Ausgabe Februar 2024

EU-Lieferkettengesetz: Und wieder sabotiert die FDP

Ein Junge arbeitet in einer Metallwerkstatt in Dhaka, Bangladesch. Das Lieferkettengesetz trägt zur Abschaffung der Kinderabeit bei, 13.9.2023 (IMAGO / NurPhoto / Syed Mahamudur Rahman)

Bild: Ein Junge arbeitet in einer Metallwerkstatt in Dhaka, Bangladesch. Das Lieferkettengesetz trägt zur Abschaffung der Kinderabeit bei, 13.9.2023 (IMAGO / NurPhoto / Syed Mahamudur Rahman)

Das EU-Lieferkettengesetz könnte ein Meilenstein auf dem Weg zu einer gerechteren und umweltfreundlicheren Weltwirtschaft werden. Doch die FDP droht es in letzter Minute zu Fall zu bringen. Seit der Ankündigung des Gesetzes durch den liberalen Justizkommissar Didier Reynders hatten die EU-Institutionen über drei Jahre intern und miteinander ausgiebig gerungen. Am 14. Dezember 2023 gelang dann der Durchbruch: Kommission, Rat und Parlament einigten sich im Trilog auf die Inhalte der „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen mit Blick auf die Nachhaltigkeit“. Es ist ein Kompromiss mit zahlreichen Schwächen. Dennoch: Endlich würden große Unternehmen gesetzlich verpflichtet, in ihren Geschäften und Geschäftsbeziehungen weltweit die Menschenrechte und die Umwelt zu achten. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu fünf Prozent des Umsatzes sowie Schadensersatzklagen von Betroffenen.

Nach Abschluss des Trilogs ist die Verabschiedung im Rat und Parlament eigentlich nur noch Formsache. Doch Wirtschaftslobbyisten laufen in Deutschland, Frankreich und Italien gemeinsam Sturm und versuchen, im Rat eine Sperrminorität gegen das Vorhaben zu mobilisieren. Gehör finden sie damit bei der FDP: Am 15. Januar verkündete Agnes-Maria Strack-Zimmermann den Beschluss des FDP-Präsidiums, das EU-Lieferkettengesetz zu stoppen. Ganz auf Wahlkampfkrawall gebürstet, machte sie die Kommissionspräsidentin für die Richtlinie verantwortlich: „Der Bürokratismus hat einen Namen, und der heißt von der Leyen.“

Bemerkenswert ist daran, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Verhandlungsposition der Bundesregierung maßgeblich mitgeprägt und bis zuletzt mitgetragen hatte. Auf Druck der FDP hatte die Bundesregierung bereits zahlreiche Verwässerungen im Text der Richtlinie durchgesetzt. Sollte die FDP nun kurz vor der Ziellinie einen U-Turn vollziehen, verspielt sie nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit als verlässlicher Koalitionspartner, sondern auch die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in der EU in Sachen Nachhaltigkeit.

Wie überfällig die EU-Richtlinie ist, offenbart die erschreckende Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden mit Beteiligung von Unternehmen, die in den vergangenen Jahren zutage getreten sind: Ausbeutung und Repression von Gewerkschaften beim Bananenanbau in Ecuador und Costa Rica, vermeidbare Dammbrüche brasilianischer Eisenerzminen mit Hunderten Toten,[1] ähnlich verheerende Brand- und Einsturzkatastrophen in asiatischen Textilfabriken, Zwangsarbeit von Uiguren beim Baumwollanbau in China, Regenwaldzerstörung und Vertreibung für den Anbau von Ölpalmen in Indonesien, Kinderarbeit beim Kakaoanbau in Westafrika sowie Wasser- und Luftverschmutzung beim Kobaltabbau in Marokko und in der Demokratischen Republik Kongo.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Und in all diesen Fällen haben auch deutsche Unternehmen eine problematische Rolle gespielt, sei es als Abnehmer, Investoren, Kreditgeber oder Dienstleister.[2]

