Wie faschistische Politik den öffentlichen Diskurs zersetzt

Bild: Symbolbild: Eine Faust reckt einen Stift in die Luft (IMAGO / Addictive Stock / Hodei Unzueta)
Der rechtsextreme amerikanische Radiomoderator Rush Limbaugh prangerte einst in seiner beliebten Radiosendung Folgendes an: „Die vier Eckpfeiler der Täuschung: Regierung, Hochschulen, Wissenschaft und Medien. Diese Institutionen sind heute korrupt und existieren nur noch auf der Grundlage von Betrug. Auf diese Weise behaupten sie sich selbst und auf diese Weise gedeihen sie.“[1] Limbaugh liefert hier ein perfektes Beispiel dafür, wie faschistische Politik das Konzept von Fachwissen ins Visier nimmt, wie sie es verspottet und abwertet.
In einer liberalen Demokratie sollten sich Politiker einerseits mit den Menschen beratschlagen, die sie vertreten, andererseits aber auch mit Experten und Wissenschaftlern, die ihnen die Anforderungen der Wirklichkeit an die Politik am treffendsten erklären können. Im Gegensatz dazu sind faschistische Anführer „Männer der Tat“, die für Beratungen und Überlegungen nichts übrighaben. In seinem Essay „Die Wiedergeburt des europäischen Mannes“ aus dem Jahr 1941 schreibt der französische Faschist Pierre Drieu la Rochelle: Der Faschist „ist ein Menschentyp, der die Kultur ablehnt. Es ist ein Mensch, der nicht an Ideen glaubt, und daher lehnt er Doktrinen ab. Es ist ein Mensch, der nur an Taten glaubt und diese Taten im Einklang mit einem nebulösen Mythos ausführt.“[2] Deshalb stehen Universitäten und Experten stets im Visier der Faschisten. Sind sie erst einmal delegitimiert, steht es faschistischen Politikern frei, eine von ihrem individuellen Willen geprägte Realität zu schaffen. Limbaugh attackierte die Wissenschaft denn auch über viele Jahre hinweg mit der Behauptung, dass sie „ein Zuhause für vertriebene Sozialisten und Kommunisten geworden ist“. Und in der gegenwärtigen Phase der US-Politik, in der Trump und seine Anhänger die Klimaforschung verspotten und verhöhnen, erleben wir einen regelrechten Siegeszug der Verunglimpfung wissenschaftlichen Sachverstands.
Indem sie den Wert von Bildung und Expertenwissen ablehnen, beseitigen faschistische Politiker auch jegliche Voraussetzung für eine anspruchsvolle Debatte. Ohne Bildung mit Zugang zu unterschiedlichen Perspektiven, ohne Respekt vor dem Fachwissen anderer, wenn der eigene Sachverstand nicht mehr ausreicht, und ohne eine Sprache, die hinreichend differenziert ist, um die Realität präzise zu beschreiben, wird eine vernünftige Diskussion unmöglich. Sobald aber Bildung, Fachwissen und Sprache unterminiert sind, bleiben nur noch Macht und Gruppenzugehörigkeiten übrig.
Dies bedeutet keineswegs, dass Universitäten und Schulen für die faschistische Politik keine Rolle spielen. Aber sie dürfen im Kontext der Ideologie nur einen legitimen Standpunkt vertreten: den der dominanten Nation. Entsprechend sollen die Schulen ihre Schüler mit der herrschenden Kultur und ihrer mythischen Vergangenheit vertraut machen. So stellt die Bildung für den Faschismus entweder eine ernste Bedrohung dar oder sie wird zu einem Stützpfeiler der mythischen Nation. Kein Wunder also, dass Proteste und kulturelle Auseinandersetzungen auf dem Campus einem regelrechten politischen Schlachtfeld gleichkommen und landesweit Aufmerksamkeit erregen. Es steht schließlich eine Menge auf dem Spiel.
Die Universitäten als Epizentren des Protests
Zumindest in den letzten 50 Jahren waren die Universitäten das Epizentrum des Protests gegen Ungerechtigkeit und autoritäre Übergriffe. Man denke zum Beispiel an ihre einzigartige Rolle in der Antikriegsbewegung während der 1960er Jahre. Wo das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt, können Propagandisten abweichende Positionen nicht frontal angreifen; stattdessen müssen sie diese zunächst als etwas Gewalttätiges und Bedrohliches darstellen – so wird ein Protest zu einem „Krawall“.
