttgart, „eine räumlich aufgelöste Beschreibung der dafür benötigten zukünftigen Versorgungsstruktur im Jahr 2050“. Als vierter und wichtigster Teil muss eine „Wärmewendestrategie“ formuliert werden, die einen „Transformationspfad zur Umsetzung des kommunalen Wärmeplans“ umfasst. Dazu gehören „ausgearbeitete Maßnahmen, Umsetzungsprioritäten und Zeitplan für die nächsten Jahre“ sowie eine Beschreibung möglicher Maßnahmen, um die erforderliche Energieeinsparung zu erreichen.

Die landeseigene Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (Kea-BW) unterstützte die Kommunen bei dem Projekt in fachlicher Hinsicht, auch indem sie Beratungsstellen schuf, etwa bei regionalen Energieagenturen. Das Land wiederum ersetzte den Städten die Kosten der Planung auf Basis einer Pauschale. Auch für kleinere Kommunen, die freiwillig einen Wärmeplan erstellen möchten, wurde ein Förderprogramm aufgelegt.

In Baden-Württemberg müssen sich die Wärmepläne nicht unbedingt an Gemarkungsgrenzen orientieren, sondern pragmatisch an den örtlichen Strukturen. Daher taten sich die Gemeinden oft zusammen. Im südbadischen Lörrach erarbeitete man sogar einen interkommunalen Plan für den gesamten Landkreis, womit dann auch all die kleinen Gemeinden mit eingebunden wurden, die gar nicht dazu verpflichtet gewesen wären. Das Landratsamt übernahm im Rahmen dieses Musterprojekts das Projektmanagement für die 35 Gemeinden, von denen eigentlich nur drei der Pflicht zur Wärmeplanung unterlagen.

Auch mittelgroße Städte taten sich in Baden-Württemberg zusammen, wenn es für sie passte. Ein Beispiel dafür sind Kornwestheim und Ludwigsburg im Großraum Stuttgart. Dort bot sich die Zusammenarbeit an, weil die beiden Städte ohnehin über ein gemeinsames Stadtwerk verfügen. Mitunter beteiligten sich auch kleinere Kommunen an der Wärmeplanung ihrer großen Nachbarn, obwohl sie nach dem Landesgesetz bisher gar nicht zur Wärmeplanung verpflichtet waren. Diese Kombination hatte auch die Kea-BW immer sehr propagiert, denn städtische und ländliche Gebiete ergänzen sich bei gemeinsamen Energiekonzepten oft gut.

Die kommunalen Verwaltungen im Südwesten zeigen sich – nun, da sie in der Endphase ihrer Pläne stehen – mit dem Projektverlauf zufrieden. Die Vorgaben seien durchaus praktikabel gewesen, heißt es oft. Und das Ergebnis sei für die weitere Planung ausgesprochen hilfreich. Der Landkreis Lörrach beispielsweise konnte seinen Plan bereits vor Ablauf der Frist abschließen. Auch die Stadt Offenburg will ihren Wärmeplan noch im Juli beim Regierungspräsidium einreichen.

Ein großer Pluspunkt der Wärmeplanungen liegt in der technologieoffenen Strategie. So kann jede Stadt eigene Ideen entwickeln, wie sie der gestellten Anforderung der Klimaneutralität gerecht werden will. Sie kann stark auf Wärmepumpen setzen, muss dann aber darlegen, aus welchen Quellen der Strom für deren Betrieb kommen soll. Möglich ist auch der Einsatz von Gas, sofern dieses als „grün“ anerkannt ist.

Nicht zuletzt soll Abwärme bestmöglich eingebunden werden. Entsprechend gibt es immer mehr solcher Projekte in Baden-Württemberg: So wird beispielsweise in Rheinfelden am Hochrhein, wo das Chemieunternehmen Evonik bislang mit seiner Abwärme den Rhein heizte, diese nun über ein Nahwärmenetz an Kunden geliefert. Andere Netze nutzen Hackschnitzel oder auch Biogas als Wärmequelle; immer öfter wird auch Solarwärme aus einem Kollektorfeld eingebunden. Ideal ist das, wenn die Sonne im Sommer die Grundlast decken kann, die allein durch den Warmwasserbedarf entsteht. Dann muss man bei sommerlicher Hitze keinen Brennstoff für die Warmwasserbereitung einsetzen.

Die Liste der unterschiedlichen Konzepte ist mit den genannten Beispielen längst nicht erschöpft. So wurde im badischen Schallstadt ein „kaltes Nahwärmenetz“ aufgebaut, um ein Wohngebiet mit 200 Wohneinheiten zu versorgen: Die Wärme stammt dabei aus dem Wasser eines großen Abwassersammlers, das im Jahresverlauf eine Temperatur zwischen zwölf und 18 Grad aufweist. Über Wärmetauscher wird die Energie an einen Wasserkreislauf übergeben und gelangt so in die Häuser. Dort wird mittels Wärmepumpe das Temperaturniveau so weit erhöht, dass es für die Heizung reicht. Damit brauchen die Häuser keine Erdbohrung, um ihrer Wärmepumpe ein ausreichend temperiertes Medium zur Verfügung zu stellen, und sie müssen auch nicht auf die zwar einfache, aber auch deutlich weniger effiziente Luftwärmepumpe zurückgreifen.

