Bomben lindern keine Katastrophen. Erklärung der SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel, Uwe Hiksch, Konrad Gilges, Konrad Kunick, Detlev von Larcher, Andrea Nahles und Günter Oesinghaus zu den Luftangriffen der NATO auf Ziele in der Bundesrepublik Jugoslawien (Wortlaut)
Dokumente zum Kosovo-Krieg
Erklärung von Präsident Bill Clinton vor dem Pressekorps des Weißen Hauses vom 24. März 1999 (Wortlaut)
Guten Tag. Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben gemeinsam mit unseren Bündnispartnern in der NATO mit Luftangriffen auf serbische Militärziele im ehemaligen Jugoslawien begonnen. Ich werde heute abend das amerikanische Volk ausführlicher darüber informieren warum diese Aktion notwendig war, aber ich möchte schon jetzt einige Worte dazu sagen. Wir und unsere Verbündeten in der NATO haben diese Aktion erst nach umfassenden wiederholten Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Krise im Kosovo unternommen. Aber Präsident Milosevic, der in den letzten zehn Jahren einen fürchterlichen Krieg gegen Kroatien und Bosnien auslöste, hat sich wieder für Aggression und gegen Frieden entschieden. Er hat gegen die Verpflichtungen verstoßen, die er selbst vorigen Herbst zur Beendigung der brutalen Unterdrückung im Kosovo eingegangen war. Er hat das ausgewogene und faire Friedensabkommen abgelehnt, das unsere Bündnispartner und Rußland vorigen Monat vorgeschlagen haben - ein Friedensabkommen, welches die Kosovo-Albaner mutig angenommen haben. Statt dessen haben seine Streitkräfte ihre Angriffe noch verstärkt, indem sie Dörfer der Kosovo-Albaner niederbrannten und Morde unter der Zivilbevölkerung begingen. Während ich hier spreche, marschieren weitere serbische Truppen in das Kosovo ein, und noch mehr Menschen flüchten aus ihrer Heimat - 60 000 allein in den letzten fünf Wochen, eine Viertelmillion insgesamt. Viele befinden sich auf dem Weg in Nachbarländer. Die Krise im Kosovo hat nun ihr volles Ausmaß erreicht, und wenn wir nicht handeln, wird sich die Lage offensichtlich nur noch verschlimmern. Nur Entschlossenheit kann jetzt eine noch größere Katastrophe später verhindern. Mit unseren Angriffen verfolgen wir drei Ziele: Erstens, die Ernsthaftigkeit, mit der die NATO Aggressionen ablehnt, und ihre Unterstützung des Friedens zu demonstrieren. Zweitens, Präsident Milosevic davon abzubringen, seine Angriffe auf hilflose Zivilisten weiterzuführen und zu verstärken, indem wir für diese Angriffe einen Preis fordern. Und drittens, falls erforderlich, der Fähigkeit Serbiens, in der Zukunft Krieg gegen das Kosovo zu führen, durch ernsthafte Verringerung seiner militärischen Fähigkeiten zu schaden. Wie ich dem amerikanischen Volk wiederholt gesagt habe, ist diese Aktion nicht ohne Risiko. Und ich habe um die Gebete aller Amerikaner für alle unsere Männer und Frauen in Uniform in dieser Region gebeten. Ich bin allerdings zu dem Schluß gelangt, daß die Gefahr, jetzt zu handeln, deutlich durch die Risiken der Unfähigkeit aufgewogen wird - nämlich das Risiko, daß noch mehr Menschen sterben oder zu Zehntausenden aus ihren Häusern vertrieben werden, das Risiko, daß der Konflikt zur Destabilisierung von Nachbarstaaten beiträgt. Es wäre sicherlich sehr viel kostspieliger und gefährlicher, es später zu beenden, als die Bestrebungen, eine Ausweitung jetzt zu verhindern. Am Ende des 20. Jahrhunderts, nach zwei Weltkriegen und einem Kalten Krieg, haben wir und unsere Bündnispartner die Chance, unseren Kindern ein freies, friedliches und stabiles Europa zu hinterlassen. Aber wir müssen - wir müssen - jetzt handeln, um das zu tun. Denn wenn der Balkan wieder einmal Schauplatz brutalen Tötens und massiver Flüchtlingsbewegungen wird, wird das nicht mehr möglich sein. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern haben wir zur Beendigung des Krieges in Bosnien Gewalt und Diplomatie eingesetzt. Nun bringt die Krise im Kosovo wieder Gefahren für die Bevölkerung der Region mit sich. Unsere NATO-Bündnispartner unterstützen diese Aktion einstimmig. Die Vereinigten Staaten müssen ihnen zur Seite stehen und sich ethnischer Gewalt und Greueltaten entgegenstellen. Unser Bündnis ist geeint. Besonders dankbar bin ich für die Unterstützung, die wir von beiden Parteien aus dem Kongreß erhalten haben. Ich werde unsere weiteren Maßnahmen eng mit dem Kongreß abstimmen - ich habe heute mit allen führenden Mitgliedern gesprochen - und mit unseren Freunden und Bündnispartnern überall auf der Welt. Und ich werde heute abend ausführlicher hierüber sprechen. Vielen Dank Presserklärung von NATO-Generalsekretär Javier Solana vom 24. März 1999 (Wortlaut)
Ich wurde vom Obersten Alliierten Befehlshaber Europa General Clark informiert, daß in diesem Augenblick die Luftoperationen der NATO gegen Ziele in der Bundesrepublik Jugoslawien begonnen haben. Im Verlauf der letzten Monate hat die internationale Gemeinschaft alles versucht, um zu einer Verhandlungslösung in bezug auf Kosovo zu gelangen. Doch dies war nicht möglich. Es ist klar, daß Präsident Milosevic die Verantwortung für die Luftschläge trägt, weil er sich geweigert hat, die gewaltsamen Aktionen im Kosovo zu beenden, ebenso, wie er sich geweigert hat zu verhandeln. Jetzt wird gehandelt. Ich betone noch einmal, daß die NATO nicht gegen das jugoslawische Volk Krieg führt, das seit zu langer Zeit wegen der Politik seiner Regierung in Europa isoliert ist. Unsere Aktionen richten sich gegen die Repressionspolitik der jugoslawischen Führung. Wir müssen die Gewalt enden lassen und Schluß machen mit der humanitären Katastrophe, mit der der Kosovo jetzt geschlagen ist. Das ist für uns eine moralische Pflicht. Die Soldaten der NATO, Männer und Frauen, die an dieser wichtigen Mission beteiligt sind, gehören zu den Besten der Welt. Ich bin überzeugt, daß sie Erfolg haben werden. Ziele und Interessen der Vereinigten Staaten und der NATO im Kosovo. Fact Sheet des US-Außenministeriums vom 26. März 1999 (Wortlaut)
