Ausgabe Mai 2025

Löschen als Regierungsprogramm

Musks Feldzug gegen das »Woke-Mind-Virus«

Symbolbild: »Delete«-Taste vor blauem Hintergrund (IMAGO / Pond5 Images)

Bild: Symbolbild: »Delete«-Taste vor blauem Hintergrund (IMAGO / Pond5 Images)

Das Verb „to delete“ ist derzeit Elon Musks Lieblingswort und zugleich Leitgedanke seines Handels als Chef des Department of Government Efficiency (DOGE). Sein programmatischer Ansatz lautet: „Wir müssen ganze Behörden löschen.“1 Mit dem Schwingen der Kettensäge nach dem Vorbild des ultralibertären argentinischen Präsidenten Javier Milei unterstreicht er dies symbolträchtig. Ganze Institutionen von der U.S. Agency for International Development (USAID) bis hin zum Bildungsministerium sollen „gelöscht“ werden; DEI-Programme (Diversitiy, Equity and Inclusion – Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion) und viele Jobs sind es bereits. Damit dringt die Disruption, die lange als Modus Operandi der Technologiebranche galt, nun ins Zentrum der Politik vor. Wo zuvor die Lösung von Problemen versprochen wurde, geht es nun um die Löschung unliebsamer Strukturen und Personen.

Doch Musk limitiert die Lust am Löschen nicht auf die Bürokratie des Staates, er verfolgt größere Ziele, größere Abstraktionen, konkret: Das, was er „woke mind virus“ nennt. Das Virus ist für den Tech-CEO die Ursache allen Übels, es müsse „gelöscht“, „zerstört“, „eliminiert“ werden. Überall sieht er es wirken, in der eigenen Familie, in Unternehmen, in den Institutionen; Menschen und Maschinen – gar so manche Künstliche Intelligenz (KI) – scheinen vom Virus „infiziert“, vom „Parasiten“ befallen zu sein. Die Welt, in der Musk lebt, scheint ziemlich dystopisch zu sein: Manchen wachse das Virus „wie ein riesiger Pilz aus dem Kopf“, ganze Städte glichen gar einer „Zombie-Apokalypse“. Musk beschreibt das Virus nicht nur als „freudlos“, sondern als derart „heimtückisch und tödlich“, dass es die Existenz der westlichen Zivilisation, gar die der ganzen Menschheit bedrohe.2 Wer so bildreich wie schief fantasiert, wer einen Begriff so ubiquitär wie unterbestimmt nutzt, dem bleibt nur eine Konsequenz: „Ich habe geschworen, das Woke-Mind-Virus zu zerstören.“3 Die diskursanalytische Nachverfolgung, das Begriffs-Tracing dieser scheinbar freidrehenden Rhetorik Muskscher Prägung fördert wichtige Erkenntnisse zutage. Denn seine Ver- bzw. Beschwörungsformeln sind unter Trump 2.0 zu einer Art Regierungsprogramm geworden; zu einer zerstörerischen Erzählung, die selbst viral geht und global ansteckend wirkt. 

Man muss nicht lange suchen, um auf X die erste Erwähnung zu finden. Musk denkt öffentlich und programmatisch, im Techjargon postet er im Dezember 2021: „traceroute woke_mind_virus“, was heißen soll, dass er der Wokeness nachspüren wolle. Der Post offenbart seinen Ärger über eine Gesellschaft, die sich für identitätspolitische Themen – von gender bis race –, für Diversität oder die Rechte von Minderheiten sensibilisiert, seine Wut auf Menschen, die Normen und Normalitäten infrage stellen. Für Musk wirken solche Ideen „spaltend“ und ihre Verfechter:innen „antimeritokratisch“, wie er auf dem Atreju-Festival 2023 in Rom erklärte. Immer, so sein Verdacht, hätten die Opfer, die Schwachen und Armen recht – für den reichsten Mann der Welt offenbar eine persönliche Kränkung. Im Abwehrreflex eskaliert Musk schnell, nennt Wokeness „menschenfeindlich“, „antizivilisatorisch“, schlechthin „böse“. Sie gebe das Gegenteil vor, verstärke aber „Rassismus, Sexismus und all die anderen -ismen“.4

