Ausgabe August 2023

Iran und die Religion: 70 Jahre Putsch gegen Mossadegh

Mohammed Mossadegh war von 1951 bis 1953 Premierminister des Iran. Noch im Jahr seines Sturzes demonstrierten die Menschen im Iran für ihn, 1953 (IMAGO / Courtesy Everett Collection)

Bild: Mohammed Mossadegh war von 1951 bis 1953 Premierminister des Iran. Noch im Jahr seines Sturzes demonstrierten die Menschen im Iran für ihn, 1953 (IMAGO / Courtesy Everett Collection)

Vor 70 Jahren wurde Irans demokratisch legitimierter Premierminister Mohammad Mossadegh aus dem Amt geputscht. Eine Figur, die sich in mancher Hinsicht besser als historischer Bezugspunkt für die heutige Demokratiebewegung eignen würde als der Schah, dessen Herrschaft von manchen jetzt romantisiert wird.[1] Ein säkularer Politiker, auf den sich das heutige Regime nur dann bezieht, wenn es an den identitätsstiftenden Antiamerikanismus appellieren will, der wiederum ohne den Putsch von 1953 nicht zu verstehen ist. Ein Blick zurück auf dieses Ereignis – von manchen als Irans Urkatastrophe bezeichnet – lohnt sich aber auch, um zu verstehen, wie sich die Rolle der Religion in der iranischen Gesellschaft verändert hat.

Während seiner Amtszeit ab 1951 setzte Mossadegh die schon zuvor beschlossene Verstaatlichung der Erdölindustrie durch und beendete damit das fast 50 Jahre währende britische Monopol auf die Gewinnung, Förderung, Erforschung, Vermarktung und den Verkauf des iranischen Öls. Britische („Operation Boot“) und US-Geheimdienste („TPAJAX“) setzten mit Hilfe von Teilen des iranischen Militärs einen Putsch gegen ihn in Gang. Am 17. August 1953 kam es zu Straßenschlachten vor Mossadeghs Haus, wenige Tage später wurde er festgenommen und vor ein Militärtribunal gestellt.

Demokratischer Aufbruch

Das formal unabhängige Land war schon lange Spielball der Großmächte. Im Zweiten Weltkrieg besetzen dann britische und sowjetische Truppen das Land. Um den persischen Herrscher Reza Schah loszuwerden, der ihnen als zu deutschlandfreundlich gilt, heben die Besatzungsmächte 1941 den 21 Jahre alten Kronprinzen Mohammad Reza auf den Thron. Mit ihm setzt zunächst eine gewisse Liberalisierung ein: Die Presse blüht auf, Gewerkschaften werden gegründet, politische Gefangene freigelassen. Es kommt sogar zur Gründung einer kommunistischen Partei, der Tudeh-Partei. Abgeordnete nutzen die sich erstmals bietende Möglichkeit zur politischen Teilhabe. Die seit 1907 gültige Verfassung, die das Land zur konstitutionellen Monarchie mit weitgehenden demokratischen Rechten erklärt, scheint sich mit Leben zu füllen. Allerdings ist Iran in den 1940er Jahren von Instabilität und zahlreichen Regierungswechseln geprägt. Denn der neue Schah, Mohammad Reza Pahlavi, zugleich Oberbefehlshaber der Armee, sabotiert jeden stark erscheinenden Ministerpräsidenten, um die Machtfülle seines Vaters zu erreichen. Im Ausland erscheint er so als der einzige stabile Pol im politischen System des Landes.

