Bild: Der sachsen-anhaltinische AfD-Spitzenkandidat Ulrich Siegmund in Hamburg, 11.8.2025 (IMAGO / BREUEL-BILD)
Die Aussichten sind trübe, aber die Messe ist noch nicht gesungen: Laut einer aktuellen Umfrage können sich 39 Prozent der Sachsen-Anhaltiner vorstellen, bei den kommenden Landtagswahlen im September 2026 die AfD zu wählen. Die CDU käme nur noch auf 27 Prozent.[1]
Das dürfte nicht zuletzt am Rückzug des seit 2011 amtierenden Ministerpräsidenten Rainer Haseloff liegen, der noch immer der beliebteste Politiker im Bundesland ist. Anfang August teilte er mit, er werde, anders als von Partei und der CDU-Landtagsfraktion erwartet, nicht wieder für eine Kandidatur zur Verfügung stehen. Haseloff sollte das Ergebnis der Landtagswahl 2021 wiederholen, als die AfD gegenüber 2016 vier Prozent verlor und auf 20,8 Prozent absackte. Damals gelang der CDU unter seiner Führung in den letzten sechs Wochen vor den Landtagswahlen eine Aufholjagd gegenüber der AfD, an deren Ende die CDU 37,1 Prozent der Stimmen holte. In dieser Legislatur erwies sich der Ministerpräsident als Bollwerk gegen die AfD – und gegen Versuche aus der Landes-CDU, eine Kooperation mit der AfD langfristig zu enttabuisieren. Dem stellte sich Haseloff deutlich entgegen. Zuletzt hatte er im Juni in einer für ihn ungewöhnlich leidenschaftlichen Rede im Landtag vor einer Regierungsbeteiligung der AfD gewarnt, die als deutliche Kampfansage an die Rechtsaußenpartei gewertet worden war.[2]
Doch anstelle Haseloff soll nun Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) die AfD von der Macht fernhalten und das Amt des Ministerpräsidenten für die CDU verteidigen. Der vormalige Europapolitiker und Generalsekretär der Landes-CDU ist vielen Sachsen-Anhaltinern, die mit dem Politikbetrieb nicht vertraut sind, bislang allerdings kaum bekannt. Lediglich die Hälfte der Befragten gab Anfang September an, ihn zu kennen. Sein politisches Gesellenstück sollte die erfolgreiche Ansiedelung des US-Chip-Konzerns Intel vor den Toren der Landeshauptstadt Magdeburg werden. Doch daraus wurde nichts, weil Intel die von EU und Bund unterstützte milliardenschwere Investition im vergangenen Jahr erst verschob und dann gänzlich absagte. Dass der CDU-Spitzenkandidat Sven Schulze keine Verantwortung für den Rückzug Intels trägt, dürfte die AfD im Wahlkampf nicht daran hindern, ihn dafür in Mithaftung zu nehmen.
Kraftstrotzende Auftritte
Ganz in diesem Sinne trat die AfD zwischen Altmark und Zeitz auf ihrem Listenparteitag im Mai in Magdeburg kraftstrotzend und selbstbewusst auf. Mit einem Bundestagswahlergebnis von 37,1 Prozent der Zweitstimmen und allen Direktmandaten im Rücken strebt die Partei nicht weniger als eine Alleinregierung des Bundeslands für 2026 an. Dafür will die AfD bis zu 40 Prozent der Wählerstimmen holen und mit Ulrich Siegmund den ersten AfD-Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik stellen. Die Rechnung der AfD auf eine Regierungsübernahme geht dabei so: Unter der Voraussetzung, dass FDP, Grüne, BSW und Freie Wähler knapp an der Fünfprozenthürde scheitern und es SPD und Linke jeweils nur sehr knapp in den Landtag schaffen, könnte die AfD regieren.[3]
Dass die AfD am Ende wirklich mehr als 40 Prozent der Zweitstimmen holt, gehört gewiss ins Reich der Fantasie von AfD-Wahlkampfstrategen. Doch aktuell sieht es nicht mal mehr nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD aus. Dass die CDU das ureigenste Erfolgsrezept der AfD – das Schüren der Migrationsangst – bespielt, macht die AfD erwiesenermaßen nicht kleiner, sondern immer größer: Während 2021 nur drei Prozent der Befragten angaben, Migration sei das wichtigste Problem im Bundesland, sind es inzwischen 21 Prozent. Bei einer Zuwandererquote von acht Prozent in Sachsen-Anhalt und einem extremen Fachkräftemangel, der vielerorts allein mit Migranten behoben werden kann, offenbart sich die Diskrepanz zwischen alarmistischer Wahrnehmung und der Realität. Derweil haben Sachsen-Anhalts Schulen den Spitzenplatz beim Unterrichtsausfall inne – ein Problem, das in Umfragen auf Platz zwei landet. Hier wäre anzusetzen, anstatt das Lied der AfD fortwährend mitzusingen.
