Politische Vorstellungen gewinnen Wirkung und Wirklichkeit, wenn die Zeit für sie reif ist. Als vor über zwei Jahrzehnten der große Visionär de Gaulle von einem künftigen "Europa vom Atlantik bis zum Ural" sprach, erzeugte er damit einige Irritationen, doch keine nennenswerte politische Wirkung.
Nun hat Gorbatschow die Vorstellung von einem künftigen "gemeinsamen Haus Europa" zu einem wesentlichen Teil der sowjetischen Außenpolitik erklärt. Die gleiche Formulierung war schon einmal von Breschnew - doch damals ohne jede Wirkung - verwendet worden. Jetzt aber belebt sie die west-östliche und die interne westliche und östliche Diskussion über die Zukunft eines Europas vom Atlantik bis zum Ural. Es scheint, daß die Zeit nun für diese Vorstellung reif ist. Der englische Historiker Michael Howard hat 1982 in einem Beitrag für "Foreign Affairs" die Theorie entwickelt, daß in der historischen Situation der Neuzeit internationale Bündnissysteme und Ordnungsstrukturen in der Regel nicht älter als etwa 40 Jahre werden. Man mag dies als theoretische Gedankenspielerei eines Historikers abtun.
Doch immerhin kann sich Howard auf historische Entwicklungen stützen, wie sie sich etwa aus den europäischen Ordnungssystemen ergaben, die 1815 durch den Wiener Kongreß und 1870 durch Bismarck geschaffen worden waren.