Das Ziel der Vereinigten Staaten und der NATO im Kosovo ist es, das Töten zu stoppen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen, der weitere Unterdrückung verhindert und eine demokratische Selbstverwaltung der kosovarischen Bevölkerung ermöglicht. Wir haben drei gewichtige Interessen im Kosovokonflikt: eine humanitäre Katastrophe abzuwenden; Stabilität in einem wichtigen Teil Europas zu bewahren und die Glaubwürdigkeit der NATO zu erhalten. Erstens schafft die von Belgrad aufrechterhaltene und beschleunigte Repression im Kosovo wieder eine humanitäre Krise ungeheuren Ausmaßes: - Nach Schätzungen wurden allein seit der Aussetzung der Pariser Gespräche am 19. März bis zu 30 000 Kosovaren aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben; - mehr als 60 000 Kosovaren wurden seit dem Ende der ersten Runde der Friedensgespräche Ende Februar vertrieben; - die Gesamtzahl vertriebener Kosovaren wird auf 250 000 geschätzt; - es gibt bereits 18 500 Kosovo-Flüchtlinge in Albanien, 10 000 in Mazedonien und 25 000 in Montenegro, weitere sind auf dem Weg; - im nördlich-zentralen Kosovo haben serbische Truppen in den vergangenen Tagen Dörfer niedergebrannt. In der gesamten Region wurden Häuser geplündert und schwelen; - fast die gesamte Bevölkerung einer kleinen Stadt im nördlichzentralen Kosovo floh, als serbische Kommandos am Wochenende einfielen; - 40 000 serbische Sicherheitskräfte (Militär und Polizei) sind nun im und um den Kosovo herum positioniert, angriffsbereit für eine neue Offensive. Zweitens bedroht die Instabilität im Kosovo direkt den Frieden auf dem Balkan und die Stabilität Europas. Dieser Gewalt ist keine natürliche Grenze gesetzt. Fortdauernde Kämpfe im Kosovo haben das Potential: - das Chaos in Albanien wieder zu entzünden; - Mazedonien zu destabilisieren; - Rivalitäten zwischen Griechenland und der Türkei, zweier NATO-Verbündeter, zu verschärfen und - noch Tausende Flüchtlinge mehr und einen Nährboden für internationale Kriminelle, Drogenhändler und Terroristen zu schaffen. Niemand sollte vergessen, daß der Erste Weltkrieg in diesem Pulverfaß begann. Wenn keine Maßnahmen getroffen werden, um diesen Konflikt jetzt zu stoppen, wird er sich ausweiten, und sowohl Aufwand als auch Risiko werden dann beträchtlich größer sein. Drittens steht die Glaubwürdigkeit der NATO auf dem Spiel. Letzten Herbst war die glaubwürdige Gewaltandrohung der NATO entscheidend für das Einverständnis Milosevics zu einer Waffenruhe und zur Einrichtung der Überwachungstruppen von OSZE und NATO. Dies ermöglichte es Hunderttausenden von Kosovaren, von den Hügeln herabzukommen und in ihre Häuser zurückzukehren, als der Winter nahte. Im Januar warnte die NATO Milosevic, daß sie reagieren würde, falls seine mangelnde Kompromißbereitschaft zum Scheitern der Verhandlungsgespräche führen würde; falls er die im Oktober getroffenen Vereinbarungen nicht einhalte und seine Repressionen fortsetze. All diese Voraussetzungen existieren nun. Es wurde bevorzugt versucht, diese Ziele mit friedlichen Mittels zu erreichen. Seit dem Ausbruch der Kämpfe im Februar 1998 suchte die internationale Gemeinschaft unter der Schirmherrschaft der Kontaktgruppe, die von der NATO unterstützt wurde, aktiv nach einer Konfliktlösung auf diplomatischem Wege. Diese intensiven Anstrengungen fühlten zu den Gesprächen von Rambouillet und Paris, die eine faire Übereinkunft hervorbrachten, nach welcher der Kosovo weiterhin zu Serbien gehört, den Kosovaren aber die Selbstverwaltung gewährt, die sie verdienen. Die Kosovo-Albaner haben das Abkommen unterzeichnet. Belgrad hat sich geweigert zu unterzeichnen und bis heute alle Bemühungen, eine friedliche Lösung zu erreichen, kurzerhand zurückgewiesen. Die Kontaktgruppe wies Belgrad klar die alleinige Verantwortlichkeit für das Ausbleiben einer Übereinkunft zu. Wenn wir uns auch dessen bewußt sind, daß die Kosovo-Befreiungsarmee ebenfalls häufig das Waffenstillstandsgebot verletzt, und ihre Provokationen die allgemein gespannte Lage zusätzlich anheizten, so ist es doch das Regime in Belgrad, das systematisch die Politik verfolgte, die Übereinkünfte vom Oktober letzten Jahres zu untergraben, und das alle Bemühungen, eine gerechte Lösung zu finden, hintertrieb. Seit Oktober ist Milosevic wichtigen Verpflichtungen zur NATO und OSZE nicht nachgekommen. Serbische Sicherheitskräfte haben: - durchweg und offen das Waffenstillstandsgebot verletzt; - Truppen und Polizei unter Verletzung ihrer Pflichten vom Standort wegbewegt; - sich geweigert, mit der Kosovo-Überprüfungsmission und internationalen Vermittlerorganisationen zu kooperieren und fortwährend deren Arbeit behindert; - Greueltaten wie das Racak-Massaker Mitte Januar verübt. Die Maßnahmen der NATO haben drei Ziele: - Die Entschlossenheit der NATO zu demonstrieren, um Milosevic die Notwendigkeit für die Änderung seines Kurses klar zu machen; - Belgrad davon abzuhalten, eine Vertreibungsoffensive gegen hilflose Zivilisten zu starten; - Belgrads militärische Kapazitäten, Unterdrückungsmaßnahmen gegen Kosovaren durchzuführen, ernsthaft zu beschädigen. Fernsehansprache des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vom 24. März 1999 (Wortlaut)