2015 breitete sich die „Black-Lives-Matter“-Bewegung, die gegen Polizeigewalt und Rassenungleichheit demonstrierte, in den Vereinigten Staaten aus und griff auf die Universitäten über. In Anbetracht der Tatsache, dass die Proteste in Ferguson, Missouri, ihren Anfang hatten, ist es keine Überraschung, dass sie den Campus der University of Missouri zuerst erreichten. Der Name der dortigen Studierendenbewegung lautete „Concerned Student 1950“ und sollte an das Jahr erinnern, in dem die Hochschule desegregiert worden war. Zu ihren Zielen gehörte es, die rassistischen Übergriffe zu bekämpfen, unter denen schwarze Studierende regelmäßig zu leiden hatten, und gegen Lehrpläne zu demonstrieren, die Kultur und Zivilisation ausschließlich als das Produkt weißer Männer darstellten. Die Presse ignorierte diese Beweggründe weitgehend und schlachtete die Situation aus, indem sie die schwarzen Studierenden bei ihrem Protest als wütenden Mob zeichnete, um damit den Zorn gegen die vermeintlich liberalen politischen Auswüchse der Universität zu schüren. Hier zeigte sich exemplarisch: Faschistische Politik zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit von Institutionen wie Medien und Hochschulen, in denen unabhängige, abweichende Stimmen zu hören sind, so lange zu untergraben, bis man sie durch Institutionen ersetzen kann, die diese Stimmen verstummen lassen. Eine typische Methode ist hierbei die Unterstellung von Heuchelei.
Derzeit wirft eine Kampagne von rechter Seite den Universitäten Scheinheiligkeit in Sachen Meinungsfreiheit vor. Ihr zufolge beteuern die Hochschulen zwar, diese in höchsten Ehren zu halten, gleichzeitig unterdrückten sie aber alle Positionen, die nicht links seien, indem sie auf dem Campus Demonstrationen gegen sie zuließen. In jüngster Zeit haben die Kritiker sozialer Gerechtigkeitsbewegungen eine wirksame Methode gefunden, um sich selbst als Opfer des Protests zu inszenieren: Sie behaupten schlicht, dass die Demonstrierenden ihnen ihre persönliche Meinungsfreiheit verweigern wollen. Diese Anschuldigungen dringen bis in die Seminarräume vor.
Von Horowitz zu Trump: Agitation gegen die »politische Korrektheit«
David Horowitz ist ein rechtsextremer Aktivist, der seit den 1980er Jahren Universitäten – und die Filmindustrie – ins Visier nimmt. 2006 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „The Professors“, in dem er die „101 gefährlichsten Professoren Amerikas“ aufführt, eine Liste linker und liberaler Hochschullehrer, von denen viele für die Rechte der Palästinenser eintraten. 2009 veröffentlichte er ein weiteres Buch namens One-Party Classroom („Einparteien-Klassenzimmer“), das eine Liste der „150 gefährlichsten Lehrveranstaltungen in Amerika“ enthält. Um seine Ideen zu verbreiten, hat Horowitz zahlreiche Organisationen gegründet. 1988 rief er das Center for the Study of Popular Culture ins Leben, eine rechtsextreme Denkfabrik, die antimuslimisches Gedankengut – auch an Universitäten – verbreitete. Später benannte sie sich zum David Horowitz Freedom Center (DHFC ) um. Ab 1992 publizierte er das monatlich erscheinende Boulevardblatt „Heterodoxy“, das sich laut dem Southern Poverty Law Center „an Studierende richtete, die nach Horowitz’ Ansicht von der etablierten Linken an amerikanischen Universitäten indoktriniert worden waren“. Zudem steht er der Organisation Students for Academic Freedom vor, die 2003 als „Kampagne für Fairness und Inklusion in der höheren Bildung“ gegründet wurde. Ihr Ziel besteht darin, die Einstellung von Professoren mit konservativer Weltanschauung voranzutreiben – eine Bemühung, die als Förderung der „intellektuellen Vielfalt und akademischen Freiheit an Amerikas Colleges und Universitäten“ vermarktet wird, so die Young America’s Foundation.
