Bild: Mitglieder der »Georgia III% Security Force«-Miliz bei einer Pro-Trump-Kundgebung vor dem Georgia State Capitol. Die Three Percenters sind eine rechtsradikal Gruppe in den USA. Wichtigstes Anliegen ist der bewaffnete Widerstand gegen die Bundesregierung der Vereinigten Staaten, 12.12.2020 (IMAGO / ZUMA Wire / John Arthur Brown)
Die Antwort kam prompt und alles andere als überraschend: „Ja, absolut.“ Ein Reporter hatte Donald Trump zuvor danach gefragt, ob er im Falle einer Wiederwahl die verurteilten Kongressstürmer vom 6. Januar 2021 begnadigen würde. „Alle von ihnen?“, kam als Nachfrage. „Ja, klar!“ Trump machte damit deutlich, dass er alle, die vor dreieinhalb Jahren gewaltsam ins Capitol eingedrungen waren, als seine Unterstützer sieht. Darunter QAnon-Anhänger und Männer, die an diesem Tag mit militärischer Ausrüstung, Helmen, Schutzwesten und Funkgeräten zur „Stop the Steal“-Demonstration nach Washington DC gekommen waren. Durch die Strafverfolgung sind die bewaffneten Gruppen, aus denen sie stammten, inzwischen geschwächt, als Drohpotenzial dienen sie Trump aber dennoch.
Neben den neofaschistischen Proud Boys traten auch zahlreiche Mitglieder von Milizen, darunter die US-weit organisierten Oath Keepers und Three Percenters, am 6. Januar ins Licht der breiteren Öffentlichkeit. Beide Organisationen agierten schon vor dem Sturm auf das Capitol auf nationaler Ebene und wurden vom FBI als gewaltbereite rechtsradikale Milizen eingestuft. Erkennbar waren sie am 6. Januar durch ihre Uniformen und militärisches Equipment. Nur die Schusswaffen fehlten. Stewart Rhodes, der Anführer der Oath Keepers, hatte seine Anhänger schon vorher gewarnt, dass selbst Messer mit einer Klinge über zehn Zentimeter in der Stadt verboten seien. „Zeigt sie nicht offen“, war seine Anweisung. Doch unbewaffnet strömten sie nicht aus allen Teilen des Landes in die Hauptstadt. Im Zuge der Ermittlungen nach dem gewaltsamen Sturm auf das Kongressgebäude wurde deutlich, dass Schusswaffen im Umfeld der Hauptstadt versteckt worden waren. Für alle Fälle. CNN berichtete darüber hinaus im Mai 2022, dass Telefone und digitale Dateien führender Köpfe der Gruppe vom FBI dahingehend ausgewertet wurden, mit wem sie vor dem 6. Januar in Trumps Orbit kommuniziert hatten. Die Ermittler fanden unter anderem heraus, dass Rhodes am Abend des 5. Januar eine namentlich nicht genannte Person im Weißen Haus angerufen und darum gebeten hatte, direkt mit dem Präsidenten zu sprechen. Er forderte die Person am Telefon dann auf, Trump zu sagen, er solle Gruppen wie die Oath Keepers auffordern, sich „der Machtübergabe energisch zu widersetzen“.
Dieser erneute Versuch eines direkten Schulterschlusses zwischen Donald Trumps America-First-Bewegung und den bewaffneten Milizen in den USA kam nicht überraschend. Schon im Wahlkampf 2016 hatte Trump die amerikanische Gesellschaft polarisiert. Offen rassistische und nationalistische Ideen des Kandidaten hatten die extrem rechte Szene begeistert. Sie sah in ihm den Heilsbringer, auf den sie lange gewartet hatte. Auf einer einschlägigen Facebookseite hieß es damals: „By ballot or bullet we will make America great again.” (Mit dem Stimmzettel oder der Kugel werden wir Amerika wieder groß machen.)