Liebe Mitbürger, ich bin der Ansicht, daß die Nationalversammlung richtig gehandelt hat, als sie entschied, die Anwesenheit ausländischer Truppen auf unserem Staatsgebiet nicht zu akzeptieren. Die Nationalversammlumg hat diesen Beschluß einstimmig angenommen und hat damit die Einheit aller Bürger unseres Landes und deren vereintes Bekenntnis zu Unabhängigkeit und Frieden zum Ausdruck gebracht. Hier steht nicht nur das Kosovo auf dem Spiel, obwohl das Kosovo für ums von großer Bedeutung ist, sondern es steht die Freiheit des ganzen Landes auf dem Spiel, in Anbetracht der Tatsache, daß das Kosovo nur eine Tür darstellt, durch die fremde Truppen eindringen und diese höchsten Werte gefährden würden. Sie haben diese Tür gewählt, weil sie annahmen, daß dort die albanische separatistische Bewegung stünde und nicht etwa die jugoslawische Armee oder die Gesamtheit der Bürger des Landes und daß auf diese Weise unser Land Schritt für Schritt, aber sehr schnell seine Unabhängigkeit und Freiheit verlöre. Die Weigerung, fremde Truppen auf unserem Staatsgebiet zu akzeptieren, war die einzig richtige Entscheidung. Dennoch würden wir gerne unser stetiges Engagement für eine friedliche Lösung der Probleme im Kosovo-Metohija fortsetzen. Wir glauben aufrichtig, daß eine langfristige Lösung der Probleme im Kosovo-Metohija nur mit friedlichen und politischen Mitteln erreicht werden kann. Wir bestehen auf der entscheidenden Frage, der unsere Delegation in Rambouillet verpflichtet war, so wie wir es in all unseren Kontakten mit Vertretern der internationalen Gemeinschaft waren. Diese entscheidende Frage ist unsere Verpflichtung zur Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen. Das politische Abkommen, das die Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen im Kosovo - Albaner, Serben, Montenegriner, Muslime, Türken, Goranci, Roma und Ägypter - sichert, hat die Chance auf Erfolg und auf Stabilisierung unserer südlichen Provinz, auf die Sicherstellung von Frieden und Stabilität im ganzen Land. In dem Bemühen, zu einer politischen Lösung zu kommen und den politischen Prozeß fortzuführen, werden wir weiter dieser Sache verpflichtet sein. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, daß ich unsere Delegation in Rambouillet und Paris, aber auch Präsident Milutinovic und seine Haltung in diesen entscheidenden Fragen, von denen die gesamte Zukunft des Kosovo-Metohija und, wie ich sagen würde, ganz Serbiens abhängt, voll und ganz unterstütze, denn hier steht das ganze Land auf dem Spiel, nicht nur Kosovo-Metohija, ungeachtet der Bedeutung, die es für uns hat, oder der Bedeutung, die es für die Gesamtheit der Bürger unseres Landes hat. In dieser Zeit, in der wir uns mit Bedrohungen und der Gefahr von Luftangriffen durch die NATO konfrontiert sehen, sollte jeder seiner Arbeit nachgehen. Alle Bürger tragen zur Verteidigung des Landes bei, indem sie erfolgreich ihre alltäglichen Pflichten in der Produktion, im Gesundheits- und Bildungswesen und in den kulturellen Institutionen erfüllen. Auf diese Weise können sie die Verteidigungskräfte unseres Landes, die Armee Jugoslawiens und die Truppen des Innenministeriums bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in der Verteidigung der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes bestmöglich unterstützen, Wir haben zwei wesentliche Verpflichtungen: den politischen Prozeß mit vollem Engagement fortzuführen, denn ich glaube, daß Wahrheit und Gerechtigkeit auf unserer Seite sind, aber auch die Verteidigung unseres Landes mit allen verfügbaren Mitteln, die dem Ausmaß des Angriffs angemessen sind. Wir alle sollten unseren vollen Beitrag dazu leisten, vor allem durch unsere Arbeit. Ich danke Ihnen Erklärung des Außenministeriums der Volksrepublik China vom 25. März 1999 (Wortlaut)
Am 24. März starteten die von den Vereinigten Staaten geführten Luftstreitkräfte Angriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Die Luftschläge verursachten schwere Schäden und Opfer und führten zu einer scharfen Verschlimmerung der Situation in der Balkanregion. Die chinesische Regierung ist durch solche Entwicklungen tief verstört. Die Kosovo-Frage ist eine interne Angelegenheit Jugoslawiens und sollte von den Beteiligten in Jugoslawien selbst gelöst werden. Alle anderen Staaten sollten die Souveränität und territoriale Integrität Jugoslawiens respektieren. Kürzlich unternahmen die Beteiligten positive Anstrengungen, einen politischen Ausweg aus der Krise zu suchen, und es gab einige Fortschritte in den Friedensgesprächen über die Kosovo-Frage. Die chinesische Regierung tritt jederzeit für eine friedliche Beilegung der Streitigkeiten durch Verhandlungen ein und widersetzt sich dem Gebrauch oder der Androhung von Gewalt in internationalen Angelegenheiten. Sie verlangt nach Respekt für die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten und ihrer Rechte, auf dem Weg ihrer Entwicklung unabhängige Entscheidungen zu treffen. Die chinesische Regierung widersetzt sich weiterhin jeglicher Einmischung in die internen Belange anderer Staaten, unter welchem Vorwand oder in welcher Form auch immer, und vor allem Maßnahmen, die unter vorsätzlicher Umgehung der Vereinten Nationen getroffen werden. Die chinesische Regierung verlangt nachdrücklich eine sofortige Einstellung der militärischen Schläge gegen Jugoslawien und ruft die internationale Gemeinschaft und die Beteiligten in Jugoslawien zur Zusammenarbeit auf, um die Situation zu stabilisieren und die Krise so schnell wie möglich zu entschärfen, so daß der Frieden in der Balkanregion zu einem frühen Zeitpunkt wiederhergestellt werden kann. Stellungnahme des Präsidenten der Russischen Föderation Boris Jelzin vom 31. März 1999 (Wortlaut)