Allerdings kommt auch in Sachsen-Anhalt die AfD nicht im sprichwörtlichen Schlafwagen an die Macht. AfD-Spitzenkandidat Ulrich Siegmund ist zwar mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien der Instagram- und TikTok-König im Bundesland, doch um die Wahl zu gewinnen, müssen er und seine Partei mehr als nur die Social Media-affinen Generationen erreichen. Mit Blick auf die Demografie des Landes gelte es für die AfD, so der „Deutschlandfunk“-Korrespondent für Sachsen-Anhalt, Niklas Ottersbach, im „Freitag“, nicht nur die „Generation TikTok“, sondern vor allem die „Generation Super Illu“ zu erreichen, um die Wahl zu gewinnen.[4]
Demokraten: Raus aufs Land!
Aus diesem Grund wird sich die AfD im Wahlkampf keineswegs nur auf ihre Social Media-Strategie verlassen können. Im mittel- und kleinstädtisch geprägten Sachsen-Anhalt dürfte die schiere Massenpräsenz des analogen Wahlplakats an den Laternenmasten eine wichtige Rolle für die politische Ansprache gerade politikferner Wähler spielen. Bei zurückliegenden Wahlkämpfen entstand in einigen Regionen der Eindruck, nur die AfD mache sich die Mühe, überall präsent zu sein. Das ist kein neues Phänomen. Schon in den 1990er und 2000er Jahren hatten NPD und DVU in ostdeutschen Landtagswahlkämpfen regelrechte Materialschlachten inszeniert, die eine regionale Überrepräsentanz gegenüber anderen Parteien suggerierten. Deren Vertreter verweisen darauf, dass der Vandalismus gegenüber ihrer Wahlwerbung stark zugenommen habe und einmal angebrachte Plakate bereits wenige Stunden später wieder verschwunden seien. Der Verdacht, dass es sich dabei um organisierte Aktionen aus dem rechtsextremen Vorfeld der AfD handelt, mag naheliegen, einen Nachweis zu führen, dürfte schwierig sein. Und dennoch: Den Kampf um die Sichtbarkeit dürfen die demokratischen Parteien nicht vorschnell aufgeben, vielmehr sollten in den Landes- und Bundesparteien dringend – auch gemeinsam – Ideen entwickelt werden, wie diese auch in kleinen Orten auf sich aufmerksam machen können – auf Plakaten, mit Ständen, in Gesprächen.
Dass der Verfassungsschutz die AfD auch in Sachsen-Anhalt als rechtsextrem einstuft, hat ihrem Ruf bei den Wählern bislang nicht geschadet. Bereits bei den Kommunalwahlen 2024 erreichte sie landesweit 28,1 Prozent[5] und landete vor der CDU. Zu gern suggeriert die AfD, sie eile allerorten von Erfolg zu Erfolg.