Die Auslöser für Musks Anti-Woke-Feldzug

Mit immer größerer Vehemenz und Frequenz postet Musk seit 2022 über das Virus, entdeckt es auf Netflix oder Disney; wenn er mit Google sucht, in der Wikipedia liest oder ChatGPT nutzt. Musks Wut scheint dabei binär codiert, wie im programmatischen Modus von 0 oder 1 ist ein Dazwischen, sind Ambivalenzen und Kontingenzen undenk- bzw. unberechenbar. Immer geht es um ein Entweder-oder: gut oder böse, woke oder antiwoke, und so heißt es für das personifizierte Antivirenprogramm Musk: „Das Woke-Mind-Virus ist entweder besiegt, oder alles andere ist egal.“5 Als Auslöser für die Rundumschläge werten Kommentatoren die Geschlechtsumwandlung von Musks Tochter Vivian Jenna Wilson, einer trans Frau – eine Zäsur, die ihn so zu treffen schien, dass er im Juli 2024 öffentlich erklärte: „Das Woke-Mind-Virus hat meinen Sohn getötet.“6 Im März wiederholte er auf X die Klage und fügte hinzu: „Nun wird das Woke-Mind-Virus sterben.“7 Neben dem Vater-Kind-Zerwürfnis gibt es weitere Verstärker des Muskschen Furors. Exemplarisch wirkt etwa eine Episode während der Coronapandemie, als die Regierung von Joe Biden Musks Tesla-Konzern zum Schutz der Arbeiter:innen vor dem real existierenden Virus die Produktion verbot. Für Musk, der die Bänder zunächst weiterlaufen ließ, später aber einlenkte, waren damit neue Feindbilder gefunden. Beschimpfungen des US-Virologen und Biden-Beraters Anthony Fauci – „Meine Pronomen sind: stellt ihn vor Gericht/Fauci“8 – folgten ebenso wie eine enttäuschte Abkehr von den Demokraten, die für Musk schon 2022 nur noch eine „Partei von Spaltung und Hass“9 war – eine erstaunliche Wende für jemanden, der einst als Unterstützer von Barack Obama galt. In den Worten Musks: „Viele Schlachten stehen noch aus, aber ja, das Blatt wendet sich gegen die tödliche Bedrohung der Zivilisation, die das Woke-Mind-Virus darstellt.“10 In diesem Zusammenhang scheint auch die Idee gereift zu sein, Twitter, heute X, zu kaufen. Nachdem er zunächst immer wieder betont hatte, es gehe ihm mit X um die Demokratie und die freie Rede, bezeichnete Musk später die Zerstörung des Woke-Mind-Virus als primäres Motiv für den Kauf der Plattform. Eine teure, persönliche Vendetta, die den „common digital townsquare“ Twitter und die dort stattfindenden Diskurse umcodiert. Musks Ex-Frau Talulah Riley hatte ihn gebeten: „Bitte tue etwas, um den Wokismus zu bekämpfen“, und vorgeschlagen: „Kannst du Twitter kaufen und dann löschen, bitte!?“11 Doch Musk ging anders vor: Er löschte nicht die App, sondern die „content moderation“ zum Einhegen von Fake News und Hate Speech. Er entließ sehr schnell tausende Mitarbeiter:innen – eine Blaupause für sein Agieren als DOGE-Chef – und begrüßte auf der Plattform wieder Accounts von Personen, die zuvor wegen misogyner, rassistischer oder faschistischer Inhalte verbannt worden waren, von Andrew Tate bis Donald Trump. Zugleich drehte Musk die Algorithmen ganz programmatisch auf rechts. Seit seiner Übernahme der Plattform im Herbst 2022 werden auf X vornehmlich politische Inhalte priorisiert, die konservativ bis rechtsextrem und vor allem antiwoke sind – von den USA bis Rumänien.

