Ausgabe Januar 2021

Showdown in Georgia: Trumps letztes Gefecht

US-Senatorin Kelly Loeffler macht Wahlkampf mit ihrem Kollegen Senator Perdue aus Georgia auf einem Plakat hinter ihr - 11. November 2020, Marietta, Georgia, USA (imago images / ZUMA Wire)

Bild: US-Senatorin Kelly Loeffler macht Wahlkampf mit ihrem Kollegen Senator Perdue aus Georgia auf einem Plakat hinter ihr - 11. November 2020, Marietta, Georgia, USA (imago images / ZUMA Wire)

Ganz Amerika schaut in diesen Tagen auf Georgia. Der südlichste der 13 amerikanischen Gründerstaaten – Heimat der Bürgerrechts-Ikonen Martin Luther King und John Lewis, aber auch von Coca-Cola und CNN – erfährt gerade mehr nationale Aufmerksamkeit, auch finanzieller Art, als die meisten anderen Bundesstaaten zusammen.

Mit der Wahl vom 3. November ist das eigentlich verlässlich konservative Georgia, für viele überraschend, zu einem Swing State geworden. Der wiederholten Neuauszählung der Stimmen zufolge hat Joe Biden mit einem Vorsprung von 12 670 Stimmen gesiegt – als erster demokratischer Präsidentschaftskandidat seit Bill Clinton 1992. Wenn dort am 5. Januar die letzten zwei noch vakanten Senatorenposten in einer Stichwahl ermittelt werden, liegt die eigentliche US-Wahl schon zwei Monate zurück. Und doch ist der Ausgang in Georgia entscheidend für die Möglichkeiten der Regierung Biden.

Dabei stellt sich nicht nur heraus, wer den Bundesstaat die nächsten Jahre im Senat in Washington vertreten wird. Sondern auch, mit wie viel Widerstand oder Rückenwind Joe Biden seine Präsidentschaft beginnen wird. Keiner der Kandidaten in Georgia für den Senat hatte am 3. November die vorgeschriebenen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, darum ist eine zweite Abstimmung über gleich zwei Senatssitze notwendig geworden. Die neugewählten Senatoren sichern entweder die republikanische Macht in dieser einflussreichen Kongresskammer oder sie verhelfen den Demokraten zur ersehnten 50-50-Stimmengleichheit, die diese dann, so sieht es die Verfassung vor, mit Hilfe der designierten Vizepräsidentin Kamala Harris als tie breakerin knacken könnten. Das gäbe Biden eine immerhin knappe Mehrheit in beiden Kongresskammern, um seine Politikvorhaben umzusetzen. Vielleicht sogar so ehrgeizige im Klimaschutz- oder Gesundheitsbereich, wie der linke Flügel seiner Partei es sich erhofft.

In Georgia könnten also die Weichen für Erfolg oder Misserfolg der Biden/Harris-Präsidentschaft gestellt werden. Von Trumps Anhängern wird Georgia denn auch als die letzte Schlacht begriffen, in der es um alles geht.

»Brandmauer gegen den Sozialismus«

Zwei Paarungen treten Anfang Januar zur Nachwahl an: die Republikaner Kelly Loeffler und David Perdue gegen die Demokraten Raphael Warnock und Jon Ossoff. Eigentlich sind sie keine Paare, aber sie haben sich zusammengetan, um jeweils gemeinsam zu verhindern, dass die andere Seite im nächsten Senat das Sagen hat.

Die beiden Amtsinhaber, Loeffler und Perdue, geben sich als die Verteidiger, die „last line of defense“, die „Brandmauer gegen den Sozialismus“ – genau wie die unzähligen prominenten Vertreter der Republikanischen Partei, die nach Georgia gekommen sind: von Senator Marco Rubio, dem ehemaligen Präsidentschaftsbewerber seiner Partei, von dem viele erwarten, dass er 2024 noch einmal Anlauf aufs Weiße Haus nimmt, über den zweiten Senator aus Florida, Rick Scott, bis zu Arkansas’ Senator Tom Cotton, beide gelten ebenfalls als „presidential hopeful“ mit Blick auf die kommenden Wahlen.

