Ausgabe November 2024

TikTok, Insta & Co.: Kampf dem rechten Monopol

Entscheidend für die Politisierung junger Menschen: Die Sozialen Medien (IMAGO / NurPhoto)

Bild: Entscheidend für die Politisierung junger Menschen: Die Sozialen Medien (IMAGO / NurPhoto)

Der Schock nach den Landtagswahlen im Spätsommer 2024 saß tief: In Sachsen, Thüringen und Brandenburg fuhr die rechtsextreme AfD Rekordergebnisse ein – gewählt wurde sie zum Großteil von den 40- bis 60-Jährigen, aber zunehmend auch von den 18- bis 24-Jährigen, bei denen sie in allen drei Bundesländern zur jeweils stärksten Kraft avancierte. Bisher hatte die AfD bei dieser Altersgruppe unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Damit ist es nun erst einmal vorbei.[1]

Geht man in Schulklassen und spricht mit jungen Menschen in Ostdeutschland, die teilweise bei den Europawahlen und den Landtagswahlen zum ersten Mal gewählt haben, stellt man fest, dass fast alle die Programmatik der AfD kennen. Auf ihren Smartphones und über andere junge Peers konsumieren sie die Statements und Forderungen der Partei – insbesondere die zielgruppenspezifisch gestreuten Inhalte des AfD-Programms. Zwar lehnt eine große Mehrheit die Positionen der AfD ab, aber nicht wenige verzückt das auf sie zugeschnittene Angebot. Das wäre demokratietheoretisch kein Problem, wenn es denn auch ein digitales Angebot der demokratischen Parteien gäbe. Doch jenseits der alten Parteizuschreibungen sind den Jugendlichen die programmatischen Inhalte der demokratischen Mitbewerber:innen kaum bekannt.

Diese dringen gar nicht mehr zu den jungen Menschen durch, denn in der digitalen Welt sind sie kaum bis gar nicht präsent. Statt Brücken zu bauen und die eigenen Botschaften zielgruppenspezifisch an die Empfänger:innen zu senden, folgen die demokratischen Parteien nach wie vor behäbig der Logik, die Empfänger:innen würden den Weg zur Botschaft schon selbst finden. Das aber ist ein gefährlicher Trugschluss. Vielmehr müssen die demokratischen Parteien endlich begreifen, dass sie ihre politische Kommunikation grundlegend verändern müssen. Andernfalls sind sie, und ist die Demokratie, kaum überlebensfähig.

The kids are alright

Fünf Punkte gilt es dabei zu beachten. Erstens müssen wir wegkommen von dem Mythos, dass die heutigen Jugendlichen unpolitische Wesen seien. Das Gegenteil ist der Fall. Allerdings verändern sich in einer pluralen Demokratie sowohl die Informationskanäle als auch die Ausdrucksformen für politische Inhalte. Junge Politik findet natürlich weiterhin auch in den Jugendorganisationen der Parteien statt – die Junge Union etwa verfügt über fast 100 000 Mitglieder, bei der rechtsextremen Jungen Alternative, dem Jugendverband der AfD, sind es knapp unter 2000. Politik ist für junge Menschen aber auch der Protest auf der Straße. So sind es oft sehr junge Menschen, die in vielen ostdeutschen Klein- und Mittelstädten (ob in Oranienburg, Bernau, Bautzen, Angermünde, Plauen, Löbau, Zittau, Görlitz oder Köthen) die CSDs organisieren und die dabei neben der sexuellen Vielfalt auch weitere politische Themen wie den Kampf gegen Rechtsextremismus und für die plurale Demokratie sowie für Menschenrechte aufgreifen. Eine der letzten großen, weltweiten politischen Bewegungen junger Menschen waren die Massendemonstrationen von Fridays for Future. Sie belegen eine starke Politisierung der Jugend, brachten aber aufgrund der fehlenden Umsetzung ihrer Forderungen mittelfristig auch Politikverdrossenheit hervor. Aus den Strukturen dieser Bewegung entstanden Anfang dieses Jahres nach den Correctiv-Enthüllungen über die Deportations- und Remigrationspläne der AfD auch die großen bundesweiten Demonstrationen mit insgesamt vier Millionen Teilnehmenden für eine offene und plurale Gesellschaft.[2]

