Ausgabe April 2023

Ökologie und Frieden: Was heißt heute Pazifismus?

Beim 10. Globalen Klimastreik in Berlin, 25.03.2022 (IMAGO / Future Image / B. Kriemann)

Bild: Beim 10. Globalen Klimastreik in Berlin, 25.03.2022 (IMAGO / Future Image / B. Kriemann)

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine steht auch die Friedensbewegung an einem Scheideweg, durchlebt sie eine neue Unübersichtlichkeit, die die alten Überzeugungen auf den Prüfstand stellt.

Die letzte – und schon damals neue – Friedensbewegung entstand als Teil der neuen sozialen Bewegungen in den 1960/70er Jahren, und zwar als Duo für „Umwelt & Frieden“. Ihr Codename lautete: Ökopax. Damals protestierte man so selbstverständlich gegen die zivile wie gegen die militärische Nutzung der Atomenergie. Man blockierte Mutlangen, den Standort der US-amerikanischen Pershing-Raketen, genauso entschieden wie Wyhl, Brokdorf und Wackersdorf als mögliche Standorte für Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen. Öko und Frieden: In diesem Doppelpack eroberten alternative Listen dann kommunale Parlamente, zog die grüne Partei in den Bundestag und in die Landtage ein, verbanden sich Umwelt- und Friedensgruppen über die deutsch-deutsche Grenze hinweg.

Diese neue Friedensbewegung,[1] die seit Ende der 1970er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss kämpfte, schloss an ihre Vorläuferin, die Ostermarschbewegung der 1950er und 60er Jahre, an, die gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und deren Eingliederung in westliche Militärallianzen opponiert hatte, nicht zuletzt deshalb, weil beides mutmaßlich die deutsche Wiedervereinigung verhinderte. Große Teile der (außer-)parlamentarischen Linken bis weit in die SPD hinein bevorzugten eine dauerhaft entmilitarisierte, neutrale Republik zwischen den Blöcken, waren gegen die Westbindung, die Bundeskanzler Konrad Adenauer Richtung Washington und sein Atom- und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in Richtung Paris (inklusive Atomwaffenbesitz) vorantrieben. Mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im französischen Parlament 1954 war dieser Streit zwischen Atlantikern und Gaullisten praktisch schon entschieden. Was alte und neue Friedensbewegung verband, war die tiefsitzende Aversion gegen alles Nukleare und „Amerika“. Dass sowjetische SS-20 auf Deutschland gerichtet waren, war für die meisten unter den 100 000 Friedliebenden 1983 im Bonner Hofgarten kein Thema, wie eine Leitfigur der Ökologiebewegung, André Gorz, damals anprangerte: „Alles ist darauf abgestellt, die sowjetische Empfindlichkeit nicht zu verletzen und als Vermittler zwischen dem Kreml und den westlichen Ländern aufzutreten. [...] An Stelle von Breschnew hätte ich keinerlei Achtung für Leute, die imstande sind, sich gegen die Startbahn West in Frankfurt, gegen das Atomkraftwerk Brokdorf und gegen die Pershing 2 zu mobilisieren, die aber den Völkermord in Afghanistan, die biologischen Waffen der Sowjetunion, die SS-20, die Folterungen in der Tschechoslowakei und den Warschauer Putsch stillschweigend hinnehmen und das alles mit dem sibirischen Gas krönen.“[2]

Erst der russische Angriffskrieg hat vielen die Einsicht verschafft, wie blind dieser Pazifismus gegenüber dem sowjetischen, im Kern russischen Imperialismus war. Die historische Verantwortung für den deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die Ablehnung der bundesrepublikanischen Staatsideologie des Antikommunismus mündeten in die Idee, mit Moskau und Ostberlin für „Wandel durch Handel“ zu sorgen – was den von Gorz beklagten Nebeneffekt hatte, dass die Entspannungspolitik auf Regierungskontakte mit autoritären KP-Regimen fixiert war und den Kampf der Oppositionsbewegungen in den meist übersehenen Staaten Ostmitteleuropas ignorierte.