Und dann im August 2017, als Donald Trump schon im Weißen Haus saß, schaute die Nation nach Charlottesville, Virginia. Unter dem Motto „Unite the Right” marschierten Mitglieder von rassistischen, antimuslimischen und Neonazigruppen auf. Sie schwenkten Hakenkreuzfahnen, trugen T-Shirts mit Hitlers Konterfei und riefen „Juden werden uns nicht ersetzen“. Dabei waren auch wieder bewaffnete Milizen, die von sich ganz selbstlos behaupteten, sie seien nur da, um die Meinungsfreiheit dieser Gruppen zu garantieren. Nachdem es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit zahlreichen Schwerverletzten gekommen war, meinte Donald Trump, es habe auf beiden Seiten „sehr feine Leute“ gegeben. Ein Aufschrei ging durchs Land, die Milizen hingegen bejubelten ihren Führer.
Die lange Geschichte der Milizen
Die „Militia Groups“ selbst berufen sich auf die amerikanische Verfassung, die das Recht auf das Tragen von Waffen und die Gründung von Milizen garantiert. Gedacht war wohl dabei an Bürgerwehren unter ziviler Kontrolle, die im Notfall als Ergänzung zur Nationalgarde mobilisiert werden könnten. Paramilitärische Aktivitäten sind zwar in allen Bundesstaaten ausdrücklich verboten, trotzdem dürfen die Milizen unbehelligt trainieren.
Mark Pitcavage von der Anti-Defamation League beobachtet seit den frühen 90er Jahren die Milizen in den USA. Auch wenn diese sich in einer historischen Tradition sehen, so Pitcavage, begann ihre eigentliche Geschichte erst Anfang der 1990er Jahre. Damals war Bill Clinton Präsident: „Die Milizenbewegung begann 1994 als Reaktion auf Ereignisse wie die Verabschiedung von Waffengesetzen, die Unterzeichnung von NAFTA, dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen, und vor allem zwei Konfrontationen der Bundesregierung mit gesellschaftlichen Außenseitern.“
Gerade die Vorfälle in Ruby Ridge, Idaho, und in Waco, Texas, wurden von vielen als ein Call to Arms empfunden, als Ruf, bewaffnete Milizen zu gründen, um sich gegen den Staat zu wehren. In Ruby Ridge widersetzte sich ein Farmer seiner Verhaftung, in Waco wollte eine religiöse Sekte eine Razzia verhindern. Beide Male belagerte das FBI privates Gelände, beide Male gab es bei dessen Erstürmung Tote. Brian Levin vom Center for the Study of Hate and Extremism beschreibt diese Entwicklung als den Beginn eines „Flächenbrandes im ganzen Land“. Viele sahen sich in ihren Verschwörungstheorien bestätigt, dass der Rest der Welt schon von einer tyrannischen, sozialistischen Weltregierung übernommen worden war. Die Vereinigten Staaten, ergänzt Pitcavage, seien in dieser Gedankenwelt die letzte Bastion der Freiheit. „Aber unsere Regierung kollaboriere mit dieser Verschwörung, die sie oftmals als ‚New World Order‘ bezeichnen. Ganz langsam würden uns unsere Rechte und Freiheiten entzogen, auch unser Grundrecht auf Waffenbesitz. Denn das ist das Recht, das all unsere anderen Rechte schütze. Wenn aber die Amerikaner erst einmal unbewaffnet seien, dann übernähme diese ‚New World Order‘ die Macht und wir würden zu Sklaven.“
„Militia Groups“ in den USA verfolgen unterschiedliche Ziele. In der jüngsten Vergangenheit sind sie vor allem bei Streits um Landnutzungs- und Grasungsrechte in den westlichen Bundesstaaten und bei Einsätzen gegen Migranten an der mexikanischen Grenze in Erscheinung getreten. Ganz im Sinne Trumps haben sie im Kampf gegen unerwünschte Migranten ein Betätigungsfeld gefunden, wie Lane Crothers, Professor of Politics and Government an der Illinois State University, feststellt: „Da können sie sich engagieren. Man muss nur ‚Fox News‘ oder ‚Newsmax‘ anschauen, dann ist das doch das Thema schlechthin: Da wird von einer Invasion an der Südgrenze gesprochen, und als Bürger kann man sich vor Ort für sein Land einsetzen. Die Milizen betonen: Wir verteidigen Amerika gegen diese Invasion.“