Für die iranische Regierung hat es oberste Priorität, das Vereinigte Königreich und die Sowjetunion auf einen Abzug bei Kriegsende zu verpflichten. Dazu bemüht man sich, die USA als weiteren Player ins Boot zu holen. Die Amerikaner erscheinen als der ideale Partner, denn sie haben keine koloniale Vergangenheit in Iran. Zwar kann die iranische Regierung die USA nicht zur Verurteilung der völkerrechtswidrigen Besatzung bewegen, aber Washington kommt der Bitte um Hilfe bei der Modernisierung des Landes nach. Iran braucht vor allem Fachleute, es kommen jedoch auch Zehntausende amerikanische Soldaten ins Land, unter anderem, um den Betrieb des südlichen Teils der Eisenbahnlinie, der Transitstrecke zur Sowjetunion, zu übernehmen. Zwischen den „alteingesessenen“ Ausländern, den Briten, und den neu Hinzukommenden gibt es immer häufiger Spannungen, insbesondere ab 1944, als nicht nur britische, sondern auch US-Firmen sich für Ölvorkommen im Norden Irans zu interessieren beginnen. Die Sowjetunion macht ebenfalls Forderungen geltend, diese Vorkommen auszubeuten. Hier hat Mohammad Mossadegh nun seinen ersten großen Auftritt: Als Abgeordneter bringt er einen Gesetzentwurf ein, der die Erteilung von Ölkonzessionen in Kriegszeiten untersagt. Das Gesetz wird im Dezember 1944 verabschiedet.

Als der Zweite Weltkrieg vorbei ist, beauftragt das iranische Parlament 1947 die Regierung, Verhandlungen mit der britischen Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) aufzunehmen. Iran ist nicht an der Gesellschaft beteiligt, welche die Ölvorkommen ausbeutet; ihm fließen lediglich zehn Prozent der Konzessionsabgaben und 16 Prozent der Gewinne zu. Das neu ausgehandelte Abkommen erhöht zwar den Ertragsanteil, bleibt aber unter den iranischen Vorstellungen. Auch die anderen iranischen Forderungen werden nicht berücksichtigt – die AIOC stellt sich so lange stur, bis Teheran schließlich komplett einlenkt. In der iranischen Öffentlichkeit wird das Abkommen mit großer Empörung aufgenommen. Man sieht darin einen Ausverkauf des Landes an Großbritannien und fühlt sich an das 19. Jahrhundert erinnert, als der damalige Schah dem britischen Major Gerald F. Talbot das Tabakmonopol überließ. Einige Abgeordnete verhindern daraufhin durch endlose Reden die Ratifizierung im Parlament, das kurz vor dem Ende der Legislaturperiode steht. Bis zur nächsten Legislaturperiode bleibt die öffentliche Stimmung so aufgeheizt, dass die Regierung es nicht wagt, dem Parlament das Gesetz erneut zur Ratifizierung vorzulegen.

Erst 1950 gelingt es dem Schah, General Ali Razmara als Ministerpräsidenten durchzusetzen. Da dieser als stark gilt, erwarteten die Briten, dass er es schaffen wird, das Parlament zur Ratifizierung des Ölabkommens zu bewegen. Doch selbst Razmara traut sich nicht, das Abkommen dem Parlament zu präsentieren, und bemüht sich um Zugeständnisse seitens der AIOC.

Nationale Front mit Klerus

Gleichzeitig organisieren sich die Gegner eines Arrangements mit den Briten: Im Vorfeld eines USA-Besuches des Schahs und der bevorstehenden Parlamentswahl flüchtet sich eine Gruppe Politiker, unter ihnen Mossadegh, in einen Schrein, um gegen die erwartete Wahlfälschung zu protestieren. Dort genießt sie Asyl und ist für die Staatsmacht unantastbar. Aus dieser Protestgruppe entsteht die sogenannte Nationale Front, ein Bündnis verschiedene Oppositionsgruppen, angeführt von Mossadegh. Er profitiert dabei von seinem Ruf als furchtloser und – was selten genug ist – unbestechlicher Politiker. Erklärte Ziele des Bündnisses sind zunächst freie Wahlen und dann die Verstaatlichung der Ölindustrie. Zweitwichtigster Mann der Nationalen Front ist Ayatollah Abol-Qasem Kaschani, der als hochrangiger Mullah die Bewegung vor dem gefährlichen Vorwurf der Gottlosigkeit bewahrt und imstande ist, die religiösen Massen zu mobilisieren. Einigendes Band der Nationalen Front ist jedoch im Grunde ihre Haltung in der Ölfrage.

