Ausgabe Juli 2020

Ganz normal in Deutschland: Rassismus in der Polizei

Menschen demonstrieren in Gedenken an George Floyd in der Nähe der amerikanischen Botschaft am Pariser Platz in Berlin, Deutschland, 31. Mai 2020.

Bild: imago images / ZUMA Wire

Nach dem von Polizisten verursachten gewaltsamen Tod George Floyds in Minneapolis wird endlich auch in Deutschland über Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze diskutiert. Das ist längst überfällig, denn es ist kein neuartiges Problem und besteht erst recht nicht nur in den USA. Der Unterschied zu früher ist lediglich, wie der US-Schauspieler Will Smith sagte, dass heute solche Vorgänge gefilmt werden. Und dass es soziale Medien gibt, mit denen all jene nun eine weltweite Öffentlichkeit erreichen, die lange Zeit über kein Sprachrohr verfügten.

Das trifft auch auf mich zu. Für mich kommt das alles nicht überraschend. Wer mich auf der Straße sieht, weiß nicht, ob ich an der Sorbonne studiert habe oder ob ich ein „Nigger aus der Hood“ bin. Ich glaube, es gibt auch in Deutschland viele, die unterstellen, dass ich eher Letzteres bin – wie vielleicht auch vor gut zwei Jahren.

Am 2. Mai 2018 machte ich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit als freier Journalist am Bertha-von-Suttner-Platz in Bonn eine Fotoaufnahme von einem Polizeifahrzeug, das einen Unfall mit einem Taxi verursacht hatte. Ich habe daraufhin den Polizeiwagen fotografiert. Sofort kam ein Polizist zu mir und untersagte mir das Fotografieren. Ich erklärte ihm, dass ich Journalist und befugt bin, Polizeiarbeit zu dokumentieren, und dies selbst als Bürger wäre. Daraufhin drohte mir der Beamte mit einem Platzverweis und schlug mir im nächsten Moment, während ich mich rückwärts entfernen wollte, meine Kamera aus der Hand.

In diesem Moment gab es keinerlei Bereitschaft, normal mit mir zu reden – ganz im Gegenteil: Binnen kürzester Zeit war sehr schnell sehr viel Polizei vor Ort. Innerhalb von zwei, drei Minuten fuhren mehrere Streifenwagen und ein ziviles Polizeifahrzeug vor. Und ich vermute, dass die anwesenden Polizisten noch einmal ganz besonders für Ordnung sorgen wollten, weil bei dem Unfall Kolleg*innen beteiligt waren.

An meiner Ingewahrsamnahme waren insgesamt fünf Polizeibeamte beteiligt, wie das Video belegt. Die Beamten gingen die ganze Zeit über absolut respektlos mit mir um. Sie haben direkt eskaliert. Nachdem mir der Polizist die Kamera aus der Hand geschlagen hatte, packten mich vier Polizisten an allen vieren und schleiften mein Gesicht über den Asphalt – als ich den Mund öffnete, auch mit den Schneidezähnen. Als ich zu Boden gebracht worden war, setzten sich mehrere Beamt*innen auf mich. Eine Polizistin kniete auf meinem Bein, ein Polizist auf meinem Rücken und ein Polizist mit seinem gesamten Körpergewicht auf meinem Schädel, der auf den sehr groben und spitzen Asphalt gedrückt wurde – und zwar minutenlang. Man hat mir auf verschiedene Weise Schmerzen zugefügt, das war im Grunde genommen eine Quälungsorgie.

Ohne die Aufnahmen, die währenddessen von einem anderen Journalisten gemacht und später im WDR gezeigt wurden, hätte auch mein Fall mit Sicherheit keine öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Zudem wäre es in der Gerichtsverhandlung wesentlich schwieriger gewesen, die falschen Anschuldigungen der Polizei zu widerlegen.[1]

Journalist? Ganz egal! Oder: Der doch nicht!

All das ist geschehen – obwohl ich mich klar als Journalist zu erkennen gegeben habe. Das hat die Polizei aber gar nicht interessiert, weil es ihnen offensichtlich einfach darum ging, die Dokumentation ihrer Arbeit zu behindern.

