Ausgabe Dezember 2023

Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung

Eine Antwort auf »Philosophy for Palestine«

Demonstrierende mit Palästina-Flaggen in London, 13.11.2023 (IMAGO / ZUMA Wire / Martin Pope)

Bild: Demonstrierende mit Palästina-Flaggen in London, 13.11.2023 (IMAGO / ZUMA Wire / Martin Pope)

Das bestialische Massaker der Hamas am 7. Oktober und der blutige Krieg in Gaza haben eine Flut von Statements und offenen Briefen ausgelöst, in denen sich Intellektuelle, Künstler:innen und Studierende mit ihrer Unterschrift zur Unterstützung der einen oder anderen Seite bekannten. In den USA tobt eine besonders heftige Auseinandersetzung an den Universitäten. Kurz nach dem Angriff der Hamas behaupteten Studierendengruppen in Harvard, Israel trage die volle Schuld an dem Terrorangriff der Hamas: „Die heutigen Ereignisse haben sich nicht in einem Vakuum ereignet. Das Apartheidregime ist der einzig Schuldige.“ An der Columbia University veröffentlichten Studierende ebenfalls ein Schreiben zur Unterstützung der Hamas. Eine Gruppe von Fakultätsmitgliedern unterstützte sie in einem Brief, in dem sie dafür plädierte, den Terror der Hamas „neu zu kontextualisieren“. In einem zweiten Schreiben, das ebenfalls von Hunderten von Columbia-Fakultätsmitgliedern unterzeichnet wurde, heißt es: „Wir sind fassungslos, dass irgendjemand diese ungeheuerlichen Angriffe feiert oder, wie einige Mitglieder der Columbia-Fakultät in einem kürzlich veröffentlichten Brief, versucht, sie als ‚Salve‘, als ‚Ausübung des Rechts auf Widerstand‘ gegen die Besatzung oder als ‚militärische Aktion‘ zu ‚rekontextualisieren‘. Wir sind bestürzt, dass überhaupt jemand an der Columbia auf die Idee kommt, eine Organisation zu legitimieren, die keinen der Grundwerte der Universität – Demokratie, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit – teilt.“ Am 1. November veröffentlichte dann eine Gruppe Intellektueller – darunter Judith Butler, Olúfémi O. Táíwò und Nancy Fraser – einen neuen Brief mit dem Titel „Philosophy for Palestine“. Sie fordern darin einen Waffenstillstand als Anfang „einer kollektiven Aktion zur Befreiung" (dokumentiert auf blaetter.de).

Seyla Benhabib, Professorin für Politische Theorie und Philosophie an der Universität Yale und Mitherausgeberin der „Blätter“, wurde gebeten, den Brief zu unterzeichnen, was sie jedoch ablehnte. Stattdessen formulierte sie eine Antwort, die wir hier erstmals auf Deutsch veröffentlichen. Der Text erschien zuerst am 5. November 2023 im Rundbrief des Hannah Arendt Centers (medium.com/amor-mundi). Die Übersetzung stammt von Ferdinand Muggenthaler und wurde von der Autorin autorisiert. Der Text ist gegenüber dem Original leicht bearbeitet.

Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es sind düstere Zeiten, in denen auf der ganzen Welt verschiedene Krisen ausbrechen und in vielen Kreisen schon von einem globalen Flächenbrand gesprochen wird. Es sind auch Zeiten, die menschliche Beziehungen, Freundschaften und politische Bündnisse auf die Probe stellen. Ich habe die Werke von vielen von euch gelesen, viele von euch habe ich unterrichtet, ich war Doktormutter von einige von euch und habe gemeinsam mit euch für die Rechte der Frauen an unseren Universitäten gekämpft, für die Gleichstellung von LGBTQ-Personen, für das Recht muslimischer Studentinnen, den Hidschab zu tragen, für die Rechte von Flüchtlingen und Staatenlosen gestritten und an vielen anderen Kämpfen gemeinsam mit euch teilgenommen. Aber ich kann diesen Brief und viele der darin geäußerten Ansichten nicht gutheißen.