Nach einem tödlichen Attentat auf Ministerpräsident Ali Razmara wird schließlich Mossadegh vom Schah zum Premierminister ernannt und später vom neu gewählten Parlament im Amt bestätigt. Seine Regierungszeit ist von Anfang an vom anhaltenden Konflikt mit der AIOC und Großbritannien geprägt. Seine Partei, die Nationale Front, hat zwar keine Mehrheit im Parlament, sie profitiert aber davon, dass auch ihre politischen Gegner von der öffentlichen Stimmung beeindruckt sind. Die Bevölkerung steht mit überwältigender Mehrheit hinter der Verstaatlichung, wie auch der damalige ARD-Korrespondent Horst Scharfenberg berichtet: „Liebe Hörer, vor einer halben Stunde, als ich zum Studio von Radio Teheran fuhr, kam ich an einer großen Menschenmenge vorbei, die rund um ein mächtiges Bürogebäude die Straßen verstopfte und allen Verkehr lahmlegte. Es war das Gebäude der britischen Ölgesellschaft, der Anglo-Iranian Oil Company. Und auf seinem Dach waren etwa ein Dutzend Männer damit beschäftigt, mit kräftigen Hammerschlägen das riesige Firmenschild der Gesellschaft zu demontieren, um an seiner Stelle die neue Firmenbezeichnung der nationalisierten Gesellschaft, nationale Petroleumgesellschaft Irans, zu setzen. Jedes Mal, wenn eine der blechernen Lettern mit großem Getöse zu Boden fiel, ging eine Welle der Begeisterung durch die Menge, ein Jubelschrei, ein Händeklatschen. Man feierte in diesem symbolischen Akt gewissermaßen das Wahrzeichen für den Beginn einer neuen Ära persischer Geschichte.“[2]

London reagiert empört. Obwohl die Briten immer betont haben, dass Downing Street nicht zuständig sei, da die AIOC ein Privatunternehmen ist, wird der Konflikt nun auf Regierungsebene gehoben. Zudem wird umgehend eine militärische Besetzung der Ölfördergebiete vorbereitet. Die USA verhindern diese jedoch. In den Vereinigten Staaten gibt es durchaus Sympathie für die iranische Position im Ölstreit – das Magazin „Time“ wählt Mossadegh 1951 gar zum „Mann des Jahres“. Das Veto der USA ist für die Briten eine tiefe Demütigung. Die Verstaatlichung trifft Großbritannien zunächst wirtschaftlich, was die britische Regierung jedoch einigermaßen kompensieren kann. Nicht zu kompensieren ist jedoch der Statusverlust: Vor dem Zweiten Weltkrieg war Großbritannien noch eines der mächtigsten Länder der Welt. Danach ist es, obwohl Siegermacht, nur noch ein Schatten seiner selbst und finanziell auf US-Hilfe angewiesen. Den USA und deren Engagement im Koreakrieg verdanken es die Briten auch, dass sie sich in Iran weiterhin als Großmacht gebärden dürfen. Zu Beginn des Kalten Krieges überlässt Washington ihnen die Verteidigung Irans gegen die Sowjetunion. Dass sie der Juniorpartner ihrer ehemaligen Kolonie Amerika sind, ist unangenehm genug –, dass aber ein „Kolonialvolk“ wie die Iraner es wagt, eine gleichberechtigte Position zu beanspruchen, will die britische Regierung nicht zulassen.

In London befürchtet man, ein Erfolg Irans werde eine fatale Signalwirkung für andere Länder haben, und beginnt einen Propagandakrieg, in dem Mossadegh als nicht zurechnungsfähiger Fanatiker dargestellt wird. In regierungsnahen Medien werden skurrile Angewohnheiten des iranischen Premiers in den Vordergrund gerückt, mit denen er westliche Gesprächspartner mitunter irritiert. Diplomatisches Protokoll gilt ihm nichts, ausländische Botschafter empfängt er bisweilen an seinem Bett. Doch gerade wegen seines selbstsicheren, fast schon herablassenden Umgangs mit den Mächtigen der Welt wird er für viele Iraner zu einer Identifikationsfigur.