Darüber hinaus gibt es einen weiteren, bisher von vielen Akteur:innen und auch Forschenden unterschätzten und vernachlässigten Raum, in dem sich Jugendliche über Politik informieren und ihre politischen Botschaften ausdrücken: die Sozialen Medien von Instagram über TikTok bis twitch. Die Coronapandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt: Politische Sozialisation findet heute vor allem in der digitalen Welt statt. Das Problem: Demokratische Parteien sind dort bisher fast gar nicht aktiv. Auf Instagram etwa haben die brandenburgischen Landesverbände von SPD und Grünen jeweils rund 3300 Follower:innen, die Linkspartei rund 2700 und die CDU nur 1300. Der AfD folgen dagegen fast 10 000 Personen.[3] Damit gelten fast alle Parteien als Nano-Influencer. Erst ab 100 000 Follower:innen gelten diese als reichweitenstark. Wie aber wollen die demokratischen Parteien künftig an die jungen Menschen herankommen?

Auf TikTok, wo es weniger um Follower:innen, sondern in erster Linie um die Reichweite einzelner Videos eines Accounts geht, sind die demokratischen Parteien bis auf wenige Abgeordnete ebenfalls so gut wie nicht vertreten. Vor allem aber landen sie keine viralen Hits, weil der professionelle Anspruch fehlt. Der Ressourceneinsatz der demokratischen Parteien erscheint viel zu gering, und jene Mandatsträger:innen, die TikTok überhaupt als Plattform nutzen, machen das irgendwie nebenher. Die Beiträge sind daher bis auf einige, ganz wenige Ausnahmen dilettantisch produziert.

Alte Rezepte statt Professionalität

Obwohl die politische Meinungsbildung junger Menschen zumeist im Internet stattfindet, setzen die demokratischen Parteien weiter auf scheinbar altbewährte Rezepte: die sogenannte Ochsentour, also sich auf Marktplätze stellen, zu Stammtischen verabreden und Postwurfsendungen verschicken. Einige sind kreativ und bieten gemeinsame Wanderungen oder „Pizza und Politik“ an – der kürzlich von seinem Amt als Generalsekretär der SPD zurückgetretene Kevin Kühnert probierte es mit Döner-Dates. Gute Schulen organisieren, wenn es die Ressourcen zulassen, vielleicht auch eine Kandidat:innen-Talkrunde. Niemand möchte die alten Rezepte abschaffen, doch die ressourcenintensive Professionalisierung auf Social Media ist unumgänglich in einer Zeit, in der das Internet zunehmend zum Schlachtfeld der wehrhaften Demokratie wird, wie es der Berliner Abgeordnete Orkan Özdemir ausdrückte – einer der wenigen demokratischen Abgeordneten, die TikTok erfolgreich bespielen.

Vor allem junge Menschen erreicht das Offlineangebot schlicht nicht ausreichend. Zwar hat sich in der politischen Bildung einiges getan, aber trotzdem werden die digitalen Welten unterschätzt. Spätestens nach der Schule schalten die Schüler:innen ihre Handys ein, swipen in der Bahn TikToks, hören auf dem Fahrrad einen Podcast, schauen zu Hause Reels auf Insta oder YouTube Shorts – meistens nicht statt, sondern parallel zu anderen Aktivitäten. Das analoge Angebot – Tageszeitungen, lineares Radio oder Fernsehen – ist dagegen nicht die erste Adresse für Jugendliche und wird teilweise sogar gänzlich gemieden. Jeden politischen Trend bekommen sie aber trotzdem sehr schnell in ihre Kanäle gespült – oftmals viel früher über TikToks oder TikTok-Live-Schalten als die sich politisch erhaben fühlenden Erwachsenen. Innerhalb weniger Minuten erfahren sie vom Messerangriff in Solingen, dem Bierflaschen-Meme von Ricarda Lang, dem „Talahon“-Trend oder den Lachsalven von Kamala Harris. In gewisser Weise sind die Jugendlichen damit eine Avantgarde: Den Begriff „Talahon“ etwa kannten sie schon Wochen und Monate, bevor die Qualitätsmedien darüber berichteten.

