Ausgabe November 2023

Für ein Verbot der AfD – zum Schutz der Demokratie

Symbolbild: AfD-Logo und Justitia, 10.3.2021 (IMAGO / Steinach)

Bild: Symbolbild: AfD-Logo und Justitia, 10.3.2021 (IMAGO / Steinach)

In der September-Ausgabe plädierte »Blätter«-Redakteur Albrecht von Lucke gegen ein Verbot der AfD. Die gegenteilige Ansicht vertritt der Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz

Parteiverbote sind historisch erfahrungsgesättigter Ausdruck eines Misstrauens in die Fähigkeit demokratischer Willensbildung, eine auf gleicher Freiheit aller gründende Ordnung dauerhaft zu erhalten. Sie sind daher ambivalent. Demokratie ist notwendig voluntaristisch und relativistisch,[1] weil sie die Findung kontingenten Gemeinwohls der politischen Auseinandersetzung anvertraut. Verbotsverfahren sind hingegen institutionalisierte Vorsicht, weil nicht garantiert ist, dass politischer Diskurs notwendig Ergebnisse erzeugt, die mit den liberalen und egalitären Mindestbedingungen des demokratischen Rechtsstaats kompatibel sind. Albrecht von Lucke hat hier kürzlich – anlässlich der Debatten über ein AfD-Verbot – die liberal-relativistische Position zu Parteiverboten hochgehalten.[2]

Erstens würden nach Umfragewerten von um die 20 Prozent für die AfD weiterhin 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme für Parteien abgeben, die nicht verfassungsfeindlich seien. Daher bestehe kein Grund, in Panik zu verfallen. Zweitens würde die Demokratie geschwächt, wenn man den 20 Prozent, die sich vorstellen könnten, der AfD ihre Stimme zu geben, Möglichkeiten zur wirksamen politischen Artikulation entzöge. Beides überzeugt nicht.

Parteiverbote sind Instrumente des präventiven Verfassungsschutzes. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich aus historischen Vulnerabilitätserfahrungen gegen einen radikalen demokratischen Relativismus und für Instrumente des aktiven Verfassungsschutzes entschieden. Ein Parteiverbot (Artikel 21 Abs. 2-4 GG) ist einerseits nicht notwendig, solange eine Partei keine reale Chance auf Machtbeteiligung hat, weil sie politisch bedeutungslos bleibt. Verbote von Kleinstparteien wären Missbrauch von Staatsgewalt zu edukativen Zwecken, zur symbolischen Selbstvergewisserung, die man gar nicht benötigt. Andererseits greifen Parteiverbote zu spät, wenn eine Partei erst einmal reale Zugriffschancen auf politische Macht hat. Das müssen nicht unbedingt eigene absolute Mehrheiten sein, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ohnehin Ausnahmeerscheinungen blieben. Auch politische Blockademacht kann systemgefährdend sein, wenn rechnerische Mehrheiten gegen eine extremistische Partei politisch immer heterogener werden müssen und dann durch faktische Handlungsunfähigkeit sowie innere Zerrüttung gerade den Stoff liefern, der Systemunzufriedenheit den Nährboden bereitet. Je größer der Wahlerfolg, umso einschneidender ist zudem der Eingriff in die demokratische Willensbildung, wenn nicht nur Wahloptionen entzogen, sondern bereits errungene Mandate Makulatur werden. Es ist ein Balanceakt, den richtigen Zeitpunkt für einen möglichen Verbotsantrag zu finden. Dass die gegenwärtigen Umfragen noch keine Alarmsignale sein sollen, ist irritierend weltfremd, zumal die AfD auf Landesebene gerade dort dabei ist, sich als starke Kraft zu etablieren, wo sie am radikalsten und offen verfassungsfeindlich agiert.

»Parteiverbote sichern nicht nur den demokratischen Prozess, sondern auch die Rechte der Einzelnen auf Würde, Freiheit und Gleichheit.«

Die Demokratie wird gewiss gestärkt, wenn die Wählerinnen und Wähler extremistische Gegenangebote durch Stimmabgabe zurückweisen, sich also aktiv gegen verfassungsfeindliche Positionen entscheiden. Das Parteiverbot betrifft jedoch den pathologischen Fall, bei dem die voluntaristischen Mechanismen der demokratischen Willensbildung dabei versagen, Extremismus an der Wahlurne kleinzuhalten. Verfassungsrechtliche Instrumente der wehrhaften Demokratie haben insoweit einen realistischen Blick auf die Menschen, die eben mit ihrer Wahlentscheidung aus sehr heterogenen Gründen – etwa Ideologie, Ressentiment, Frustration über das praktische Funktionieren politischer Institutionen, antiautoritäre Rebellion gegen das „Establishment“ oder (nicht notwendig rationale) Verlustängste – selbst ein unvermeidbares Risiko des demokratischen Prozesses bleiben.