In den vergangenen Jahrzehnten zählte Horowitz noch zu den Randfiguren der extremen Rechten in den USA. In jüngster Zeit sind seine Taktiken und Ziele sowie seine Rhetorik jedoch Teil des Mainstreams geworden, wo Agitation gegen die „politische Korrektheit“ auf dem Campus mittlerweile an der Tagesordnung ist. Die Trump-Regierung hat Horowitz’ Programmatik aggressiv vorangetrieben. So erklärte Jesse Panuccio, einer der ranghöchsten Staatsanwälte des Landes, am 26. Januar 2018 während einer Rede an der Northwestern University, „dass die Redefreiheit auf dem Campus ein äußerst wichtiges Thema ist, und zwar – wie Sie wahrscheinlich wissen – eines, das Generalstaatsanwalt Sessions zu einer Priorität für das Justizministerium gemacht hat. Es ist eine Priorität, weil es unserer Ansicht nach an vielen Universitäten im ganzen Land nicht mehr gelingt, die freie Meinungsäußerung zu schützen und zu fördern. Trumps Präsidentschaftswahlkampf wurde mitunter als ein einziger langer Angriff auf die ‚politische Korrektheit‘ beschrieben.“[3] Es ist durchaus kein Zufall, dass diese Rhetorik gut zu den Gesprächspunkten einiger finanzstarker Institutionen passt, die eigens entstanden sind, um Universitäten als Bastionen des Liberalismus zu attackieren und zu delegitimieren. So bestehen Verbindungen zwischen der früheren Trump-Regierung, insbesondere ihren Mitgliedern rechts außen, und dem David Horowitz Freedom Center. Laut einer im Juni 2017 veröffentlichten Untersuchung der Washington Post unterstützte das DHFC Akteure, die eindeutig beabsichtigten, die offizielle Politik Washingtons zu destabilisieren und nach rechts zu verschieben, darunter Justizminister Jeff Sessions, Politikberater Stephen Miller und Chefstratege Stephen Bannon.[4] Dem Artikel zufolge äußerte sich Horowitz am 14. Dezember 2016 „glücklich über Trumps Sieg und sagte, die Republikaner seien endlich aufgewacht und hätten seinen politischen Ansatz verstanden“, wobei er Linke ausdrücklich als Feinde der Meinungsfreiheit anprangerte. Mindestens elf Mitglieder der früheren Trump-Regierung rechnet Horowitz zu den Unterstützern des DHFC, darunter neben Sessions, Bannon und Miller, den Horowitz zu Recht als „eine Art Protegé von mir“ bezeichnet (der Artikel dokumentiert seine langjährige Unterstützung von Millers Karriere), auch den ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence. Das Zentrum ist schon seit vielen Jahren stark in die Karrieren hochrangiger Trump-Anhänger in der Politik involviert und diente laut der Untersuchung der Washington Post lange Zeit als eine Art informeller Treffpunkt für die rechtsextremen Mitglieder der Regierung.
Gegen die akademische Freiheit: Die Abschaffung der Festanstellung
Horowitz’ Attacken gegen die Universitäten entbehren jeglicher Legitimation. Durch den formalen Schutz der akademischen Freiheit genießen die Angestellten an den Hochschulen in den Vereinigten Staaten unter allen Arbeitsplätzen das höchste Maß an Meinungsfreiheit. In der amerikanischen Privatwirtschaft ist diese hingegen ein Hirngespinst. Arbeitnehmer unterliegen oftmals Vertraulichkeitsvereinbarungen, die es ihnen untersagen, über gewisse Dinge zu sprechen. Vielerorts können Beschäftigte wegen politischer Äußerungen in sozialen Medien entlassen werden. Bei einem Angriff auf die einzigen Arbeitsplätze im Land, die freie Meinungsäußerung tatsächlich garantieren, ausgerechnet diese selbst und deren angebliches Fehlen als Begründung des Angriffs anzuführen, ist ein weiteres Beispiel für den bekannten Orwellschen Charakter der faschistischen Propaganda. Im Januar 2017 änderte der Abgeordnete Rick Brattin aus Missouri einen zuvor eingebrachten Gesetzentwurf, sodass dieser sämtliche unbefristete Professuren an den öffentlichen Universitäten seines Bundesstaates verbieten sollte. Auf die Frage, ob er nicht besorgt sei, dass die Abschaffung der Festanstellung die akademische Freiheit gefährden und dazu führen könne, dass Professoren aus politischen Gründen ihre Stelle verlören, antwortete Brattin mit der Gegenfrage, in welchen anderen Berufen man diese Freiheit denn habe und warum die akademische Welt eine Ausnahme sein solle.
