Das Fernsehgespräch der serbischen Präsidentschaftskandidaten am 9. Oktober 2002 (Auszüge)
Am 29. September fanden in Serbien Präsidentschaftswahlen statt, zu denen elf Kandidaten antraten. Das Siegerquorum von 50 % plus eine Stimme verfehlten alle, so dass am 13. Oktober eine Stichwahl unter den beiden Erstplatzierten, Vojislav Koštunica und Miroljub Labus, folgte. Die Stichwahl scheiterte an zu geringer Wahlbeteiligung – statt der geforderten 50 % gaben nur 45,5 % der 6,5 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Koštunica, Präsident Jugoslawiens, konnte seinen schon im ersten Wahlgang erreichten Vorsprung gegen- über Labus, Vizepremier der jugoslawischen Bundesregierung und „Wirtschaftsguru“ der serbischen Regierungskoalition Demokratische Opposition Serbiens (DOS), ausbauen – er erhielt 2/3, Labus 1/3 der Stimmen. Die gesamte Wahlprozedur muss nun bis zum 6. Dezember wiederholt werden.
Vor genau zwei Jahren, als am 5. Oktober 2000 Milošević gestürzt wurde, gehörte auch Koštunica zur DOS, hat sich mit dieser inzwischen aber völlig zerstritten. Die Wähler, die der DOS damals 64 % gaben, haben ihre Stimmen am 29. September unter beiden „geteilt“, da- bei aber deutliche 23 % dem Radikalen Vojislav Šešelj gegönnt, der auf Weisung von Milošević gemeinsamer Kandidat von Radikalen (SRS) und Sozialisten (SPS) war. Schon nach der ersten Wahlrunde gab es die nunmehr bestätigte Befürchtung, dass diese „Parteien von gestern“ die Stichwahl boykottieren und damit scheitern lassen könnten. Diese Aussicht hatte die „Euro-Liberalen“ (Labus) und die „National-Demokraten“ (Koštunica) einlenken lassen, und das TV-Duell vom 9. Oktober, von fast allen Serben verfolgt, sollte ein Beweis ihrer politischen und patriotischen Mäßigung sein.
Das Gespräch folgte einer lange ausgehandelten Regie: In den ersten 75 Minuten ging es um Ökonomie, Soziales, Verwaltung, Rechtswesen und Außenpolitik, bei zwölf Minuten pro Thema. Dann folgte eine Debatte mit 17 Journalisten, die allerdings recht belanglos ausfiel („Was schätzen Sie aneinander?“). Moderator Vladan Radosavljevićdirigierte das Duell, das 15 in- und ausländische Sender aus dem Belgrader Medienzentrum übertrugen. Die „Blätter“ dokumentieren eine gekürzte Fassung der Veranstaltung, wie sie vom Serbischen Fern- sehen (RTS) ausgestrahlt wurde.*
Miroljub Labus: [...] Herr Koštunica, zwei Dinge möchte ich Ihnen sagen. Erstens sollten wir achtungsvoll miteinander umgehen, wie wir zwei Jahre lang miteinander gearbeitet haben, meiner Meinung nach gut gearbeitet. Und zweitens: Ich denke, Sie sind derzeit kein geeigneter Präsident für Serbien. Vor zwei Jahren haben wir Sie gegen Miloševićunter- stützt. Heute würde ich Sie nicht unterstützen, denn mit Ihnen als Präsident kämen nach Serbien Streit, Affären und große Unsicherheit, die ausländische Investoren verjagen würde. Und das alles, wo wir gerade die Situation verbessern wollen, ohne dabei einen Schock zu erleiden. Serbien braucht Sicherheit, und dafür werde ich mich als Präsident einsetzen. Ich bin Wirtschaftler und kann alle Türen zu allen wichtigen Institutionen der Welt öffnen, und das ist allgemein bekannt. [...]