Ich bin es meinen Freunden und mir selbst schuldig, unsere Ideen in aller Klarheit darzulegen. Lasst mich zunächst sagen, dass ich seit meiner Zeit als studentische Aktivistin in Istanbul in den späten 1960er Jahren das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung unterstütze, und während ich im letzten halben Jahrhundert über den israelisch-palästinensischen und auch den arabisch-israelischen Konflikt nachgedacht habe – und die beiden sind nicht dasselbe –, habe ich manchmal einen binationalen Staat befürwortet, manchmal eine föderale Struktur. Heute denke ich, eine Zweistaatenlösung ist historisch notwendig – zumindest in einer Übergangsphase bevor eine Art Föderation entstehen kann.

Mein Einwand gegen euren Brief ist, dass er den israelisch-palästinensischen Konflikt allein durch die Brille des „Siedlerkolonialismus“ betrachtet und die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober 2023 zu einem Akt des legitimen Widerstands gegen eine Besatzungsmacht erhebt. Indem ihr den israelisch-palästinensischen Konflikt als Folge eines Siedlerkolonialismus ausdeutet, lasst ihr die historische Entwicklung der beiden Völker außer Acht. Zionismus ist keine Form von Rassismus, auch wenn die Handlungen und Institutionen des Staates Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im besetzten Westjordanland, in den Flüchtlingslagern und natürlich im Gazastreifen eine Diskriminierung auf der Grundlage der Nationalität – nicht der Hautfarbe – darstellen und den anhaltenden Ausnahmezustand zwischen Israel und seinen Nachbarn widerspiegeln.

Die Tragödien beider Völker anerkennen

In der Vergangenheit hatten viele israelische Führer, darunter kein Geringerer als Ben Gurion selbst, für die Rückgabe der 1967 von Israel eroberten Gebiete plädiert, weil sie befürchteten, dass sonst der demokratische und jüdische Charakter des Staates gefährdet sei. Zu dieser Zeit gab es noch keine Palästinensische Autonomiebehörde, aber im Laufe der 1970er Jahre entstanden verschiedene palästinensische Befreiungsbewegungen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas unter der Führung von George Habash und die PLO unter der Führung von Jassir Arafat.

Der palästinensische Nationalismus ist wie viele andere Nationalismen, einschließlich des Zionismus, im Schmelztiegel des Kampfes um die Anerkennung durch seine Gegner entstanden. Der israelische und der palästinensische Nationalismus spiegeln sich gegenseitig, und letztendlich müssen sie Seite an Seite leben und sich das Territorium mit dem jeweils anderen teilen.

In eurer Erklärung fehlt jegliches Gespür für die Geschichte, für die Tragödien, die diesen Völkern widerfahren sind, und für die vielen verpassten Momente, in denen eine andere Zukunft möglich schien. Ihr sprecht zwar von „den Bedingungen, die Gewalt hervorbringen“, erwähnt aber nicht, dass Yitzhak Rabin von einem jüdischen Extremisten und Anwar el Sadat nach seinem Besuch in Israel von einem Mitglied der Muslimbruderschaft, dem ideologischen Vorläufer der Hamas, ermordet wurden. Ihr schreibt: „Die Menschen in Gaza haben ihre Verbündeten in aller Welt aufgefordert, Druck auf ihre jeweiligen Regierungen auszuüben, damit diese einen sofortigen Waffenstillstand fordern. Aber das sollte – ja, muss – der Anfang und nicht das Ende einer kollektiven Aktion zur Befreiung sein.“[1] Indem ihr diese Forderungen übernehmt, unterstützt ihr auch die Stellung der Hamas als angebliche Vorhut des palästinensischen „Befreiungskampfes“. Dies ist ein kolossaler Fehler.