Den USA kommt in dem Ölkonflikt die entscheidende Rolle zu. Militärisch im Koreakrieg gebunden, befürchtet man in Washington, dass Moskau versuchen könnte, seinen Machtbereich in Iran auszudehnen. Angefacht durch den republikanischen Senator Joseph McCarthy, erreicht in den USA die Furcht vor dem Sozialismus in den frühen 1950er Jahren ungekannte Ausmaße und führt zu einer Hatz auf alles, was als links wahrgenommen wird. Dies bestimmt auch die US-Außenpolitik maßgeblich. In Iran lehnt die kommunistische Tudeh-Partei die Mossadegh-Regierung im Grunde zwar ab, kooperiert aber im Konflikt mit den Briten mit ihr. Die Opposition genießt unter Mossadegh relativ große Freiheit, inklusive der Tudeh – was für Washington einem Flirt mit dem Kommunismus gleichkommt. Als Mossadegh tatsächlich mit einer Annäherung an Moskau droht, löst dieser Bluff in Washington Alarmstimmung aus. Dabei hegen Teile der US-Administration unter Präsident Harry S. Truman angesichts des arroganten kolonialen Auftretens der Briten durchaus Sympathie für Iran. So wird die angestrebte Verstaatlichung begrüßt, allerdings solle die AIOC entschädigt werden.

Zugleich versucht das Vereinigte Königreich, Iran durch Anrufung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag und des UN-Sicherheitsrates in die Knie zu zwingen – scheitert aber vor beiden. Der Internationale Gerichtshof entscheidet im Juli 1952, dass der Vertrag zwischen Iran und der AIOC keine Angelegenheit für die britische Regierung sei und Iran deshalb das Recht zur Verstaatlichung habe. Doch die Briten möchten so rasch nicht aufgeben, schließlich geht es nicht nur um Iran: Das Vereinigte Königreich beutet vier Fünftel aller Erdölvorkommen am Persischen Golf aus, Iran ist damals der viertgrößte Öllieferant der Welt, 90 Prozent des in Europa verbrauchten Öls kommen von dort. London befürchtet, andere Staaten könnten es Iran gleichtun – eine Befürchtung, die Washington mit Blick auf eigene Beziehungen zu anderen ölfördernden Ländern der Region durchaus teilt.

Das britische Kabinett verhängt Wirtschaftssanktionen gegen Iran, die Ölgesellschaft zieht ihre Ingenieure und Fachleute ab, und britische Kriegsschiffe errichten eine Seeblockade im Persischen Golf, damit ausländische Tanker – eigene Tankschiffe besitzt Iran nicht – kein iranisches Öl mehr exportieren können. Man will die Iraner ausbluten lassen. Die aber stehen so sehr hinter Mossadegh und der Nationalisierung des Erdöls, dass sie dem Staat Geld leihen. Mossadegh gibt Staatsanleihen aus, und die Menschen verkaufen ihren Schmuck und ihre Goldmünzen, die nationale Reservewährung, um sie erwerben zu können. Meine Großmutter erzählte immer stolz, wie sie alle das nationale Projekt unterstützten. Mit Freude habe sie ihren Schmuck hergegeben: „Damit unser Öl uns gehört, für unsere Unabhängigkeit.“

Der Schwenk der USA

Zwischen 1951 und 1953 beschäftigt kaum ein anderes Ereignis die Welt mehr als der britisch-iranische Konflikt. Ein „Volksführer“ der „Dritten Welt“ fordert eine Weltmacht heraus. Die Blockade trifft Iran empfindlich. Mehrere Verhandlungsmissionen bemühen sich vergeblich um eine Einigung. Im Juli 1952 spitzt sich auch der Konflikt zwischen dem Schah und Mossadegh über die Kontrolle der Armee zu. Als Regierungschef will Mossadegh, dass die Armee ihm und nicht dem Schah untersteht. Der jedoch weigert sich, seine Machtbefugnisse abzugeben. Am 16. Juli 1952 tritt Mossadegh demonstrativ zurück, und sein Kalkül geht auf: Mobilisiert sowohl von den Kommunisten als auch von Klerikern um den Ajatollah Abol-Ghasem Kaschani geht das Volk auf die Straße, skandiert „Tod oder Mossadegh“. Gezwungenermaßen bittet der Schah Mossadegh, sein Amt wieder zu übernehmen. Doch nun bröckelt die Nationale Front. Insbesondere mit Ayatollah Kaschani kommt es zum Konflikt, der nun ebenfalls auf den Sturz Mossadeghs hinarbeitet. Im Oktober bricht Iran die diplomatischen Beziehungen zum Vereinigten Königreich ab, womit 150 Jahre britischer Dominanz enden. Allerdings fällt in den Herbst 1952 auch der Anfang vom Ende der Ära Mossadegh, denn im November wird Dwight D. Eisenhower zum US-Präsidenten gewählt – und dieser gibt kurz nach seinem Amtsantritt grünes Licht zu dessen Sturz.