Vojislav Koštunica: [...] In jedem System hat der Präsident eine wichtige Funktion, weil er ein Garant der staatlichen Einheit, der Rechtsordnung und des demokratischen Systems ist. Dafür habe ich mich immer eingesetzt, die letzten zwei Jahre und lange davor. [...] Sie, Herr Labus, hatten in Ihrer Kandidatur einen Makel, denn Sie sind als Kandidat einer Bürgergruppe aufgetreten, hatten dabei aber die Unterstützung der ganzen Regierung. Das war doppelgesichtig. Sie sagen, Ihre Wahl werde Streit in Serbien verhindern. Vergessen Sie doch nicht, dass Meinungskampf zum Wesen der Demokratie gehört. [...] Sie sagen, meine Wahl würde als Zeichen von Instabilität aufgefasst. Dabei kamen von der EU, sogar von der NATO Signale, dass keine Instabilität drohe, egal wer bei den Wahlen gewinnt. [...] Meine Partei, die Demokratische Partei Serbiens (DSS) setzt sich vor allem für eine neue Verfassung ein, denn unsere Verfassung stammt noch aus alter Zeit, und außer uns haben alle Transitionsländer neue Verfassungen, die ihre neuen Verhältnisse reflektieren. [...]
Labus: Wir sind ein traditioneller Rechtsstaat und haben im Wesentlichen das Rechtssystem kopiert, das in Frankreich und Deutschland bestand. [...] Ich meine auch, dass wir eine Verfassung brauchen, aber nicht irgend eine, sondern eine europäische, die uns auch in die Europäische Union bringt. [...] Aber gehen wir lieber zum Thema des Regionalismus über, also zur Gestalt Serbiens als eines Bundesstaats, der (wie ich gelesen habe) aus sechs Regionen zusammengesetzt ist. Wichtig ist dabei nur, wer die gesetzgebende Gewalt hat, denn föderale Einheiten haben die Macht nicht. Sie erlassen gewisse Vorschriften, aber das sind keine Gesetze. Geben Sie ihnen aber gesetzgebende Gewalt, dann kommt am Ende in Serbien eine lose Föderation heraus (oder eine Konföderation mit Montenegro), die nicht funktionieren kann. Meine Vision von der staatlichen Ordnung ist eine ganz andere als die Ihre. Es gibt den Staat Serbien, der zwei autonome Einheiten zur symmetrischen Behandlung hat, Kosovo und Vojvodina, deren Besonderheiten zum Ausdruck kommen müssen. Dazwischen liegt das zentrale Serbien, das meinetwegen aus Regionen bestehen kann, Regionen, die ihre Spezifika haben und pflegen sollen.
Koštunica: Herrn Labus’ Ausführungen zu verfassungsrechtlichen Grundlagen haben bestenfalls Proseminar-Niveau. Wir können doch nicht mehr von angloamerikanischem und kontinentalem Recht reden, wenn wir gleichzeitig in der Globalisierung leben und deren positive und negative Seiten erfahren. In diesen Regionen, in Bosnien, im Kosovo etc., waltet ei- ne Mischung von Formen, die man nicht eindeutig bestimmen kann, am allerwenigsten mit Blick auf den Regionalismus. Das ist doch wie mit Belgien, das zu verschiedenen Zeiten ein einheitlicher, ein regionaler Staat war und jetzt ein föderaler ist. [...] Natürlich kann man über den serbischen Regionalismus lange reden, aber im Grunde setzen Sie sich doch für den Status quo ein, für die ex-jugoslawischen Zustände. Wir brauchen aber eine gleichwertige Aufteilung, die eine gleichwertige Wirtschaftsentwicklung ermöglicht. So möchte es die DSS, die zudem noch Sicherheiten gegen ein Auftreten des Separatismus berücksichtigt hat. [...]