Das digitale Monopol brechen

Entscheidend ist dabei aber auch, welche Accounts ihnen diese Inhalte zuspielen; und hier wissen wir, dass sich Rechtsextreme durch jahrelangen Ressourceneinsatz in den sozialen Medien nahezu ein Monopol erstritten haben. Sie können dabei ostdeutsche, migrantische, weißdeutsche, städtisch oder ländlich lebende Jugendliche sehr zielgenau ansprechen, in ihrer Marginalisierung adressieren und an sich binden. Die Demokrat:innen wiederum unterschätzen besonders die Bedeutung der jungen Wählenden mit Migrationsgeschichte; dabei machen diese aufgrund der demografischen Entwicklung hierzulande bald die Hälfte der Erstwählenden aus.

Politische Kommunikation muss daher heute in Empfehlungsalgorithmen gedacht werden. Stattdessen wird darüber gejammert, dass mit der TikTokisierung der politischen Kommunikation moralische Mindestniveaus unterschritten werden. An solch einem moralischen Verfall können sich die erwachsenen Politiker:innen „natürlich“ nicht beteiligen. Sprich: Demokrat:innen bleiben Teilen der digitalen Öffentlichkeit bewusst fern. Das aber ist elitär und bequem. Wenn die Hälfte der jungen Menschen ihre politischen Informationen über die sozialen Medien bezieht, dann ist digitale Abstinenz für Demokrat:innen keine Option – sie kommt vielmehr einer Kapitulation gleich.

Und auch das Argument der Oberflächlichkeit zieht nicht. Ein Experiment im Rahmen einer Studie der Berliner Humboldt-Universität hat zwar gezeigt, dass Nutzer:innen im Durchschnitt nur elf Sekunden eines Videos schauen.[4] Aber: Auch mehrminütige Videos gehen viral. Die vom Empfehlungsalgorithmus vorgeschlagenen Videos werden massenhaft im Sekundentakt geswipet. Ist der Anfang interessant und ist das Video von Anfang bis Ende professionell aufbereitet, dann werden lange Videos durchaus in Gänze geschaut.

Und: Nicht selten beschäftigen sich junge Menschen nach dem Schauen von Memes tiefergehend mit einzelnen Themen. Doch die durch das Internet veränderte Aufmerksamkeitsökonomie macht eine Professionalisierung aufseiten der demokratischen Parteien erforderlich. Politische Kommunikation muss daher community- und plattformspezifisch eingesetzt werden. Es geht dabei um nicht weniger als die Verteidigung unserer Demokratie.

Inhaltlich versorgen rechte Parteien wie die AfD junge Menschen aktuell mit zielgenauen identitätspolitischen Angeboten. In Ostdeutschland funktioniert das, indem tatsächlich existierende Abwertungsdiskurse und Repräsentationslücken überzeichnet und ostalgische Angebote gemacht werden. Reale sozioökonomische Ungleichheiten werden überhöht und zu antielitären Narrativen missbraucht. Verbunden werden sie mit romantisierenden Erzählungen von „Früher“. Dieses Früher ist in Brandenburg, Thüringen und Sachsen stark mit der DDR verbunden. Ostalgische Geschichten wie die Simson-Treffen oder Filinchen-Facebook-Gruppen fungieren dabei als Puzzleteile. Für muslimische Jugendliche sehen die Erzählungen inhaltlich anders aus, aber sie funktionieren trotzdem nach dem gleichen Muster. Das Gefühl des Abgewertet- und Abgehängtseins wird in eine radikalisierende, identitätspolitische Erzählung integriert. Im digitalen Raum, in dem junge Menschen vor allem über Emotionalisierung erreicht werden, ist dies der Schlüssel. Radikale politische Akteure docken dabei an gruppenspezifischen Missständen an, verstärken deren Wahrnehmung gekonnt, um sie dann in ihr eigenes politisches Angebot einzubetten.

