Ausgabe Juni 1998

Frieden für Ulster?

Abkommen zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Regierung der Republik Irland (Wortlaut)

Nach dreißig Jahren Bürgerkrieg scheint es in Nordirland eine reelle Chance auf Frieden zu geben. So erklärten sich im Abkommen von Belfast alle beteiligten Seiten zu weitreichenden Kompromissen bereit. Sollte das Dokument durch die am 22. Mai in ganz Irland stattfindenden Referenden bestätigt werden, treten grundlegende Neuerungen in Kraft: Einem Nord-Südrat wird die Aufgabe zufallen, die Zusammenarbeit beider Teile Irlands enger zu verzahnen. Doch auf der anderen Seite soll Nordirland solange zu Großbritannien gehören, wie dies die dortige Bevölkerungsmehrheit wünscht. Außerdem stimmte die Republik Irland der Streichung jener Passagen in ihrer Verfassung zu, in denen sie bisher Anspruch auf den Norden erhebt. Im folgenden veröffentlichen wir das bilaterale Abkommen zwischen den Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Republik Irland, das sich im Vertragswerk an das sogenannte "Mehrparteienabkommen" anschließt. - D. Red.

Die britische und die irische Regierung: begrüßen den großen Einsatz für das Abkommen, das am 10. April 1998 von ihnen selbst und den anderen Teilnehmern der Mehrparteien-Gesprächen erreicht wurde und in Anlage 1 zu diesem Abkommen (im folgenden: "das Mehrparteienabkommen") niedergelegt ist:

b e t r a c h t e n das Mehrparteienabkommen als Möglichkeit für einen Neubeginn der Beziehungen innerhalb Nordirlands, innerhalb der irischen Insel und zwischen den Völkern dieser Inseln;

h e g e n den Wunsch, das einzigartige Verhältnis zwischen ihren Völkern und die enge Zusammenarbeit zwischen ihren Ländern als freundliche Nachbarn und als Partner in der Europäischen Union noch weiter zu entwickeln;

b e k r ä f t i g e n ihren absoluten Einsatz für die Prinzipien der Demokratie und Gewaltlosigkeit, die grundlegend waren für die Mehrparteien-Gespräche;

b e k r ä f t i g e n ihren Einsatz für die Grundsätze Partnerschaft, Gleichheit und gegenseitigen Respekt und für den Schutz bürgerlicher, politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Rechte in ihrer jeweiligen Rechtssprechung.

Sie sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

Beide Regierungen: (i) anerkennen die Legitimität jedweder Entscheidung, die von einer Mehrheit des Volkes von Nordirland betreffs dessen Status getroffen wird, ob sie die Union mit Großbritannien weiter zu unterstützen bevorzugt oder ein souveränes vereinigtes Irland; (ii) erkennen an, daß es allein Sache des Volkes der irischen Insel ist, durch Übereinkunft zwischen den beiden Teilen und ohne Behinderung von außen, sein Recht auf Selbstbestimmung auszuüben, um in Nord und Süd auf der Basis des Einverständnisses frei und gleichberechtigt ein vereinigtes Irland hervorzubringen, wenn dies sein Wille ist, indem sie akzeptieren, daß dieses Recht durch und gemäß der Übereinkunft und Zustimmung einer Mehrheit des Volkes von Nordirland verwirklicht und ausgeübt werden muß; (iv) erkennen an, daß, während ein beträchtlicher Teil des Volkes von Nordirland den legitimen Willen einer Mehrheit des Volkes der irischen Insel nach einem vereinigten Irland teilt, der gegenwärtige Wille einer Mehrheit des Volkes von Nordirland, frei ausgeübt und legitim, besagt, daß die Union aufrechtzuerhalten ist und dementsprechend, daß Nordirlands Status als ein Teil des Vereinigten Königreiches diesen Willen widerspiegelt und ihm zugrundeliegt; und daß es falsch wäre, irgendeine Veränderung des nordirischen Status vorzunehmen, außer mit dem Einverständnis einer Mehrheit des nordirischen Volkes; (iv) bestätigen, daß, wenn in Zukunft das Volk der irischen Insel sein Recht auf Selbstbestimmung auf der Basis, die in den Absätzen (i) und (u) obenangeführt ist, ausübt und einvereinigtes Irland hervorbringt, es eine bindende Verpflichtung für beide Regierungen sein wird, diesen Willen durch die Einbringung und Unterstützung von entsprechenden Gesetzen im ihrem jeweiligen Parlament umzusetzen; (v) bestätigen, daß, welche Entscheidung auch immer von einer Mehrheit des nordirischen Volkes frei getroffen wird, die Macht der souveränen Regierung mit ihrer Rechtssprechung in strenger Unparteilichkeit gegenüber allen Menschen bezüglich ihrer verschiedenen Identität und Tradition verfahren soll und auf den Grundsätzen des vollen Respekts für die, und der Gleichheit der bürgerlichen, politischen sozialen und kulturellen Rechte, Freiheit von Diskriminierung für alle Bürger und Gleichberechtigung in der Wertschätzung sowie auf gerechter und gleicher Behandlung der Identität, des Geistes und des Strebens beider Gemeinschaften gegründet sein soll; (vi) erkennen das Geburtsrecht aller Menschen in Nordirland an, sich als irisch oder britisch zu betrachten und als solche akzeptiert zu werden, oder als irisch und britisch, so sie es wünschen, und bestätigen dementsprechend, daß ihr Recht, sowohl die britische als auch die irische Staatsbürgerschaft besitzen, von beiden Regierungen akzeptiert wird und von keiner zukünftigen Änderung des Status von Nordirland beeinträchtigt werden würde.