Netzwerkaffekte in der »Manosphere«

Musks eigene Posts erhalten zusätzlich als Privileg des Besitzers einen exklusiven, algorithmischen Aufmerksamkeitsboost, der seine Reichweite um 138 Prozent steigen ließ. Ob von den Nutzer:innen gewollt oder nicht, bestimmen sie die For-You-Feeds und verzerren den Diskurs, was die Wissenschaftler Timothy Graham und Mark Andrejevic als „strukturellen Bruch“12 bezeichnen. X mutiert dank Musks infrastruktureller Macht zum persönlichen Sprachrohr des Milliardärs, zu einem Werkzeug populistischer Mobilisierung im Zeichen der MAGA-Bewegung. War Musk vormals allenfalls durch memetische „Dadjokes“ (Väterwitze) oder als etwas unangenehmer Twitter-Troll aufgefallen, hat er sich im Kampf gegen die Wokeness zum „Chefverstärker des Autoritarismus“13 radikalisiert. Stets geht es ihm darum, ein gruppendynamisches Gegenprogramm zu formulieren: gegen Demokraten, gegen seine Konkurrenten und Kritiker, gegen „The New Woke Times“ oder „Wokipedia“14. Die politische Öffentlichkeit ist für Musk kein Wettstreit um das bessere Argument, kein agonales, sondern ein antagonistisches Geschäft: Wir oder sie, Freund oder Feind.

Im Zeichen einer hyper- wie antipolitischen Aufmerksamkeitsökonomie wird auf X so jeder deliberative Diskurs, jede Idee eines rationalen Austausches unterminiert, werden Netzwerkeffekte in polarisierende Netzwerkaffekte15 übersetzt. Reaktion schlägt Reflexion, denn Musk hat erkannt, dass negative Emotionen – von Angst bis Zorn – mehr Umschlag, mehr Reichweite generieren, und so sollen sich seine mehr als 200 Millionen Follower aufregen, Shitstorms choreografieren – nicht ohne Grund nennt der Medien- und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl die Plattform X eine „Kloake“16 – und das Woke-Mind-Virus durch die Viralität der Wut austreiben. 

Souverän ist, wer über das Diskursklima entscheidet. Und so verwandelt Musk X zur Propagandamaschine und zum Sammelbecken jener, die gegen die traditionellen Medien, Behörden, Gerichte, Universitäten, kurz: gegen demokratische Institutionen wettern. Mit der Effizienz von Empörungswellen schreibt sich Musk in ein dynamisches, neoreaktionäres Netzwerk ein, das schon seit einigen Jahren auf X und anderswo wirkt. Es reicht von rechten Spindoktoren wie Jordan Peterson und Ben Shapiro bis hin zu einem der erfolgreichsten Podcaster der Welt, Joe Rogan – eine mediale Partikular- und Erregungsgemeinschaft, eine „Manosphere“, die die soziale Ordnung von Wokeness, von LGBTIQ, ethnischen Minderheiten und anderem gefährdet sieht und sich mal über deren Vertreter:innen amüsiert, mal Angst schürt, aber immer gegen sie hetzt. Der CEO von Tesla und SpaceX ist mit seinen Phrasen vom Woke-Mind-Virus für dieses patriarchale Milieu zu einem ständigen Referenzpunkt geworden – sein „intellektueller“ Werdegang zur Inspiration.

Das Gehirn als »Fleischcomputer«

Musk hat mit der Wut über das Virus ein strategisches Motiv gefunden, unter das sich alles subsumieren lässt, was ihn und seine Unternehmen, seine Träume und Pläne stört oder regulieren könnte. Immer wieder behauptet er, das Woke-Mind-Virus würde auch die von seinem Unternehmen SpaceX vorangetriebene Besiedelung des Mars verhindern17, wobei hier mit Wokeness Gesetze, Vorschriften – insbesondere Umweltschutzrichtlinien – und Medien gemeint sind, die ihn kritisieren und sein Vorhaben damit verzögerten. Bemerkenswert dabei ist, dass Musk das Woke-Mind-Virus nicht bloß als Metapher benutzt. Er scheint wirklich an die Existenz des Virus zu glauben, behauptet etwa, dass Gehirne – er nennt sie gern bloß „Fleischcomputer“18 – „infiziert“ werden könnten: „Die meisten Menschen verstehen nicht, dass ihr Gehirn von einem Virus befallen werden kann, genau wie ein Computervirus ihren Computer befällt.“19 Die Parallelisierung von Mensch und Maschine wirkt wie eine déformation professionnelle von Ingenieur:innen oder Programmierer:innen, die sich selbst als IQ-Maschinen (miss-)verstehen. Dabei hat die Zusammenführung von Denken und Rechnen System: In den Arbeiten von Warren McCulloch und Walter Pitts erhielt die Analogisierung von Geist und Computer in den 1940er Jahren erstmals wissenschaftliche Breitenwirkung und expandierte in der Frühphase der Kybernetik. Sie hält sich seither hartnäckig im soziotechnischen Imaginären, obwohl sie häufig kritisiert wurde und kognitionswissenschaftlich widerlegt ist.20 Auch hier ist Musk, der X als „kollektive, kybernetische Superintelligenz“21 beschreibt, wenig erfinderisch, sondern ein – wenn auch besonders lautstarker – Teil einer Denkströmung.

