Ausgabe September 1991

Das Abkommen von Brioni.

Gemeinsame Erklärung der EG-Troika und der betroffenen Seite über die die jugoslawische Krise vom 7. Juli 1991 (Wortlaut)

In einem "Gemeinsame Erklärung" betitelten Dokument haben die sogenannte Troika der EG und die Konfliktparteien der "jugoslawischen Krise" am 7. Juli 1991 die Feuereinstellungs-, Überwachungs- und Verhandlungsregeln des "Abkommens von Brioni" niedergelegt. (Vgl. auch die "Chronik der Zeit" in diesem Heft. Die "Troika" besteht aus den Außenministern der gegenwärtigen EGRatspräsidentschaft 'Niederlande', sowie der vorherigen 'Luxemburg' und der kommenden 'Portugal' Präsidentschaft.) Obwohl die deutsche Außenpolitik in dieser Krise (und auch bei den Beratungen des KSZE-Konfliktregelungsmechanismus in Prag, deren Vorsitz Bundesaußenminister Genscher z.Z. führt) außergewöhnlich und auf in Jugoslawien, aber auch in der EG umstrittene Weise engagiert ist, gibt es bisher keine amtliche deutsche Übersetzung dieses Schlüsseldokuments, auf das alle Berichte und Kommentare Bezug nehmen, ohne daß irgendein deutsches Medium bisher den Wortlaut dokumentiert hätte. Wir veröffentlichen im folgenden den vollständigen Text in einer Eigenübersetzung des englischsprachigen Originals. D. Red.

Gemeinsame Erklärung

Auf Einladung der jugoslawischen Regierung traf die Ministertroika der Europäischen Gemeinschaft am 7. Juli 1991 in Brioni mit Vertretern aller von der jugoslawischen Krise unmittelbar betroffenen Seiten zusammen. Die Mission der Troika hatte zum Ziel, angemessene Bedingungen für friedliche Verhandlungen zwischen allen Seiten zu schaffen. Alle betroffenen Seiten nahmen die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten vom 5. Juli 1991 zur Kenntnis und bekräftigten ihre Verpflichtung auf die volle Anwendung der Vorschläge der Europäischen Gemeinschaft vom 30. Juni 1991, damit der Waffenstillstand gesichert und Verhandlungen über die Zukunft Jugoslawiens ermöglicht werden. Im Hinblick auf diese Vorschläge wurden im Annex I  weitere Einzelheiten vereinbart.

Die Seiten stimmten darin überein, daß zur Gewährleistung einer friedlichen Regelung die folgenden Prinzipien vollständig zu befolgen sind:

- Es ist ausschließlich Sache der Völker Jugoslawiens, über ihre Zukunft zu entscheiden; - in Jugoslawien ist eine neue Situation entstanden, die sorgfältige Beobachtung und Verhandlungen zwischen verschiedenen Seiten erforderlich macht;

- die Verhandlungen sollten so schnell wie möglich aufgenommen werden, spätestens bis zum 1. August 1991, und sich mit allen Aspekten der Zukunft Jugoslawiens befassen, ohne Vorbedingungen und auf der Grundlage der Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und der Pariser Charta für ein neues Europa (unter besonderer Beachtung der Menschenrechte, einschließlich des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und mit den maßgeblichen Normen des Völkerrechts, einschließlich der die territoriale Integrität der Staaten betreffenden);

- das Kollegial-Präsidium muß seine Vollmachten ausschöpfen und seine politische und verfassungsgemäße Rolle spielen, insbesondere im Hinblick auf die Bundesstreitkräfte;

- alle betroffenen Seiten werden sich jeglichen einseitigen Vorgehens enthalten, besonders jeglicher Gewaltanwendung. Die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten werden ihrerseits bei der Erreichung friedlicher und dauerhafter Lösungen für die gegenwärtige Krise Unterstützung leisten, sofern und solange die oben aufgeführten Verpflichtungen voll erfüllt werden.