Da ich privat unterwegs war und gerade aus einem Kurzurlaub zurückkam, hatte ich meinen Presseausweis in dem Moment nicht bei mir. Die Journalisteneigenschaft hängt allerdings nicht davon ab, ob man einen Presseausweis bei sich führt. Ich habe der Polizei sogar angeboten, mit mir ins Büro zu fahren, um den Ausweis zu holen. Auch daran war die Polizei aber gar nicht interessiert. Dabei liegt mein Büro näher als die Polizeiwache, auf die man mich dann mitnahm und wo mich zwei Polizisten zwangen, mich in einer Zelle bis auf die Socken komplett nackt auszuziehen.

Und noch ein ganz wichtiger Punkt: Man hat mich erst körperlich misshandelt, dann auf die Wache mitgenommen, und erst da hat man sich überhaupt meinen Personalausweis angeschaut. Das zeigt ganz deutlich, dass es nicht darum ging, meine Identität zu klären. Es ging darum, einen Journalisten aus dem Verkehr zu ziehen, der Fotos von einem von der Polizei verursachten Verkehrsunfall gemacht hat. Auf der Wache wurde ich etwa eine Stunde in der Zelle festgehalten. In dieser Zeit hat die Polizei die meisten Unfallspuren beseitigt. Obwohl ich im Gesicht und an den Händen blutete, wurde mir medizinische Versorgung versagt. Ich durfte nicht mit einem Anwalt sprechen. Auf der Wache rief eine Polizistin „Scheiß Presse!“.

Auf dem Video sieht man auch, dass die Polizei den Journalisten, der das Video aufgenommen hatte, ebenfalls von seiner journalistischen Arbeit abzuhalten versuchte. Meine eigene Speicherkarte wurde von der Polizei rechtswidrig eingezogen. Weil die Polizei zu diesem Zeitpunkt meine Personalien bereits besaß, hätte sie ohne Probleme die Möglichkeit gehabt, mich ausfindig zu machen und juristisch dagegen vorzugehen, sollte ich mit den Bildern etwas Unbefugtes anstellen. Auch das ist für mich ein Zeichen, dass es allein darum ging zu verhindern, Bilder vom Einsatz zu erstellen. Bis heute liegt die Speicherkarte in der Asservatenkammer der Polizei.

Der immergleiche Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Juristisch hat man mir drei Sachen vorgeworfen: Körperverletzung gegen Vollstreckungsbeamte, dann Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und schließlich einen Verstoß gegen 201a StGB, den sogenannten Gafferparagraphen. Die Auswertung meiner Speicherkarte ergab allerdings, dass ich nicht dagegen verstoßen habe. Die Aussagen der Zeugen in der Gerichtsverhandlung zeigten, dass ich keinen Polizisten körperlich verletzt habe.

Trotzdem schrieben die DuMont-Blätter „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Express“ und „Kölnische Rundschau“, aber auch „Focus Online“ und Radio RPR1 in sogenannten Blaulicht-Meldungen über den Vorfall allesamt von einem „Gaffer“, der nicht nur die Unfallaufnahme behindert, sondern auch eine Schwerverletzte fotografiert und darüber hinaus auch noch eine Polizistin verletzt habe. In den Berichten wurde zum Teil wortwörtlich aus der Polizeipressemitteilung abgeschrieben, bei „Focus Online“ lautete die Dachzeile der Veröffentlichung „bereitgestellt von Polizei Bonn“. Auch jene Person, die den Vorfall gefilmt und auf YouTube gestellt hat, sprach im Titel des Videos anfänglich von einem „Gaffer“. Auch sie hatte sich voll auf die Darstellung der Polizei verlassen, ohne sich anzuhören, was der schwarze Betroffene zu sagen hat. Und das ZDF-„heute-journal“ behauptete in einem Beitrag, ich hätte „[ge]filmt“, obwohl ich nur Fotos gemacht habe, was wegen der Tonspur bei Videos juristisch einen Unterschied macht, und ich hätte eine „Sperrzone“ betreten, obwohl es gar keine Absperrung gab.[2]

Auch mit dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist das bekanntlich so eine Sache: Es ist allgemein bekannt, dass die Polizei in Fällen von Polizeigewalt regelmäßig nach einer diesbezüglichen Anzeige umgehend die Opfer des Widerstandes beschuldigt. In meinem Fall sind die Vorwürfe von Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Allerdings gibt es bei der Staatsanwaltschaft Bonn eine Anweisung an die Staatsanwält*innen, wonach diese einer Einstellung von Strafverfahren ohne Auflagen grundsätzlich nicht zustimmen dürfen, sobald der Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eine Rolle spielt – ganz egal, wie der konkrete Fall aussieht. In der Hauptverhandlung erwähnte sogar die Staatsanwältin selbst, als sie sich mit dem Richter austauschte, dass es eine solche Anweisung gibt. Damit begründete sie, dass sie einer Einstellung ohne Auflagen nicht zustimmen könne. Ich vermute, dass das eigentlich ein Internum ist, das gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist es jedenfalls mit Blick auf das Schuldprinzip sehr bedenklich. Alleine aus diesem formalen Grund hat die Staatsanwaltschaft der Einstellung des Verfahrens letztlich nur unter einer Auflage zugestimmt.