Es ist kein Zufall und nicht ohne Belang, dass die einzige Partei, die den Demokratiebewegungen gegenüber sensibel und solidarisch agierte, die Grünen waren, für die Frieden, Demokratie und Menschenrechte gleichrangig nebeneinander standen. Das Grundmuster der Regierungspolitik blieb jedoch auch nach 1990 erhalten und führte in der Putin-Ära zur umgekehrt proportionalen Zunahme der Energieabhängigkeit von Russland bei gleichzeitiger Abnahme der deutschen Verteidigungsbereitschaft.

Mit der dafür allzu oft in Anspruch genommenen noblen Idee des Pazifismus hatte und hat dies nichts zu tun. Die Intention des Pazifismus war nie, einem Aggressor vorauseilend die weiße Fahne auszurollen und auch die andere Backe hinzuhalten, sondern vielmehr den Angriffskrieg, bis ins 19. Jahrhundert eine unangefochtene Staatenpraxis, dauerhaft zu bannen und zu verbieten.[3] Sich dagegen notfalls mit Waffengewalt zu wehren, war niemals „bellizistisch“. Das schlagendste, aber stets heruntergespielte Beispiel ist die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus durch die Antihitlerkoalition, die nur durch Waffengewalt und Millionen von Opfern möglich war.[4] Diese Tradition des „Frieden schaffen mit Waffen“ wurde von der Friedensbewegung lange verdrängt. Doch Russlands Aggression fordert das ökopazifistische Milieu nun zum Umlernen auf – und auch dazu, die Ökopax-Allianz auf neue Grundlagen zu stellen.

Unmittelbar nach Beginn des russischen Überfalls war dieses Umdenken durchaus zu erkennen. Unter dem Slogan „Stand with Ukraine!“ rief Fridays for Future (FFF) im März 2022 mit zur Großdemonstration auf: „Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie die Energieimporte aus Russland stoppt: Schluss mit der Finanzierung des Kriegs – Schluss mit Öl, Gas und Kohle aus Russland. Das Ende von Nord Stream 2 – ein für alle Mal“, heißt es in dem Aufruf, und weiter: „Die Antwort darauf darf aber nicht die Investition in andere fossile Infrastrukturen, sondern muss die konsequente Energiewende weg von Kohle, Öl und Gas hin zu Erneuerbaren sein, um fossile Abhängigkeiten und Kriege zu beenden. […] Die ganze Welt muss sich gegen den Krieg stellen. Folgt dem Aufruf unserer ukrainischen Mitaktivist:innen und kommt mit uns auf die Straßen! End the war – end fossil fuels!“[5] Der Zusammenhang war somit klar erkannt: Russland führt nicht zuletzt einen globalen Energiekrieg, Klimaschutz und Unterstützung der Ukraine gingen zusammen.

Wie Friedens- und Ökologiebewegung auseinandergedriftet sind

Doch ein Jahr später hat sich der Wind in der Ökologiebewegung gedreht. Seither konzentrieren sich FFF, „Last Generation“ und die meisten Umweltverbände ganz auf den ökologischen und klimapolitischen Aspekt. Ihre Protestenergie fließt in Demonstrationsziele wie „Hambi“ und „Danni“, „Lützi“ und „Fecher“; dagegen übt man zivilen Ungehorsam und legt sich mit grünen Verantwortlichen für vermeintlich schmutzige Koalitionskompromisse in der Energie- und Verkehrspolitik an. Zurückhaltung übt man dagegen in der Kriegsfrage – genau wie die Gewerkschaften (aus Rücksicht auf ihre Linken-Kader), die Kirchen (in Verkennung gerechter Kriege) und wie andere Gruppen in ihrer Fixierung auf sexuelle und kulturelle Diversität – obwohl diese kaum irgendwo so sehr bedroht ist wie in Russland.

Diese Reduktion auf die eigenen, vermeintlichen Kernthemen ist ein fataler Fehler. Während der Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands in eine neue, auch für Deutschland existenzielle Phase tritt, sollten sich diese Organisationen und Bewegungen auf ihre Forderung „End the war!“ besinnen, bei der sich die Aufrüstung der ukrainischen Armee und die Forderung nach Verhandlungslösungen gerade nicht ausschließen. Und anders, als es die empiriefreien Appelle der „Manifest“-Unterzeichner suggerieren, ist es die mehrheitliche Überzeugung der Deutschen, dass es sowohl der Waffen als auch der Diplomatie bedarf. Worauf Wagenknecht, Chrupalla und Co. außerdem keine Antwort geben: Mit welchem Verhandlungspartner wäre denn gegenwärtig über einen dauerhaften Frieden zu reden – und über welche Faustpfande und Garantien? Das ewige Mantra von der angeblich allein friedensstiftenden „Diplomatie“ steht jedenfalls in gewaltigem Widerspruch zum Putinschen Desinteresse an Verhandlungen.