Gute Erfahrungen in Deutschland

Allein im ersten Jahr seit Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes am 1. Januar 2023 sind beim zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) 38 Beschwerden gegen deutsche Unternehmen eingegangen. Dabei galt das Gesetz nur für rund 1300 Unternehmen mit je über 3000 Mitarbeitenden. Zum 1. Januar 2024 wurde der Anwendungsbereich auf etwa 5200 Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitenden ausgeweitet. Viele jüngere Reaktionen von Unternehmen auf Beschwerden zeigen, dass sie Menschenrechte ernster nehmen und Maßnahmen ergreifen, seitdem Untätigkeit mit Bußgeldern und dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen geahndet werden kann.

Wie konsequent und wirksam das BAFA das Gesetz anwendet, bleibt abzuwarten. Dessen ungeachtet weist das Gesetz selbst große Lücken auf. So gelten die Sorgfaltspflichten vollumfänglich nur für den eigenen Geschäftsbereich und direkte Zulieferer von Unternehmen. Auf Druck von Wirtschaftsverbänden und der Union verzichtete die letzte Bundesregierung auf eine zivilrechtliche Haftungsregel für Fälle, in denen Unternehmen durch Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht Schäden verursachen. Für Betroffene bleibt die Chance auf Wiedergutmachung damit äußerst gering. Umweltbelange sind nur sehr lückenhaft abgedeckt, der Klimaschutz gar nicht.[3]

Das jetzt vereinbarte EU-Lieferkettengesetz würde den Anwendungsbereich europaweit auf Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden ausweiten. Zusätzlich gilt eine Mindestumsatzschwelle von 150 Mio. Euro in der EU, auch für Unternehmen, die außerhalb der EU registriert sind. In bestimmten Hochrisikosektoren – wie Bergbau, Landwirtschaft und Textilien – werden Unternehmen bereits ab 250 Mitarbeitenden erfasst. Risiken für Menschenrechte und die Umwelt müssen sie von vornherein nicht nur bei direkten Zulieferern, sondern entlang der gesamten „Aktivitätenkette“ untersuchen. Entscheidend für die Priorisierung sind die Schwere und Wahrscheinlichkeit des drohenden Schadens.

Droht ein Schaden oder ist er bereits eingetreten, müssen Unternehmen mit ihrem Geschäftspartner einen Aktionsplan mit wirksamen Maßnahmen samt Zeitplan vereinbaren und dessen Umsetzung überprüfen. Reicht ihr Einfluss nicht aus, die Verletzung zu verhindern oder zu beenden, ist in letzter Konsequenz auch ein Abbruch der Geschäftsbeziehung geboten. Transparente und für alle zugängliche betriebliche Beschwerdemechanismen sollen dazu beitragen, dass Unternehmen Probleme rechtzeitig erkennen. Viele der oben genannten Menschenrechtsverletzungen wären durch solche Sorgfaltsmaßnahmen vermeidbar gewesen.

Bei Verstößen gegen ihre Sorgfaltspflichten drohen den Unternehmen zunächst Bußgelder. Wenn Unternehmen dadurch Schäden verursachen, haften sie dafür auch vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten. Um Betroffenen die Beweisführung zu erleichtern, können Zivilgerichte Unternehmen zur Herausgabe relevanter Dokumente verpflichten. Auch Prozesskostenhilfen und eine Mindestverjährungsfrist von fünf Jahren würden die Aussichten von Geschädigten auf Wiedergutmachung künftig deutlich verbessern.

Dies gilt beispielsweise in Fällen wie dem verheerenden Brand in der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises im Jahr 2012. Damals kamen 259 Menschen ums Leben, weil Feuerlöscher fehlten und Notausgänge versperrt waren. Der deutsche Textildiscounter KiK war damals mit 70 Prozent der Abnahmen Hauptkunde, hatte sich um die Brandschutzbestimmungen aber nur unzureichend gekümmert. Eine Zivilklage von Hinterbliebenen beim Landgericht Dortmund wurde aber im Januar 2019 abgewiesen – weil pakistanisches Recht zur Anwendung kam, in dem sehr kurze Verjährungsfristen gelten. Nach dem EU-Lieferkettengesetz würde in einem solchen Fall die zivilrechtliche Haftungsregel greifen. Die Erfolgsaussichten einer Klage wären deutlich größer.