Je nach Fachgebiet hat die Arbeit von Gelehrten jedoch zwangsläufig politische Implikationen. Die Angriffe von rechts bezeugen den Wunsch dieses politischen Flügels, zu bestimmen, welche Forschung legitim ist und welche nicht. Die Taktik, Institutionen anzugreifen, die für eine vernünftige und transparente Debatte eintreten, erfolgt – ganz im klassischen Stil der demagogischen Propaganda – unter dem Deckmantel derselben Ideale.
Dominant, patriarchal, antiegalitär: Gender Studies als Lieblingsgegner
Faschisten nehmen an den Universitäten Professoren ins Visier, die sie für zu politisch – typischerweise für zu marxistisch – halten, und denunzieren dabei ganze Fachrichtungen. Sobald faschistische Bewegungen in liberal-demokratischen Staaten aufkommen, greifen sie bestimmte akademische Disziplinen bevorzugt an. So stehen zum Beispiel die Gender Studies weltweit seitens rechtsextremer Nationalisten unter Beschuss. Den Professoren und Lehrern in diesen Bereichen wird vorgeworfen, die nationalen Traditionen geringzuschätzen. Wann immer der Faschismus droht, denunzieren seine Vertreter und Förderer Universitäten und Schulen als Quellen „marxistischer Indoktrination“, des klassischen Schreckgespenstes faschistischer Politik. In der Regel verwenden sie diese Bezeichnung ohne jeglichen tatsächlichen Bezug zu Marx oder dem Marxismus; er dient lediglich als Mittel zur Verunglimpfung des Konzepts der Gleichheit. Aus diesem Grund werden Universitäten, die versuchen, auch marginalisierten Perspektiven einen gewissen intellektuellen Raum zu geben, als Brutstätten des „Marxismus“ verschrien.
Im Faschismus geht es stets um die dominante Sichtweise. Daher erfahren in Zeiten, in denen er erstarkt, jene Akteure Rückhalt, die Disziplinen anprangern, sofern sie andere Auffassungen als die dominante lehren – wie etwa die Gender Studies oder, in den Vereinigten Staaten, die Black Studies oder die Middle East Studies. Die vorherrschende Sichtweise wird vielfach als die eine Wahrheit, die „wahre Geschichte“ dargestellt und jeder Versuch, alternativen Sichtweisen Raum zu geben, als „Kulturmarxismus“ verspottet.[5]
Die faschistische Opposition gegen die Gender Studies speist sich insbesondere aus ihrer patriarchalen Ideologie. Schon der Nationalsozialismus bekämpfte die Frauenbewegung und den Feminismus im Allgemeinen; seine Anhänger sahen darin eine jüdische Verschwörung mit dem Zweck, die Fruchtbarkeit arischer Frauen zu zerstören. Charu Gupta fasst die Haltung der Nazis gegen feministische Bewegungen treffend zusammen: „[Die Nazis] glaubten, dass die Frauenbewegung Teil einer internationalen jüdischen Verschwörung sei, um die deutsche Familie zu zersetzen und damit die deutsche Rasse zu auszumerzen. Die Bewegung, so wurde behauptet, ermutige Frauen, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit einzufordern und ihre eigentliche Aufgabe – Kinder zu gebären –, zu vernachlässigen. Sie verbreite die femininen Lehren von Pazifismus, Demokratie und ‚Materialismus‘. Indem sie Empfängnisverhütung und Abtreibung fördere und so die Geburtenrate senke, gefährde sie die Fortexistenz des deutschen Volkes.“[6]
Bei den faschistischen Angriffen auf die Universitäten kommt diesen meist die Rolle der nationalsozialistischen „jüdischen Verschwörung“ hinter der Frauenbewegung zu: Die Hochschulen unterminierten die Männlichkeit und gefährdeten die traditionelle Familie, indem sie Gender Studies fördern.