Jenseits des gescheiterten Budapester Abkommens oder der Minsker Floskeln werden Frieden und Sicherheit für die Ukraine nur per Nato-Beitritt erreichbar sein – beziehungsweise durch die Aufnahme in die Europäische Union, die analoge Beistandspflichten mit sich bringt, schon für den Fall, dass der Aggressionshunger Putins nach einem prekären Waffenstillstand wieder zunimmt. Die Ukraine ist undenkbar als neutraler Pufferstaat zwischen Ost und West; zu garantieren ist ihre Integrität und Unabhängigkeit nur als westliche Bündnisnation. Doch genau um das zu verhindern und den „kollektiven Westen“ nicht an Russlands Grenzen auszudehnen, ist Putin schließlich über das Land hergefallen. Der Ruf nach bloßer Diplomatie birgt daher keineswegs geringere Risiken für Deutschland und den Westen als die Positionen der leichtfertig als „Bellizisten“ Denunzierten, die zwischen militärischer Unterstützung und diplomatischen Verhandlungen keinen starren Gegensatz aufmachen.

Von dieser Komplexität ist in der neuesten Form der deutschen Friedensbewegung, einer vom Schlage Wagenknechts und Schwarzers, wenig zu sehen. Eine Konstante wird dagegen wieder sehr deutlich – ihr offener oder verdeckter Antiamerikanismus. Bei den „Besiegten von 1945“ hatte das eine revanchistische Dimension, bei den Jüngeren zum Teil eine kulturelle (selbst bei denen, die sich Donald Duck, Hollywood und Bob Dylan selbstverständlich hingaben); die andere Seite war allerdings eine berechtigte Kritik am US-Imperialismus, die sich auf eine lange Reihe ungerechtfertigter Militärinterventionen und skandalöser Geheimdienstoperationen des „Weltpolizisten“ stützen konnte. In der Tat beruht die Isolation des von Putin attackierten „kollektiven Westens“ auf massiven Fehlern der Vereinigten Staaten und Europäer in allen Regionen des Globalen Südens. Gleichwohl waren die Sicherheit Europas nur durch die atomare Abschreckung der Nato garantiert und der Völkermord in Bosnien, in vielerlei Hinsicht ein Vorspiel des aktuellen Vernichtungskriegs in der Ukraine, nur durch die Einschaltung der USA zu stoppen. (Auch hier waren es wieder maßgeblich die Grünen, die diesen Lernprozess vorangetrieben und sich selbst dabei kaum geschont haben.)

Diese Westbindung, die Kooperation mit den USA, begrüßen nach neuesten Umfragen zwei Drittel der Westdeutschen, während es in Ostdeutschland weniger als die Hälfte ist.[6] Durch die „Einschlussgesellschaft“ (Ines Geipel) der Ex-DDR geistert außer einer erstaunlichen Loyalität mit der einstigen Besatzungsmacht die von Putins Internettrollen gestreute Behauptung, der wahre Aggressor, jedenfalls Nutznießer des Ukrainekrieges seien die „Amis“. Dieser neue, virulente Antiamerikanismus könnte erhebliche zusätzliche Nahrung bekommen, falls in zwei Jahren ein Republikaner Präsident wird und sich in den USA ein neuer Isolationismus durchsetzt, dem übrigens längst auch manche Demokraten anhängen.

Diese Gefahr unterstreicht nur die Notwendigkeit, die seit langem überfällige europäische Sicherheitskooperation voranzutreiben, statt gut zwei Dutzend Armeen gesondert aufzurüsten. Der Ukrainekonflikt hat dieses Defizit mangelnder Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit nicht nur der Bundeswehr scharf beleuchtet, während die Risse im transatlantischen Bündnis noch nicht so sichtbar, aber durchaus vorhanden sind.

