
Bild: Milan Kundera, Der entführte Westen. Die Tragödie Mitteleuropas, Kampa Verlag
Nicht erst seit der russischen Invasion der Ukraine blicken viele Menschen in Zentraleuropa mit Besorgnis nach Moskau. Doch der Gewaltherrscher im Kreml ist nur ein weiterer Protagonist, der vor dem Hintergrund einer deutlich älteren, großen historischen Lage agiert, die das Leben und Sterben in der Region bestimmt. Nachlesen kann man dies nicht zuletzt bei Milan Kundera: In seinen Romanen wie zum Beispiel „Das Buch vom Lachen und Vergessen“ umkreist der im vergangenen Sommer 94-jährig verstorbene Schriftsteller diese wiederkehrende Situation, die sich seit dem 2014 begonnenen und 2022 extrem ausgeweiteten Krieg um die Ukraine aktualisiert hat. Kundera näherte sich dem Problem aber auch in Essays, so schon 1967 in seiner Rede „Die Literatur und die kleinen Nationen“ und im international berühmten Text „Der entführte Westen“, den er 1983 im französischen Exil publizierte. Eingeführt von den Historikern Jacques Rupnik und Pierre Nora, sind beide Beiträge nun als Buch erstmals in deutscher Sprache erschienen. Bislang gab es „Der entführte Westen“ auf Deutsch nur in der kleinen linken Zeitschrift „Kommune“ – ein Symptom für die deutsche Fixierung auf die Sowjetunion bzw. Russland.
Mit historischer Tiefenschärfe stellt der tschechisch-französische Klassiker die Lage der kleinen Nationen zwischen Russland und Deutschland dar.