Parteiverbote schützen nicht allein den Prozess der demokratischen Willensbildung. Dieser wäre erst gefährdet, wenn eine politische Kraft potentielle Mehrheiten absehbar dazu nutzen möchte, die demokratischen Mechanismen, Mehrheiten auch wieder zu verlieren, gezielt auszuschalten. Es dürfte schwerfallen, der AfD insoweit eine antidemokratische Agenda nachzuweisen, obgleich ein Szenario nach ungarischem Drehbuch nicht fernliegt. Die freiheitliche demokratische Grundordnung schützt auch den Rechtsstaat und die in diesem verbürgten Versprechen von Freiheit und Gleichheit der Einzelnen. Parteiverbote sichern daher nicht ausschließlich den demokratischen Prozess, sondern schützen auch die Rechte der Menschen, die unter einer gemeinsamen Herrschaftsordnung leben müssen und deren Ansprüche auf Würde, Freiheit und Gleichheit gerade demokratischen Mehrheiten entgegengehalten werden können.[3] Es geht also, anders gewendet, nicht nur darum, ob eine Partei das demokratische Verfahren torpedieren will, sondern auch darum, was mit fiktiven demokratischen Mehrheiten inhaltlich angestrebt wird.

Ausgangspunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie Bezugspunkt des Demokratiemodells des Grundgesetzes ist – wie das Bundesverfassungsgericht herauspräpariert hat[4] – die Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG). Demokratie als kollektive Selbstbestimmung und – durch Grundrechte differenziert sowie veränderbar gesicherte – individuelle Selbstbestimmung haben insoweit einen gemeinsamen verfassungstheoretischen Bezugspunkt, an den das positive Verfassungsrecht anschließt. Dieses Demokratiemodell ist aber notwendig differenzierter und anspruchsvoller als ein formales Mehrheitsprinzip mit politischer Meinungsfreiheit. Die Garantie der Menschenwürde umfasst die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.[5] Eine politische Partei, deren Agenda darauf ausgerichtet ist, jedenfalls für Teile der Bevölkerung diese – einer Verfassungsänderung entzogenen (Artikel 79 Abs. 3 GG) – Prämissen außer Kraft zu setzen, ist verfassungsfeindlich. Ein Verbot dient dann auch dem Schutz der Würde derjenigen Menschen, gegen die sich die ausgrenzende oder entrechtende Agenda einer Partei richtet. Mit einem Parteiverbotsantrag nehmen daher die zuständigen Verfassungsorgane eine Schutzverantwortung wahr, die aller öffentlichen Gewalt aufgegeben ist (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Einleitung eines Verbotsverfahrens steht zwar im politischen Ermessen.[6] Die Ermessensausübung hat aber die Konsequenzen für diejenigen Menschengruppen in den Blick zu nehmen, die die (ersten) Opfer eines demokratischen Umsturzes wären.

»Ein fundamentaler Angriff auf die Menschenwürde liegt in dem Willen, die Rechtsgleichheit aller Bürgerinnen und Bürger zu beseitigen.«

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind nach Artikel 21 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Über die Verfassungswidrigkeit entscheidet nach Artikel 21 Abs. 4 GG das Bundesverfassungsgericht. Die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hatte das Gericht bereits in seiner Entscheidung zur Sozialistischen Reichspartei 1952 auf einen materialen Begriff gebracht: Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft, eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes durch Mehrheit, Freiheit und Gleichheit, was die Achtung vor den Menschenrechten, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte und das chancengleiche Mehrparteienprinzip einschließt.[7] Dies enthielt bereits – in Abkehr von identitären Homogenitätsvorstellungen – ein modernes, pluralistisches Demokratiekonzept.[8] In seiner NPD-Entscheidung hat das BVerfG dies 2017 explizit an die Menschenwürde rückgebunden.[9] Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung reicht für die Anordnung eines Parteiverbots allein nicht aus. Die Partei muss die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstreben, was ein aktives und planvolles[10] Vorgehen voraussetzt.[11]

Ein fundamentaler Angriff auf die Menschenwürde liegt in dem Willen, die elementare Rechtsgleichheit und die demokratische Egalität aller Bürgerinnen und Bürger zu beseitigen. Darin liegt aber die Essenz eines völkischen Volksverständnisses, das für Teile der AfD schon lange gut dokumentiert ist und zum Kern der politischen Agenda zählt. Die formale Staatsangehörigkeit sichert allen Bürgerinnen und Bürgern egalitäre demokratische Teilhabe bei der Fortschreibung der gemeinsamen politischen Ordnung. Demokratische Egalität ist unabhängig von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeitskonstruktion oder dem Pfad des Staatsangehörigkeitserwerbs garantiert. Ein völkisches Denken, das Mitgliedschaft und die hieran anknüpfenden Teilhaberechte zwischen vermeintlich „echten“ Deutschen und „Passdeutschen“ spalten will, greift unmittelbar das Fundament des verfassungsrechtlichen Würde- und Demokratiekonzepts an. Das gilt im Übrigen auch für andere Positionen, die Menschen identitär auf Gruppenmitgliedschaft reduzieren.