Gegen das Handeln der Polizei reichte ich vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Feststellungsklage ein. Dazu signalisierte mir der Richter im Jahr 2018, dass er erst einmal den Abschluss des Strafverfahrens abwarten wolle, bevor das Gericht über die verwaltungsgerichtliche Klage entscheidet. Das ist schon deshalb verwunderlich, weil es sich um zwei Gerichte handelt, die unabhängig voneinander arbeiten. Meine Klage vor dem Verwaltungsgericht hat mit dem Strafverfahren insofern erst einmal nichts zu tun. Selbstverständlich gibt es Rechtsfragen, die in beiden Verfahren eine Rolle spielen. Es wäre jedoch durchaus möglich gewesen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren unabhängig von meinem Strafverfahren regulär durchzuführen. Normalerweise dauert ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ein Jahr. In meinem Fall gab es nach eineinhalb Jahren immer noch kein Urteil. Als zuletzt mein Anwalt mit dem Richter sprechen konnte, fragte dieser ihn, ob ich das Verfahren denn wirklich weiterverfolgen wolle. Offenbar drückt man sich beim Verwaltungsgericht Köln davor, dieses Verfahren einer Entscheidung zuzuführen.

Die entscheidende Frage ist: Welche Rolle spielte bei alledem, vor allem bei meiner Festsetzung und Misshandlung, meine Hautfarbe? Ich bin der Überzeugung: eine wichtige, wenn nicht entscheidende. Denn es war keineswegs die erste und einzige unangenehme Begebenheit mit der Polizei.

Brennpunkt Hauptbahnhof

Als ich Ende der 1990er Jahre, etwa zu der Zeit, als Roland Koch in Hessen Stimmen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sammelte, in Münster wohnte, ging ich einmal nachts durch den Hauptbahnhof. Ich kam gerade von einem schönen Abend mit Freunden mitten in der Woche. Es war ungefähr halb zwölf. Ich war total müde und wollte nur nach Hause. Nun musste ich noch durch diesen langen, über 14 Gleise gehenden, hässlichen Tunnel im Nordteil des Bahnhofs, mit den Türen auf der linken Seite, die in Luftschutzbunker führen, dann war ich zu Hause und konnte schlafen. Außer mir war niemand in dem Tunnel. Nur am Ende sah ich zwei Bundespolizisten in grüner Uniform auf Patrouille. Die Bundespolizei ging oft Patrouille. Tagsüber, wenn der Bahnhof belebt war, würde mich die Bundespolizei nicht einfach so anhalten. Aber nun, nachts allein als Schwarzer unterwegs – sie würden mich auf jeden Fall anhalten, dachte ich.

Und genau so kam es dann auch. Sie sagten „Bundespolizei“ und „Kontrolle“. Ich habe erst mal nur geguckt und gar nichts gesagt. Dann meinte einer der Polizisten direkt „Passport“, weil er dachte, ich könne kein Deutsch. Ich habe dann gesagt, dass ich Deutsch kann, und meinen Personalausweis vorgezeigt. Dann durfte ich weitergehen. Ich glaube, wäre ich weiß gewesen, wäre ich nicht angehalten worden. Natürlich kann ich darüber nur spekulieren, aber es ist schon auffällig, wie häufig ich in meinem Leben schon von der Polizei einfach so kontrolliert wurde. Nach diesem Fall in Münster wurde ich noch zwei weitere Male von Polizisten nach meinem „Passport“ gefragt, weil sie dachten, ein Schwarzer könne kein Deutscher sein und einen Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland besitzen.