Selbst die „deutsch-französische Achse“ könnte der Last der „Zeitenwende“ womöglich nicht standhalten. Das in deutlich gedämpfter Tonlage gefeierte 60. Jubiläum des Élysée-Vertrages hat existenzielle Fragen aufgeworfen: Bleiben sich Paris und Berlin im Ukrainekrieg und gegenüber dem Putin-Regime einig? Nehmen sie wahr, wie sich die Gewichte der EU nach Ostmitteleuropa verschoben haben und mit Polen eine Macht entstanden ist, die man nicht mehr als bloßes drittes Rad im „Weimarer Dreieck“ unterbringen kann? Können beide Staaten im Klein-Klein der Energiepolitik das Pariser Klimaabkommen erfüllen? Werden sie endlich eine humanitäre Migrations- und Asylpolitik auf den Weg bringen? Und hielte die „Achse“ eine Präsidentin Marine Le Pen aus, die den Deutschen ausgesprochen feindlich gegenübersteht? Seiner bemerkenswerten Prager Rede[7], einem großen Plädoyer für eine politische Gemeinschaft, ließ der Bundeskanzler keine Initiativen für eine gemeinsame Verteidigung, die finanz- und fiskalpolitische Harmonisierung, den Energiebinnenmarkt und eine europäische Kreislaufwirtschaft folgen. Und das Petitum, anstelle des lähmenden Einstimmigkeitsprinzips Mehrheitsentscheidungen in der EU auszuweiten, hat er durch eigene Alleingänge konterkariert. Es wirkt insofern wie ein Déjà vu, dass das nukleare Thema – die Angst vor Putins Drohung und der von Frankreich (und den USA) betriebene Ausbau der zivilen Nutzung der Atomenergie – erneut, wie schon in den 1980er Jahren, Risse mitten durch die westlichen Bündnisse treibt.[8]

Noch keine Zeit für Verhandlungen

Bei alledem steht fest: Derzeit ist eine Verhandlung zwischen den Kriegsparteien ausgeschlossen, erscheint eine friedliche Koexistenz zwischen ihnen in Zukunft fast unmöglich zu denken. Sie muss aber gedacht werden, selbst gegen nachvollziehbare Bedenken der ukrainischen Seite, denn die Russische Föderation wird nicht von der Landkarte verschwinden.

Solange aber das große Verhandlungsszenario utopisch erscheint, setzen manche auf kleine Lösungen. Sie verwiesen darauf, dass Unterhändler beider Seiten gelegentlich kooperiert haben: unter Moderation der UNO bei Gesprächen über Getreideexporte in Istanbul wie auch vor Ort über den Austausch von Gefangenen. Russland und die USA haben sich über fehlgeleitete Flugkörper ausgetauscht und zuletzt sogar über den bevorstehenden Besuch von Präsident Biden in Kiew. Weitere Verhandlungsthemen wären Entflechtungszonen rund um Atomkraftwerke, Schutzzonen um Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten sowie temporäre Waffenstillstände zu Zeiten von Aussaat und Ernte.[9] Doch damit ist seitens Russlands nicht zu rechnen, solange diese als schutzwürdig angesehenen Objekte erklärte Ziele ihrer Luft- und Artillerieangriffe sind.

Worauf aber könnten diplomatische Parallelaktionen sonst zielen?

Es gilt erstens, die in der Bevölkerung der meisten EU-Staaten immer noch breit verankerte Solidarität mit der Ukraine zu stärken, vor allem durch eine bessere Koordination und Kommunikation gemeinsamer Maßnahmen. Das gilt auch für die transatlantische Kooperation.

Zweitens, und weit komplizierter, muss man Moskaus Allianzbildung im sogenannten Globalen Süden etwas entgegensetzen. Doch so geschlossen sich der „kollektive Westen“ vordergründig gibt, so wenig sind die G 20-Staaten und „Blockfreien“ jenseits papierner Bekenntnisse zur Unverletzbarkeit staatlicher Grenzen geneigt, den Ukrainekrieg als ihre eigene Angelegenheit zu betrachten. Dabei hat Putin geopolitisch beileibe noch nicht verloren, baut zugleich China seine eigene Machtstellung weiter aus. All das sind auch Fernwirkungen der Dekolonisierung und von Militärinterventionen der USA in verschiedenen Weltregionen, die den moralischen Kredit des Westens nachhaltig beschädigt haben – während zugleich die virulente Gefahr des russischen und chinesischen Imperialismus anhaltend verkannt wird.