AfD-Misserfolge kommunizieren
Doch ihre Erfolgsbilanz bei Wahlen zu kommunalen Spitzenämtern ist – noch – durchwachsen. Bei Bürgermeisterwahlen in Osterburg im Mai sowie jüngst in Mücheln, Meißen und Wolmirstedt setzten sich parteilose Kandiaten gegen die AfD durch. Offenbar will die Mehrheit der Wähler die Verantwortung für ihr unmittelbares Lebensumfeld dann doch nicht in die Hände der AfD legen. Die Tatsache, dass AfD-Kandidierende bei Wahlen bzw. Stichwahlen um kommunale Ämter die letzte Hürde zur Macht vor Ort doch nicht nehmen, verdankt sich zweierlei: Einerseits oft dem Amtsbonus und der Erfahrung der Amtsträger sowie deren Verankerung vor Ort und andererseits der Unterstützung anderer demokratischer Parteien. Wie AfD-Kommunalpolitiker schon im Kleinen an ihren im Wahlkampf versprochenen Wohltaten scheitern, zeigt hingegen der Fall Raguhn-Jeßnitz. Dort musste der AfD-Bürgermeister Hannes Loth seine Versprechen nach der Wahl rasch kassieren.[6]
AfD-Spitzenkandidat Siegmund geriert sich derweil als moderater und erfahrener Politiker. Allerdings nahm der Co-Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt, in den er 2016 und 2021 jeweils über die Landesliste einzog, an jenem Potsdamer Treffen Anfang 2023 teil, auf dem über Remigration gesprochen wurde. Dort soll er auch um Spenden für den Wahlkampf geworben haben. Anschließend wurde er als Vorsitzender des Magdeburger Landtagsausschusses für Arbeit, Soziales und Integration abgewählt. Der gelernte Außenhandelskaufmann und studierte Wirtschaftspsychologe tritt in der Partei nicht als rechter fundamentalistischer Ideologe auf, sondern als Sympathieträger und Repräsentant einer Normalisierung der AfD in Ostdeutschland. Vermutlich hat er aus dem Landtagswahlkampf 2024 der Thüringer AfD und ihres Spitzenkandidaten Björn Höcke gelernt, dass eine allzu scharfe Polarisierung und extrem rechte Rhetorik zwar die Kernwählerschaft der AfD bindet, aber die ebenso anvisierten konservativen Wähler und vormaligen Nichtwähler eher abschreckt. Absehbar wird die AfD einen stark auf die Person Siegmund zugeschnittenen Wahlkampf führen, in dem er die bürgerliche Fassade der Partei repräsentiert. Für die rechtsextremen politischen Attacken stehen derweil Co-Fraktionschef Oliver Kirchner und AfD-Landesvorsitzender Martin Reichardt bereit. Beide erwiesen sich in ihrer politischen Rhetorik im Landtag und Bundestag als nicht gerade zimperlich.
Im Landtag übt sich die Partei, nunmehr in der zweiten Legislaturperiode vertreten, seit 2016 in Provokationen und gezieltem politischen Tabubruch, womit sich die AfD von den von ihr als „Altparteienkartell“ geschmähten demokratischen Parteien absetzen will. Ins Persönliche gehende verbale Angriffe auf Abgeordnete anderer Fraktionen sind dabei Teil einer Strategie der Delegitimierung der politischen Konkurrenz und einer Abwertung des Parlaments. Unter den zahlreichen Anträgen, die die rechtsextreme Agenda der AfD-Landtagsfraktion dokumentieren, sticht der Antrag für eine Änderung des Mottos des Landes Sachsen-Anhalt von #moderndenken zu #deutschdenken hervor, dokumentiert er doch exemplarisch den völkisch-nationalistischen Geist der AfD-Landtagsfraktion. Nach dem Vorbild der „Straße der Romanik“, einem touristischen Pfad entlang romanischer Bauten, plädiert die AfD-Fraktion für eine „Straße des deutschen Reiches“ und will einen „Stolzpass“ einführen, mit dem Besucher Stempel sammeln können.[7]
Feindbild kritische Zivilgesellschaft
Der ihr kritisch gegenüberstehenden Zivilgesellschaft möchte die AfD seit Beginn ihrer parlamentarischen Präsenz die Arbeit erschweren, wo sie diese (noch nicht) verunmöglichen kann. Das bekommen demokratische Initiativen vor Ort in besonderem Maße zu spüren.
