Die Vereinten Nationen feiern in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag, aber statt Glückwunschadressen hagelt es Schmähungen und Kritik. Sie hätten die neue Weltordnung verspielt, so heißt es, in Bosnien-Herzegowina versagt, ihr Prestige und ihre Ehre verloren, weil sie immer nur zugesehen und nicht zugeschlagen haben. Sind diese Vorwürfe auch absurd - wir bewerten ja die Medizin auch nicht danach, daß sie den Krebs nicht beseitigt hat -, so könnten sie doch Methode haben. Die UN haben den Ost-West-Konflikt, obwohl er sie 40 Jahre lang blockiert, fast eingefroren hatte, gut überstanden. Jetzt aber, wo sie zu neuer Bedeutung aufwachsen könnten, wendet sich die Welt, wendet sich interessanterweise vor allem der Westen, von ihnen ab. Er steht, so scheint es, vor einer Renaissance der militärischen Gewalt als Mittel internationaler Politik, vor einer Rückkehr zu Bilateralismus und Machtpolitik, zu den ganz alten außenpolitischen Denkweisen also. Verursacht wird diese erstaunliche Wende rückwärts zunächst dadurch, daß die nach vorn ausgeblieben ist. Auf das Ende des OstWest-Konflikts hat der Westen nicht mit gründlicher Abrüstung, nicht mit einem politischen Hausputz geantwortet, der seinen Herrschafts- und Machtapparat dem Frieden angepaßt hätte. Er ist etwas verkleinert, aber im übrigen im alten Rang belassen worden.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.