Rußland ist zutiefst empört über die NATO-Militäraktion gegen Jugoslawien, die nichts anderes ist als nackte Aggression. Allein der UN-Sicherheitsrat besitzt das Recht, die Maßnahmen zu beschließen, einschließlich des Einsatzes von Streitkräften, die zur Sicherung oder Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in der Welt ergriffen werden sollen. Der UN-Sicherheitsrat hat diese Entscheidungen bezüglich Jugoslawien nicht getroffen. Die UN-Charta und die Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertragsorganisation und der Russischen Föderation sind verletzt worden. Ein gefährlicher Präzedenzfall für die Wiederherstellung einer Politik der Dominanz des Stärkeren wurde geschaffen, und das gesamte gegenwärtige internationale Rechts- und Ordnungssystem wird gefährdet. Wir haben es in der Tat mit dem Versuch der NATO zu tun, das 21. Jahrhundert in der Uniform des Weltpolizisten zu beginnen. Rußland wird das niemals akzeptieren. Der UN-Sicherheitsrat muß die gespannte Situation diskutieren und ein sofortiges Ende der NATO-Militäraktionen fordern. Für ihren Teil wird die russische Führung ihre Beziehungen zur NATO überprüfen, da diese Organisation fundamentale Prinzipien des internationalen Verständigungssystems mißachtet hat. In meiner Eigenschaft als Präsident und Oberster Befehlshaber der Streitkäfte habe ich bereits die folgenden Anweisungen gegeben: - Abbruch der USA-Reise des Premierministers J. Primakow; - Forderung nach einer außerordentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrats und Druck für ein sofortiges Ende der NATO-Militäraktion; - Abzug des obersten russischen Militärrepräsentanten bei der NATO nach Moskau; - Aussetzung unserer Teilnahme an dem Programm "Partnerschaft für Frieden" und der Umsetzung des NATO-Rußland-Partnerschaftsprogramms; - Vertagung der Gespräche über ein gemeinsames militärisches Verhältnis mit der NATO in Moskau. Ich habe bereits an Präsident Clinton appelliert und die Führer anderer NATO-Staaten aufgefordert, dieses militärische Wagnis sofort zu beenden, das das Leben von Zivilisten bedroht und die Situation auf dem Balkan zum Explodieren bringen könnte. Die Stabilisierung des Kosovo, wie auch die Lösung ähnlicher Probleme, ist nur durch Verhandlungen möglich. Je eher sie beginnen, desto mehr Möglichkeiten werden der Weltgemeinschaft offenstehen, um eine politische Regelung zu finden. Rußland ist bereit, seine enge Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern der Kontaktgruppe fortzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Diejenigen, die dieses militärische Abenteuer auf den Weg gebracht haben, tragen die volle Verantwortung vor ihren Nationen und der Weltgemeinschaft für die ernsten Folgen für die internationale Stabilität. Im Falle einer Ausweitung des militärischen Konflikts behält Rußland sich das Recht vor, die angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, auch Maßnahmen militärischer Natur, um seine eigene und die Sicherheit Europas zu gewährleisten. Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 27. März 1999 (Auszüge)
In der Nacht zum Donnerstag hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Das Bündnis war zu diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte im Kosovo zu unterbinden und um eine humanitäre Katastrophe dort zu verhindern. Der Bundesaußenminister, die Bundesregierung und die Kontaktgruppe haben in den letzten Wochen und Monaten nichts, aber auch gar nichts unversucht gelassen, eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes zu erzielen. Präsident Milosevic hat sein eigenes Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo und die Staatengemeinschaft ein ums andere Mal hintergangen. Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch und sein amerikanischer Kollege Hill in intensiver Reisediplomatie mit den beiden Konfliktparteien Gespräche geführt und den Boden für ein faires Abkommen bereitet. In Rambouillet und Paris ist mehrere Wochen lang, wir waren alle Zeugen dessen, hartnäckig verhandelt worden. Zu dem dort vorgelegten Abkommen, das die Menschenrechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, aber auch die territoriale Integrität der Republik Jugoslawien gewährleistet, zu diesem Abkommen gibt es nach meiner festen Auffassung keine Alternative. Das ist der Grund, warum diesem Abkommen alle Parteien hätten zustimmen müssen. Die Ziele dieses Abkommens, und das ist mir wichtig, werden auch von Rußland geteilt. Ich selbst habe in einem Telefongespräch mit dem russischen Premierminister Primakow unterstrichen, daß die EU die Beziehungen zu Rußland nicht einschränken, nicht relativieren, nein: gerade jetzt weiter ausbauen wird. Wir haben - und das betrifft alle Parteien dieses Hauses mit Rußland eine Qualität in unseren Beziehungen erreicht, die wir von unserer Seite aus nicht in Frage gestellt sehen wollen Die Vertreter der Kosovo-Albaner haben dem Abkommen von Rambouillet schließlich zugestimmt. Einzig die Belgrader Delegation hat durch ihre Obstruktionspolitik alle, aber