
Bild: Fachwerkhaus mit einem Solardach (IMAGO / Jochen Tack)
Der ungewöhnlich starke Preisanstieg bei Öl, Gas und Kohle in den vergangenen Wochen hat die Debatte um die Energiewende neu entfacht. Rasch kursierte das Wort „Energiepreiskrise“, tauchten verdrehte Logiken und Schuldzuschreibungen auf: Die Kritiker der Energiewende machen diese für die steigenden Preise verantwortlich und behaupten, eine Umstellung auf erneuerbare Energien sei unbezahlbar. Manche erklären den CO2-Preis zur Wurzel allen Übels und fordern inzwischen eine Rückkehr zur vermeintlich klimafreundlicheren und günstigeren Atomkraft. Dabei ist es genau umgekehrt: Die Erneuerbaren wirken preissenkend, und zwar sowohl an der Strombörse als auch bei Industrie und Verbraucher.
Dass die Energiewende nicht das Problem, sondern die Lösung ist, zeigt sich schon daran, dass all jene keine höheren Rechnungen erhalten werden, die in einem gut gedämmten Haus wohnen, mit Solarenergie Strom und Wärme erzeugen, „grüne“ Nah- oder Fernwärme nutzen oder mit dem Elektroauto unterwegs sind.
Und auch das Marktgeschehen spricht gegen die These, dass die erneuerbaren Energien und der Wandel zu größerer Energieeffizienz für die Kostensteigerungen verantwortlich sind. Vielmehr sind es vor allem die fossilen Energieträger, die die Preise derzeit explodieren lassen. Verantwortlich dafür ist die fehlgeleitete Energiepolitik der vergangenen Jahre und die gewaltige Marktmacht einzelner Akteure. Umso wichtiger aber ist es nun, den Moment der Krise als Chance für Veränderung zu begreifen. Denn ein gut gemachter Klimaschutz hat das Potential, die Energiepreise zu senken und am Ende gar das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, da in wichtige Zukunftsmärkte investiert wird. Dafür aber muss die Energiewende umgehend und mit voller Kraft erfolgen.
Die Ursachen des Preisanstiegs
Der aktuelle Preisanstieg hat drei zentrale Ursachen. Erstens haben die Corona-Lockerungen in diesem Jahr dazu geführt, dass die wiedererstarkende Wirtschaft weltweit mehr Öl nachfragte – was den Ölpreis in die Höhe treibt. Zweitens kann China neuerdings aufgrund strengerer Umweltauflagen im eigenen Land weniger Kohle fördern und muss diese daher aus anderen Staaten importieren. Das lässt auch den Preis für Kohle ansteigen. Beim Anstieg des Gaspreises spielt dagegen, drittens, Russland eine entscheidende Rolle. Statt der gestiegenen Nachfrage nachzukommen, hat Moskau seine Gasexporte gedrosselt. Dahinter steckt auch politisches Kalkül. Durch die kurzfristige Stimulation des Gasgeschäfts will der Kreml unter anderem die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 erzwingen, um so langfristig die eigene Marktmacht auf dem europäischen Kontinent zu sichern.