Am schwierigsten dürfte jedoch eine dritte diplomatische Initiative sein – der Dialog mit Repräsentanten der russischen Gesellschaft über die Zukunft des Landes „nach Putin“. Einem Machthaber ohne jeden moralischen Kredit steht eine systematisch marginalisierte Opposition gegenüber, die ihren moralischen Kredit nicht einmal bei den Ukrainern geltend machen kann, die häufig jedes Gespräch mit Russen pauschal ablehnen. Doch wie auch immer dieser Krieg endet, wird Russland bleiben – entweder als gefährlich implodierender failed state oder als Nation, die sich von Putin befreit, vom Putinismus und seiner extraktiven Wirtschaft löst und als ziviles Mitglied der Weltgemeinschaft wieder lernt, mit seinen (westlichen) Nachbarn in Frieden zu leben. Dass solche Fühler nicht (wie über lange Jahrzehnte hinweg) ohne oder gar gegen die Ukraine ausgestreckt werden dürfen, versteht sich von selbst.

Hier aber können die Ambitionen der Friedens- und Umweltgruppen direkt konvergieren: Russlands Energiekrieg verzögert die nationale und globale Energiewende und konfrontiert die grüne Regierungspartei zugleich mit dem Dilemma, AKWs länger laufen zu lassen, um nicht noch stärker von Kohle, Öl und Gas abhängig zu sein. Daran zeigt sich: Nicht nur die Erderwärmung oder der Verlust der Artenvielfalt verdienen das existenzielle Pathos der „Letzten Generation“, sondern auch die durch Russland bedrohte Demokratie. Gemeinsam gilt es, die durch den Krieg aufgeschobenen Maßnahmen gegen alle Wahrscheinlichkeit in eine noch offensivere Transformation zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit einmünden zu lassen. Das ist der Stoff, aus dem eine zeitgemäße Friedensbewegung geschneidert werden kann. Und die Annäherung zwischen FFF und Gewerkschaften, wahrlich keine selbstverständliche Partnerschaft, am Protesttag des 3. März 2023 hat demonstriert, wie eine breite außerparlamentarische Opposition aussehen könnte, die den Frieden jenseits eines sterilen Gesinnungspazifismus erreichen und zugleich aus Kohle, Öl und Gas aussteigen will – und die nicht zuletzt auch für eine humanere Arbeit und sozialstaatliche Sicherheit kämpft.[10]

[1] Siehe dazu das Themenheft des „Forschungsjournals Soziale Bewegungen“, Bd. 35, 4/2022.

[2] Vgl. „Spiegel“-Interview, 4/1982.

[3] So auch Herfried Münkler im Interview, „Gewissenloses Manifest“ von Schwarzer und Wagenknecht, www.ksta.de, 13.2.2023.

[4] Interessanterweise hatten viele erklärte Pazifisten zuvor mit der antikolonialen Bewegung sympathisiert, deren Protagonisten sogar terroristische Mittel des Kampfes rechtfertigten – und so nebenbei das populäre Vorurteil widerlegten, man könne gegen Atommächte nicht gewinnen, wie die Kriege gegen die USA und UdSSR in Vietnam und Afghanistan demonstrieren.

[5] Globaler Klimastreik am 25. März 2022, www.fridaysforfuture.de/reichthaltnicht.

[6] ZDF-Politbarometer 3. März 2023.

[7]  Rede von Bundeskanzler Scholz an der Karls-Universität in Prag, www.bundesregierung.de, 29.8.2022.

[8] Virginie Malingre, A Bruxelles, la guerre du nucléaire entre l’Allemagne et la France fait rage, www.lemonde.fr, 5.3.2023.

[9] Stephan Hebel, Ukraine-Debatte: Polarisieren hilft nicht, www.fr.de, 21.2.2023.

[10] Claus Leggewie, Kuchen für alle!, www.ipg-journal.de, 1.9.2022.

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