Ausgabe November 2005

Wir bekräftigen unseren Glauben an die Vereinten Nationen

Ergebnisdokument des UN-Weltgipfels vom 15. September 2005 (Auszug)

(Auszug)

Mitte September trafen sich die Staats- und Regierungschefs von über 150 Staaten in New York, um über die Umsetzung der Ziele des Millenniumsgipfels zu beraten und über die vorliegenden Pläne zur Strukturreform der Vereinten Nationen zu befinden. Dabei zeichnete sich rasch ab, dass – nicht zuletzt aufgrund der harten Haltung der USA sowie regionaler Rivalitäten – eine UN-Reform nicht zustande kommen würde (vgl. auch den Beitrag von Helmut Volger in diesem Heft). Die Enttäuschung hierüber brachte nicht nur UN-Generalsekretär Kofi Annan zum Ausdruck; viele Beobachter sprachen offen von einem Fehlschlag. Nicht zufällig liest sich auch die Abschlusserklärung des Weltgipfels in weiten Teilen wie ein Dokument des Scheiterns. Wir dokumentieren ungekürzt das erste Kapitel „Werte und Grundsätze“. – D. Red.

Werte und Grundsätze

1. Wir, die Staats- und Regierungschefs, sind vom 14. bis 16. September 2005 am Amtssitz der Vereinten Nationen in New York zusammengetreten.

2. Wir bekräftigen unseren Glauben an die Vereinten Nationen und unser Bekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen der Charta und des Völkerrechts, die unverzichtbare Grundlagen einer friedlicheren, wohlhabenderen und gerechteren Welt sind, und bekunden erneut unsere Entschlossenheit, ihre strikte Achtung zu fördern.

3. Wir bekräftigen die Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen, die wir am Anbruch des 21. Jahrhunderts verabschiedeten. Wir anerkennen die wertvolle Rolle, die die großen Konferenzen und Gipfeltreffen der Vereinten Nationen im Wirtschafts- und Sozialbereich und auf damit zusammenhängenden Gebieten, einschließlich des Millenniums-Gipfels, erfüllen, indem sie die internationale Gemeinschaft auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene mobilisieren und als Handlungsanleitung für die Arbeit der Vereinten Nationen dienen.

4. Wir bekräftigen, dass unsere gemeinsamen Grundwerte, darunter Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Toleranz, Achtung aller Menschenrechte, Achtung der Natur und geteilte Verantwortung, für die internationalen Beziehungen unerlässlich sind.

5. Wir sind entschlossen, im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen in der ganzen Welt gerechten und dauerhaften Frieden herbeizuführen. Wir bekennen uns erneut dazu, alle Anstrengungen zur Wahrung der souveränen Gleichheit aller Staaten zu unterstützen, ihre territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit zu achten, jede mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt in unseren internationalen Beziehungen zu unterlassen und die Beilegung von Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts aufrechtzuerhalten sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die sich weiterhin unter kolonialer Herrschaft und ausländischer Besetzung befinden, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Gleichberechtigung aller ohne Unterschied nach Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion, die internationale Zusammenarbeit bei der Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Art sowie die nach Treu und Glauben erfolgende Erfüllung der im Einklang mit der Charta eingegangenen Verpflichtungen zu wahren.

6. Wir erklären erneut, dass ein wirksames multilaterales System, im Einklang mit dem Völkerrecht, von entscheidender Bedeutung ist, um den mannigfaltigen und miteinander verflochtenen Herausforderungen und Bedrohungen, denen sich unsere Welt gegenübersieht, besser begegnen und Fortschritte im Bereich des Friedens und der Sicherheit, der Entwicklung und der Menschenrechte erzielen zu können, unter Betonung der zentralen Rolle der Vereinten Nationen, und wir verpflichten uns, die Wirksamkeit der Organisation durch die Umsetzung ihrer Beschlüsse und Resolutionen zu fördern und zu stärken.

7. Wir sind der Überzeugung, dass wir heute mehr als je zuvor in einer globalisierten und interdependenten Welt leben. Kein Staat kann gänzlich alleine stehen. Wir erkennen an, dass die kollektive Sicherheit von einer wirksamen, im Einklang mit dem Völkerrecht durchgeführten Zusammenarbeit gegen grenzüberschreitende Bedrohungen abhängt.

8. Wir erkennen an, dass die derzeitigen Entwicklungen und Umstände von uns verlangen, umgehend einen Konsens über die großen Bedrohungen und Herausforderungen zu schaffen. Wir verpflichten uns, diesen Konsens in konkrete Maßnahmen umzusetzen und dabei auch die tieferen Ursachen dieser Bedrohungen und Herausforderungen resolut und entschlossen anzugehen.

9. Wir erkennen an, dass Frieden und Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte die Säulen des Systems der Vereinten Nationen und die Grundlagen der kollektiven Sicherheit und des kollektiven Wohls sind. Wir erkennen an, dass Entwicklung, Frieden und Sicherheit sowie die Menschenrechte miteinander verflochten sind und einander gegenseitig verstärken.

10. Wir bekräftigen, dass die Entwicklung selbst ein zentrales Ziel ist und dass die nachhaltige Entwicklung in ihren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten ein Schlüsselelement des übergreifenden Rahmens der Tätigkeiten der Vereinten Nationen bildet.

11. Wir erkennen an, dass gute Regierungsführung und die Herrschaft des Rechts auf nationaler und internationaler Ebene unerlässlich sind, um ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum und eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen und Armut und Hunger zu beseitigen.

12. Wir bekräftigen, dass die Gleichheit der Geschlechter sowie die Förderung und der Schutz des vollen Genusses aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle unabdingbar für die Förderung der Entwicklung und des Friedens und der Sicherheit sind. Wir sind entschlossen, eine Welt zu schaffen, die den künftigen Generationen gerecht wird und das Wohl des Kindes berücksichtigt.

13. Wir erklären erneut, dass alle Menschenrechte allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind.

14. In Anerkennung der Vielfalt der Welt sind wir uns dessen bewusst, dass alle Kulturen und Zivilisationen zur Bereicherung der Menschheit beitragen. Wir erkennen an, wie wichtig die Achtung und das Verständnis der religiösen und kulturellen Vielfalt auf der ganzen Welt sind. Im Hinblick auf die Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verpflichten wir uns, überall für das Wohlergehen, die Freiheit und den Fortschritt der Menschheit zu arbeiten sowie Toleranz, Achtung, Dialog und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kulturen, Zivilisationen und Völkern zu begünstigen.

15. Wir versprechen, die Relevanz, Wirksamkeit, Effizienz, Rechenschaftspflicht und Glaubwürdigkeit des Systems der Vereinten Nationen zu verbessern. Dies ist unsere gemeinsame Verantwortung und unser gemeinsames Interesse.

16. Wir beschließen daher, eine friedlichere, wohlhabendere und demokratischere Welt zu schaffen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um auch weiterhin Mittel und Wege zur Umsetzung der Ergebnisse des Millenniums-Gipfels und der anderen großen Konferenzen und Gipfeltreffen der Vereinten Nationen zu finden und so multilaterale Lösungen für Probleme auf den folgenden vier Gebieten herbeizuführen: Entwicklung, Frieden und kollektive Sicherheit, Menschenrechte und Herrschaft des Rechts, Stärkung der Vereinten Nationen.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

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