auch wirklich alle Vermittlungsversuche scheitern lassen. Sie allein trägt die Verantwortung für die entstandene Lage. Gleichzeitig hat das MilosevicRegime seinen Krieg gegen die Bevölkerung im Kosovo noch intensiviert. Unsagbares menschliches Leid ist die Folge, Mehr als 250 000 Menschen mußten aus ihren Häusern fliehen oder wurden gar mit Gewalt vertrieben [...] Es wäre zynisch und verantwortungslos gewesen, dieser humanitären Katastrophe weiter tatenlos zuzusehen. Bis zuletzt hat sich die Staatengemeinschaft bemüht, dem Morden auf diplomatischem Wege Einhalt zu gebieten. Außenminister Fischer als EU-Ratspräsident, der russische Außenminister Iwanow und der OSZE-Vorsitzende Vollebaek haben Präsident Milosevic in Belgrad zur Annahme des Rambouillet-Abkommens gedrängt. Schließlich hat Richard Holbrooke als Sondergesandter der Vereinigten Staaten am Montag und Dienstag dieser Woche einen allerletzten Versuch unternommen, um das Regime in Belgrad zum Einlenken zu bewegen - alles vergebens. Wir hatten deshalb keine andere Wahl, als gemeinsam mit unseren Verbündeten die Drohung der NATO wahrzumachen und ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, daß wir die weitere systematische Verletzung der Menschenrechte im Kosovo als Staatengemeinschaft nicht hinzunehmen bereit sind. Wir alle wissen, daß dies das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist, daß deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz stehen. [...] Sie erfüllen eine schwierige und - das muß man redlicherweise hinzufügen - auch gefährliche Mission. Obwohl wir alles getan haben und tun werden, um für ihren Schutz und ihre Sicherheit zu sorgen, können wir Gefahren für Leib und Leben nicht ausschließen. Gerade deshalb sollen sie wissen, daß die Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren Einsatz für die Menschlichkeit und den Frieden wohl zu würdigen weiß und ihnen dafür zutiefst dankbar ist. Ich denke, es ist ein Gebot des Anstandes und der Vernunft, auch vom Deutschen Bundestag aus ein Zeichen der Solidarität und der Unterstützung an unsere Streitkräfte zu richten. Die Verantwortung für die entstandene Lage trägt allein die extremistische Belgrader Führung. Es liegt in ihrer Hand, die Militäroperation unverzüglich zu beenden. Auch von dieser Stelle - aus dem deutschen Parlament heraus - fordere ich deshalb Präsident Milosevic noch einmal auf, die Kämpfe im Kosovo sofort zu beenden und das Friedensabkommen zu unterzeichnen. Dann wird Frieden sein können. Die NATO und die internationale Gemeinschaft insgesamt sind unverändert bereit, mit Zustimmung der Streitparteien mitzuhelfen, das Abkommen von Rambouillet umzusetzen. Wir sind auch bereit, für die militärische Absicherung eines Waffenstillstands einzutreten. Dafür stehen erste NATO-Einheiten, darunter 3000 deutsche Soldaten, bereit. Auch sie sollen wissen, daß Bundesregierung und das deutsche Parlament hinter ihnen stehen. Auf der Sondertagung des Europäischen Rates in Berlin hat Europa seine Verantwortung für eine friedliche Entwicklung auf dem Kontinent bekräftigt. Wir können heute mit berechtigtem Stolz sagen: Angesichts der schwierigen Mission im Kosovo spricht Europa wirklich mit einer Stimme. Redebeitrag des PDS-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi vor dem Deutschen Bundestag am 25. März 1999 (Auszüge)
Ich kann die hier genannten Argumente zu einem Großteil nicht teilen. Vor allen Dingen sind viele Fragen gar nicht angesprochen worden, zum Beispiel die nach der rechtlichen Grundlage für den Krieg, der gestern begonnen hat. Sie alle wissen, daß die UNCharta nur zwei Fälle des berechtigten militärischen Eingreifens kennt: den Fall der individuellen Selbstverteidigung oder kollektiven Selbstverteidigung im Rahmen eines Bündnisses und den Fall, daß der UN-Sicherheitsrat - kein anderer; nur er besitzt das Gewaltmonopol, was aus guten Gründen nach 1945 so festgelegt worden ist - anordnet, zur Herstellung des Friedens militärische Maßnahmen einzusetzen. Beide Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Bundesrepublik Jugoslawien - wie auch immer die inneren Zustände zu beurteilen sind - hat kein, anderes Land angegriffen, deshalb liegt der Fall einer individuellen Selbstverteidigung oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta nicht vor. Sie wissen genausogut wie ich, daß der UN-Sicherheitsrat keine militärischen Maßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta - der anderen Möglichkeit, die militärisches Eingreifen erlaubt - beschlossen hat und daß er sich sogar ausdrücklich vorbehalten hat, über die weitere Situation zu beraten und zu entscheiden. Die NATO hat ihm diese Entscheidung aus der Hand genommen; sie hat sich damit von der UNO abgekoppelt. Ich sage Ihnen: Das zerstört eine Weltordnung; aber es schafft keine neue. Auch ich kann mir eine bessere Weltordnung als die gegenwärtige vorstellen. [...] Juristisch gilt - auch wenn es Sie sehr ärgert: Wenn man einen Krieg führt, ohne selbst angegriffen worden zu sein, dann ist das ein Angriffskrieg und kein Verteidigungskrieg. Genau diesen verbietet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Auch dagegen haben Sie verstoßen. Sie sprechen von der Sicherheit unserer Soldaten. Ich finde, die größte Unsicherheit besteht darin, sie in einen Krieg zu schicken, der weder völkerrechtlich noch durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legitimiert ist. Die Luftangriffe sofort beenden! Gemeinsame Erklärung der Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert, Christian Ströbele und Sylvia Voß (Bündnis 90/Die Grünen) zum Krieg im Kosovo vom 26. März 1999 (Wortlaut)