Die Planung übernehmen der MI6 und die CIA, der britische und der US-Auslandsgeheimdienst. Man entscheidet sich für einen Putsch, an dessen Spitze General Fazlollah Zahedi stehen soll, der schon mehrfach versucht hat, Mossadegh zu stürzen. Am 19. Juli 1953 reist der CIA-Agent Kermit Roosevelt unter falschem Namen nach Iran. Nach langem Hin und Her gelingt es ihm, den zaudernden Schah zur Teilnahme am Putsch zu bewegen. Die vom Schah unterzeichnete Entlassungsurkunde wird Mossadegh am 15. August von Oberst Nematollah Nassiri überbracht. Mossadegh aber lässt Nassiri verhaften und erklärt am folgenden Morgen im Rundfunk, dass ein Staatsstreich abgewehrt worden sei. Der Schah flieht daraufhin aus dem Land, General Zahedi verbringt die nächsten Tage in einem Versteck der CIA.

Die darauffolgenden Ereignisse können auch Historikerinnen und Historiker noch immer nicht überzeugend erklären. Denn obwohl ihm klar gewesen sein muss, dass ein Putsch bevorsteht, schreitet Mossadegh nicht zur Gegenwehr, sondern lässt den Dingen ihren Lauf: Am 17. August findet eine Demonstration gegen den Schah statt; ursprünglich von CIA-Provokateuren begonnen, schließen sich ihr später echte Tudeh-Anhänger an. Ziel dieser CIA-Inszenierung ist es, den Eindruck zu erwecken, ein kommunistischer Umsturz stünde bevor. So will man die Bevölkerung zur Verteidigung der Monarchie mobilisieren. Tags darauf organisiert Kaschani den Marsch eines bezahlten Mobs gegen Mossadegh, dem sich Soldaten und Teile der Bevölkerung anschließen. Am 19. August stürmt General Zahedi für den Schah schließlich das Haus Mossadeghs, der in der Folge festgenommen wird.

Auch wenn die iranischen Akteure wie Kaschani oder Zahedi ihre eigene Agenda verfolgten, wäre der Putsch ohne US-Orchestrierung kaum möglich gewesen. Er bringt den Schah, der bereits vor Mossadegh nach Rom geflüchtet war, zurück an die Macht. Der inszenierte Aufstand wird uminterpretiert in einen spontanen Ausdruck des Willens des Volkes, das sich hinter den Monarchen gestellt habe. General Zahedi wird Ministerpräsident und regiert mit Kriegsrecht sowie umfangreicher finanzieller Unterstützung der USA. Die vordringliche Aufgabe seiner Regierung ist die Beilegung des Konfliktes mit der AIOC. Die Briten erwarten, dass die Iraner nun endlich alle ihre Forderungen erfüllen. Doch auch Zahedi weiß, dass dies politischer Selbstmord wäre, weil die Haltung der iranischen Öffentlichkeit in der Ölfrage unverändert ist. Um die Lage zu stabilisieren, machen die USA nun ihren Einfluss auf die Briten geltend. Gemeinsam wird ein internationales Konsortium gebildet, an dem die AIOC 40 Prozent der Anteile hält. Mossadegh wird derweil wegen versuchter Rebellion der Prozess gemacht. Er kommt für Jahre ins Gefängnis und steht anschließend bis zu seinem Tod 1967 unter Hausarrest.