Crothers sieht darüber hinaus die Weite des Landes als einen wichtigen Grund dafür, dass sich Freiräume für Milizen in den USA bilden konnten: „Ich lebte mal für zwei Jahre in Spokane, Washington State, und Spokane ist die größte Stadt zwischen Seattle und Minneapolis, das sind etwa 2600 Kilometer. In den meisten Teilen der Vereinigten Staaten gibt es also keine nennenswerte Präsenz der Bundesregierung. Den einzigen Bundesbeamten, den man da außer einem Ranger in den Nationalparks je sieht, ist der Postbote.“
Social Media als Katalysator
Nach den erfolgreichen Anfangsjahren mit zahlreichen Milizengründungen im ganzen Land erlebte die Bewegung dann mit der Jahrtausendwende einen herben Rückschlag. Die angekündigte „Y2K-Katastrophe“ bei der Datumsumstellung auf das Jahr 2000 war nicht eingetroffen, die Computer liefen weiter, viele Gruppen lösten sich auf. Die Milizenbewegung in den USA köchelte für mehrere Jahre vor sich hin. Erst mit dem Wahlkampf von Barack Obama änderte sich das. Es gab wieder ein Feindbild. Auf Barack Obama projizierten sie ihren gesamten Hass auf die ungeliebte Regierung in Washington.
Das führte dazu, dass die Milizenbewegung wieder kräftig wuchs. Hinzu kam, dass sie ab 2008 vermehrt Social Media nutzte, was ihren Aufschwung noch beschleunigte. Die Milizen konnten auf einmal ihre Sichtweisen schnell und weit über Myspace, Facebook und Youtube verbreiten. Die Mitgliederzahl der Milizen vervierfachte sich im Zeitraum von 2008 bis 2010. Setzten sie sich zuvor vor allem aus Männern mittleren Alters zusammen, stießen nun viele junge Männer dazu. Der Aufbau eines US-weiten Milizennetzwerks, den sich viele in der Bewegung erhofften, kam jedoch nie zustande. Man hatte lose Verbindungen, kämpfte auch schon mal gemeinsam gegen die Antifa, aber ein Zusammenschluss scheiterte wohl vor allem am Ego der Milizenchefs. So umschreibt es ein Vertreter der California State Militia, der sagte: „Seien wir mal ehrlich, wir sind alles Alpha-Kerle, was glaubst du, was da passiert?“
Trump und die bewaffneten Männer
Es gab nie einen offiziellen Schulterschluss zwischen dem Trump-Lager und den Milizen, obwohl durchaus enge Verbindungen existierten, wie die von den Trump-Vertrauten Roger Stone und Marjorie Taylor Greene mit den Oath Keepers. Und Donald Trump machte mehrmals mit Aussagen wie „stand back and stand by“ (etwa: „Haltet euch zurück und bereit“) deutlich, dass er sich nicht von den Milizen und der radikalen Rechten distanzieren wollte.
Mit dem Mord an George Floyd am 25. Mai 2020 eskalierte die Situation in den USA. Es kam im ersten Coronajahr zu etlichen Straßenschlachten zwischen gewaltbereiten Linken und rechten Gruppen, darunter auch immer wieder uniformierte Milizen. Die antirassistischen Proteste fielen zusammen mit einer breiten Diskussion im Land über die Lesart der amerikanischen Geschichte. Denkmäler für Südstaaten-Generäle aus dem Bürgerkrieg wurden umgestürzt oder entfernt, Kasernen der US-Streitkräfte umbenannt. An vielen Orten marschierten Milizen auf, um die Denkmäler „zu schützen“ und „zu verteidigen“. Die Angst vor einer ausufernden Gewaltspirale im Wahljahr 2020 wurde immer größer.
Doch dann wurde die Bewegung hart getroffen, erinnert sich Mark Pitcavage von der ADL: „Facebook entfernte die verschiedenen Milizen von seiner Plattform. Dort rekrutierten und vernetzten sie sich, verbreiteten ihre Propaganda und organisierten und planten in einigen Fällen sogar Terrorakte.“ Über Nacht waren praktisch alle Inhalte der Miliz auf Facebook verschwunden. Viele Milizen mussten erkennen, dass sie plötzlich keinen Kontakt mehr zu ihren eigenen Mitgliedern hatten, gerade die, die nicht lokal organisiert waren.