Alle drei haben ein enormes Interesse daran, dass Georgia nicht an die Demokraten fällt und die Republikaner damit Gesetzgebungsvorhaben blockieren können. Im Repräsentantenhaus, der zweiten Kammer des Kongresses, haben die Demokraten schon jetzt das Sagen. Da so viel auf dem Spiel steht, sind demokratische Strategen sogar vorübergehend nach Georgia gezogen, darunter der ehemalige Präsidentschaftsbewerber Andrew Yang mit seiner Frau. Gleichzeitig werden Rekordsummen in die Wahlkämpfe investiert. In den ersten zwei Wochen seit dem 3. November sollen mehr als 120 Mio. US-Dollar für Werbespots aufgewandt worden sein; bis zum 5. Januar dürfte sich diese Summe aller Voraussicht nach verdoppeln.

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Wie Loeffler und Perdue präsentieren sich auch Ossoff und Warnock als Duo – weil sie hoffen, dadurch bessere Chancen zu haben. Denn damit es für den erforderlichen Doppelsieg reicht, müssen ihre Anhänger auch zur Wahl gehen.

Dabei haben die beiden Kandidaten ansonsten nicht viel gemeinsam: Ossoff gilt als potentieller Shooting-Star: Der attraktive 33jährige, ein Medienunternehmer jüdischen Glaubens, der in Georgetown und an der London School of Economics studierte, trat erstmals 2017 auf der großen politischen Bühne auf. Bei einer „Special election“ für das Repräsentantenhaus in Washington kandidierte er in einem traditionell konservativen Wahlkreis und unterlag dabei überraschend knapp.

Aufmerksam registriert wurde schon damals, wie gerne Spender ihre Taschen für den jungen Mann öffneten und Lifestyle-Magazine über ihn berichteten. Nun will er David Perdue, den 70jährigen Ex-CEO der Sportmarke Reebok und Bruder des ehemaligen Gouverneurs von Georgia, Sonny Perdue, aus dem Senat vertreiben. Keine leichte Aufgabe.

In seinem Auftreten erinnert Ossoff an einen anderen Hoffnungsträger der Demokratischen Partei: den Texaner Beto O’Rourke, der 2018 nur knapp daran scheiterte, einen Senatssitz zu erobern, dann aber als Präsidentschaftsbewerber 2019 früh erkennen musste, dass er im innerparteilichen Wettstreit keine Chance gegen Biden hat.

Auch wenn Raphael Warnock erstmals für ein politisches Amt kandidiert, gilt der 51jährige Afroamerikaner, der 2013 bei Barack Obamas zweiter Amtseinführung eine Predigt hielt, doch als der Erfahrenere des Duos. Der Pastor der Ebenezer Baptist Church, in der auch Martin Luther King predigte, tritt gegen Kelly Loeffler an, die 49jährige Republikanerin, die wegen ihrer Ehe mit Jeffrey Sprecher, dem Vorsitzenden der New York Stock Exchange, als reichstes Mitglied des US-Kongresses gilt.

Eine neue Rekord-Wahlbeteiligung?

Eine entscheidende Rolle für den Wahlausgang wird die Frage der Wählermobilisierung spielen, die in Corona-Zeiten allerdings kaum noch möglich ist. Daher dürfte die Wahlbeteiligung am 5. Januar deutlich geringer ausfallen als im November, was in Georgia normalerweise eher den Republikanern nutzt. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten?