Artikel 2

Beide Regierungen bekräftigen ihre feierliche Verpflichtung, die Bestimmungen des Mehrparteienabkommens zu unterstützen und wo nötig durchzuführen. Insbesondere sollen in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Mehrparteienabkommens bei dessen Inkrafttreten sofort die folgenden Institutionen geschaffen werden: (i) ein Nord/Süd-Ministerrat; (ii) die Exekutivgremien, auf welche in Paragraph 9 (ii) des Abschnitts "Kapitel Zwei" (Strand Two) des Mehrparteienabkommens Bezug genommen wird; (iii) ein Britisch-Irischer Rat; (iv) eine Britisch-Irische Regierungskonferenz.

Artikel 3

(1) Dieses Abkommen soll das Abkommen zwischen der britischen und der irischen Regierung vom 15. November 1985 in Hillsborough ersetzen, das mit Inkrafttreten dieses Abkommens wirkungslos werden soll. (2) Die Regierungskonferenz, die durch Artikel 2 des Abkommens vom 15. November 1985 eingerichtet wurde, hört mit Inkrafttreten dieses Abkommens auf zu bestehen.

Artikel 4

(1) Es soll Bedingung für das Inkrafttreten dieses Abkommens sein, daß: (a) auf britischer Seite die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung der Bestimmungen in Anlage A im "Verfassungsfragen" betitelten Abschnitt des Mehrparteienabkommens geschaffen wurden; 2) (b) die Änderungen der Verfassung von Irland, die in Anlage B zum "Verfassungsfragen" betitelten Abschnitt des Mehrparteienabkommens angeführt sind, per Referendum gebilligt wurden; 3) c) die für die Errichtung der Institutionen, auf welche Artikel 2 dieses Abkommens Bezug nimmt, möglicherweise erforderlichen gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden; 3) c)) Jede Regierung soll, soweit es sie betrifft, der anderen schriftlich die Erfüllung der Bedingungen für das Inkrafttreten dieses Abkommens notifizieren. Das Abkommen soll mit Datum des Eingangs der späteren der beiden Urkunden in Kraft treten. (3) Sofort bei Inkrafttreten des Abkommens soll die irische Regierung sicherstellen, daß die Änderungen der Verfassung von Irland, wie sie in Anlage B des "Verfassumgsfragen" betitelten Abschnitts des Vielparteienabkommens dargelegt sind, wirksam werden. Zur Urkunde dessen haben die hierzu gehörig von ihren jeweiligen Regierungen ermächtigten Unterzeichnenden dieses Abkommen unterschrieben.

Geschehen in Belfast am 10. April 1998 in zwei Urschriften.
1) Wortlaut des Paragraphen 9: "Als Teil des Arbeitsprogramms wird der Rat [Nord/Süd-Ministerrat] in jeder der folgenden Kategorien mindestens 6 Gegenstände der Zusammenarbeit und Durchführung ermitteln und vereinbaren: (i) Angelegenheiten, für welche bereits existierende Körperschaften als geeignete Instrumente der Zusammenarbeit zwischen den getrennten Rechtssystemen wirken können; (ii) Angelegenheiten, bei welchen die Zusammenarbeit durch vereinbarte Exekutivgremien auf einem grenzüberschreitenden oder die gesamte Insel umfassenden Niveau stattfinden wird. 2) Wortlaut: "Es wird hiermit erklärt, daß Nordirland in seiner Gesamtheit Teil des Vereinigten Königreiches bleibt und sich dies ohne die Zustimmung einer Mehrheit des nordirischen Volkes durch eine Wahl, die zu dem in diesem Abschnitt und in Übereinstimmung mit Ablaufplan 1 angefühlten Zwecke abgehalten wird, nicht ändern soll. Sollte jedoch die Mehrheit bei einer solchen Wahl ihren Willen zum Ausdruck bringen, daß Nordirland nicht mehr Teil des Vereinigten Königreiches und stattdessen Teil eines vereinigten Irland sein solle, so soll der Minister dem Parlament einen entsprechenden Vorschlag vorlegen, damit dieser Wille umgesetzt werde, indem dies zwischen der Regierung Ihrer Majestät des Vereinigten Königreiches und der Regierung von Irland vereinbart wird (...)". 3) Am 22 Mai 1998 sollen in beiden Teilen Irlands Referenda durchgeführt werden. Wenn das Abkommen mehrheitlich verabschiedet wird, beabsichtigen die beiden Regierungen, alle notwendigen legislativen und weiteren Schritte zu unternehmen, um die o.g. neuen Institutionen ins Leben zu rufen und die konstitutionellen Änderungen gleichzeitig (voraussichtlich Anfang 1999) in Kraft treten zu lassen.

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