In diesem Rahmen akzeptieren die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten die Bitte der anderen Seiten, den Verhandlungsprozeß zu unterstützen und zu erleichtern. Ihre Hilfe könnte sich auf die Überwachung des Verhandlungsfortschritts und die Beratung der von den betroffenen Seiten einzurichtenden Arbeitsgruppen erstrecken, die sich u.a. mit den rechtlichen Beziehungen, Menschenrechtsfragen unter Einschluß der Rechte nationaler Minderheiten sowie Wirtschafts-, Handels-, Finanz- und Sicherheitsbeziehungen befassen sollen.

Im Anschluß an die im Rahmen der KSZE in Prag getroffene Entscheidung vereinbarten sie, daß eine Überwachungsmission so bald wie möglich tätig werden soll, um die Waffenruhe zu festigen und die Anwendung der übrigen Bestandteile der Übereinkunft zu kontrollieren, die zwischen den jugoslawischen Seiten mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft erzielt wurde. Richtlinien für die Vorbereitungsmission sind in Annex 2 niedergelegt. Sie begrüßen das für den 9. Juli erwartete Eintreffen dieser aus hochrangigen Beamten bestehenden Vorbereitungsmission. Alle jugoslawischen Seiten haben sich verpflichtet, die vorgesehene Überwachungsmission zu unterstützen, u.a. durch die Gewährleistung umfassenden Schutzes und garantierter Bewegungsfreiheit. Sie stimmten alle darin überein, daß der Schutz nationaler Minderheiten für einen Erfolg der Verhandlungen von entscheidender Bedeutung ist. Sie bekräftigten ebenfalls, daß sie in dieser Hinsicht ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen voll respektieren werden. Die Europäische Troika ist bereit, alle KSZE-Mitgliedstaaten über die Entwicklung des Verhandlungsprozesses zu unterrichten.

Annex I: Weitere Bedingungen der Verhandlungsvorbereitung

I. G r e n z k o n t r o l l e: Die Kontrolle des Grenzverkehrs wird in den Händen der slowenischen Polizei liegen. Sie wird im Einklang mit den Bundesbestimmungen handeln.

II. Z o l l: Das am 20. Juni 1991 zwischen den Vertretern der Bundesregierung und der Regierung der Republik Slowenien unterzeichnete Abkommen wird bestätigt und soll praktiziert werden. Die Zollgebühren bleiben eine Einnahme des Bundes und werden von slowenischen Grenzbeamten erhoben. Sie sollen auf ein gemeinsames Konto eingezahlt und von den Bundes- und Republikfinanzministern sowie einem oder zwei externen Inspekteuren kontrolliert werden.

III. F l u g ü b e r w a c h u n g: Es gibt eine für ganz Jugoslawien zuständige Flugüberwachung. Der gesamte inländische und internationale Luftverkehr über Jugoslawien wird von der zuständigen Bundesbehörde überwacht und garantiert.

IV. G r e n z s i c h e r h e i t: Die vor dem 25. Juni 1991 bestehende Situation wird wiederhergestellt Innerhalb der (dreimonatigen) Periode der Suspendierung (der Unabhängigkeitserklärungen, d. Übs.) sollen die Verhandlungen über eine geordnete Übergabe der Zuständigkeiten der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) auf diesem Gebiet abgeschlossen werden. Festes Ziel bleibt ein Grenzregime auf der Grundlage europäischer Standards.

V. W e i t e r e B e d i n g u n g e n f ü r d i e V e rw i r k l i c h u n g d e r W a f f e n r u h e: - Aufhebung der Blockade von Einheiten und Einrichtungen der JVA; - bedingungslose Rückkehr der JVA-Einheiten in ihre Kasernen; - Aufhebung aller Straßensperren; - Rückgabe aller Einrichtungen und Ausrüstungen an die JVA; - Demobilisierung der Einheiten der Territorialverteidigung und Rückkehr in die Unterkünfte. Alle genannten Maßnahmen sollen baldmöglichst verwirklicht werden, keinesfalls später als zum 8. Juli, 24 Uhr.

VI. G e f a n g e n e: alle im Zusammenhang mit den Feindseligkeiten seit dem 25. Juni 1991 gemachten Gefangenen sollen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens zum 8. Juli, 24.00 Uhr, entlassen werden.