Die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien müssen sofort beendet werden. Die humanitäre Katastrophe im Kosovo wird sich nicht mit der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO mildern lassen. Vielmehr fürchten wir, daß sie eine politische Lösung erschwert und die Situation gerade für die Zivilbevölkerung verschlimmert. So dringend Hilfe für die Zivilbevölkerung ist, so wenig ist erkennbar, wie Bomben, deren unmittelbare Folge Zerstörung und Tod sind, der humanitären Hilfe dienen sollen. Ohne Mandatierung durch die UN, die, wie jetzt UN-Generalsekretär Kofi Annan noch einmal feststellte, nicht vorliegt, verstoßen diese Angriffe gegen das Völkerrecht. Bei der Abstimmung im Bundestag am 16.10.98, wo über die deutsche Beteiligung an dem jetzt in die Tat umgesetzten Drohszenario der NATO gegen Jugoslawien entschieden wurde, hat der damalige Abgeordnete Hirsch dies in einer persönlichen Erklärung folgendermaßen kritisiert: "Darum bin ich der Überzeugung, daß ein militärisches Vorgehen der NATO mit dem geltenden Völkerrecht nicht begründet werden kann und daß wir mit der heutigen Entscheidung einen irreparablen Vorgang schaffen, auf den sich später andere - im Osten wie im Westen - berufen werden. Damit schaffen wir keine neue Friedensordnung, sondern kehren zu dem Zustand des Völkerrechts zurück, in dem es sich vor der Gründung der Vereinten Nationen befunden hat. Das kann und will ich nicht mit verantworten." Ein Militärbündnis, das seine Wurzeln im Kalten Krieg hat, ist weder jetzt noch in Zukunft das richtige, international legitimierte Einsätze zur Friedenserhaltung, geschweige denn zur Friedenserzwingung durchzuführen. Statt die UN weiter zu entmachten, brauchen wir dringend eine breit unterstützte politische Intervention des UN-Generalsekretärs. Wir sehen allein in der UN die internationale, völkerrechtlich legitimierte Handlungsebene, die es zu stärken gilt. Mit den Luftangriffen macht die NATO sich zu einem Teil der Eskalationslogik des Kriegs im Kosovo. Welches politische Ziel mit diesen Luftschlägen durchgesetzt werden kann, wenn Milosevic die Unterschrift weiter verweigert, bleibt völlig unklar. Ebenso haben die Verantwortlichen bis heute keine Antwort darauf gegeben, zu welch hochriskanten Situationen die Eskalation, aus der es ab einer bestimmten Stufe nur schwerlich noch einen Ausstieg geben wird, führen kann. Selbstverständlich hoffen wir, daß dies nicht der Fall sein wird, aber zu der Abwägung, die zu einer veranwortlichen Entscheidung, gerade im Interesse der unmittelbar Beteiligten, führt, gehört auch der Einbezug des worst case. Wir teilen die Sorge um die Menschen im Kosovo, die in den letzten Jahren Vertreibung, Mord und Zerstörung ihrer Dörfer ausgesetzt worden sind. Auch sind wir der Auffassung, daß es nicht hinzunehmen ist, wenn ein Staat gegen seine Bevölkerung - auch wenn sie nach Autonomie oder staatlicher Eigenständigkeit drängt - Krieg führt. Genausowenig kann hingenommen werden, wenn Autonomie mit der Waffe in der Hand durchgesetzt werden soll und Leiden und Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf genommen werden, um militärische Vorteile in einem bewaffneten Konflikt zu erringen. Gerade dem Schutz der Zivilbevölkerung gilt unsere Sorge, humanitäre Hilfe ist dringend erfordert. Auch diejenigen, die aus dem Kosovo geflüchtet sind oder jetzt flüchten, brauchen unsere Unterstützung, uneingeschränkte Schutzgewährung und Anerkennung als Kriegsflüchtlinge - und die Sicherheit, nicht in eine solche Lage abgeschoben zu werden. Wir erleben eine historische Zäsur. Zum ersten Mal seit 1945 führt die Bundesrepublik Deutschland Krieg, ist die Bundeswehr in einem out of area-Einsatz direkt an Kampfhandlungen beteiligt. Wir lehnen dies ab. Daß mit Bomben kein Krieg zu beenden und mit Militär kein Frieden zu machen ist - über diese politische Kernaussage muß die Auseinandersetzung in der Gesellschaft intensiviert werden. Dafür werden wir uns engagieren. Bomben lindern keine Katastrophen. Erklärung der SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel, Uwe Hiksch, Konrad Gilges, Konrad Kunick, Detlev von Larcher, Andrea Nahles und Günter Oesinghaus zu den Luftangriffen der NATO auf Ziele in der Bundesrepublik Jugoslawien (Wortlaut)
Mit den Luftangriffen der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien wird sich unserer Meinung nach die humanitäre Katastrophe im Kosovo nicht lindern lassen. Sie erschweren eine politische Lösung des Konfliktes. Wir befürchten eine Verschlimmerung der Situation. Die Luftangriffe der NATO finden trotz der Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 16. Oktober 1998 unserer Ansicht nach ohne ausreichendes völkerrechtliches Mandat statt. Wir teilen die Kritik von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der gestern klargestellt hat, daß kein Mandat des UN-Sicherheitsrates für diese Angriffe vorliegt. Unser Eindruck ist, daß sich einige NATO-Regierungen auch nicht ausreichend um ein solches Mandat bemüht haben. Die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien und den Kosovaren ist eine innerstaatliche Auseinandersetzung. Die NATO hat entgegen dem NATO-Vertrag einen souveränen Staat angegriffen. Wir stellen uns die Frage, warum sie die humanitäre Katastrophe im Kosovo als Grund für einen