Dass die Bundesrepublik diesem Kalkül geradezu ausgeliefert ist, liegt auch an den Fehlern der Vergangenheit. So wurden zahlreiche Gasspeicherkapazitäten an Gazprom verkauft. Das russische Unternehmen kontrolliert derzeit etwa ein Drittel der Erdgasspeicher in Deutschland, den Niederlanden und Österreich.[1] Diese Gasspeicher wurden in den vergangenen Monaten auffällig stark geleert, was die Nachfrage und die Preisspirale hierzulande nun zusätzlich antreibt. In anderen Ländern, in denen Gazprom keine Gasspeicher besitzt, sind diese auf normalem Niveau gefüllt.[2]
Ein vorausschauender Aufbau nationaler Gasreserven hätte die aktuelle Krise verhindern und die hiesige Energieversorgung unabhängig von geopolitischen Strategien machen können. Seit langem weisen wir im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung darauf hin, dass es sinnvoll wäre, eine nationale und aktuell auch europäische Gasreserve aufzubauen, ähnlich der strategischen Ölreserve.[3] Allerdings lehnte die schwarz-rote Bundesregierung diese Forderung trotz einiger Vorschläge der SPD mit Verweis auf eine angeblich gesicherte Versorgung in diesem Winter ab.[4] Vor allem aber hätte ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien die Unabhängigkeit Deutschlands vom weltweiten Energiemarkt gestärkt. Die gegenwärtigen Preissteigerungen sollten daher als Treiber für einen langfristigen wie nachhaltigen Wandel gesehen werden. Die EU strebt dies bereits mit ihrem im Juli präsentierten Programm „Fit for 55“ an. Sie will die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Dem Kreml ist dieses Programm ein Dorn im Auge. Durch lobbymäßig geschickt in die öffentliche Debatte gestreute Ursache-Wirkung-Logikfehler verfolgt er derzeit das Ziel, die EU-Klimaschutzpolitik auszubremsen.
Die Atomkraft als Irrweg
Die Atomenergie, die neuerdings im Namen des Klimaschutzes wieder ins Feld geführt wird, bietet dagegen keinen Ausweg – weder aus der derzeitigen Energiekostenkrise noch aus der Klimakrise. Vor allem Frankreich drängt innerhalb der EU auf gemeinsame Investitionen in die Atomenergie. Doch deren erneuter Ausbau, der spätere Rückbau der Atomreaktoren und vor allem die anschließende jahrtausendelange Lagerung des radioaktiven Mülls belasten uns und die folgenden Generationen mit gewaltigen Kosten.[5]
Allein marktwissenschaftlich spricht wenig für den Ausbau der Kernenergie: In keinem Staat der Welt gelingt die wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie ohne umfangreiche staatliche Investitionen. Ganz im Gegenteil erweist sich diese meist als Fass ohne Boden: In Finnland beispielsweise verdreifachten sich die Kosten während des Baus.[6] Vor allem aber bedarf es rund 15 Jahre, bis neue Atomkraftwerke geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden. Die für eine Begrenzung der Erderhitzung notwendige schnelle Abkehr von fossilen Brennstoffen innerhalb der kommenden Jahre ist auf diese Weise nicht möglich.
Erneuerbare Energien sind im Gegensatz dazu zu einem Bruchteil jener Kosten zu haben. Sie vermeiden geopolitische Konflikte und stärken die Resilienz der Energieversorgung und der Wirtschaft insgesamt. Statt enorme Kosten und langjährige Bauzeiten in Kauf zu nehmen, sollte in saubere Energien und Energieeffizienz investiert werden. Zu Letzterem gehören auch die energetische Gebäudesanierung sowie das Vorantreiben der Verkehrswende.
All das zeigt: Die einzig richtige Antwort auf die fossile Energiekrise ist die beschleunigte Energiewende. Durch die Senkung fossiler Subventionen würden all diejenigen stärker belastet, die einen vergleichsweise großen CO2-Fußabdruck haben – und zu diesen zählen laut Oxfam vor allem die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung.[7] Kluger Klimaschutz kann also durchaus mehr soziale Gerechtigkeit schaffen. Die CO2-Bepreisung, die ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaziele darstellt, weil sie die „Nebenkosten“ fossiler Energien durch die Klimawandelfolgen widerspiegelt, hat dagegen das Problem, dass die durch sie steigenden Preise Verbraucher*innen ungleich belasten. Während Gutverdienende diese leicht kompensieren können, bekommen Menschen mit niedrigen Einkommen die höheren Kosten im Alltag deutlich zu spüren. Eine Pro-Kopf-Rückerstattung der CO2-Bepreisung ist deshalb unabdingbar, um gerade einkommensschwächere Haushalte zu entlasten.[8]
Elektrizität ist das neue Öl
Noch ist es möglich, die irreversiblen Klimakipppunkte nicht zu überschreiten. Da dafür aber nur äußerst wenig Zeit bleibt, dürfen keine weiteren Investitionen in fossile Energien mehr fließen – sei es Kohle, Öl oder Gas. Stattdessen müssen wir die erneuerbaren Energien fördern, und zwar weitaus schneller und konsequenter als bisher. Die Politik steht heute an einem Wendepunkt. Und sechs Jahre nach Unterzeichnung des Pariser Abkommens und vierzig Jahre nach den ersten wissenschaftlichen Klimaberichten kommt – wenn auch immer noch zu langsam – Bewegung in die Sache.