Die Hamas nimmt die Bevölkerung von Gaza als Geisel

Die Hamas ist eine nihilistische Organisation, die die Zivilbevölkerung des Gazastreifens als ihre Geisel behandelt. Der Führer der Organisation, Ismail Hanijeh, sitzt in einem Luxushotel in Katar, während auf den Straßen von Gaza Kinder sterben. Ja, wie Amnesty International sagt, „Gaza ist das größte Freiluftgefängnis der Welt“, aber das liegt auch daran, dass die Hamas eine Organisation ist, die auf Vernichtung aus ist, und deren Charta die Zerstörung des Staates Israel befürwortet. Auch ihr scheint dies implizit zu unterstützen, wenn ihr schreibt: „Wenn es Gerechtigkeit und Frieden geben soll, muss die Belagerung des Gazastreifens aufgehoben werden; die Besatzung muss beendet werden, und die Rechte aller Menschen, die derzeit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben sowie die der palästinensischen Flüchtlinge im Exil, müssen respektiert werden.“ Amen!

Aber seht ihr in der Hamas eine politische Organisation, die sich für die „Achtung der Rechte aller Menschen einsetzt, die derzeit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben“? Das widerspricht der Geschichte und der Logik. Die Hamas hat sich der Zerstörung des Staates Israel verschrieben; das unterstütze ich nicht. Ihr etwa? Welche moralische oder politische Logik liegt eurer Argumentation zugrunde?

Die Angriffe vom 7. Oktober 2023 sind nicht „nur eine Salve in einem andauernden Krieg zwischen einem besetzenden Staat und dem Volk, das er besetzt hält“, oder ein „Akt eines besetzten Volkes, das sein Recht auf Widerstand gegen eine gewaltsame und illegale Besatzung ausübt, etwas, das das humanitäre Völkerrecht im Zweiten Genfer Protokoll vorsieht“, wie es in einem von einigen Columbia- und Barnard-Kollegen unterzeichneten Brief heißt.[2] Sie sind ein Wendepunkt nicht nur für das jüdische Volk in Israel und anderswo, sondern auch in der Geschichte des palästinensischen Volkes. Die Ermordung von 1200 Israelis, die Verwundung von 3000 weiteren, die Verwüstung von Kibbuzim und Städten und die Geiselnahme von mehr als 200 Menschen haben eine tiefe Wunde in der Psyche vieler jüdischer Menschen auf der ganzen Welt hinterlassen, die durch das Gefühl noch verstärkt wird, dass Israel in der öffentlichen Meinung verloren hat. Das Gefühl trügt nicht. In der Folge hat der Antisemitismus sein hässliches Haupt von Paris bis Dagestan, von Cornell bis Berlin erhoben. Ja, natürlich ist die Kritik an Israel und dem Zionismus kein Antisemitismus. Linke jüdische Gruppen für den Frieden waren die ersten, die das vor vielen Jahren, zur Zeit der Osloer Abkommen in den späten 1980er Jahren, gesagt haben, und sie tragen die Narben dieser Kämpfe gegen das israelische Establishment.

Der 7. Oktober ist ein Wendepunkt für beide Seiten

Der 7. Oktober 2023 ist nicht nur ein Wendepunkt für Israel und die jüdische Diaspora. Er muss auch ein Wendepunkt für den palästinensischen Kampf sein. Das palästinensische Volk muss sich von der Geißel der Hamas befreien. Die Gewalttaten vom 7. Oktober 2023 – die Schändung und Verstümmelung von Leichen, die Tötung von Kindern und Babys, die Verbrennung von Jugendlichen bei einem Musikfestival, Vergewaltigungen, ritualisierte Morde und Entführungen – sind nicht nur Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern sie zeigen auch, dass die islamistische Dschihad-Ideologie, die in der Pornographie der Gewalt schwelgt, die Bewegung übernommen hat. Der Kampf um Palästina und die Tötung von Juden wird nun als Dschihad angesehen. Der türkische Präsident, der keine Gelegenheit auslässt, die islamistische Fahne zu hissen, wenn es ihm passt, um seine autoritäre Politik im eigenen Land zu rechtfertigen, bezeichnete die Hamas während der Feierlichkeiten zum 100jährigen Bestehen der türkischen Republik am 29. Oktober 2023 als „Mudschahidin“ – als Kämpfer für den Dschihad. Das palästinensische Volk muss gegen diese zerstörerische Ideologie ankämpfen, die nun seine Bewegung übernimmt.

