Ausgabe Dezember 1991

Gewerkschaftshäuser zu Fluchtburg

"Wir sind verpflichtet, öffentlich für Menschenwürde und Humanität einzutreten", hat jüngst der DGB-Chef Heinz-Werner Meyer erklärt, als auf Deutschlands Straßen Menschen gejagt und Mordanschläge auf Asylbewerber verübt wurden. Dazu ist in der Tat jeder verpflichtet und einer der größten Gewerkschaftsbünde der Welt in besonderem Maße. Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung legten noch eins drauf und forderten "Gewerkschaftshäuser zu Fluchtburgen". Arbeitnehmer stehen derzeit allerdings nicht gerade in vorderster Front. Wer sich in Gewerkschaftskreisen umhört, erfährt: eine "ausländerfreundliche Kampagne" würden die wenigsten Kollegen und Kolleginnen mittragen. Wir haben doch andere Sorgen: Wer kümmert sich denn um uns?

Angesichts dieser Stimmung gehen die Funktionäre auf Tauchstation, und wecken den Leu lieber nicht... Der schlafende Löwe heißt: Facharbeiterprotektionismus. Daß sich Wirtschaft und Arbeitgeberverbände in xenophilen Beteuerungen übertreffen und A u s l ä n d e r r e i n! propagieren, daß sich auch die zuständigen Referenten von der Vorstandsetage des DGB mit den christlichen Kirchen und Promotoren von MultiKulti ins Benehmen setzen und tadellose Erklärungen zur Woche des ausländischen Mitbürgers abgeben - der Basis ist es ziemlich gleichgültig.

Dezember 1991

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