Und dann kam der 6. Januar, der zu einem Zusammenbruch der Oath Keepers führte, der mit Abstand größten Gruppe innerhalb der Milizenbewegung. Wichtige Führer, wie Stewart Rhodes, wurden verhaftet. Dazu etliche weitere Milizenmitglieder, die nach dem Sturm auf das Capitol erkannt und gefasst worden waren. Doch selbst nach dem gewalttätigen Angriff distanzierte sich Trump nicht. Auf Veranstaltungen lässt er immer wieder die Nationalhymne spielen, gesungen von einem Chor der inhaftierten Straftäter vom 6. Januar. Seine Ankündigung, die „Geiseln“ und „amerikanischen Patrioten“, wie er die verurteilten Straftäter des 6. Januars nennt, nach seiner Wiederwahl begnadigen zu wollen, kam in diesen Reihen gut an.
Der Ausschluss der Milizen von etlichen Social Media Plattformen und die Verhaftungswelle nach dem Sturm auf das Capitol führten ganz offensichtlich zu einer deutlichen Schwächung der organisierten Milizenbewegung in den USA. Von einem Ende kann jedoch nicht gesprochen werden, so Mark Pitcavage. „Es gibt heute viel weniger weiße Rassisten, die in Gruppen organisiert sind. Aber das bedeutet nicht, dass es weniger weiße Rassisten gibt. Das Gleiche gilt für die Milizenbewegung.“
Es sei darüber hinaus schwieriger geworden, die Aktivitäten der bewaffneten Milizen in den USA zu verfolgen, denn nur die wenigsten Gruppen hätten noch eine Onlinepräsenz. Zwar gebe es Kanäle auf Telegram und Truth Social, doch die seien für Außenseiter weitgehend gesperrt. Auch gibt es heute kaum noch diese großen Gruppen, die mit ihrer Mitgliederzahl protzen. Vielmehr existieren Zusammenschlüsse von zwei, drei und wenigen Männern, die abseits der öffentlichen Wahrnehmung trainieren und sich auf den Tag X vorbereiten.
Alle Experten, die seit vielen Jahren, teils besorgt und mit deutlichen Worten vor dieser zeitweise bis zu 75 000 Mann starken Schattenarmee im Land warnten, sind sich daher sicher, dass die Gefahr, die von den Milizen ausgeht, noch nicht gebannt ist. Eine Datenauswertung der ADL von rechtsgerichteter terroristischer Gewalt in den USA der letzten sechs Jahre ergab, dass gerade Einzeltäter zu mehr als 50 Prozent ihre Pläne umsetzen konnten. Wenn mehrere Täter eine Aktion planten, dann seien ihre Erfolgsaussichten auf 20 Prozent gesunken. Die Gefahr eines rechten Terrors in den USA geht also weniger von Milizengruppen aus, sondern vielmehr von Einzeltätern, die an Schusswaffen und Sprengstoff gut ausgebildet sind.
Gerade das sollte ein Weckruf für Amerika sein, doch ist es bisher nicht. Gerade und vor allem, weil der Kandidat der Republikaner ganz bewusst mit diesem Szenario von Gewalt nach der Wahl spielt, wenn er erneut verlieren sollte. Donald Trump macht in all seinen öffentlichen Auftritten immer wieder klar, dass er die Wahl im November gegen Joe Biden nur verlieren kann, wenn „erneut“ von Seiten der Demokraten und des „Deep State“ manipuliert werden würde. Er sei schon jetzt der sichere Sieger, so das Mantra des Trump-Lagers. Damit bereitet Trump den Boden für einen rechten Terror in den USA, bei dem die gut ausgebildeten Milizen und ihre Tausenden Mitglieder ganz sicher eine wichtige Rolle spielen werden. Der langjährige Beobachter der extremen Rechten in den USA, Politikprofessor Lane Crothers, fasst es mit wenigen Worten zusammen: „Ich mache mir heute mehr Sorgen als früher.“