Fünf Jahre später, im Januar 2014, durchquerte ich auf einer Dienstreise den Kölner Hauptbahnhof. Ich sah 30 Meter hinter mir im Hauptgang drei Bundespolizisten. Einer von ihnen zeigte in meine Richtung. Als ich weiterlief, war ich plötzlich von den dreien umringt. Einer fragte mich, ob sich in meiner Tasche ein Laptop befände. Da ich in meinem Leben bereits mehrmals Opfer von Racial Profiling, also von rassistisch motivierten Personenkontrollen wurde, fragte ich die Polizisten, ob ich die Kontrolle mit der Kamera aufnehmen dürfe. Der Wortführer der drei Bundespolizisten erlaubte es mir. Danach sagte der Polizist mit Blick auf meine Laptoptasche: „Wir würden gerne gucken, ob da nen Laptop drin ist.“ Ich bestätigte dem Polizisten, dass sich in meiner Laptoptasche ein Laptop befand. Dann wurde ich aufgefordert, mit zur Wache zu kommen. Es sei ein Laptop-Diebstahl gemeldet worden und wegen dunkler Kleidung passe ich auf die Täterbeschreibung. Und schon war ich auf dem Weg zur Wache im Kölner Hauptbahnhof, begleitet von drei Ordnungshütern.

Kurz bevor wir dann die Wache betraten, schubste mich einer der Polizisten von hinten mit den Händen in einer Weise, die als Tätlichkeit aufzufassen war. Im Vorraum der Wache wartete der Bestohlene. Er bestätigte den drei Polizisten ohne zu Zögern, dass ich nicht der Dieb seines Laptops sei. Ich dachte, nun sei ich erlöst, doch da fing der Spaß erst richtig an. Ein Polizist sagte: „Kommse mal grad rein. Ich halte ihre Personalien fest. Wenn Sie das im Netz veröffentlichen wollen, habe ich ja auch gewisse Rechte.“ Auf meine Nachfrage wurde mir weiter erklärt: „Weil, wenn Sie das ins Netz stellen, machen Sie sich strafbar. Kann bis zu zehntausend Euro kosten.“ Obwohl ich wiederholt darauf hinwies, dass man mir das Filmen erlaubt hatte, wurde ich von dem Polizisten in die Wache geschoben. Mir wurde erklärt, dass die zuvor erteilte Erlaubnis sich nicht aufs Filmen, sondern nur auf Fotos bezogen habe.

Drinnen in der Wache nahm der Polizist meine Personalien auf. Dabei wurde ich noch zweimal persönlich von dem Beamten beleidigt, der zuvor schon tätlich geworden war. Nachdem meine Personalien überprüft waren, durfte ich endlich meinen Weg fortsetzen. Eine Auskunft zu den Dienstnummern der drei Polizisten wurde mir verweigert, obwohl die Polizei hierzu rechtlich verpflichtet ist. Stattdessen wurde mir, als ich nach den Dienstnummern fragte, ein Platzverweis erteilt. Nach dem Vorfall habe ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt und Strafanzeige gegen den Polizisten erstattet, der mich beleidigt und geschubst hat. Zwar ging die Sache bis zur Staatsanwaltschaft, doch beides blieb ohne greifbares Ergebnis.

Ich kenne niemanden in meinem Freundeskreis, der eine solche Polizeibilanz vorweisen kann – die meisten meiner Freunde sind weiß. Mit diesen Problemen habe ich mein ganzes Leben zu kämpfen. Ohne Humor und ein gewisses Stehvermögen kann man dabei allzu leicht den Mut verlieren. Dabei hilft, dass ich meine Beobachtung seit 2009 quasi schwarz auf weiß offiziell bestätigt bekommen habe. Damals äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (UN Special Rapporteur on contemporary forms of racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance), Githu Muigai, in einem Bericht über eine Reise nach Deutschland 2009 zu „Ethnic Profiling“.[3] Er hielt fest, dass Nichtregierungsorganisationen Bedenken formulierten, dass die Polizei in Deutschland nach dem 11. September 2001 rassistisches und religiöses Profiling gegen Araber, Personen afrikanischer Abstammung und Muslime bemühe.