Ja, nicht nur die Hamas hat Kriegsverbrechen begangen, auch Israel ist dabei, in Gaza welche zu begehen. „Unverhältnismäßige“ Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur während eines bewaffneten Konflikts ist ein Kriegsverbrechen. Die Kinder von Gaza sind in der kalten Sprache der Regeln für bewaffnete Konflikte zu „Kollateralschäden“ geworden, und Israel muss dafür verurteilt werden, dass es nicht alles getan hat, um die Bombardierung der Zivilbevölkerung von Gaza zu vermeiden, die jetzt offenbar schon über 10 000 Menschenleben gekostet hat.

Aber wir können nicht den völligen Nihilismus und Zynismus der Hamas vernachlässigen, die ihre Waffen und ihr Hauptquartier unter Krankenhäusern und Moscheen platziert, von denen sie genau weiß, dass sie, wenn sie von Israel getroffen werden, weltweite Empörung hervorrufen werden.

Nichtsdestotrotz unterstütze ich die Forderung nach einem Ende dieses grausamen Kreislaufs der Gewalt, der in seiner Grausamkeit fast biblisch und apokalyptisch anmutet, und fordere einen Waffenstillstand in Gaza. Der Waffenstillstand muss mit der sofortigen Evakuierung der Verwundeten, Alten und Jungen aus dem Gazastreifen einhergehen. Es darf nicht zu einer zweiten Nakba kommen. Die Nachbarländer und die Gemeinden im Westjordanland sowie Jordanien und Ägypten und andere Länder müssen sich bereit erklären, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen, die den Kampfhandlungen entkommen wollen. Letztendlich muss jedoch ein palästinensischer Staat gegründet werden. Es muss einen Austausch von Gefangenen gegen Geiseln geben. Israel hält Tausende von Palästinensern in seinen Gefängnissen gefangen; einige müssen unter völkerrechtskonformen Bedingungen im Austausch gegen Geiseln freigelassen werden.

Die Abraham-Abkommen, welche die Palästinenser nicht berücksichtigt haben, müssen sie einbeziehen und zu einer endgültigen Anerkennung der Grenzen des Staates Israel und zur Gründung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und in Teilen des Gazastreifens führen. Für die Tatsache, dass es keine Landverbindung zwischen dem Gazastreifen und den übrigen palästinensischen Gebieten gibt, muss eine Lösung gefunden werden. Ebenso müssen die 500 000 israelischen Siedler aus den besetzten Gebieten abgezogen werden. Und dies könnte zu einem Bürgerkrieg in Israel führen.

Die vernünftigen Stimmen werden an den Rand gedrängt

Derzeit gibt es zwei reale Gefahren, die jede friedliche Lösung dieses Konflikts für das nächste halbe Jahrhundert beeinträchtigen werden: Der Sieg der Hamas im weltweiten Meinungskampf und die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit gegen Israel bedeuten auch, dass die Mitglieder der Palästinensischen Autonomiebehörde und andere Palästinenser, die eine Koexistenz mit Israel akzeptieren, ins Abseits gedrängt wurden. Junge Palästinenser im Westjordanland, die von der Hamas beeindruckt sind, könnten zu ihr überlaufen.

Vernünftige und ehrenhafte palästinensische Stimmen, die sich für eine friedliche Koexistenz entschieden haben, wie der Philosoph Sari Nusseibeh, ehemaliger Präsident der al-Quds-Universität, und Mustafa Barghuthi[3], der Gründer der „Palästinensischen Nationalen Initiative“, oder Marwan Barghuthi, einer der Helden der Osloer Abkommen, der in israelischen Gefängnissen sitzt (wer weiß, aus welchen Gründen), könnten jetzt völlig zum Schweigen gebracht werden. Die internationale Gemeinschaft und vor allem die Vereinigten Staaten müssen der Marginalisierung von alternativen palästinensischen Führungen Einhalt gebieten.