»Parasitäres Denken« und »suizidale Emphatie«

Kaum verwunderlich, dass es bei aller Zuschreibung zumindest zweifelhaft ist, ob Musk als alleiniger Urheber der Woke-Mind-Virus-Phantasmagorie gelten kann. Gad Saad, Marketingprofessor der Concordia Universität in Montreal und Experte für evolutionäre Psychologie im Konsumentenverhalten, veröffentlichte 2020 sein Buch „Parasitic Mind“, in dem er sich in Muskscher Manier gegen alles, was woke ist – besonders in der akademischen Welt – empört. Schon der zweite Satz des Buches gibt die Richtung vor: „Der Westen leidet aktuell an einer solch verheerenden Pandemie, einer kollektiven Krankheit, die die menschliche Kapazität, rational zu denken, zerstört.“22 Durchzogen von Polemik, von Ressentiments und allerlei schrägen biologistischen Vergleichen spricht auch Saad von einem „mind virus“ und von „Parasiten“. Gemeint sind „antiwissenschaftliche, antivernünftige und illiberale Ideen-Krankheitserreger wie Postmodernismus, radikaler Feminismus und Transgender-Aktivismus“23.

Selbstverständlich ist Musk ein Fan von Saad. Er empfiehlt nicht nur dessen Bücher, sondern popularisiert weitere Phrasen, beispielsweise im Podcast von Joe Rogan. Dort verbreitet er Saads tendenziöses Theorem der „suizidalen Empathie“, die ein Symptom des Woke-Mind-Virus sei. In der woken Gesellschaft gäbe es, so Musk nach Saad, „so viel Empathie, dass sie sich selbst umbringe“, und er konstatiert: „Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie.“ Ein Übermaß an Empathie sei für ihn folgerichtig ein „bug“24, ein Computer- bzw. Systemfehler. Wer so denkt, dem fällt es verständlicherweise nicht schwer, tausende Menschen zu entlassen, sprich: deren Stellen zu „löschen“.

Fast logisch, dass Saad, der sich seinerseits als „buddy“ von Musk versteht, ebenso häufig bei Rogan sitzt, um dort seine Lehren über das Woke-Mind-Virus zu verbreiten. Um es loszuwerden, müsse man die Kur wie bei einer antibiotischen Behandlung vollständig durchführen, „was in diesem Fall bedeutet, all diese parasitären Ideen überall auszurotten“, sonst werde das Virus nur stärker und entwickle sich zum „superbug“. Und weiter: „Es dauerte 50 bis 100 Jahre, bis sich diese schlechten Ideen im universitären Ökosystem entwickeln und gedeihen konnten. Man wird sie also nicht in einer vierjährigen Amtszeit mit Donald Trump loswerden. Es bedarf eines kontinuierlichen Kulturkampfes, um sie auszumerzen.“25 

Derlei kulturkämpferische, martialische Aussagen wiederholt Saad immer wieder, auf X oder in der affektgemeinschaftlichen Einöde von allerlei Podcasts. Man muss kein Fan der Wokeness sein; es reicht, die historischen Verschwörungsformeln vom „jüdischen Parasiten“ zu kennen, damit es einen bei solchen Worten schaudert. Musk sekundiert derweil: Der Krieg wird kommen, ob wir es wollen oder nicht.“26