»Ethnic Profiling« in Deutschland

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat in ihrem Bericht zu Deutschland von 2009[4] festgestellt, dass in puncto „Verhalten der Polizei“ ein unabhängiges Untersuchungsverfahren notwendig wäre, um Anschuldigungen zu polizeilichem Fehlverhalten nachzugehen. In anderen Ländern wie Großbritannien existieren bereits unabhängige Kommissionen, die Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten nachgehen. In Deutschland noch nicht. Dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Polizeigewalt. Eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte von 2010 belegt diese Alltagserfahrung vieler schwarzer Menschen und People of Color, wonach die Polizei überdurchschnittlich viele Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund kontrolliert. Im Januar 2013 veröffentlichte ich im Magazin „Der Spiegel“ einen Bericht über eine Liste mit 57 Fällen, in denen sich Menschen beklagten, aufgrund ihrer ausländischen Herkunft oder ihrer Hautfarbe von Bundespolizisten diskriminiert worden zu sein.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellte Ende Juni 2013 eine Studie zum Thema „Racial Profiling“ vor. Das Institut wurde 2001 auf Empfehlung des Bundestages gegründet. Es informiert über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland und soll den Schutz der Menschenrechte fördern. Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, forderte anlässlich der Veröffentlichung der Studie die „Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei“. Paragraph 22 Absatz 1a Bundespolizeigesetz verstoße „gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz und gegen internationale Menschenrechtsverträge“. Die Bundespolizei könne, so steht es in der Studie des Instituts, im Rahmen solcher Kontrollen „völlig frei und ‚aus dem Bauch heraus‘ handeln“. 2013 übte das Sekretariat des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) Kritik in Sachen Racial Profiling in Deutschland.[5]

Und dieser institutionelle Rassismus betrifft keineswegs nur die Polizei. Die ECRI sah in ihrem Länderbericht für Deutschland schon vor zehn Jahren einen deutlichen Nachholbedarf bezüglich der vorhandenen Diskriminierung von Minderheiten. Zum institutionellen Rassismus heißt es in dem Bericht: „In Deutschland ist es noch üblich, Fotos einem Lebenslauf beizufügen, und weibliche Absolventen, sogar mit guten Noten von hochangesehenen deutschen akademischen Institutionen, berichten, dass sie nicht zu einem Interview eingeladen wurden, wenn ihr Foto sie beim Tragen eines Kopftuchs zeigt.“ Im September 2013 diskutierte der Menschenrechtsrat der UNO im Rahmen der Erstellung regelmäßiger Berichte über die Menschenrechtslage in einzelnen Staaten, wobei auch die hiesige Situation Thema war. Die Bundesrepublik wurde laut einer Mitteilung der UN-Menschenrechtskommissarin Navanethem Pillay aufgefordert, „weitere Maßnahmen zu unternehmen“, um „rassistische Diskriminierung“ zu bekämpfen.

Auch Ende Februar 2014 übte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz in ihrem neuen Deutschland-Bericht deutliche Kritik. Darin wirft die ECRI der Bundesregierung unter anderem vor, beim Blick auf Hass-Delikte („Hate-Crimes“) zu sehr auf den organisierten Rechtsextremismus fixiert zu sein. In seinen Schlussfolgerungen zur Umsetzung der Empfehlungen, die Deutschland gegeben wurden, veröffentlicht im Februar 2017, stellt die ECRI fest, dass die Polizei in Deutschland rassistische Taten nur dann als solche ansieht, wenn diese „politisch motiviert“ sind, was auf viele Taten nicht zuträfe und auch nicht für religiös motivierte Taten gelte. Die ECRI kritisiert weiter, deutsche Polizeibehörden nutzten eine „übermäßig einschränkende Definition von Hasstaten für ihre Statistiken“. Die Statistiken der Justizbehörden gäben noch nicht hinreichend Aufschluss darüber, ob eine Tat rassistisch motiviert ist.[6]

Wie aber soll Rassismus in Deutschland effektiv bekämpft werden, wenn sein Ausmaß noch nicht einmal erfasst ist?