Vorreiter Wladimir Putin
In Russland ist Wladimir Putin diesbezüglich längst in die Offensive gegangen und hat die Universitäten zu ideologischen Waffen gegen die vermeintlich westlichen Auswüchse des Feminismus umfunktioniert. In ihrem 2017 erschienenen Buch „The Future Is History: How Totalitarianism Reclaimed Russia“ beschreibt die Journalistin Masha Gessen, wie Russlands homosexuellenfeindliche, antifeministische Hochschulpolitik aus einer 1997 in Prag abgehaltenen Konferenz namens „Weltkongress der Familien“ hervorgegangen ist, die von Allan Carlson, einem amerikanischen Historiker des „ultrakonfessionellen Hillsdale College in Michigan“, organisiert wurde.[7] Gessen schreibt: „Angespornt durch die vielen Anwesenden verwandelten die Organisatoren den Weltkongress der Familien in eine permanente Einrichtung, die sich dem Kampf gegen Homosexuellenrechte, Abtreibungen und die Gender Studies widmet.“
Ein Beispiel für die von der Konferenz inspirierte Politik ist die Europäische Universität St. Petersburg, die aufgrund ihrer liberalen Ausrichtung von der russischen Regierung massiv bedrängt wurde. Über Jahre hinweg versuchten die Behörden, die Hochschule zu schließen, was ihnen 2016 mit der Aussetzung ihrer Lehrerlaubnis auch gelang. Nach Angaben der Universität „wurden die Inspektionen durch eine offizielle Beschwerde Witali Milonows veranlasst“, einem Parlamentsabgeordneten für Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“, der für Teile der homosexuellenfeindlichen Gesetzgebung des Landes verantwortlich zeichnet. Milonow äußerte sich hinsichtlich der Lehre von Gender Studies besorgt: „Ich persönlich finde das widerwärtig, es handelt sich um eine Scheinwissenschaft, und sie könnte durchaus gesetzeswidrig sein“, sagte er dem Christian Science Monitor.[8]
Wie in Russland und Osteuropa ist der Angriff auf die Gender Studies ein fester Bestandteil der rechtsextremen Bewegung auch in den Vereinigten Staaten. 2010 wurde die Legislative des Bundesstaates North Carolina von Republikanern übernommen, die der fanatischen Tea-Party-Bewegung angehören. Gemeinsam mit dem ebenfalls republikanischen Gouverneur Pat McCrory nahmen sie die renommierte University of North Carolina at Chapel Hill ins Visier. Ein neu ernannter Hochschulrat entließ den weithin angesehenen progressiven Präsidenten Tom Ross. McCrory sagte in einem Interview, dass staatliche Universitäten keine Kurse für „Gender Studies oder Suaheli“ (eine afrikanische Sprache, die von über 140 Millionen Menschen als Erst- oder Zweitsprache gesprochen wird) anbieten sollten, und fügte hinzu: „Wenn Sie Gender Studies belegen wollen, ist das völlig in Ordnung, dann gehen Sie eben an eine private Institution und studieren dort.“
Ist die Erde eine Scheibe?
Einige werden nun behaupten, dass an einer Universität alle politischen Haltungen, inklusive der rechten, vertreten sein müssen und dass daher Maßnahmen, wie sie in North Carolina ergriffen wurden, lediglich Raum für konträre Perspektiven schaffen. Dieser Einwand beruht auf der Annahme, der zufolge die Rechtfertigung unserer eigenen Positionen eine regelmäßige Auseinandersetzung mit zuwiderlaufenden Ansichten erfordert (und darauf, dass für sie zunächst kein Raum gegeben war). Jeder, der schon einmal Philosophie unterrichtet hat, weiß, dass es oftmals nützlich ist, sich mit stichhaltigen Argumenten für konträre Standpunkte auseinanderzusetzen, und auch die Hochschulen profitieren zweifellos von den Beiträgen intelligenter sowie differenzierter Vertreter des gesamten politischen Spektrums. Gleichwohl ist das allgemeine Prinzip in diesen Fällen bei näherer Betrachtung nicht besonders plausibel.