Kulturkampf per Dekret

Die Bedeutung solcher Aussagen ist kaum zu unterschätzen, weil sich die kulturkämpferischen Impulse aktuell mit jeder „executive order“ des Präsidenten in Regierungspolitik zu verwandeln scheinen. Unter Trump und Musks DOGE werden antiinstitutionelle zu staatlichen Direktiven, das heißt, im Zeichen der Effizienz wütet ein „Zerstörungsfuror“27, der alles kürzt oder löscht, was mit Wokeness assoziiert wird: inklusive Programme, Initiativen, Webseiten, Forschungsförderungen, Bücher, Bildarchive und gar Wörter sollen verschwinden. Als verdächtig gilt dabei alles mögliche, von „activism“ über „gender identity“ oder „native american“ bis „women“28. Megan Garber schreibt in „The Atlantic“: „Die Amerikaner erfahren gerade, was passiert, wenn ein Präsident, der über nahezu uneingeschränkte Macht verfügt, die Delete-Taste findet.“29 In den vergangenen Jahren wurde offenkundig, wie gut KIs in der Text-, Bild- und Objekterkennung werden können, nun durchforsten sie die Archive, Datenbanken und Webseiten der Behörden, suchen nach unerwünschten Inhalten, Gesichtern, Geschlechtern und historischen Ereignissen. Der Staatsapparat erfährt so einen disruptiven Reboot.30 Seine Prozesse und Aufgaben werden radikal umcodiert und automatisiert: Demokratische Werte (Schutz von Minderheiten etc.) werden von Musk und seinem Team annuliert, maschinenlesbare Kennzahlen, damit eine scheinbar objektive, vor allem monetär messbare Effizienz installiert. Der Staat scheint mehr und mehr einem rechten ChatBot zu gleichen.31 

All dies ist Ausdruck eines Kulturkampfes, der weniger auf Effizienz denn auf tech-autoritäre Kontrolle zielt; der den Fortschritt der Technik zur sozialen, kulturellen und politischen Regression nutzt und letztlich – wie der selbsterklärte „free speech absolutist“ Musk – die Vorstellungen von Freiheit so deformiert, dass es wieder gefährliche Wörter gibt. Nicht wenige Kommentatoren sehen hier zu Recht Dynamiken im „Gepräge des Faschismus“32 und einen „Kult des Disruptiven“33 am Werk, bei dem die Freiheit der Anderssprechenden, wie im Fall des Golfs von Mexiko, „gelöscht“ wird.

Das Woke-Mind-Virus der AfD

Auch wenn sich diese Entwicklungen auf die Vereinigten Staaten beschränken, die Rede von der Löschung des Woke-Mind-Virus wirkt global. Hatten schon Präsidentschaftskandidat:innen wie Ron DeSantis oder Nikki Haley den Begriff im Wahlkampf von Musk übernommen, gab es auch im bundesdeutschen Wahlkampf 2025 einen besonderen Höhepunkt. Die Unterstützung Musks für die AfD kulminierte nicht nur in seinem seltsamen Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“, der die in Teilen rechtsextreme Partei als letzte Rettung Deutschlands bezeichnete.34 Im Gespräch mit der Spitzenkandidatin Alice Weidel wurde das Woke-Mind-Virus auch zum fundamentalen Problem von Schulen und Universitäten in Deutschland erklärt. Während Weidel über die Bildung in Deutschland klagte: „die [Studierenden] lernen nur Gender Studies kennen“, wusste Musk sofort: „Es klingt, als hätte das Woke-Mind-Virus Deutschland ziemlich stark infiziert.“35 Angesichts der Tatsache, dass Musk das Woke-Mind-Virus als „neue Form des Kommunismus“36, als spaltend und rassistisch bezeichnet, konnte es kaum überraschen, dass er Weidel nicht widersprach, als sie Adolf Hitler einen „Kommunisten“ nannte. Solche Aussagen sind Teil eines Diskurses, der mit gezielten Grenzüberschreitungen und „alternativen Fakten“ arbeitet und hinter jeder Institution Kulturmarxisten, radikale Feministinnen, die Antifa oder, mit Weidel gesprochen, eine „kranke, woke-linke, sozialistische Agenda“37 vermutet. Und so ist es auch wenig überraschend, dass der Begriff des Woke-Mind-Virus schon vor Weidels Gespräch mit Musk in den hiesigen rechten Kreisen als Grundvokabel etabliert war. Influencer:innen wie Naomi Seibt, die auf X mehr als 400 000 Follower:innen zählt und von Musk gern geteilt wird, nutzen sie inflationär und unterlegen ihr rechtsextremes Programm mit der Rede vom Gehirnvirus: „Die Woke-Mind-Virus-Agenda hat ein bösartiges Ziel: Die westliche Zivilisation zu eliminieren.“ Oder: „Die marxistische Übernahme unserer Regierung, das Woke-Mind-Virus, durchdringt unsere Kultur, unsere Medien und unsere Politik.“ Oder: „Kein Elternteil darf jemals wieder seinen biologischen Sohn oder Tochter durch medizinischen Missbrauch verlieren. Wir zerstören das Woke-Mind-Virus.“38 