Labus: Kommen wir zur Wirtschaft, wozu ich nur zwei Dinge sagen will. Erstens ist es heute besser als noch vor zwei Jahren, wenn auch noch nicht gut. Das Schlimmste haben wir hinter uns. Was alle und wohl auch Herrn Koštunica überraschen wird, ist, dass wir in diesem Jahr eine höhere Beschäftigungs- als Arbeitslosenrate haben. In den letzten zwei Jahren sind aus der staatlichen Wirtschaft 170 000 Menschen ausgeschieden, entweder in die Rente oder infolge von Umstrukturierung. Im privaten Sektor wurden 120000 Menschen eingestellt. So viele wurden registriert, aber man weiß, dass viele Neuanstellungen gar nicht bekannt werden. Es kämen also nochmals 100 000 hinzu. Wir wissen genau, dass wir nach zehn Jahren erstmals 50000 neue Arbeitsplätze sicher geschaffen haben, nicht im staatlichen, sondern im privaten Sektor. Aber mit der teilweisen Nichtregistrierung dieser Arbeitsplätze entsteht das Problem, dass diese Beschäftigten sich unsicher fühlen. Hier ist die Fürsorge des Staates gefragt, dass diese Arbeitsverhältnisse in der „Schattenwirtschaft“ legalisiert wer- den. Auch die Gewerkschaften sind gefragt, die es aber nur in Staatsbetrieben gibt. Im Privatsektor arbeiten über eine Million Beschäftigte, jeweils 600 000 legal und illegal, aber Gewerkschaften gibt es für sie alle nicht. Staat und Gewerkschaften haben hier etwas zu tun, aber dennoch bleiben die Ergebnisse der letzten zwei Jahre ein großer Schritt nach vorn. Hinzu kommt, dass die Durchschnittseinkommen erstmals 320 DM ausmachen – als wir an die Macht kamen, waren es gerade 80 DM. [...]
Koštunica: Fortschritte gibt es, das ist unbestreitbar. Ich freue mich, dass es so ist, aber wir alle kennen doch die Arbeitslosenstatistik, die gnadenlos ist: Die Arbeitslosen nehmen zu, und es ist falsch, den Leuten irgendwelche Illusionen und Erwartungen vorzugaukeln, aus denen dann nichts wird. Wir sollten nüchterner mit dem Erreichten umgehen und nur das zählen, was rechtlich korrekt und im sozialen Dialog mit den Gewerkschaften geschafft wurde. Entsprechende Gesetze fehlen noch, und darum kann man über die erreichten Ergebnisse nicht so reden, wie Sie es tun.
Labus: [...] Die Arbeitslosigkeit bleibt für uns eine schwere Aufgabe, aber wir arbeiten daran. Wir haben mehr freie Arbeitsplätze als Arbeit Suchende. Internationale Experten sagen uns, dass etwa die Hälfte unserer 880000 Arbeitslosen in Wahrheit keine Arbeitslosen sind. Die arbeiten im Privatsektor, wo sie nicht abgesichert sind, und ich hoffe, dass wir alle hierbei zusammenwirken, damit es dort bald Gewerkschaften gibt. Hinzu kommt das Problem der regionalen Unausgeglichenheit. Südserbien lebte von der Textilindustrie, aber wegen der Sanktionen haben wir unsere Märkte verloren, die jetzt von Rumänien und Bulgarien besetzt sind. 400000 Menschen, vorwiegend Frauen, sind noch beschäftigt, bei einen Durchschnittslohn von 3 000 Dinar [ca. 50 Euro]. Der allgemeine Durchschnitt sind 9 800 Dinar [ca. 160 Euro], aber das ist ein Problem der verlorenen Märkte. Ähnlich ist es dort in anderen Branchen. In der Vojvodina liegt das Durchschnittseinkommen bei 15000 Dinar [ca. 250 Euro]. Hier haben Sie das Problem regionaler Unausgewogenheit, und das können Sie nicht lösen, indem Sie Serbien in sechs Regionen aufteilen. So etwas wird durch plan- volle Entwicklungspolitik gelöst, wofür wir Geld und Investitionen brauchen. [...] Hier im Süden ist der Staat nachhaltig gefragt, im Norden, in der Vojvodina ist es am besten, wenn er sich möglichst aus allem heraushält.
