Ausgabe Oktober 1995

Dokumente zum Krieg in Bosnien

Gemeinsame Verlautbarung der Kontaktgruppe vom 8. September 1995 (Wortlaut)

Am 28. August 1995 schlugen in Sarajewos Innenstadt sieben Granaten ein. Bei diesem Angriff, für den die bosnischen Serben verantwortlich gemacht wurden, fanden 37 Menschen den Tod. Nachdem die "Kontaktgruppe", die einen Tag später in der französischen Hauptstadt zusammenkam, sich für militärische Maßnahmen ausgesprochen hatte, begann die NATO in der Nacht zum 30. August mit massiven Lufteinsätzen u.a. gegen serbische Stellungen im Umfeld Sarajewos. Während die militärischen Aktionen der NATO andauerten, kam es am 8. September 1995 in Genf unter Schirmherrschaft des stellvertretenden US-Außenministers Richard Holbrooke und des Vermittlers der Europäischen Union für das ehemalige Jugoslawien, Carl Bildt, sowie in Anwesenheit von Repräsentanten der Kontaktgruppe zum einem Treffen der exjugosiawischen Parteien. Die Außenminister von Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Jugoslawien (Serbien und Montenegro), dessen Delegation Vertreter der bosnischen Serben angehörten, einigten sich auf einen Katalog von "Grundprinzipien", die wir ebenso wie die "Gemeinsame Verlautbarung der Kontaktgruppe" nachstehend im Wortlaut dokumentieren. D. Red.

Wir haben soeben ein unter der Schirmherrschaft der Kontaktgruppe abgehaltenes Treffen der Außenminister der Republik Bosnien-Herzegowina (Bosnien-Herzegowina), der Republik Kroatien (Kroatien) und der Bundesrepublik Jugoslawien (Jugoslawien) beendet.

Die Kontaktgruppe gibt heute bekannt, daß die drei Außenminister im Namen ihrer Regierungen - der Republik Bosnien-Herzegowina, der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien, die mit einer gemeinsamen Delegation ebenfalls die bosnischen Serben vertritt uns autorisiert haben, die beigefügten Vereinbarten Grundprinzipien zu veröffentlichen. Alle drei Regierungen - und ihre Präsidenten - stimmen darin überein, daß diese Prinzipien die bevorstehenden schweren Verhandlungen bestimmen werden, und alle stimmten, nach einigen harten Diskussionen, den Formulierungen dieser bedeutenden Erklärung zu. Mit Blick auf Westslawonien, Baranja und Westsrijem sind die Ko-Vorsitzenden zu einer Lösung als Teil eines umfassenden Friedensregelung verpflichtet und werden dies zu einer vordringlichen Angelegenheit machen, wenn sie in der kommenden Woche in die Region zurückkehren.

Die Erklärung bringt uns dem Frieden einen bedeutenden Schritt näher. Aber: bei aller Bedeutung bedeutet diese Erklärung nicht das Ende der Tragödie auf dem Balkan. Weit davon entfernt existieren zwischen den verschiedenen Seiten erhebliche Differenzen, die fortgesetzte intensive Verhandlungen notwendig machen. Wir werden heute nacht zu weiteren Verhandlungen in unsere jeweiligen Hauptstädte zurückkehren. In der kommenden Woche werden der Stellvertretende Außenminister Richard Holbrooke und der Vermittler der Europäischen Union Carl Bildt mit ihren Delegationen in die Region zurückkehren, und morgen wird der Erste Stellvertretendende Minister Igor Iwanow aus Rußland nach Belgrad reisen. Die Kontaktgruppe wird in der nächsten Woche in Genf in der Russischen Mission bei den Vereinten Nationen erneut zusammenkommen. Nachfolgende Treffen werden in Moskau und, in einem erweiterten Format, in Rom abgehalten. In der Fortsetzung der gestrigen bedeutsamen Zusammenkunft in Paris beraten wir ebenso eng mit dem Vertreter der Organisation der Islamischen Konferenz und werden dies im Rahmen einer institutionalisierten Koordinationsstruktur fortfahren.

Die Erklärung, die wir heute veröffentlichen, ist ein bedeutender Meilenstein bei der Suche nach Frieden. Die heutige Erklärung beinhaltet viele wichtige Punkte. Es ist vereinbart, daß BosnienHerzegowina innerhalb der gegenwärtigen international anerkannten Grenzen aus zwei demokratischen Einheiten bestehen wird - der bestehenden Föderation Bosnien-Herzegowina und der Serbischen Republik [Republica Srpska]. Das bosnische Territorium wird geteilt in die Föderation mit 51 Prozent und die serbische Einheit mit 49 Prozent. Die Beteiligten vereinbarten weiterhin, eine Kommission zu schaffen, um akzeptierte internationale Menschenrechtstandards innerhalb ihrer Territorien durchzusetzen. Sie staunten darin überein, Bewegungsfreiheit innerhalb der bosnischen Grenzen zu gewähren und Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimat zu erlauben. Jede Einheit wird selbstregiert sein, mit einer eigenen Verfassung. Da die Souveränität und territoriale Integrität BosnienHerzegowinas fortbestehen wird, sind zusätzliche gemeinsame Institutionen auf der Ebene Bosnien-Herzegowinas geplant. Selbstverständlich bleibt viel zu tun. Die schwerste Arbeit liegt noch vor uns.

Noch müssen die Einheiten einen Entwurf für eine zentrale zusammenführende Struktur entwickeln, um die vereinbarten kooperativen Anstrengungen zu überwachen und weitere gemeinsame Anstrengungen auf Gebieten auszuarbeiten, in denen Zusammenarbeit der einzige Weg ist, gemeinsame Probleme zu lösen, Zusätzlich müssen die Parteien ihre internen Grenzen innerhalb Bosniens entsprechend dem 51:49-Prinzip festlegen. Wir sollten nicht der Illusion verfallen, daß dies einfache Aufgaben sind; sie können nur durch intensive Verhandlungen, getragen von einem aufrichtigen Wunsch nach Frieden, gelöst werden.

Die beigefügten Grundprinzipien wurden heute zwischen S.E. Muhamed Sacirbey, Außenminister der Republik Bosnien-Herzegowina (Bosnien-Herzegowina), S.E. Mate Granic, Außenminister der Republik Kroatien (Kroatien) und S.E. Milan Milutinovic, Außenminister der Bundesrepublik Jugoslawien (Jugoslawien) in Gegenwart von Vertretern Frankreichs, Deutschlands, Rußlands, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten sowie des Sondervermittlers der Europäischen Union für das ehemalige Jugoslawien vereinbart.

 

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