Eine weitere Gefahr, und hier schließe ich mich denjenigen an, die Israels kolonialistische Politik in den besetzten Gebieten anklagen, sind die Bemühungen der rechten israelischen Parteien, des regierenden Likud, des Faschisten Itamar Ben-Gvir, des sogenannten Ministers für nationale Sicherheit, des Finanzministers Bezalel Smotrich und anderer, durch Enteignung, Prügel und Folter von Palästinensern im Westjordanland „Fakten zu schaffen“. Sie beabsichtigen nichts anderes als die „ethnische Säuberung“ von Judäa und Samaria – die biblischen Namen des Landes Israel. Sie sind die Erben einer langen Reihe von jüdischen Faschisten, die kein Geringerer als Albert Einstein, zusammen mit Hannah Arendt und Sidney Hook, in ihrem Offenen Brief an die „New York Times“ vom 2. Dezember 1948 anprangerten. Unter dem Titel „Neue Partei in Palästina: Der Besuch Menachem Begins und Ziele der politischen Bewegung diskutiert“ schrieben sie:

„Zu den beunruhigendsten politischen Phänomenen unserer Zeit gehört das Auftauchen der ‚Freiheitspartei‘ (Tnuat Haherut) im neu geschaffenen Staat Israel, einer politischen Partei, die in ihrer Organisation, ihren Methoden, ihrer politischen Philosophie und ihrer sozialen Anziehungskraft den nazistischen und faschistischen Parteien sehr ähnlich ist. Sie ist aus den Mitgliedern und Anhängern der ehemaligen Irgun Zvai Leumi entstanden, einer terroristischen, rechtsgerichteten, chauvinistischen Organisation in Palästina. […] Ein erschreckendes Beispiel war ihr Verhalten im arabischen Dorf Deir Yassin. Dieses Dorf, abseits der Hauptstraße gelegen und von jüdischem Land umgeben, hatte sich nicht an Kriegshandlungen beteiligt, ja, hatte sogar gegen arabische Banden angekämpft, die dieses Dorf zu ihrer Basis machen wollten. Am 9. April (The New York Times) griffen Terrorbanden ein friedliches Dorf an, das kein militärisches Ziel beim Kampf war, töteten die meisten seiner Bewohner (240 Männer, Frauen und Kinder) und nahmen einige lebend als Gefangene zu einer Parade durch die Straßen Jerusalems mit.“

Heute sind die Erben dieser Partei und Bewegung – der Likud wurde von Menachem Begin gegründet – in Israel an der Macht und haben Israel die schlimmste Katastrophe seit dem Holocaust beschert, indem Sie die legitimen Rechte der Palästinenser:innen durch Manipulation, Gewalt und Unterdrückung unter den Teppich zu kehren versuchen. Die jüdische Gemeinschaft in der Diaspora muss den Mut haben, diese Wahrheiten auszusprechen und in den Kreislauf der Gewalt einzugreifen, bevor die Region in weiteren Spasmen messianischer Gewalt auf beiden Seiten explodiert.

Ich bin nicht zuversichtlich, dass irgendetwas von dem, was meiner Meinung nach geschehen müsste, in naher Zukunft eintreten wird. Aber als Philosophinnen und Philosophen müssen wir uns über unsere Ideen klar werden. Wie Kant 1795 schrieb, mag die Idee des „ewigen Friedens“ zwischen Nationen mit dem satirischen Schild eines holländischen Gastwirts richtig beschrieben sein, der unter den Titel „Zum ewigen Frieden“ einen Friedhof gemalt hatte – eine Anspielung darauf, dass ein dauerhafter Friede nur nach dem Tod zu erreichen sei. Trotzdem haben wir keine andere Wahl als zu hoffen, dass wir durch unsere Prinzipien auch die Welt verändern können.

[1] Philosophy for Palestine, 1.11.2023, google.com.

[2] Columbia Faculty Letter: Grave Concerns About the Well-Being of Our Students, 30.10.2023, google.com.

[3] In der Originalfassung hieß es, Mustafa sei der Bruder von Marwan Barghuthi. Der Fehler wurde von der Autorin für diese Übersetzung korrigiert.

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