Ausgeweitet werden sollen auch die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten. Im deutschen Lieferkettengesetz betreffen diese lediglich die Verwendung von Quecksilber und anderen gefährlichen Chemikalien sowie die Abfallentsorgung. Das EU-Lieferkettengesetz bezieht darüber hinaus auch den Schutz der biologischen Vielfalt, der Ozonschicht und des Meeres, gefährdeter Arten, von Feuchtgebieten und anderen Schutzgütern mit ein.

FDP-Forderungen übererfüllt

Den Erfordernissen der Klimakrise wird die Richtlinie hingegen in keiner Weise gerecht. Zwar würden Unternehmen verpflichtet, Klimapläne im Einklang mit dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erstellen und umzusetzen. Behördlich geprüft würde jedoch nur, ob die Pläne erstellt werden und den inhaltlichen Anforderungen genügen. Die Umsetzung der Pläne wird dagegen nicht überprüft, Untätigkeit in der Praxis würde daher nicht geahndet. Ein schweres Versäumnis – und ein Verhandlungserfolg nicht zuletzt für die FDP.

Noch im Juli 2022 hatten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgeschlagen, in das EU-Gesetz Sanktionen für Unternehmen aufzunehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen. Auf Druck von Bundesjustizminister Buschmann beschloss die Bundesregierung am 2. September 2022 jedoch eine interne „Weisung“, in der sie ebendiese Sanktionen strikt ablehnte. Im Rat und im Trilog setzte sie sich damit durch. Ebenso hatten Heil und Habeck noch im Juli 2022 eine Verpflichtung befürwortet, die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen bei der Vergütung von Vorständen zu berücksichtigen. Auf Druck der FDP lehnte die Bundesregierung auch dies seit dem 2. September 2022 ab, ebenfalls mit Erfolg.

In anderen Aspekten fällt die EU-Richtlinie nun sogar noch weicher aus, als die FDP es gefordert hatte: So hatte die Bundesregierung auf Druck der FDP verlangt, Finanzinvestitionen vom Anwendungsbereich der Sorgfaltspflichten auszunehmen. Am Ende setzte Frankreich sogar durch, dass Finanzgeschäfte komplett ausgeklammert werden. Der Kompromiss enthält lediglich eine Revisionsklausel, die eine spätere Aufnahme ermöglichen könnte.

Schlupflöcher öffnet auch der Beschluss, dass die Sorgfaltspflichten – anders als vom Europäischen Parlament gefordert – nicht die gesamte Wertschöpfungskette der Unternehmen erfassen sollen, sondern nur eine sogenannte Aktivitätenkette. Was nach dem Export von Produkten passiert, ist damit nicht erfasst. Ob giftige Pestizide per Flugzeug auf Sojafeldern und Bananenplantagen versprüht werden und die Gesundheit von Arbeiter:innen und Anwohner:innen geschädigt wird, liegt damit außerhalb der Verantwortung von Chemiekonzernen wie Bayer und BASF. Die Bundesregierung hatte immerhin vorgeschlagen, die Verwendung von Produkten in bestimmten Risikogruppen in die Sorgfaltspflicht von Unternehmen einzubeziehen. Auch hier wurde die Forderung der FDP also übererfüllt.

Rituelles Lobbygeschrei

Viele weitere Verhandlungserfolge der FDP ließen sich auflisten, etwa bei der konkreten Ausgestaltung der Haftungsregel, die eng an das deutsche Zivilrecht angelehnt ist. Unterm Strich geht die Einigung der EU-Institutionen vom 14. Dezember nicht über die Position der Bundesregierung hinaus. Am 31. August 2023 hatte die Bundesregierung ihre Position zum Trilogauftakt erneuert und am 15. November 2023 – also kurz vor Abschluss – bestätigt. Bundesjustizminister Buschmann hatte diese Beschlüsse entscheidend geprägt und mitgetragen.