Die Menschen in Iran verehren ihn jedoch bis heute als Märtyrer: Er ist zu einem Mythos geworden, nicht zuletzt, weil die Parteinahme für das wehrlose Opfer in der schiitischen Tradition eine zentrale Tugend ist. Mossadegh wusste das. Als die Militärs ihn abführten, soll ein Vertrauter zu ihm gesagt haben: „So schlecht ist alles gelaufen, so schlecht.“ Woraufhin Mossadegh lächelnd erwidert habe: „Und doch ist es so gut gelaufen – wirklich gut.“[3] 

In Iran folgte auf den Putsch die Etablierung der Schah-Diktatur: Während seines kurzen Exils 1953 hatte der Schah begriffen, dass das Volk bzw. ein vom Volk gestützter Ministerpräsident ihm gefährlich werden konnte. So riss er in der Folge immer mehr Macht an sich und hebelte die Verfassung peu à peu aus. In einem ersten Akt verbot er die Nationale Front, als nächstes gründete er 1957 mit Hilfe der USA den SAVAK, einen Geheimdienst, der unter seiner Herrschaft zum Inbegriff von Terror und Repression werden sollte. Ab den frühen 1960er Jahren begann das Schah-Regime dann, jegliche politische Opposition mundtot zu machen, womit es die Unzufriedenen immer stärker in die Arme Ayatollah Ruhollah Khomeinis trieb, der 1979 die Islamische Revolution anführte und der Monarchie in Iran ein Ende bereitete. Zwei Jahre zuvor, im November 1977, war der Schah noch in die USA gereist und von US-Präsident Jimmy Carter ausdrücklich gelobt worden: „Iran ist dank der großartigen Staatsführung des Schahs eine Insel der Stabilität in einer der problemreichsten Regionen der Welt.“[4] Doch mit der Stabilität war es nicht weit her – und mit der Gründung der Islamischen Republik als schiitischer Gottesstaat kam das Land vom Regen in die Traufe.

Im Geschichtsverständnis vieler Iraner kamen sie von einer Diktatur zur nächsten, weil westliche Mächte den einzig jemals demokratisch legitimierten Ministerpräsidenten Irans weggeputscht hatten, nachdem er tat, was alle Iraner wollten. Für die Mullahs dagegen ist Mossadegh, der antiklerikal eingestellte Aristokrat und im Westen ausgebildete Anwalt, wegen seiner Herkunft und Haltung eigentlich Persona non grata. Nur wenn sie das Narrativ vom bösen Onkel Sam bemühen wollen, der Iran sein verbrieftes Recht verweigert, ziehen sie ihn aus dem Zauberkasten.

Die Islamische Revolution reißt die islamischen Wurzeln aus

Seit der Revolution von 1978/79 gilt Iran der US-Regierung als Bedrohung, George W. Bush reihte das Land ein in seine Achse des Bösen. Iraner erschienen im Fernsehen lange vor allem als Kalaschnikows schwenkende Islamisten, die ein Stirnband tragen, auf dem „Allahu akbar“ steht, und „Nieder mit Amerika“ schreien. Seriösen Beobachtern gilt Iran jedoch schon längst als postislamistisch und ausgesprochen ideologiefrei. Die meisten Menschen können mit dem islamistischen Regime und seinen für die fortwährende Revolution identitätsstiftenden antiamerikanischen und antiisraelischen Parolen nur noch wenig anfangen – und oft nicht einmal mehr mit der Religion.

Ja, Iran war einst ein sehr religiöses Land. Doch schon Reza Pahlavi, der Vater des letzten Schahs, hatte in Kemal Atatürk ein Vorbild gesehen: Wie der türkische Präsident, der um jeden Preis den gesellschaftlichen Fortschritt beschleunigen wollte, unternahm Reza Pahlavi nicht nur Anstrengungen zur Hebung des Bildungsniveaus und zur Besserstellung der Frauen, sondern betrieb auch autoritär und rigide Kahlschlag unter den Traditionen – seinem Vorbild Atatürk gleich und sogar noch extremer: Er verbot das Kopftuch vollständig, überall – um nur das prägnanteste Beispiel für seine religionsfeindliche Politik zu nennen –, und meinte, Iran auf diese Weise zu einer modernen Nation zu machen. Diesen Kurs zog er unerbittlich durch: Er betrat mit Reitstiefeln den Schrein von Qom und peitschte den Mullah, der der Schah-Gattin ohne Kopftuch den Zutritt verweigert hatte.