Dass es am 3. November in Georgia überhaupt zu einer Rekord-Wahlbeteiligung kommen konnte und damit zu Bidens Sieg, hat viel mit Stacey Abrams zu tun. Die Afroamerikanerin, die 2018 nur hauchdünn im Gouverneurs-Rennen gegen Brian Kemp unterlag, arbeitet seit 2013 auf eine „blaue Wende“ hin. Mit „New Georgia Project“ und „Fair Fight“ hat sie zwei Organisationen gegründet, die viele neue Wähler registrieren und dazu motivieren konnten, auch tatsächlich abzustimmen. Bei den Midterm-Elections 2018 waren es bereits 200 000; und bei den Präsidentschafts- und Senatswahlen ist es auf diese Weise gelungen, sogar 800 000 neue Wähler zu registrieren. Ohne diese Basisarbeit wäre Bidens knapper Erfolg in Georgia wohl nicht möglich gewesen. Denn das „New Georgia Project“ registriert nicht nur Wähler, sondern hilft ihnen auch ganz praktisch dabei, zur Abstimmung zu gehen. Bei ihrer Arbeit konzentrieren sich die Aktivisten vor allem auf afroamerikanische Gemeinden, die traditionell die geringste Wahlbeteiligung aufweisen. Doch wird die Mobilisierung bis in den Januar anhalten – und womöglich auch darüber hinaus?

Dass das eigentlich konservative Georgia von einem roten zu einem purpurfarbenen Staat werden konnte, hat wie in anderen Swing States auch viel mit der US-amerikanischen Binnenzuwanderung zu tun. Tatsächlich haben sich die Mehrheiten erheblich verschoben, unter anderem wegen des Zuzugs aus liberaleren Teilen des Landes in das ökonomische Kraftzentrum rund um Atlanta. Allerdings schlug sich die blaue Wende zugunsten Bidens nicht in gleichem Maße auf die gleichzeitig stattfindenden Wahlen für das Landesparlament nieder, wo die Demokraten nur zwei neue Sitze holen konnten und damit die Mehrheit deutlich verfehlten. Hinzu kommt, dass 2021 die Wahlkreisgrenzen neu gezogen werden, und zwar von jener Partei, die die Macht auf bundesstaatlicher Ebene hat. Das aber sind in Georgia die Republikaner – und an deren Vormacht dürfte sich von daher auch nicht viel ändern.

Von entscheidender Bedeutung für den Wahlausgang am 5. Januar könnte hingegen die Rolle bzw. Nicht-Rolle Donald Trumps sein. Zum ersten Mal wird es nicht mehr hauptsächlich um ihn gehen. Ist das ein Vorteil für die Demokraten, weil er nicht mehr seine eigenen Leute mobilisiert, oder eher ein Nachteil, weil unklar ist, wie hoch die Wahlbeteiligung im Anti-Trump-Lager dann noch ausfallen wird? Manchem Wähler könnte es – ohne Trump – womöglich an der entsprechenden Motivation fehlen, die – „gegen Trump“– in Georgia im November noch für eine Rekordwahlbeteiligung gesorgt hat. Dagegen können die Republikaner mit der Warnung vor einer demokratischen Mehrheit sowohl im Weißen Haus als auch in beiden Kammern des Kongresses weiter Stimmung machen.

Die Mär vom Wahlbetrug

Wie sehr der widerspenstige Trump das Senatsrennen in Georgia beeinflussen wird – mit seinem Versuch, das legitime Wahlergebnis weiter zu torpedieren –, darüber gehen die Meinungen auseinander. In jedem Fall spielt er als oberster Wahlkämpfer noch eine wichtige Rolle. Das bewies unter anderem sein grotesker Wahlkampfauftritt am 6. Dezember in Georgia, wo er einmal mehr darauf beharrte, der Sieger der Präsidentschaftswahl zu sein. Zugleich werden im Trump-Lager Forderungen laut, die Abstimmung am 5. Januar zu boykottieren, nachdem Brian Kemp, der republikanische Gouverneur des Bundesstaates, Trumps Forderung zurückgewiesen hatte, Biden die offizielle Bestätigung seines Wahlsieges in Georgia zu verweigern.