Entsprechend positiv kommentiert Axel Voss (CDU), Chefverhandler der Europäischen Volkspartei, die moderate Einigung, die den Menschenrechtsschutz voranbringe und dabei unnötige Bürokratie vermeide. Auch die liberale RENEW-Fraktion im EU-Parlament, zu der die FDP gehört, lobte die Einigung: „Wir haben bewiesen, dass man für die Wirtschaft sein kann und zugleich für Menschenrechte und die Umwelt“, so der spanische RENEW-Verhandlungsführer Adrian Vazques.

Dass das FDP-Präsidium – mit Christian Lindner an der Spitze – jetzt dennoch von der Einigung abrückt, ist äußerst befremdlich und offensichtlich dem enormen Druck einiger Wirtschaftsverbände geschuldet. Bereits am 11. Dezember 2023 hatten sich die Spitzen von BDI, BDA, der italienischen Confindustria und des Mouvement des Entreprises de France in einem gemeinsamen Schreiben an Kanzler Scholz, Präsident Macron und Ministerpräsidentin Meloni gegen die Einigung ausgesprochen. Entsprechend laut war das geradezu rituelle „Lobbygeschrei“ („Frankfurter Rundschau“) der Verbände über den angeblichen „Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“, zu dem Thilo Brodtmann vom Maschinenbauverband VDMA die Richtlinie dämonisierte.

Die Äußerungen der Lobbyisten stehen im starken Kontrast zu der positiven Haltung vieler deutscher und europäischer Unternehmen wie Vaude, Tchibo bis hin zu IKEA, Epson oder Primark, die das deutsche Gesetz gutheißen und ein strengeres EU-Gesetz explizit und öffentlich befürworten. Dabei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle. So ergab eine aktuelle repräsentative Umfrage des Handelsblatt Research Institute (HRI) bei 2000 Unternehmen in Deutschland, dass nur sieben Prozent der Betriebe eine Verpflichtung ablehnen, Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten.

Statt der Mehrheit aufgeschlossener Unternehmen zu folgen, beugt sich die FDP jedoch dem Druck von Lobbyverbänden. Es ist ein Déja Vu: Bereits Anfang 2023 schreckten Volker Wissing und Christian Lindner nicht davor zurück, die EU-Einigung zum Verbrenner-Aus bis 2035 nachträglich zu torpedieren.

Damit die FDP mit ihrer neuerlichen Kehrtwende die EU nicht noch einmal lahmlegt und die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit vollends verspielt, braucht es jetzt ein klares Stoppschild des Bundeskanzlers.

Ein solches Machtwort in EU-Angelegenheiten wäre auch keine Premiere: Im September 2023 setzte sich Olaf Scholz über ein Veto der Grünen gegen eine problematische Krisenverordnung in der europäischen Asylpolitik hinweg, um den Weg zur Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS) freizumachen. Nun muss der Kanzler zeigen, dass er sein Gewicht nicht nur zur Abwehr von fliehenden Menschen in die Waagschale wirft, sondern auch zum Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima.

[1] Vgl. Theresa Mentrup, Die Katastrophe von Brumadinho und die deutsche Verantwortung, in: „Blätter“, 1/2024, S. 29-32.

[2] Einige dieser Fälle hat die Initiative Lieferkettengesetz dokumentiert: lieferkettengesetz.de.

[3] Vgl. Armin Paasch: Radikal verwässert. Das neue Lieferkettengesetz, in: „Blätter“, 4/2021, S. 25-28 sowie: ders., Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hintergründe, Bewertung und Perspektiven, in: „Zeitschrift für Menschenrechte“, 2/2021, S. 176-195.

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