Unter Rezas Sohn, Mohammad Reza Pahlavi, folgten auf den Putsch gegen Mossadegh Jahre, in denen Oppositionelle sich nur heimlich treffen konnten. Man traf sich zum Gebet – aber dort, wo man betete, in den Moscheen, wurde die Revolution vorbereitet. Aus dieser Zeit stammt der Begriff von den Geistlichen als posht-o-panah-e mardom, als Rückhalt und Zuflucht des Volkes. Die Form von Religiosität, in die man sich flüchtete, war sehr politisch. Was man beim Gebet hörte, war Khomeini, der, körperlich fern, aber über Kassetten präsent, den Schah angriff, den Handlager der imperialistischen US-Politik.

Die Revolution lief bekanntlich anders, als von den meisten erhofft, und gilt als die Widerlegung der Säkularisierungsthese[5]: Diese besagt, dass die Religion in naher Zukunft aus dem öffentlichen Raum verschwände. So prognostizierte es der amerikanische Religionssoziologe Charles Wright Mills 1959 in seinem Buch „Sociological Imagination“. Wissenschaft und Journalismus folgten ihm in dieser Analyse. Es wurde fortan, in den 1960er und 1970er Jahren, zum Gemeinplatz soziologischer Forschung, dass die Religion überall auf der Welt im öffentlichen Raum an Bedeutung verliert. Doch dann folgte die Erfahrung der Revolution in Iran sowie der religiösen Erweckungsbewegungen in Lateinamerika. Daraufhin leiteten Rodney Stark und Roger Finke im Jahre 2000 eine Kehrtwende ein, als sie in ihrem Buch „Acts of faith“ erklärten, nach beinahe drei Jahrzehnten von Fehleinschätzungen sei es nun an der Zeit, die Säkularisierungsthese zu begraben. Als Beleg hierfür wurde meist an allererster Stelle Iran genannt.

Doch heute scheint ausgerechnet Iran der Säkularisierungsthese recht zu geben. Iran ist vergleichenden Umfragen zufolge das mit Abstand säkularisierteste Land im Nahen und Mittleren Osten. Iran ist postislamistisch, wie Forschungen zum Beispiel von Asef Bayat zeigen. Man will dort aber nicht nur keine Einmischung der Religion in die Politik, sondern ist generell eslamzade – vom Islam geschlagen, in Analogie zum einstigen Neologismus gharb-zade (vom Westen geschlagen sein).

Irans größter Philosoph, Abdolkarim Soroush, sagte einmal: Der Islam war im Volk so tief verwurzelt, dass nur eine Islamische Revolution diese Wurzeln ausreißen konnte. Soroush hat recht: Die Bevölkerung war so religiös, dass auch Mossadegh nur im Bündnis mit Klerikern regieren und schließlich auch nur im Bündnis mit ihnen gestürzt werden konnte. Aber über vierzig Jahre real existierender Islamismus haben dies geändert. Mittlerweile ist die Mehrheit der Menschen nicht mehr religiös. Zudem hat der Iran einen hohen Bildungsstandard und ist ein sehr urbanes Land. 74 Prozent der Bevölkerung leben in Städten und haben dort Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln, auch an der Zensur vorbei. Auch deshalb hat der Iran heute ein größeres Potenzial, die erste säkulare Demokratie des Nahen und Mittleren Ostens zu werden, als zu Mossadeghs Zeiten. Jetzt kommt es darauf an, dass der seit September 2022 anhaltende Aufstand nicht wieder scheitert.

[1] Katajun Amirpur, Die Sehnsucht nach dem Schah, in: „Blätter“, 5/2023, S. 57-64.

[2] Zit. nach Katajun Amirpur und Reinhard Witzke, Schauplatz Iran. Ein Report, Freiburg/Br. 2004, S. 52.

[3] Roy Mottahedeh, Der Mantel des Propheten, München 1988, S. 119.

[4] Jimmy Carter Toasts the Shah, 31.12.1977, www.bunkhistory.org.

[5] Vgl. auch: Katajun Armirpur, Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat, München 2023.

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