Welch ein Kontrast zur Situation der rot-grünen Koalition in Berlin! Die französische Linksregierung kann noch Wahlen gewinnen, wie die Europawahlen im Juni gezeigt haben, ihr Premierminister Lionel Jospin genießt zwei Jahre nach Regierungsantritt das Vertrauen von rund zwei Dritteln der Bevölkerung und das gemeinsame Regieren der Linksparteien gleicht auch keineswegs einem permanenten Krisenmanagement. Dabei sind die inhaltlichen Differenzen zwischen den ungleichen Regierungspartnern nicht unbedingt geringer als in Deutschland, zumal nicht nur zwei Koalitionspartner einen gemeinsamen Weg finden müssen, sondern deren fünf: die Sozialisten (PS) als klar dominierende Kraft, die Kommunisten (PCF), die Grünen sowie die beiden kleinen Partner, die linksliberal-proeuropäische Parti radical de gauche und die nationalrepublikanische Bürgerbewegung (Mouvement des citoyens) von Innenminister Jean-Pierre Chevenement. Liberale stehen staatsgläubigen Jakobinern gegenüber, Europäer streiten sich mit Nationalrepublikanern, Vertreter einer Law-and-Order-Politik mit ihrem rückwärtsgewandten, nostalgischen Republikanismus la Chevenement liegen mit Vertretern "liberallibertärer" Politikvorstellungen einer "dritten Linken" (Daniel Cohn-Bendit) im Dauerclinch.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.