In der Dynamik, die Musks Sprech vom Virus entwickelt hat, zeigt sich so nicht nur das Abdriften eines Einzelnen, der persönliche Kränkungen und Ressentiments radikal ausagiert. Es wird deutlich, wie sich Musks infra-strukturelle und finanzielle Macht als diskursive kristallisiert, wie sich in der Folge Partikular- und Affektgemeinschaften mit globaler Ausstrahlung formieren, schließlich: wie die Rede vom woken Virus selbst viral geht und immer weiter eskaliert.

Vor diesem Hintergrund ist auch Musks DOGE-Unternehmung zu lesen: Vordergründig geht es um den Ab- und Rückbau der Bürokratie im Namen der Effizienz, hintergründig um einen Kulturkampf, sprich: um die programmatische Austreibung des demokratischen Geistes aus den Institutionen. Musks Wirken erscheint dabei fast klassisch autoritär, faschistisch oder (br-)oligarchisch39; doch klar wird auch, dass hier ein nicht demokratisch legitimiertes Individuum Macht ausübt, dessen politische Imagination programmatisch überformt ist: Wer Politik im binären Modus von 0 oder 1, woke oder antiwoke versteht und die Gehirne wie bei Computern von Viren befallen wähnt, gegen die nur „Löschungen“ helfen, dessen Regierungsagenda ist nicht nur antidemokratisch, sondern sie folgt auch einer Logik, die Ambiguitäten, die Differenz, das Nichtbinäre – das Woke, Queere, Diverse, Komplexe – nicht denken, nicht (empathisch) verarbeiten kann. 

Die Konsequenz: Was die Herrschaft binärer Codes nicht anerkennt oder ihren Dualismus transzendiert, ihren Reduktionismus infrage stellt – mit Adorno gesprochen das Nichtidentische, Dritte –, muss „gelöscht“ und „zerstört“ werden. Zumindest für X meldete Musk bereits Vollzug: „woke_mind_virus deleted rm -rf“40.

1 Elon Musk, Dubai’s annuals World Governments Summit, 13.2.2025.

2 Elon Musk, x.com, 11.1.2025, 15.2.2025, 25.3.2023, 24.11.2024, 3.1.2024, 16.5.2023, 17.9.2024, 26.2.2025.

3 Elon Musk und Jordan B. Peterson, dailywire.com, 22.7.2024.

4 Elon Musk, Atreju-Festival, 14.12.2023. Das Atreju-Festival, das 2023 unter dem Motto „Bentornato orgoglio italiano“, zu Deutsch: „Willkommen zurück zum italienischen Stolz“, stattfand, ist eine Veranstaltung rechtskonservativer Jugendbewegungen. Neben Musk waren u.a. Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Santiago Abascal und Steve Bannon geladen.

5 Elon Musk, x.com, 12.12.2022.

6 Elon Musk und Jordan B. Peterson, dailywire.com, 22.7.2024.

7 Elon Musk, x.com, 22.3.2025.

8 Elon Musk, x.com, 11.12.2022.

9 Elon Musk, x.com, 18.5.2022.

10 Elon Musk, x.com, 12.12.2022.

11 Talulah Riley, Chat-Verlauf mit Elon Musk, Exhibit H, Delaware Court of Chancery, 24.3.2022. 

12 Timothy Graham und Mark Andrejevic, A computational analysis of potential algorithmic bias on platform X during the 2024 US election, Working Paper, 2024. 

13 Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, Der Chefverstärker des Autoritarismus, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 2.1.2025.