Hierzulande schafft der Ausgang der Bundestagswahl dafür eine neue Grundlage. Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP sieht bereits einen deutlich schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien vor. Insgesamt aber sind die Ambitionen bei weitem nicht hoch genug und es bleibt unklar, wie die im Papier genannten Ziele erreicht werden sollen. Zwar bekräftigen die künftigen Koalitionäre das Bekenntnis zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, legen aber weder die konkrete Bestimmung des CO2-Budgets fest, noch benennen sie ausreichende Maßnahmen zu dessen Umsetzung. Und ausgerechnet im Verkehrssektor hinterlässt das Sondierungspapier auffällige Lücken. Speziell in puncto Stärkung der Bahn, des ÖPNV und der Elektromobilität muss nachgelegt werden.
Überdies ist die Frage der Finanzierung der notwendigen Investitionen komplett ungeklärt. Fest steht: Die Einhaltung der Schuldenbremse ohne Steuererhöhung engt den Spielraum für die nötigen klimapolitischen Investitionen massiv ein. Nötig sind daher zwei Dinge: Erstens sollte im kommenden Jahr, in dem die Schuldenbremse noch ausgesetzt ist, kreditfinanziert ein Klimaschutz-Zukunftsfonds gefüllt werden. Die Zinsen sind niedrig und der Bedarf ist groß: 50 bis 80 Mrd. Euro sollten pro Jahr in den Ausbau und die Stärkung der Energie- und Verkehrsinfrastrukturen sowie in die Digitalisierung investiert werden. Ein derartiger Fonds sollte mindestens 300 Mrd. Euro umfassen, damit böte er einen wichtigen Puffer für Zukunftsinvestitionen. Aufgrund niedriger Zinsen und des Anschubs der Volkswirtschaft ist mit dem Abbau der Schulden in zwei Jahrzehnten zu rechnen.
Zweitens ist insbesondere im Verkehrssektor die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen überfällig: von der Dieselsteuererleichterung, der fehlenden Kerosin- und Mehrwertsteuer auf internationale Flüge über das Dienstwagenprivileg bis hin zur Pendlerpauschale. Sie alle schaffen Fehlanreize und sollten dringend beendet werden. Gerade das Dienstwagenprivileg und die Pendlerpauschale sind nicht nur klimaschädlich, sondern auch sozial ungerecht, denn sie bevorteilen vor allem reichere Autofahrer. Sinnvoller wäre dagegen ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld. Die pauschale Ablehnung von Steuererhöhungen durch die FDP ist dabei sehr hinderlich.
Auch auf der Weltklimakonferenz in Glasgow gab es einige Fortschritte zu verzeichnen, wie etwa das Bekenntnis, die Entwaldung zu stoppen, den weltweit gemeinsamen Kohleausstiegsprozess zu starten oder aber die Methanemissionen zu senken. All das sind ermutigende Signale, wichtig ist aber auch hier die verbindliche und vor allem schnelle Umsetzung.
Denn so erfreulich die Nachricht auch ist, dass der Klimaschutz endlich weit oben auf der politischen Agenda steht: Weder die Ambitionen noch die Umsetzung reichen derzeit aus, um weitere Preiskriege und Energiearmut zu vermeiden, geschweige denn, um die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Und selbst diese sind nicht ambitioniert genug, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei oder gar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dies würde eine Reduzierung der Emissionen um 80 Prozent bis 2030 und eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen erfordern.