So veranstaltete Ende August der Kinderschutzbund Harz sein traditionelles Bürgerfrühstück auf dem Marktplatz Wernigerode. Daran teilnehmen wollte auch die regionale AfD, was der Kinderschutzbund unter Verweis auf seine demokratischen Grundwerte ablehnte. Das Recht, selbst zu bestimmen, wer bei der eigenen Veranstaltung teilnimmt, hatte der Kinderschutzbund auf seiner Seite. Allein, in der örtlichen Ausgabe der Tageszeitung „Volksstimme“ ergriff der Lokalchef der Zeitung zumindest indirekt Partei für die AfD, kommentierte, deren Ausladung sei zwar juristisch zulässig, aber inhaltlich falsch, weil damit Wähler ihrer Teilhabe an einem gesellschaftlichen Ereignis beraubt würden – womit er die Argumentation der AfD direkt übernahm.[8] Solch eine mediale Normalisierung der AfD stärkt diese letztlich. Umso wichtiger ist das Zeichen, welches der Kinderschutzbund Harz setzte, als er bei seiner Ablehnung der Teilnahme der AfD blieb und dafür Ablehnung und Widerspruch erntete.
Die AfD wird in den kommenden Monaten weiterhin den Eindruck vermitteln, sie habe das Ticket für die Regierung schon in der Hand und sei unbesiegbar. Für die demokratischen Parteien und die regionale Zivilgesellschaft wird es daher darauf ankommen, sich von der AfD und ihrer Propaganda nicht einschüchtern zu lassen.
Es gilt, sich vom politischen Agendasetting der AfD zu lösen und eigene Akzente zu setzen: Von der Gesundheitsversorgung bis zum Öffentlichen Personennahverkehr im ländlichen Raum gibt es ausreichend Themen, die abseits des medial und politisch präsent gehaltenen Themas Migration für die Menschen in Sachsen-Anhalt von hoher Relevanz sind.
Dafür müssen die demokratischen Parteien auf neue Kommunikationsformen setzen, um auch politikferne Wähler für sich zu gewinnen. Die Haustürgespräche, auf die vor allem die Linkspartei bei der Bundestagswahl in Leipzig und Berlin erfolgreich setzte, können dabei eine Strategie sein, um die Sichtbarkeit in den Landkreisen zu erhöhen, denn in der Praxis hat sich gezeigt, dass im direkten Gespräch Probleme, reale Lösungsmöglichkeiten und zu erwartende Folgen einer AfD-Politik erfolgreich kommuniziert werden können. Gerade in Sachsen-Anhalt bieten die Aussagen der AfD in der Familien-, Bildungs- und Gleichstellungspolitik, namentlich zur Zukunft der Kinderbetreuung, hierfür hinreichend Stoff. Moralische Appelle an die Wähler aus der Ferne allein werden hingegen den Erfolg der AfD nicht verhindern.
Sicher ist der Durchmarsch der AfD noch längst nicht – aber alle Demokraten müssen sich schleunigst Gedanken darüber machen, wie ein solcher verhindert werden kann. Sollte sich die Landes-CDU entscheiden, auf das Thema Migration zu setzen, wird dies die AfD jedenfalls nicht schwächen.
[1] Vgl. Infratest Dimap Umfrage: AfD in Sachsen-Anhalt bei 39 Prozent, CDU bei 27 Prozent, mdr.de, 4.9.2025.
[2] Haseloff auf Konfrontation mit AfD: „Mein Heimatland werden Sie nicht verhunzen“, youtube.com, 13.6.2025.
[3] Sebastian Hesse, Landtagswahl 2026. Politologe: AfD-Alleinregierung in Sachsen-Anhalt nicht unwahrscheinlich, mdr.de, 2.9.2025.
[4] Niklas Ottersbach, Die TikTok-AfD ist in Sachsen-Anhalt am radikalsten – kann Haseloff sie schlagen?, freitag.de, 16.7.2025.
[5] Vgl. Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt (Hg.), Stadtratswahlen in den kreisfreien Städten und Kreistagswahlen am 9.6.2024, wahlergebnisse.sachsen-anhalt.de.
[6] Vgl. Höhere Kita-Gebühren und Gewerbesteuern: Die Halbjahresbilanz von AfD-Bürgermeister Hannes Loth, mdr.de, 8.3.2024.
[7] Vgl. AfD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt: #deutschdenken: ein neues Markenzeichen für Sachsen-Anhalt, DS 8/5478 LT LSA, 6.5.2025, padoka.landtag.sachsen-anhalt.de.
[8] Vgl. „Volksstimme Wernigerode“, 28.8.2025.