Koštunica: Die regionalen Unterschiede bedingen staatliche Interventionen, und die können sich nur in einem strengen rechtlichen Rahmen vollziehen, da alles andere zu einer chaotischen Wirtschaft führt. Wie ich schon sagte: Wir brauchen solide Institutionen und Gesetze, und genau die fehlen uns. Natürlich fehlen Investitionen, aber sie fehlen, weil es keine entsprechenden Institutionen und Gesetze gibt, die Vertrauen erwecken. Bislang haben wir Reformen ohne gesetzliche Grundlage, und das ist nicht gut. Ich weiß, dass so etwas Zeit braucht, aber Sie machen eine ganze Philosophie daraus. Sie stellen die Reformen über die Gesetze, aber Sicherheit erwächst nur aus geregelten Vorschriften. Sie reden immer davon, dass unser Parteienstreit Verwirrung bei ausländischen Investoren auslöst. So ist es nicht. Investoren schauen auf die Dinge wie auf einen Katalog: Was gibt es an Gesetzen, was fehlt noch?
Labus: In unseren Rechtsstaat wurden im Jahr 2000 150 Millionen Dollar direkte Investitionen getätigt. 2001 waren es 250 Millionen und dieses Jahr 600 Millionen. Das Ziel ist eine Milliarde im Jahr, dies ergäbe 100 000 neue Arbeitsplätze, wo wir doch jetzt schon 50 000 geschaffen haben. Ich bin mit Ihnen einverstanden, dass eine funktionierende Wirtschaft Ge- setze braucht. Aber Sie können doch nicht sagen, wir hätten bislang ohne Gesetze gearbeitet. [...] Die Bundesregierung hat 21 Reformgesetze eingebracht, für die im Bundesparlament auch Ihre Abgeordneten gestimmt haben. Auf Grund dieser Gesetze haben wir heute eine niedrige Inflation, einen stabilen Kurs des Dinar, ein gutes Banken-System und respektable Devisenreserven. Die Nationalbank hat 17 derartige Gesetze vorgelegt, die ebenfalls vom Bundesparlament mit den Stimmen Ihrer Abgeordneten angenommen wurden. Die serbische Regierung brachte es auf 81 Gesetze, und wenn Ihre Abgeordneten nicht für alle gestimmt haben, dann taten sie es doch zu Beginn. Es ist doch offenkundig, dass es eine gesetzliche Grundlage dafür gibt, was man neue Wirtschaftspolitik oder Reformpolitik nennt. Oh- ne diese geht es nicht, und im Unterschied zu Ihnen meine ich, dass wir ein wirklicher Rechtsstaat sind. Unser Problem ist, dass wir nicht alle Gesetze einbrachten, die nötig gewesen wären, hier können wir übereinstimmen. [...]
Koštunica: Was mich beunruhigt, ist der Zustand des Rechtswesens. Zu den Aufgaben des Präsidenten gehören neben der Wirtschaft auch die Staatsordnung und die Rechtspflege, vor allem diejenige im politischen Bereich. Schauen Sie sich doch nur die Gesetze zu den Wahlen an, die wir gerade haben. [...] Der Zustand ist katastrophal, aber das ist erst der Anfang. Wir haben in Serbien in den Gesetzen ein Chaos, es sind noch Gesetze aus Tito-Zeiten und von Miloševićin Kraft. [...]
Labus: Ich glaube, wir werden uns langsam einig, dass es sehr wohl Reformgesetze gibt, nicht vollkommene, aber reale. Aber was den Rechtsstaat in allen erwähnten politischen Fragen betrifft, so stimme ich Ihnen zu, dass die Wahlgesetze tatsächlich nichts taugen. Aber Sie haben Monate Zeit gehabt, hier etwas zu ändern, aber Sie taten es nicht. Ich erinnere an den Gesetzesvorschlag zur Besteuerung von Sonderprofiten. Was macht man mit Leuten, die auf Grund ihrer Privilegien Profite eingestrichen haben? Alles besteuern oder alles konfiszieren? Es gab eine Parlamentsdebatte, und die Sondersteuer wurde angenommen. Wenn sie Ihnen nicht gefällt, hätten Sie anders abstimmen sollen. Ich hätte Sie unterstützt, denn ich war für totale Konfiskation. Aber Sie sagten damals: Nein, wir wollen das Privateigentum schützen, wir wollen keinen Revanchismus, also her mit der Sondersteuer. Warum regen Sie sich jetzt auf? Ihr Finanzminister ist später vor dem Verfassungsgericht gegen das Gesetz vorgegangen. Wie kann man von politischem Streit sprechen, wenn Sie einmal dafür, dann wieder dagegen sind? [...]