Niemand käme schließlich darauf zu behaupten, dass der Ruf nach freier Forschung die Einstellung von Wissenschaftlern erzwinge, die die Scheibenform der Erde nachweisen wollen. Denn durch schlüssige Untersuchungen in der Vergangenheit haben wir die Unhaltbarkeit ihrer Position bereits festgestellt. Und selbst die eifrigsten Verfechter der Meinungsfreiheit würden nicht dahingehend argumentieren, dass wir kostbare Universitätsressourcen für eine erneute Klärung dieser Frage aufwenden sollten. Die Beschäftigung einer solchen Scheiben-Theoretikerin stünde objektiver Forschung eher im Weg, als dass sie ihr zuträgt. Gleichermaßen kann man die Ideologie des sogenannten Islamischen Staats bedenkenlos ablehnen, ohne sich mit ihren Verfechtern im Seminar- oder dem Fakultätsraum auseinandersetzen zu müssen. Und ich brauche bestimmt keinen Kollegen, der die Ansicht vertritt, Juden seien genetisch zur Gier veranlagt, um meine Ablehnung dieses antisemitischen Unsinns zu begründen. Es ist nicht auch nur im Entferntesten plausibel, dass die Aufnahme solcher Stimmen in die Fakultät der vernünftigen Auseinandersetzung mit ihren toxischen Ideologien förderlich wäre. Vielmehr würde dieser Akt eine sinnvolle Debatte behindern, weil es dabei zu nichts als Unverständnis und Schrei-Duellen käme.
Nationaler Stolz als Ziel: Die »Erforschung« von Mythen als Fakten
Faschistische Politik hingegen schafft in der Tat Raum für die „Erforschung“ von Mythen als Fakten. Im Rahmen ihrer Ideologie fällt dem Bildungssystem die Aufgabe zu, die mythische Vergangenheit zu verherrlichen, indem es die Leistungen von Angehörigen der je eigenen Nation herausstellt und die Perspektiven sowie die Geschichte derjenigen ausblendet, die nicht dazugehören. Gemäß der faschistischen Ideologie besteht das Ziel der Bildung an den Schulen und Universitäten darin, Stolz auf die mythische Vergangenheit zu wecken; die faschistische Bildung preist akademische Disziplinen an, die hierarchische Normen und nationale Traditionen bekräftigen. Für den Faschisten sind Schulen und Universitäten in erster Linie dazu da, Stolz zu indoktrinieren, zum Beispiel (wenn der Nationalismus ethnisch aufgeladen ist) auf die glorreichen Errungenschaften der (wirtschaftlich) dominanten Volksgruppe. Gouverneur McCrory wollte es denn auch nicht bei seinem Vorschlag belassen, einige Kurse aus dem öffentlichen Lehrplan zu streichen, sondern rief die Hochschulen auf, ihre Ausbildung eher auf die vermeintlichen Anforderungen der Arbeitgeber zuzuschneiden – zu Lasten von Fächern wie Soziologie –, die den Studierenden helfen, bessere demokratische Staatsbürger zu werden. Unterstützt wurde er dabei vom Pope Center for Higher Education Policy, dessen Leiter und Geldgeber Art Pope, ein überaus mächtiger und reicher republikanischer Parteispender in North Carolina, die Universität des Bundesstaates dazu getrieben hat, ihre Studiengebühren anzuheben. Wie Pope treffend feststellt, wird dieser Schritt mehr Studie-rende von den Geistes- und Sozialwissenschaften weg- und solchen Studiengängen zuführen, die ihnen „wirtschaftliche Fähigkeiten“ vermitteln.