Angriff sieht, nicht aber andere humanitäre Katastrophen wie z.B. in Kurdistan. Die Zivilbevölkerung des Kosovo ist großen Gefahren ausgesetzt. Wir wissen genau um die Verbrechen, die serbische Einheiten begonnen haben, und verurteilen sie. Und wir wissen um die Verantwortung von Slobodan Milosevic für diese Verbrechen. Genauso verurteilen wir aber die Übergriffe und den Terror der UCK. Wir fragen vor diesem Hintergrund auch, warum keine Anstrengungen unternommen wurden, um den Waffenzufluß aus Albanien an die UCK zu unterbinden. Es ist bezeichnend und besorgniserregend zugleich, daß in der Nacht der Luftangriffe die UCK serbische Einheiten angegriffen hat. Die UCK hat ebenfalls erhebliche Verantwortung für die Eskalation der vergangenen Monate. Die vergangenen Nacht hat eine "Neue NATO" gezeigt, die wir nicht wollen. Allen anderslautenden Erklärungen zum Trotz findet eine Kooperation mit Rußland nicht mehr statt - im Gegenteil, Rußland wird brüskiert und vor den Kopf gestoßen. Das wirft die Bemühungen um die kooperative Gestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur zurück. Es ist völlig unklar, wie das Vorgehen nach den Luftangriffen aussehen soll. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, andere Instrumente zu stärken, um mit Situationen wie im Kosovo fertigzuwerden. Bomben sind dafür das am wenigsten geeignete Mittel. Der deutsche Kosovo-Friedensplan vom 14. April 1999 (Wortlaut)
Der nachstehende Friedensplan wurde seitens des Bonner Außenministeriums an die Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union, der NATO und der Balkan-Kontaktgruppe versandt. - D. Red. 1. Stufe 1:
G 8-Ministertreffen einigt sich darauf, daß der von den Politischen Direktoren der G 8 auf Dresdener Treffen ausgearbeitete Forderungskatalog an Belgrad in eine Sicherheitsratsresolution der Vereinten Nationen umzugießen ist. Im einzelnen wäre dabei festzulegen: - Zeitpunkt des Abzugs aller militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte. Festsetzung des Zeitpunktes, zu dem der Abzug abgeschlossen sein muß. Hinzutreten muß die Verifikation des Abzugs (siehe Ziffer 4). - Parallel zum Abzug der jugoslawischen Kräfte Verpflichtung der UCK, alle Feindseligkeiten einzustellen und ihre gegenwärtige Dislozierung nicht zu verändern. - Einrichtung einer internationalen Friedenstruppe unter Kapitel VII. Mit den Prinzipien: robust - no double key [unter einheitlichem Kommando] - strict rules of engagement. - Arbeitsaufnahme der Hilfsorganisationen im Kosovo so schnell wie möglich, spätestens jedoch mit dem Abzug der jugoslawischen Kräfte. - Mit Vollendung des Abzugs der jugoslawischen Kräfte Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge in den Kosovo und Beginn der ersten Wiederaufbau- und Rehabilitationsmaßnahmen. - Unterstellung des Kosovo unter eine von den Vereinten Nationen autorisierte Übergangsverwaltung bis zu einer endgültigen politischen Regelung. 2. Stufe 2: Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Diese Einigung sollte noch am selben Tag oder so früh wie möglich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in eine Kapitel VIIResolution umgegossen werden. 3. Stufe 3: Umsetzung
- Die Annahme der Resolution wird der Belgrader Führung übermittelt. Falls mit dem Rückzug der jugoslawischen Kräfte begonnen wird, erfolgt eine 24stündige Unterbrechung der Luftschläge. Sofern dies geschieht, wird die Pause um den Zeitraum verlängert, der für den Abzug der Kräfte vorgesehen ist. Wenn der Abzug der Kräfte während des vorgeschriebenen Zeitraums erfolgt ist, werden die Luftschläge dauerhaft suspendiert. - Parallel zum Abzug der jugoslawischen Kräfte: Umsetzung der Verpflichtung der UCK Feuer einzustellen, die gegenwärtigen Positionen solange nicht zu verlassen, bis die internationale Friedenstruppe im Kosovo eintrifft. Mit diesem Zeitpunkt beginnen Entwaffnung und Entmilitarisierung der UCK. - Bevor die internationale Friedenstruppe vollständig aufgestellt ist, rücken parallel mit dem Abzug der jugoslawischen Kräfte sukzessive schnell bewegliche Vorauskräfte der Staaten, die die internationale Friedenstruppe der Vereinten Nationen stellen, in den Kosovo ein. - KVM [Kosovo Verification Mission der OSZE] nimmt ihre Verifikationsaufgabe unter den neuen Bedingungen wieder auf. - Übergangsverwaltung durch die VN. 4. Parallel dazu: Militärische Absicherung über dem Kosovo und außerhalb des Kosovo:
- NATO-Luftstreitkräfte - NATO-Bodenstreitkräfte in MAZ/ALB [Mazedonien/Albanien] (Stärke muß festgelegt werden). Für diese Truppenteile müssen Einsatzregeln festgelegt werden. 5. Bei Umsetzung der VN-Resolution:
So rasch wie möglich, spätestens aber mit Ankunft der Vorauskräfte der internationalen VN Friedenstruppe in den Kosovo beginnen die internationalen Hilfsorganisationen ihr Werk. 6. Zeitgleich mit erfolgtem jugoslawischen Truppenabzug:
- Beginn der Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen. - Beginn der ersten Wiederaufbau-/Rehabilitationsmaßnahmen. Die NATO, die Hilfsorganisationen und der Tod. Beitrag von Jean-Christophe Rufin, Médecins sans frontieres, in "Le Monde" vom 20. März 1999 (Wortlaut)