Koštunica: Das Gesetz über Extra-Profite ist in der Tat strittig. Die DSS-Abgeordneten haben Teilen zugestimmt, eines getroffenen Kompromisses wegen, und das war ein Fehler. Aber wesentlich ist, dass das Gesetz gewisse Resultate erbringen sollte. Aber es hat keine er- bracht. Sie wissen, dass die Einkünfte daraus nur ein Zehntel des Möglichen waren. Das war ja kein Einzelfall. In Serbien gibt es ungezählte Probleme dieser Art, denn – wie ich sagte – der allgemeine Zustand ist katastrophal. Es hat einfach keine Rechtsreform gegeben. [...]
Labus: Ich muss Herrn Koštunica widersprechen. Die Einkünfte aus dem Gesetz über Extra-Profite waren zehn Mal höher als erwartet, 120 Millionen DM kamen ein, und die wurden bereits für soziale Zwecke ausgegeben. Das ist eine Tatsache. [...] Aber reden wir über die Kriminalität, die zahlreichen Mafias, die es bei uns gibt – die bosnische, die montenegrinische und andere. Es ist offenkundig, dass wir ein Regime beerbt haben, das reif für den Sturz war, und dass wir jetzt einen ernsthaften Kampf gegen die Mafias führen müssen. Die Frage ist jedoch, wie man das anfängt, Besorgtheit allein reicht nicht. [...] Mein Vorschlag deckte sich mit der Gesetzesnovelle zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen, bei dessen Beratung Ihre Abgeordneten das Bundesparlament verlassen haben, gemeinsam mit den Sozialisten und den Radikalen. Der Vorschlag besagte: Unsere Organe sind leider momentan unfähig, gegen die vereinte Mafia zu kämpfen. Wir wollten das wie weiland Elliot Ness in den USA anfangen: Sonderankläger, Spezialeinheiten, Kronzeugen. In Italien und in den USA hat das geklappt, also sagen Sie Ihren Abgeordneten, sie sollen bei nächster Gelegenheit für die Schaffung dieser besonderen Institutionen stimmen. Wir haben immer noch jeden Tag Morde und Verbrechen, aber die bestehenden Organe sind für eine Bekämpfung ungeeignet. [...]
Koštunica: Es gibt neue Formen der Kriminalität, ungleich gefährlicher als deren klassische Formen. Wir sind mit der Auto-Mafia und der Öl-Mafia fertig geworden, aber es gibt neue Verbrechensformen, und der Kampf gegen sie ist unmöglich ohne entsprechende Institutionen und Rechtsnormen. Die Italiener haben es uns vorgemacht, auch wenn einige Politiker dafür einen hohen Preis zahlen mussten. [...]