Während das Pope Center for Higher Education Policy (jetzt James G. Martin Center for Academic Renewal) den Unterricht in Fächern verunglimpft, die ein größeres Verständnis für die kulturelle Vielfalt der Menschheit ermöglichen, drängt es parallel auf die Vermittlung eines „Große Bücher“-Lehrplans, der die literarischen Errungenschaften weißer Europäer in den Vordergrund stellt.[9] Diese Gewichtung ergibt durchaus Sinn, sobald man sich vergegenwärtigt, dass in antidemokratischen Systemen die Funktion der Bildung darin besteht, gehorsame Bürger hervorzubringen, die strukturell dazu gezwungen sind, ohne Verhandlungsmacht in die Arbeitswelt einzutreten, und die ideologisch zum Glauben erzogen wurden, die dominante Gruppe stehe für die größten zivilisatorischen Kräfte in der Geschichte. Konservative Akteure stecken denn auch gewaltige Summen in das Projekt, rechte Ziele im Bildungswesen voranzutreiben. Wie manche Quellen berichten, hat beispielsweise die Charles Koch Foundation – nur eine unter vielen konservativen Stiftungen in den USA, die von rechten Oligarchen finanziert werden – 2017 allein 100 Mio. US-Dollar für die Unterstützung von Projekten ausgegeben, die in erster Linie der Förderung konservativer Ideologie an rund 350 Hochschulen gewidmet sind.[10]
Von Hitler zu Orbán: Alles nur das Werk der auserwählten Nation
Für die faschistische Ideologie handelt es sich bei den tatsächlich wertvollen Ergebnissen des geistigen Lebens – Kultur, Zivilisation und Kunst – ausschließlich um Werke, die von den Mitgliedern der auserwählten Nation geschaffen wurden. Wenn aber Universitäten ihr Pflichtangebot auf die europäischen kulturellen Eckpfeiler beschränken, laufen sie Gefahr zu suggerieren, dass weiße Europäer den Kern der menschlichen Zivilisation bilden. Den Anhängern von „Große Bücher“-Programmen sollte es zu denken geben, dass bereits Hitler in „Mein Kampf“ erklärte: „Alles, was wir heute auf dieser Erde bewundern – Wissenschaft und Kunst, Technik und Erfindungen –, ist nur das schöpferische Produkt weniger Völker und vielleicht ursprünglich einer Rasse. […] Von ihnen hängt auch der Bestand dieser ganzen Kultur ab. […] Würde man die Menschheit in drei Arten einteilen: in Kulturbegründer, Kulturträger und Kulturzerstörer, dann käme als Vertreter der ersten wohl nur der Arier in Frage.“
In dem Maße, in dem der Faschismus über alle Grenzen hinweg auf dem Vormarsch ist, wächst gleichzeitig die Zahl derer, die fordern, Schulen und Universitäten mit Lehrkräften zu besetzen, die den nationalistischen oder traditionalistischen Idealen mehr Sympathie entgegenbringen. Die Vorgänge in Ungarn sind hierfür ein gutes Beispiel: Unmittelbar nachdem Viktor Orbán an die Macht gekommen war, verurteilte er die Schulen als Orte liberaler Indoktrination. In der Folge zentralisierte er das Bildungssystem, das zuvor unter der Kontrolle lokaler Behörden gestanden hatte, und führte einen Berufsverband ein, dem alle Lehrer beitreten mussten und der sie verpflichtete, „im Interesse der Nation“ zu wirken. Ein neuer Kernlehrplan empfahl das Werk antisemitischer ungarischer Schriftsteller. Die Schulen wurden aufgefordert, Aktivitäten zu fördern, die an eine glorreiche, mythische, nationale Vergangenheit anknüpfen, wie beispielsweise das Reiten zu Pferde oder das Singen ungarischer Volkslieder. Die beste Universität in Ungarn war die vom ungarischen Staat unabhängige Central European University (CEU). Orbán stellte diese regelmäßig als eine ausländische Institution dar, die versuche, die einheimischen Schulen zu unterlaufen und liberale, universalistische Werte wie eine einwanderungsfreundliche Haltung zu verbreiten. Im April 2017 fügte das ungarische Parlament dem Entwurf eines Anti-Immigrationsgesetzes eine Klausel bei, das der CEU die Möglichkeit nehmen sollte, als amerikanische Universität in Ungarn tätig zu sein, und das zudem die Mobilität ihrer Lehrkräfte und Studierenden aus Gründen der nationalen Sicherheit reguliert. Ein gutes Jahr später gab die Leitung der Hochschule bekannt, dass die CEU Budapest verlassen und nach Wien umsiedeln werde – sie sei aus Ungarn „rausgezwungen worden“.[11]
Ähnliche Bestrebungen, die Lehrpläne im nationalistischen Sinne umzugestalten, sind weltweit im Gange. So auch in der Türkei, wo eine der ersten Maßnahmen, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘an nach dem Putschversuch 2016 ergriff, darin bestand, mehr als fünftausend Dekane und Akademiker ihrer Posten an türkischen Universitäten zu entheben, weil man sie pro-demokratischer oder linker Gesinnung verdächtigte. Viele von ihnen landeten hinter Gittern. In einem Interview mit „Voice of America“ im Februar 2017 sagte Ismet Akça, ein Professor der Politikwissenschaften, der von seiner Stelle an der Technischen Universität Istanbul Yildiz entlassen worden war: „Diese Leute, die gesäubert werden, sind nicht nur linke Demokraten, sie sind sehr gute Wissenschaftler, sehr gute Akademiker. Indem die Regierung sie beseitigt, greift sie auch die Idee der Hochschulausbildung, die Idee des Universitätswesens in diesem Land an.“[12]
Nachdem er ein nationales Referendum gewonnen hatte, das ihm weitreichende, fast diktatorische Befugnisse verlieh, führte Erdog˘an 2017 einen neuen Lehrplan an den Schulen ein. Dabei verfolgte er die Absicht, säkulare Ideale zu entwerten und wissenschaftliche Theorien zu eliminieren, die der religiösen Ideologie zuwiderlaufen, wie etwa die Evolution. Das Bildungsministerium erklärte, die Geschichte der Türkei solle „aus der Perspektive einer nationalen und moralischen Erziehung“ gelehrt werden mit dem Ziel, die „nationalen Werte“ zu schützen, anstatt die säkularen liberalen Ideale zu vermitteln, die seit Kemal Atatürk im Mittelpunkt der türkischen Zivilgesellschaft, einschließlich des Bildungssystems, gestanden hatten.