Annex II: Richtlinien für eine Überwachungsmission in Jugoslawien

E i n f ü h r u n g: Die Situation in Jugoslawien beunruhigt sämtliche Mitgliedstaaten der KSZE. Der Ausschuß Hoher Beamter hat bei seiner Prager Zusammenkunft den Einsatz einer multinationalen Beobachtermission in Jugoslawien erörtert. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Beobachtermission nur in vollem Einvernehmen mit allen betroffenen Seiten tätig werden kann. Um sicherzustellen, daß die Beobachtermission ihre Aufgaben erfüllen kann, müssen ihr Mandat definiert und ihre Rechte und Pflichten bestimmt werden. Über die Finanzierung der Maßnahme und eine Anzahl praktischer Aspekte muß entschieden werden. Zu diesem Zweck werden die folgenden Elemente vorgeschlagen:

M a n d a t: Eine Beobachtermission mit dem Ziel der Überwachung der Situation in Jugoslawien wird eingerichtet, insbesondere zur Überwachung der Aktivitäten in Slowenien - und möglicherweise auch in Kroatien. Ziel dieser Tätigkeit ist es, die Verwirklichung der übrigen Elemente des zwischen den jugoslawischen Seiten mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft erreichten Übereinkommens zu überwachen.

D a u e r d e s M a n d a t s: Die Beobachtermission sollte sobald wie möglich einsatzbereit sein. Die Beobachtermission könnte ihre Tätigkeit so lange fortsetzen, wie alle betroffenen Seiten es für erforderlich halten.

E i n s a t z g e b i e t: Unter den gegenwärtigen Umständen würde die Beobachtermission ihre Tätigkeit geographisch auf Slowenien und möglicherweise Kroatien begrenzen. Sollte es erforderlich werden, könnte das Einsatzgebiet im Einvernehmen mit allen betroffenen Seiten überprüft werden.

Z u s a m m e n s e t z u n g u n d T ä t i g k e i t: Die Beobachtermission könnte gemischt zusammengesetzt sein, d.h. sowohl aus militärischem wie zivilem Personal. Die Mission könnte aus 30 bis 50 Personen bestehen. Da es wichtig ist, so rasch wie möglich zu handeln, sollte die Auswahl des Personals den Tätigkeitsbeginn der Beobachtermission nicht verzögern dürfen. Eine praktische Lösung könnte darin bestehen, Beobachter unter den zivilen und militärischen Mitgliedern der Wiener VSBMDelegationen (zu den Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen VVSBM, d. Übs.), die über Erfahrung mit dem KSZE-Prozeß verfügen, zu rekrutieren. Sie könnten durch anderes Zivil- und/oder Militärpersonal ergänzt werden.

B e f e h l s s t r u k t u r u n d A u f s i c h t: Die Beobachtergruppen würden unter der Verantwortung des Chefs der Beobachtermission arbeiten. Der Chef der Beobachtermission wurde über das Prager KSZE-Sekretariat dem Ausschuß Hoher Beamter täglich Bericht erstatten. Der Ausschuß könnte die geeignete Stelle sein zur Sammlung der Ergebnisse der Beobachtermission und, sofern erforderlich, zur Entscheidung über die Verlängerung den Mandats der Mission.

G e s e t z l i c h e R e g e l u n g e n: Gesetzliche Regelungen würden erforderlich, um sicherzustellen, daß die Beobachtermission ihre Aufgaben erfüllen kann. Diese Regelungen umfassen Vorkehrungen sowohl hinsichtlich der diplomatischen Immunität als auch der Freiheit, innerhalb Jugoslawiens ungehindert zu reisen und - u.a. mit dem Koordinationszentrum und mit Botschaften - zu kommunizieren.

P r a k t i s c h e R e g e l u n g e n: Unter den zahlreichen praktischen Regelungen, über die entschieden werden muß, sind Fragen im Hinblick auf die Transportmittel und Übersetzungsdienste, die den Beobachtergruppen zur Verfügung gestellt werden müssen, und über die Art und Weise, wie die Beobachter sich als Mitglieder der KSZE-Beobachtermission ausweisen und kenntlich machen werden. Da es sich bei der Beobachtermission nicht um eine Friedenstruppe (im Sinne der UNO, d. Übs.) handelt, würden die Beobachter keine Waffen tragen.

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