Doch gesellschaftliche Entwicklungen sind dynamisch und jede Entwicklung kann neu erzählt werden. Dafür ist es wichtig, dass die demokratischen Parteien die Expertise der vielen jungen progressiven Akteur:innen erkennen, sie sich zu eigen machen und die zukunftszugewandten gesellschaftspolitischen Erzählungen in den digitalen Raum einspeisen. Fest steht: Ohne eine grundlegende Transformation der politischen Kommunikation ist die Demokratie kaum überlebensfähig. Natürlich sollte die persönliche Begegnung mit den Wählenden nicht komplett eingestellt werden, ganz im Gegenteil. Der Erfolg des jungen Direktkandidaten im Wahlbezirk Leipzig 1, Nam Duy Nguyen[5], zeigt, dass es um die Verflechtung der analogen und digitalen politischen Strategien geht. Nguyen hat einen aufwendigen Haustürwahlkampf mit digitalen Strategien verbunden und so das Direktmandat für die Linkspartei gewonnen. Von dieser Expertise gilt es zu lernen und sie auf den jeweiligen Kontext abzustimmen. Hier ging es um ein Direktmandat in einem urbanen, postmigrantischen Stadtteil einer ostdeutschen Großstadt. Ein solches Angebot kann also eventuell auch in der Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt oder der Dresdener Neustadt funktionieren. Im ländlichen Raum oder etwa einem Stadtteil von Offenbach braucht es hingegen für diverse Zielgruppen treffsicher gebaute Angebote. Der strategische Meta-Plan hinter dem inhaltlichen Angebot ist aber austauschbar. Dass gerade im ländlichen Raum der Nutzen digitaler Angebote so wenig verstanden wird, ist besonders überraschend. Denn dort sind die Wege besonders weit; und aus der Forschung wissen wir, dass gerade dort das Internet noch stärker genutzt wird.

Für eine gezielte Ansprache braucht es aber auch einen entsprechenden Ressourceneinsatz und müssen digitale Trends bei jungen Wählenden früh erkannt werden. Selbstverständlich sollte es – insbesondere jungen Politinfluencer:innen – nicht darum gehen, die rechtsextremen Angebote inhaltlich zu kopieren, sondern vielmehr darum, sich deren erfolgreiche Strategien und Ressourceneinsatz abzuschauen. Inhaltlich gilt es dagegen, den Erzählungen der Rechtsextremen klar zu widersprechen und eine eigene politische Agenda zu setzen mit dem Ziel, die bisherigen Verhältnisse umzukehren: Die Hypervisibilität der Migrationsdebatte ist nicht vom Himmel gefallen, sondern eine besonders erfolgreich orchestrierte Wahrnehmungskampagne der Rechten.

Die bisherige Strategie der demokratischen Parteien lautete, die Rechtsextremen inhaltlich zu kopieren – allen voran in der Migrationsdebatte. Stattdessen sollten die demokratischen Parteien sich das digitale Agenda-Setting abschauen, bei inhaltlicher Treue zum eigenen parteipolitischen Profil. Das ist eine Zukunftsaufgabe, die längst hätte beginnen müssen.

[1] Vgl. Landtagswahlen 2024, tagesschau.de.

[2] Vgl. Geheimplan gegen Deutschland, correctiv.org, 10.1.2024.

[3] Eigene Zählungen.

[4] Vgl. Nader Hotait und Özgür Özvatan, Potenziale der Radikalisierung auf und durch TikTok, bim.hu-berlin.de, 10.7.2023.

[5] Alles Muss Raus – Mit Thilo Mischke, Widerstands- und Klassenkämpfer: Ist Nam Duy Nguyen die letzte Hoffnung für die Demokratie in Sachsen?, open.spotify.com, 2.9.2024.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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