Dessen ungeachtet unternehmen die Republikaner bislang wenig, um sich von Trump abzusetzen. Sie wollen, dass die Wut ihre Wähler an die Urnen treibt – und die Angst vor einem Linksruck. Tatsächlich scheinen die Anhänger von Donald Trump noch immer alles zu glauben, was der Noch-Präsident und sein Team ihnen weismachen wollen – also vor allem die Mär von falschen Stimmzetteln, die auf abenteuerlichen Wegen zugunsten des Siegers Joe Biden aufgetaucht seien. Obwohl Trump und seine ihm immer noch treu ergebenen Republikaner die amerikanische Demokratie in höchste Gefahr gebracht haben, hat keiner seiner eingeschworenen Fans auch nur den Hauch eines Zweifels an dieser Story oder die geringste Bereitschaft, Joe Biden als neuen Präsidenten zu akzeptieren – obwohl die „Transition“, die Übergabe der Amtsgeschäfte, nun immerhin begonnen hat. Und von Trumps Partei wird diese radikale Haltung mit Blick auf Georgia weidlich unterstützt. So sagt Senator Rubio bei seinem Auftritt im Senats-Wahlkampf: „Das hier ist der Showdown aller Showdowns. Es ist an Georgia, diese Entscheidung zu treffen. Aber es wird Amerika sein, das die Konsequenzen zu tragen hat.“

Die Rückkehr der »Globalisten«

Am 5. Januar werden wir wissen, wer wen mobilisieren konnte. Und damit auch, ob die Demokraten unter Biden doch noch eine Chance haben, Grundlegendes zu verändern – oder ob sie an der republikanischen Blockade im Senat scheitern werden.

Immerhin zeigen die ersten Personalien, wie sehr sich die Regierung Biden von der seines Vorgängers unterscheiden will. Allein der Unterschied zwischen dem designierten Außenminister Tony Blinken und dem derzeitigen Chef des State Departments, Mike Pompeo, könnte größer kaum sein: Ein in Paris aufgewachsener, an Eliteunis ausgebildeter Weltbürger mit jahrzehntelanger außenpolitischer Erfahrung, der Jazzmusik liebt und einst davon träumte, Filme zu produzieren, ersetzt einen evangelikalen Trump-Getreuen, der Diplomatie als Zeichen von Schwäche und Außenpolitik vor allem als Innenpolitik versteht und dessen wichtigstes Projekt die Religionsfreiheit war – womit hauptsächlich die der Christen gemeint war.

Blinken, aber auch der ehemalige Außenminister John Kerry, der als Klimabeauftragter in Regierungsverantwortung zurückkehrt, oder die erfahrene afroamerikanische Diplomatin Linda Thomas-Greenfield als künftige UN-Botschafterin stehen exemplarisch für das, was das Trump-Lager verabscheut – „Globalisten“, die mehr an den Rest der Welt dächten als an das eigene Land. In diesen exzellent vernetzten Experten aus der Clinton- und Obama-Ära sehen sie Handlanger fremder Mächte, die dazu beigetragen hätten, das eigene Land zu übervorteilen – und die USA zu oft auch in unnötige Kriege verwickelt hätten.

In Trumps Welt behindern multilaterale Bündnisse und internationale Abkommen die Handlungsfreiheit des eigenen Landes. Im Obama/Biden/Blinken/Kerry-Universum soll die Welt enger zusammenwachsen – weil sie immer stärker vernetzt ist, im Guten wie im Schlechten: beim Klimaschutz, in Pandemien oder in Fragen des technologischen Fortschritts. Trump regierte als „Disruptor in Chief“. Nach vier Jahren hatte die Mehrheit der Amerikaner offenbar genug von Spontaneität, Chaos und „America First“. Sie will es nun einmal wieder mit Regeln, Traditionen und Beziehungspflege versuchen. Die nationalistische und erratische Politik der Trump-Administration soll wieder durch internationale Kooperation und Berechenbarkeit ersetzt werden. Diplomatie soll die längste Zeit ein Schimpfwort gewesen sein. Für Donald Trump allerdings wird das bis auf Weiteres nicht gelten, im Gegenteil: Die „Lame Duck“-Phase bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Januar wird er ziemlich sicher noch für so manche Ungeheuerlichkeit nutzen – seien wir darauf gefasst.

Dass die US-Demokratie insgesamt zu dieser Kurskorrektur in der Lage war, sollte die Welt hingegen erleichtern, auch wenn die Aufgaben der neuen Regierung zweifellos gewaltig sind – ganz unabhängig davon, wie die Wahlen am 5. Januar in Georgia letztlich ausgehen werden.

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