Die einzige Lösung – mehr Diversity in Behörden

Meines Erachtens geht der Weg zur Bekämpfung von institutionellem Rassismus nur über mehr Diversity in Behörden, vor allem in der Polizei. Bei jemandem, der selbst schwarz ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er einen schwarzen Antragsteller rassistisch behandeln wird, zumindest theoretisch geringer. Bei Menschen, die im öffentlichen Dienst eingestellt werden, muss sichergestellt sein, dass sie ein Mindestmaß an interkultureller Kompetenz mitbringen. Antirassismus-Trainings im öffentlichen Sektor sollten Standard werden, insbesondere in Bereichen, die besonders viel mit Menschen anderer Herkunft zu tun haben, wie beispielsweise in Asylbehörden, bei Ausländer- und Sozialämtern, bei Bürgerämtern.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat 2017/2018 in Kooperation mit dem Bundesjustizministerium und mit dessen Förderung ein Projekt durchgeführt, in dessen Rahmen verschiedene Fortbildungsmodule für Strafrichter*innen und Staatsanwaltschaften im Themenfeld Rassismus konzipiert wurden, unter Berücksichtigung des menschenrechtlichen Rechtsrahmens. Dabei wurden Probefortbildungen in den Modelländern Bayern, Niedersachsen, Berlin, Brandenburg sowie überregional mit der Deutschen Richterakademie durchgeführt und die entwickelten Fortbildungsmaterialien Ende 2018 allen Bundesländern zur Verfügung gestellt. Die Fortbildungen sollen Richter*innen und Staatsanwält*innen dabei unterstützen, angemessen auf rassistische und hassmotivierte Taten zu reagieren und im Strafverfahren mit den Erfahrungen von Rassismus-Betroffenen sensibel umzugehen. Anfängliches Ziel war es, die Fortbildungsmodule in den Aus- und Fortbildungsstrukturen der Bundesländer zu verankern. Doch nach Abschluss des Projekts wurden die Fortbildungen weder verankert noch institutionalisiert. Deshalb gibt es für Richter*innen und Staatsanwält*innen derzeit noch immer keine entsprechenden Fortbildungen. Auch das passt ins aktuelle Bild.

Ein fundamentales gesamtgesellschaftliches Problem

Als Schwarzer bin ich es gewohnt, generell häufig nicht ernst genommen zu werden. In der im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus erstellten Studie „Schwarze Menschen in der Schweiz“ heißt es, schwarze Männer „berichten, dass sie als […] unehrlich angesehen werden“.[7] Erst als ich das las, wurde mir bewusst, wie oft im Leben mir Leute nicht geglaubt haben, obwohl ich mir ganz sicher war, recht zu haben – und mir nicht klar war, warum sie mir nicht glaubten. Als schwarzer Journalist ernst genommen zu werden, ist da noch schwieriger, weil viele Menschen sich Journalisten hierzulande grundsätzlich weiß vorstellen.

Ich bezweifle deshalb, dass mir alles in dieser Form passiert wäre, wenn ich weiß wäre. Ich erinnere viele Situationen, in denen ich mich gefragt habe: Warum behandelt der dich jetzt am Telefon wie ein Stück Scheiße? Weil du schwarz bist? Würde die Redakteurin, die einen Fehler gemacht hat, ihn dir auch in die Schuhe schieben, wenn du nicht schwarz wärst?

Für mich kommt die aktuelle Diskussion daher alles andere als überraschend. Aber auch für jemanden, der nicht schwarz ist und sich unabhängig davon schon früher damit auseinandergesetzt hat, kann sie eigentlich nicht überraschend sein. Wir hätten längst wissen können, dass wir dringend eine Debatte über rassistische Polizeigewalt brauchen – auch in Deutschland. Denn dabei handelt es sich um ein fundamentales gesamtgesellschaftliches Problem, das unbedingt angegangen werden sollte. Insofern ist es eine Tragik ganz besonderer Art, dass es anscheinend des brutalen Todes von George Floyd bedurfte, um diese Debatte endlich auch in Deutschland zu führen.

 

[1] Nur weil gefilmt wurde, kann jeder auch jetzt noch sehen, wie die Polizei damals gehandelt hat. Vgl. www.mappingmediafreedom.org/2018/07/31/germany-journalists-facing-conflict-with-emergency-responders-over-filming.

[2] Vgl. „heute journal“, 7.6.2020.

[3] Vgl. den Bericht des UN-Sonderberichterstatters unter www.institut-fuer-menschenrechte.de, 2009.

[4] ECRI-Bericht über Deutschland (6. Prüfungsrunde), rm.coe.int, 10.12.2019, veröffentlicht 17.3.2020.

[5] Vgl. auch 19. bis 22. Bericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD), www.institutfuer-menschenrechte.de, 2013.

[6] ECRI, Conclusions on the Implementation of the Recommendations of germany subject to interim follow-up, 8.12.2016, veröffentlicht am 28.2.2017.

[7] Carmel Fröhlicher-Stines und Kelechi Monika Mennel, Schwarze Menschen in der Schweiz. Ein Leben zwischen Integration und Diskriminierung, www.ekr.admin.ch, Bern 2004.

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