Themenwechsel: Internationale Beziehungen
Koštunica: Serbien hat, als föderale Einheit, keinerlei Befugnisse in außenpolitischer Hin- sicht, soll sich also nicht in Belange der Bundesregierung einmischen. Wie es später im neu- en Staatenbund Serbien-Montenegro aussieht, bleibt abzuwarten. Andererseits ist Serbien die weitaus größere Einheit im künftigen Staatenbund und wird folglich auf die Gestaltung der Außenpolitik gewichtigen Einfluss nehmen. Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren immer für eine Stärkung der europäischen Orientierung Serbiens und Jugoslawiens eingesetzt, und ich hoffe, dass dieser Trend fortgesetzt wird. Europa ist seit jeher unser angemessenes Ambiente, und uns bleibt nur noch, diese althergebrachte Zugehörigkeit zeitgemäß zu formalisieren. Jedoch damit ist die Sache nicht beendet, denn in der Welt besteht ei- ne Macht mit einem übermächtigen Einfluss, die USA. Das A und O unserer Stabilität sind gute und ausgewogene Beziehungen mit den USA. Dabei sind die Beziehungen zu unseren neuen Nachbarn sehr wichtig, und ich habe mich bemüht, bei Gipfeltreffen mit Politikern aus Kroatien und Bosnien entsprechend zu wirken, desgleichen im Verhältnis zu Mazedonien und Albanien, das mit Blick auf das Kosovo von höchster Wichtigkeit ist. Auch unsere Beziehungen zu mitteleuropäischen Ländern, Donaustaaten etc. spielen hier eine Rolle. Dazu kommen Russland und China, beide Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, und schließlich die Entwicklungsländer. Hier gibt es manche Defekte, denn beispielsweise hören wir von Russland, dass Slowenien und Kroatien an keiner Möglichkeit interessiert sind, mit der Russischen Föderation zu kooperieren. Wir brauchen also mehr allseitige Ausgewogenheit. Sie wissen, dass wir uns darüber auch daheim nicht einigen können, wenn wir beispielsweise über unsere Schulden bei Russland und China reden. Ich werde mich dafür einsetzen, dass unsere Außenpolitik ausgewogener als bisher betrieben wird.
Labus: Ziel unserer Außenpolitik ist die Integration in die Europäische Union – 2003 wollen wir einen Assoziierungs- und Stabilisierungsvertrag erreichen, 2007 Beitrittskandidat, 2010 Mitglied sein. Darüber werden wir uns gewiss nicht streiten, auch wenn Sie bezweifeln, dass wir das in diesem Tempo schaffen. Es hängt von uns ab! Was die USA betrifft, so hatte ich immer gute Kontakte dorthin und verlangte zwei Dinge: Bleibt neutral bei unseren Wahlen und lasst die Politik der Konditionierung gegenüber uns fallen. Und die USA wie auch die EU haben versichert, dass sie jeden Wahlgewinner akzeptieren werden, was ja wohl für ihre Neutralität spricht. Die USA wollen auch die Konditionierung aufgeben und uns den Status einer meistbegünstigten Nation zurückgeben. [...] Unsere Beziehungen mit den USA sind noch nicht ganz normal, aber bewegen sich in Richtung auf eine völlige Normalisierung. Russland und China – einverstanden mit Ihnen, die Beziehungen zu denen sind in der Tat höchst wichtig. [...] Natürlich müssen wir uns auch um die Entwicklungsländer kümmern, leider fehlt uns nur das Geld. Wir mussten deshalb ja bereits zahlreiche Botschaften schließen.
Koštunica: Unsere Beziehungen zu unseren Nachbarn tragen natürlich Bürden der Vergangenheit, aber wir haben schon große Schritte hin zu einer Normalisierung getan, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Darum sind ja auch die Gipfeltreffen so wichtig, weil gewisse Fragen im Dreieck Jugoslawien-Bosnien-Kroatien eben nur auf höchster Ebene gelöst werden können, z.B. die Fragen der Rückkehr der Flüchtlinge und der Rückgabe ihres Besitzes. Ich bin im Oktober 2000 erstmalig nach Bosnien gereist und habe seither eine laufende Verbesserung der Beziehungen erlebt. [...] Was unsere Schulden gegenüber Russland und China angeht, so haben wir die vom alten Regime übernommen. Mit Blick auf das Haager Tribunal müssen wir da einen Ballast übernehmen und auch dorthin ein korrektes Verhältnis aufbauen. Der Nationalrat für die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal könnte auch mehr tun. Wir müssen uns auch mit solchen Ansichten auseinander setzen, dass Milošević nur solange unser Problem war, wie er in unserem Land war, und dass uns auch die von ihm gemachten Schulden nichts angehen. Mit den Russen und Chinesen können wir das nicht machen. Sie sind Partner, die mit uns reden wollen, und wenn wir mit ihnen reden, dann müssen wir mit ihnen wie mit dem Pariser und Londoner Klub verhandeln. Anders geht es nicht, denn unser Staat ist im Spiel: Staaten bleiben – Regime wechseln!
* Einleitung, Auswahl und Übersetzung besorgte Wolf Oschlies. – D. Red.