14 Elon Musk, x.com, 29.8.2023 und 17.2.2025.

15 Vgl. Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff, Netzwerkaffekte. Über Facebook als kybernetische Regierungsmaschine und das Verschwinden des Subjekts, in: Rainer Mühlhoff, Anja Breljak, Jan Slaby (Hg.), „Affekt, Macht, Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der Digitalen Gesellschaft“, Bielefeld 2019, S. 55-80.

16 Joseph Vogl und Max Hoppenstedt, Twitter hat sich unter Musk in eine Kloake verwandelt – aber das ist nur folgerichtig, in: „Der Spiegel“, 21.10.2024.

17 Vgl. Elon Musk, x.com, 19.5.2024.

18 Elon Musk, x.com, 22.2.2024.

19 Elon Musk, x.com, 29.1.2025. 

20 Vgl. Warren S. McCulloch und Walter Pitts, A logical calculus of the ideas immanent in nervous activity, in: „The bulletin of mathematical biophysics“, 5/1943, S. 115-133. Sowie ausführlicher dazu Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski, Künstliche Intelligenz, in: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart 2.0, Berlin 2024, S. 221-232.

21 Elon Musk, x.com, 3.11.2022.

22 Gad Saad, The Parasitic Mind. How Infectious Ideas are Killing Common Sense, Washington D.C. 2020, S. IX.

23 Ebd. S. XII.

24 Elon Musk und Joe Rogan, in: „The Joe Rogan Expercience”, Nr. 2281, 1:16:09 f., 28.2.2025.

25 Gad Saad und Joe Rogan, in: „The Joe Rogan Experience“, Nr. 2263, 2:37:12 f., 28.1.2025.

26 Elon Musk, x.com, 23.4.2024.

27 Roland Meyer, Die Vernichtung und die Wiederherstellung der Geschichte, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 16.3.2025.

28 Vgl. Karen Yourish u.a., These Words Are Disappearing in the New Trump Administration, in: „New York Times“, 7.3.2025.

29 Megan Garber, Control. Alt. Delete. Government via keyword is not „efficiency.” It is an abuse of power, in: „The Atlantic“, 27.2.2025.

30 Vgl. zur Bedeutung des Reboots in der Arbeit von DOGE: Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski, Politik der dunklen Aufklärung. Dark MAGA oder die rechtsautoritäre Wende im Silicon Valley, in: „Mittelweg 36“, i.E.

31 In der Verwaltung, etwa bei der General Services Administration, werden sukzessive KI-Tools eingesetzt, die zunächst von Staatsangestellten trainiert werden und diese später – so die Prognose – ersetzen sollen. Vgl. Matteo Wong: DOGE’s Plans to Replace Humans With AI Are Already Under Way, in: „The Atlantic“, 10.3.2025.

32 Rainer Mühlhoff, Trump und der neue Faschismus, verfassungsblog.de, 9.2.2025.

33 Robert Misik, Die kalifornische Ideologie, misik.at, 9.2.2025.

34 Elon Musk, Gastbeitrag, in: „Welt am Sonntag“, 28.12.2024.

35 Alice Weidel und Elon Musk, XSpace-Conversation, x.com, 16:36 f., 9.1.2025. 

36 Elon Musk, in: „The Lex Friedman Podcast”, Nr. 400, 1:55:26, 9.11.2023. 

37 Alice Weidel und Elon Musk, XSpace-Conversation, x.com, 16:20, 9.1.2025. 

38 Naomi Seibt, x.com, 29.7.2024, 23.11.2024, 8.1.2025, 28.1.2025.

39 Brooke Harrington, Die kommende Broligarchie, in: „Bätter“, 1/2025, S. 71-74.

40 Elon Musk, x.com, 11.1.2025. „rm -rf“ ist ein Computerbefehl, der sämtliche Dateien und Verzeichnisse löscht.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

80 Jahre UNO: Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

von Jan Eijking

Am 24. Oktober feiern die Vereinten Nationen ihr 80. Jubiläum – doch Anlass zum Feiern gibt es kaum. Das UN-System befindet sich in einem bespiellos schlechten Zustand. In der aktuellen Krise zeigen sich strukturelle Probleme, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der UN ziehen.