Ausgabe Juli 1990

Ein einheitliches Europa des Friedens und der Zusammenarbeit

Deklaration des Treffens von Staats- und Regierungschefs des Warschauer Vertrages in Moskau vom 7. Juni 1990

Die gegenwärtige Entwicklung in Europa schafft die Bedingungen, blockpolitische Sicherheitsmodelle und die Teilung des Kontinents zu überwinden. Diese Entwicklung wird unumkehrbar. Sie entspricht den Interessen der Völker, im gegenseitigen Einklang, ohne künstliche Barrieren und ideologische Feindschaft zu leben. Die Teilnehmer der Tagung treten für ein neues gesamteuropäisches Sicherheitssystem und ein einheitliches Europa des Friedens und der Zusammenarbeit ein.

Die auf der Tagung vertretenen Staaten nehmen aktiv an diesem Prozeß teil. Sie erachten es daher für notwendig, Charakter und Funktionen des Warschauer Vertrages zu überprüfen. Sie sind gewiß, daß der Warschauer Vertrag nur in diesem Fall in der Übergangsperiode die neuen, aktuellen Aufgaben erfüllen kann, die mit der Abrüstung und der Bildung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems zusammenhängen. Die Teilnehmerstaaten stimmen darin überein, daß das ideologische Feindbild in vielem durch entgegenkommende Bemühungen des Ostens und des Westens überwunden ist und die Begriffe Osten und Westen ihre rein geographische Bedeutung wiedererlangen.

Sie sind der Ansicht, daß eine Gefahr nur von jenen ausgehen könnte, die die Sicherheit der Länder in irgendeiner Form einschließlich der Androhung oder Anwendung von Gewalt bedrohen, unabhängig davon, wer immer es auch sei. Die konfrontativen Elemente, die in der Dokumentation des Warschauer Vertrages und des Nordatlantischen Bündnisses der letzten Jahre enthalten waren, entsprechen nicht mehr dem Geist der Zeit. In dieser neuen Situation beginnen die auf der Tagung vertretenen Staaten mit den Überprüfungen des Charakters, der Funktionen und der Tätigkeit des Warschauer Vertrages sowie mit seiner Umwandlung in einen Vertrag souveräner, gleichberechtigter Staaten, der auf demokratischen Prinzipien beruht. Zu diesem Zweck haben sie eine zeitweilige Kommission von Regierungsbeauftragten geschaffen, die bis Ende Oktober dieses Jahres dem Politischen Beratenden Ausschuß entsprechende konkrete Vorschläge unterbreitet. Diese Vorschläge werden bis Ende November dieses Jahres vom PBA geprüft werden. Auf diesem Wege wollen die Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages einen Beitrag zur Festigung des Friedens, der Sicherheit und der Stabilität in Europa, zur Entwicklung des Helsinki-Prozesses leisten.

Es wurde die Bereitschaft bekräftigt, mit dem Nordatlantischen Bündnis, seinen Mitgliedstaaten sowie den neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten des Kontinents auf bilateraler und multilateraler Grundlage im Interesse der europäischen Stabilität und der Abrüstung, der Festigung des Vertrauens sowie der Durchsetzung der Prinzipien der Hinlänglichkeit der Verteidigung konstruktiv zusammenzuwirken. Die Teilnehmer der Tagung sind der Auffassung, daß dabei eine wichtige Etappe die kontinuierliche und alle Dimensionen umfassende Institutionalisierung des KSZE-Prozesses ist. Darauf sind die Vorschläge gerichtet, die von den einzelnen KSZE-Mitgliedstaaten in der letzten Zeit eingebracht wurden. Die Teilnehmer der Tagung erwarten, daß erste gewichtige Entscheidungen dazu auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen der europäischen Staaten, der USA und Kanadas getroffen werden.

Die Teilnehmer des Warschauer Vertrages nehmen einige konkrete Schritte, die von der NATO in der letzten Zeit unternommen wurden, positiv auf. Sie erwarten, daß sich die abzeichnende Tendenz der Veränderungen in der NATO beschleunigt und vertieft wird sowie sich in entsprechenden wesentlichen Veränderungen im Wirken dieses Bündnisses widerspiegelt. Die Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages sprachen sich für einen erfolgreichen Abschluß der Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte und vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa aus, damit entsprechende Vereinbarungen auf dem Treffen der führenden Repräsentanten der KSZE Teilnehmerstaaten Ende 1990 unterzeichnet werden können. Was die äußeren Aspekte der Vereinigung Deutschlands betrifft, wurde die gemeinsame Überzeugung ausgedrückt, daß sie im Kontext des gesamteuropäischen Prozesses und auf der Grundlage seiner Prinzipien erfolgen, seine Entwicklung fördern und vertiefen, die legitimen Sicherheitsinteressen der Nachbarn Deutschlands und aller anderen Staaten berücksichtigen und feste Garantien für die Unverletzlichkeit der europäischen Grenzen gewährleisten muß.

Die auf der Tagung vertretenen Staaten werden aktiv zur Bildung eines europäischen Wirtschafts und Rechtsraumes, zur vollständigen Verwirklichung der grundlegenden Rechte und Freiheiten der Menschen beitragen. Die Teilnehmer der Tagung stellen fest, daß die auf dem Treffen der Präsidenten der UdSSR und der USA erzielten Vereinbarungen dazu beitragen, auf dem Weg der Abrüstung und der Gesundung der internationalen Lage weiter voranzukommen. Die Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages bringen die Überzeugung zum Ausdruck, daß sich alle Teilnehmerstaaten des Helsinki-Prozesses ihrer Verantwortung dafür voll bewußt sind, daß die bestehende Chance der Schaffung eines Europas ohne Blöcke und Feindschaft nicht versäumt wird.

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