Was wir daher brauchen, ist ein schneller Übergang zu einer hundertprozentig sauberen, erneuerbaren Energieversorgung. Zu diesen Energiequellen gehören Onshore- und Offshore-Windenergie, Photovoltaik auf Dächern und in Kraftwerken, konzentrierte Solarenergie, Solarthermie zur Wärmeerzeugung, geothermische Elektrizität und Wärme, bestehende Wasserkraft, Gezeiten- und Wellenenergie. Mit ihrer Hilfe wird die vollständige Elektrifizierung fast aller Bereiche möglich – Verkehr, Heizen, Kochen und nicht zuletzt der Industrie. Da erneuerbare Energien im Vergleich zu fossiler und nuklearer Energie weitaus effizienter sind, kann die volle Elektrifizierung den Primärenergiebedarf um mehr als 50 Prozent senken, auch wenn die Nachfrage nach Strom zugleich erheblich steigen wird. Zahlreiche Studien belegen, dass eine Vollversorgung mit hundert Prozent erneuerbaren Energien niedrigere Energiesystemkosten verursacht als eine Versorgung mit konventioneller Energie. Die neue Energiewelt könnte sich darüber hinaus durch mehr Dezentralität, Flexibilität und Intelligenz auszeichnen, indem jeder Einzelne sich an der Energiewende beteiligt – etwa wenn er Energie durch Solaranlagen oder eigene Blockheizkraftwerke produziert und Batteriespeicher über das Elektroauto bereitstellt.
Allerdings sind dafür hierzulande politischer Mut und eine Vervierfachung des jetzigen Ausbautempos nötig. Wir brauchen Solarenergie auf allen Dächern und mehr Windenergie – auch im Süden Deutschlands. Dafür müssen jedoch Marktbarrieren abgebaut, Genehmigungsverfahren vereinfacht, geeignete Flächen ausgewiesen und alte Anlagen schnellstmöglich erneuert werden. Kurzum: Die Ampel-Koalition sollte die fossile Energiepreiskrise zum Anlass nehmen, um entschlossen und mit aller Kraft eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien anzustreben. Macht sie hingegen so weiter wie bisher, wird unser Emissionsbudget in sieben Jahren ausgeschöpft sein. Der Preis für die Anpassung an die globale Erwärmung und die durch sie verursachten Schäden wird dann weitaus höher ausfallen – für alle, und zwar weltweit.
[1] European Natural Gas Infrastructure: The Role of Gazprom in European Natural Gas Supplies, DIW Berlin, Politikberatung Kompakt 81/2014. Im Jahr 2015 hat BASF seinen Gasspeicher an Gazprom verkauft, vgl. BASF verkauft alle deutschen Gasspeicher an Russen, www.welt.de, 4.9.2015.
[2] Deutsche Gazprom-Speicher ungewöhnlich leer, www.tagesschau.de, 27.10.2021.
[3] Europäische Erdgasversorgung trotz politischer Krisen sicher, DIW Berlin, Wochenbericht 22/2014, S. 479-492.
[4] Deutsche Erdgasspeicher leeren sich – SPD plädiert für nationale Reserve, www.handelsblatt.com, 19.2.2021.
[5] Vgl. Zehn Jahre nach Fukushima – Kernkraft bleibt gefährlich und unzuverlässig, DIW Berlin, Wochenbericht 8/2021, S. 107-115.
[6] Vgl. Ben Wealer u.a., Kernenergie und Klima. Diskussionsbeiträge der Scientists for Future 9, www.zenodo.org, 2021.
[7] Vgl. Oxfam, Carbon inequality in 2030, www.oxfam.org, 5.11.2021.
[8] CO2-Bepreisung im Wärme- und Verkehrssektor: Diskussion von Wirkungen und alternativen Entlastungsoptionen, DIW Berlin, Politikberatung kompakt 140, 29.8.2019.