Ob Trump oder Orbán oder Erdog˘an: Unsere Universitäten dürfen sich nicht, weder wissentlich noch unwissentlich, an der Verbreitung derartiger nationaler oder faschistischer Mythen beteiligen.
Worauf es dagegen ankommt: Bei einem Prozess, den man gelegentlich tendenziös als „Entkolonialisierung“ des Lehrplans bezeichnet, sollten ganz bewusst auch vernachlässigte Perspektiven einbezogen werden, um so sicherzustellen, dass Schülerinnen und Studierende einen umfassenden Blick auf die Akteure der Geschichte erhalten. Im Kampf gegen den Faschismus bedeutet eine derartige Anpassung nicht nur angebliche „politische Korrektheit“. Vielmehr leistet die Berücksichtigung der Stimmen all derjenigen, deren Existenz die Welt, in der wir leben, geformt und gestaltet hat, einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis der Welt – und damit auch zum wirksamen Schutz vor faschistischen Mythen.
Der Beitrag basiert auf „Wie Faschismus funktioniert“, dem jüngsten Buch des Autors, das soeben im Westend Verlag erschienen ist.
[1] Zit. nach: Science scorned, in: „Nature” 9/2010, S. 133 ff.
[2] Pierre Drieu la Rochelle, The Rebirth of European Man, in: Roger Griffin, Fascism, Oxford 1995, S. 202 f.
[3] Vgl. Chris Caesar, Trump Ran Against Political Correctness. Now His Team Is Begging For Politeness, in: „Washington Post”, 16.5.2017.
[4] Vgl. Alfred Rosenberg, The Folkish Idea of State, in: Nazi Ideology Before 1933: A Documentation, Austin 1978, S. 60-74.
[5] „Kulturmarxismus“ („Cultural Marxism“) ist eine Verschwörungstheorie der neuen Rechten in den USA, derzufolge die Ideen der Frankfurter Schule um Horkheimer, Adorno und andere – vornehmlich jüdische – Intellektuelle heute benutzt werden, um die westliche Gesellschaft mittels progressiver Politik zu zerstören. Der Begriff geht auf den „Kulturbolschewismus“ aus der NS-Zeit zurück.
[6] Paula Siber von Groote, Die Frauenfrage und ihre Lösung durch den Nationalsozialismus, Berlin 1933, S. 23 ff.
[7] Masha Gessen, The Future Is History: How Totalitariansm Reclaimed Russia, New York 2017, S. 264-267.
[8] Vgl. Annie Linskey, With Patience, and a Lot of Money, Kochs Sow Conservatism on Campuses, in: „Boston Globe”, 2.2.2018.
[9] Vgl. Jedidiah Purdy, Ayn Rand Comes to UNC, in: „New Yorker”, 19.3.2015.
[10] Vgl. Annie Linskey, With Patience, and a Lot of Money, Kochs Sow Conservatism on Campuses, in: „Boston Globe”, 2.2.2018.
[11] Gregor Mayer, Central European University zu Abzug aus Budapest gezwungen, in: „Der Standard“, 4.12.2018.
[12] Dorian Jones, In Turkey, Crackdown on Academics Heats Up, in: „Voice of America”, 14.2.2017.