Während des Kalten Krieges waren die humanitären Hilfsorganisationen auf sich gestellt. Niemand machte ihnen in den afghanischen Bergen oder im kambodschanischen Dschungel den Platz streitig. Seit 1989 mußten sie sich daran gewöhnen, vor Ort mit der Organisation der Vereinten Nationen auszukommen. Die massive internationale Präsenz auf den meisten Krisenschauplätzen, sei es in Gestalt von Blauhelmen oder nationaler, von der Weltorganisation autorisierter Streitkräfte (amerikanische, französische...), veränderte bis ins Jahr 1995 hinein die Bedingungen grundlegend. Von Herbst 1995 bis heute, das heißt von Bosnien bis zum Kosovo, war es dann die NATO, mit der sich die karitativen Organisationen arrangieren mußten. Das Auftauchen dieses "muskelbewehrten" Faktors auf der internationalen Szene begrüßten die Hilfsorganisationen durchaus. Sie waren die ersten, die die Passivität der internationalen Politik angesichts der Dramen des Balkans oder Afrikas beklagt hatten. Jetzt ist ihr Wunsch erfüllt worden, zumindest dem Anschein nach. Denn in der Praxis könnte sich die Nachbarschaft der NATO sehr wohl als eine extrem gefährliche Prüfung erweisen. Sicher, schon die Präsenz der Vereinten Nationen war mit Risiken verbunden, Die Neutralität der humanitären Helfer wurde durch die Nachbarschaft bewaffneter Soldaten in Frage gestellt. Das unvorsichtigerweise proklamierte Recht auf Einmischung vermittelte vielen in der Dritten Welt das Gefühl, bei den Hilfsorganisationen handele es sich möglicherweise um Trojanische Pferde eines neuen bewaffneten Imperialismus. Aber das alles blieb letzten Endes einigermaßen kontrollierbar. Einmal abgesehen von den Verirrungen in Somalia und des Golfkriegs, die man unterscheiden muß, zeigten sich die UN-Streitkräfte umsichtig und respektierten im Einklang mit der Tradition von Vermittlungsbemühungen ein gewisses Gleichgewicht. Sie haben zahlreiche friedliche Bande zu den karitativen Helfern geknüpft, insbesondere über die mit zivilen Angelegenheiten befaßten Abteilungen. Mit dem Auftreten der NATO ändert sich alles. Hier handelt es sich um eine rein militärische operative Allianz, dazu bestimmt, auf eine Bedrohung, will sagen: auf einen Feind zu reagieren. Auch wenn die neuen Aktionen der NATO in Bosnien oder im Kosovo nicht unter Bezug auf Artikel 5 des NATO-Vertrags erfolgen, der den Auftrag des Bündnisses als Verteidigung der freien Welt definiert, so bleibt doch die Kultur dieser Organisation jene, die man seit 50 Jahren kennt. Die NATO erklärt jemanden zum Feind, droht ihm und attackiert und zerstört ihn möglicherweise anschließend. Um eine solche Maschine in Gang zu bringen, bedarf es eines Zünders. Der ist inzwischen nicht mehr militärischer Natur; die Sowjets werden in Mitteleuropa nicht mehr angreifen. Ebensowenig ist er politischer Natur. Erwiesenermaßen funktioniert das anders: Der Auslösemechanismus der NATO ist heute... humanitär. Man braucht Blut, ein Massaker, etwas, was die öffentliche Meinung moralisch entflammt und sie dazu bringt, eine gewaltsame Reaktion zu akzeptieren. Die zu UN-Zeiten so gefürchtete Verbindung zwischen dem Humanitären und Militärischen ist heute offenkundig eingetreten. Wenn die Hilfsorganisationen ihre Stimme erheben und anklagen, wie sie es zu tun gewöhnt sind, müssen sie wissen, daß ihre Worte mittlerweile töten können. Wer hier 50 Tote beklagt, muß damit rechnen, daß dort 5000 Opfer einer Vergeltungsmaßnahme werden könnten, irgendwo in der Umgebung von Belgrad. Ob das wünschenswert wäre oder nicht, ist eine andere Frage. Nehmen wir zunächst einmal nur das eine zur Kenntnis, nämlich daß unter dem Aspekt des Mandats die Situation neu und einzigartig ist. Die Verteidiger des Lebens verschreiben nunmehr den Tod. In einem derart komplexen Konflikt eine schwere Verantwortung. Das erklärt möglicherweise das ohrenbetäubende Schweigen aus den Reihen der Nichtregierungsorganisationen seit dem Beginn der jüngsten Krise. Die Bedeutung der gegenwärtigen Situation besteht de facto darin, daß die Zivilbevölkerung noch nie derart bedroht war wie heute im Kosovo. Warum? Weil diese potentiellen Opfer den Schlüssel zur internationalen Reaktion bilden. Sprechen wir es klar aus: Der Westen will Tote. Wir haben in Bosnien auf Tote gewartet, bevor wir handelten. Damals war es der Markt von Markallé. Wir haben in Ruanda auf Tote gewartet. Dort brauchte es eine halbe Million, bevor es zu einer Reaktion kam. Und jetzt erwarten wir im Kosovo Tote. Wir werden sie bekommen. Die Täter? Noch unbekannt. Die sinistre Montage von Racak läßt fürchten, daß die Bedrohung von allen Seiten ausgeht. Und deshalb ist es essentiell, heute über die neuen Umstände nachzudenken, die die NATO geschaffen hat. Man kennt die Qualitäten dieser Organisation; man muß aber auch ihre perversen Wirkungen sehen. Auf diese Weise wird vermieden, die anderen Karten, über die die internationale Gemeinschaft verfügt, vorschnell zu disqualifizieren. Vor allem die Vereinten Nationen. Es gab Anlässe, ihre Niederlagen, ihr Versagen zu beklagen. Aber es bleibt dabei, daß sie auf dem Gebiet der Vermittlungseinsätze ohne Zweifel über bessere Voraussetzungen verfügt als die NATO. Daneben sind die OSZE und die Europäische Union zu erwähnen. Sicher, falls eine Offensive erforderlich wird, eignen sich diese Organisationen nicht. Allerdings ist die Präsenz ihrer Beobachter in Situationen großen Risikos unverzichtbar. Wenn die NATO Auslöser braucht, dann sollten es besser die genannten Organisationen sein, die vor Ort in ihrer Funktion als objektive Zeugen und als Garanten gegen eventuelle makabre Manipulationen unentbehrlich sind. Befreit von dieser fürchterlichen, ihre Existenz in Frage stellenden Aufgabe, könnten die humanitären Organisationen wieder den Bevölkerungen helfen zu leben, statt sie in den Tod zu schicken.