Benachteiligte Pioniere?

Das Wärmegesetz des Bundes könnte die größeren Städte im Südwesten also kaltlassen – sie haben ihre Hausaufgaben schließlich schon gemacht. Doch plötzlich sollte nach den Berliner Regierungsplänen den Kommunen und ihren Bürgern im Südwesten ihre Vorreiterrolle zum Nachteil gereichen. Mit der Kopplung von GEG und Wärmeplanung sollten die Bürger in den Pionier-Städten beim Heizungstausch schon ab dem kommenden Januar Regeln einhalten, für die der Gesetzgeber anderen Städten noch bis zu fünf Jahre Aufschub gewährt. Einer der betroffenen Oberbürgermeister, Marco Steffens aus dem badischen Offenburg, kritisierte die zeitweise diskutierte Regelung als „nicht in Ordnung“. Auch der Städtetag Baden-Württemberg betonte, es dürfe nicht sein, dass die Bürger im Südwesten Nachteile erleiden, nur weil ihre Städte schon weiter sind als andere. Damit stand die Bundesregierung vor dem nächsten Dilemma: Zwar ist die Kopplung des GEG an die Existenz kommunaler Wärmepläne von der Sache her vernünftig. Schließlich kann es kaum zielführend sein, Hauseigentümer zum Einbau bestimmter Heizungstechniken zu verpflichten, wenn zuvor Optionen wie Wärmenetze vor Ort nicht einmal untersucht wurden. Es ist aber politisch unklug, wenn eine solche Regelung ausgerechnet die Wegbereiter – und eben nur diese – unter enormen Zeitdruck setzt und Entscheidungsspielräume schon zu einem frühen Zeitpunkt erheblich einschränkt.

Das Problem in der Praxis: So wertvoll die kommunalen Wärmepläne für die erste Orientierung vor Ort auch sind, so reichen sie dennoch für eine sinnvolle Investitionsentscheidung des einzelnen Hauseigentümers oft noch lange nicht aus. Dazu braucht man nämlich Quartierskonzepte, die noch deutlich präziser die Handlungsoptionen darstellen. Mancher Hauseigentümer wird also selbst bei Vorliegen eines Wärmeplans in seiner Heimatgemeinde noch immer vor einer schweren Entscheidung stehen, wenn er eine neue Heizung braucht. Eine solche Entscheidung sollte man aber nicht überstürzt treffen müssen.

Naturgemäß stieß dieser Sachverhalt vor allem in der Opposition auf Kritik. Andreas Jung, Sprecher für Klimaschutz und Energie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sprach von einer „Schieflage“ im Gesetz, wenn es Nachteile für die Vorreiter gebe, und forderte „gleiche Regeln für alle“.

Aber auch die Grünen im Südwesten wollten die angedachten Regelungen ihrer Parteikollegen in Berlin nicht mittragen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte, Baden-Württemberger dürften durch die frühzeitige Wärmeplanung ihrer jeweiligen Kommune keine Nachteile erleiden. Am Ende zeigte sich die Landesregierung in Stuttgart mit den Verhandlungen aber doch zufrieden: Die Kommunen könnten nun „selbst entscheiden, wann die Vorgaben des GEG ausgelöst werden“, ließ schließlich das Staatsministerium wissen.

Doch dann kam der wahre „Heiz-Hammer“: Weil angesichts der Vielfältigkeit der Interessen die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess immer mehr den roten Faden verlor, wurde das Verfahren zunehmend intransparent – für die Abgeordneten, die Akteure in der Energiewirtschaft und ebenso für die Medien. Die Bundesregierung machte zugleich Tempo und wollte das GEG noch vor der Sommerpause durch Bundestag und Bundesrat bringen.

Heiztheater bis zum Herbst

Anfang Juli endete dieser Schweinsgalopp im Fiasko: Das Bundesverfassungsgericht stoppte auf Eilantrag eines CDU-Abgeordneten die angesetzte Abstimmung im Bundestag – und verlängerte damit das Heiztheater wohl bis in den Herbst. Vor allem für die Grünen ist das höchstrichterliche Urteil ein Desaster, weil hier nicht einfach ein politisches Detail abgewatscht wurde, sondern gleich ein sich zunehmend etablierender Politikstil: Gesetzentwürfe, die sich von Stunde zu Stunde ändern und somit den Abgeordneten wie auch der Öffentlichkeit aufgrund der Komplexität des Sachverhalts jede Chance verbauen, die Vorgänge nachzuvollziehen, sind einer Demokratie unwürdig.

Oder, wie es das Gericht formulierte: „Den Abgeordneten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten.“ Dies setze „eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus“. Und dann kommt ein Satz, der für die Hybris einer Bundesregierung steht, die das Parlament offenbar nur noch als Stimmvieh ansieht: „Die Abgeordneten müssen dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können.“[2] Ein Satz für die Geschichtsbücher. Ein Satz, den sich merken sollte, wer hier im Lande Politik macht.

[1] Vgl. Malte Kreutzfeldt, Heizen klimaneutral: Die befeuerte Angst, in: „Blätter“, 4/2023, S. 13-16.

[2] BVerfG, BvE 4/23, 5.7.2023.

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