Nun integriert auch die AfD heterogene Strömungen und Landesverbände. Nicht allen wird man derzeit eine planvolle verfassungsfeindliche Agenda nachweisen können. Oftmals ist das Verhältnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung schillernd ambivalent, zumal sich auf ebendiese auch die AfD beruft, wo es nutzt. Es gibt aber Landesverbände, die faktisch die ideologische Nachfolge der NPD angetreten haben und bei denen eine aggressive Verfassungsfeindlichkeit gut dokumentiert ist. Gerade Sachsen und Thüringen fallen hier auf. Die Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit kann nach § 46 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz auf einen rechtlich oder organisatorisch selbstständigen Teil einer Partei beschränkt werden. Diese Rechtsfolge setzt voraus, dass man ein Verbot auch für selbstständige Teilgliederungen einer Partei – und damit namentlich Landesverbände – beantragen kann. Das Gesetz zwingt nicht dazu, mit geringer Erfolgsaussicht ein bundesweites Verbot zu beantragen, wenn man letztlich nur einzelne Landesverbände im Blick hat. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist auch nicht erst dann gefährdet, wenn der Gesamtstaat extremistisch unterwandert wird. Es reicht aus, dass dies auf der Ebene eines Landes geschieht, zumal im austarierten Modell des deutschen Exekutivföderalismus die Hauptverantwortung für die Machtmittel der Exekutive in den Händen der Länder liegt.[12] Auch die Menschen in Sachsen und Thüringen dürfen robusten Schutz vor Extremisten erwarten. Der undifferenzierte Blick hierauf ist einmal mehr Ausprägung einer typischen Föderalismusblindheit, die zur markanten Duftnote einer politischen Kultur der „Berliner Republik“ mit ihren perspektivischen Zentralismen geworden ist. Letztere sind Teil des Problems politischer Fragmentierung.

Parteiverbote sind kein Ersatz für Politik, die die Menschen überzeugt. Sie sind aber auch kein Panik-Button, sondern sinnvoller institutioneller Selbstschutz gegen feindliche Übernahmen. Die Meinungsfreiheit schützt auch verfassungsfeindliche Positionen.[13] Und das demokratisch aggressive Parteiverbot dient nicht dazu, Ideen oder Überzeugungen zu unterbinden; es ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot.[14] Verbotsverfahren sollen extremistische Parteien aber von den politischen Machtmitteln fernhalten, die Rechtsordnung in einer Weise umzugestalten, die mit den egalitär-freiheitlichen Prämissen des Grundgesetzes inkompatibel wäre. Traditionelle linke Ressentiments gegen die wehrhafte Demokratie gehören zu einem ungesunden Traditionsbestand der alten Bundesrepublik und spielen heute eher dem Rechtsextremismus in die Hände.

Politisch muss man sorgfältig abwägen, welche Kollateralschäden ein anhängiges Verbotsverfahren verursachen könnte, das sicherlich als Beweis für eine vermeintlich autoritäre Abschottung der etablierten Herrschaftsstrukturen instrumentalisiert werden würde. Eine politisch überzeugende Auseinandersetzung bleibt unentbehrlich. Dass gerade dies so schwerfällt, hat gewiss viele Ursachen. Verbrauchtes politisches Personal, ein Habitus des Belehrenden, zelebrierte Arroganz der Macht, Herablassung der Hauptstadtbubble gegenüber der vermeintlichen Provinz und eine dilettantische Opposition mit Lösungsangeboten von vorgestern dürften zu einer ungesunden Melange beitragen, die populistische Versuchungen und Rebelleneros erst attraktiv machen.

[1] Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1929.

[2] Albrecht von Lucke, Wagenknecht oder AfD-Verbot: Die letzte Chance?, in: „Blätter“, 9/2023, S. 5-8, hier: S. 7.

[3] Klaus Ferdinand Gärditz, Verfassungsidentität und Schutz der Verfassung, in: Klaus Stern u.a. (Hg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, Bd. I, München 2022, § 11 Rn. 121.

[4] BVerfGE 123, 267 (341) – Lissabon [2009]; BVerfGE 144, 20 (206 f.) – NPD [2017].

[5] BVerfGE 144, 20 (206 f.)

[6] BVerfGE 5, 85 (113, 129); 39, 334 (359 f.); 40, 287 (291 f.).

[7] BVerfGE 2, 1 (12 f.).

[8]  Hans Maier, Deutschland – Wegmarken seiner Geschichte, München 2021, S. 171.

[9] BVerfGE 144, 20 (206).

[10] Frühere äquivalente Formulierung: aggressiv-kämpferisch.

[11] BVerfGE 144, 20 (219 f.).

[12] Vgl. Artikel 83-90 Grundgesetz.

[13] BVerfGE 124, 300 (320).

[14] BVerfGE 144, 20 (220).

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